Alberich und Lotulf von Reims

Alberich und Lotulf, der Lombarde, waren Schüler bei Anselm von Laon, bei dem sie im Jahre 1113 Abaelard kennenlernten. Alberich und Lotulf standen zu Lebzeiten ihres berühmten Lehrers in dessen Schatten; deshalb wurden sie misstrauisch, unduldsam, aggressiv. Später betrachteten sie sich als allein zuständige Nachfolger der ehemaligen Lehrer Anselm von Laon und Wilhelm von Champeaux. Im Jahre 1120 wurde Alberich Leiter der konservativen Domschule in Reims und lehrte dort zusammen mit Lotulf. Er vertrieb seinen eigenen Schüler, Walter von Mortagne, gestorben 1177, einen maßvollen und abgeklärten Theologen, der auf dem Höhepunkt der Angriffe gegen Abaelard diesem einen fairen und sachlichen Fragenkatalog geschickt hatte, aus Reims. Denn dessen Ruhm hatte begonnen, den eigenen zu überstrahlen. Als Abaelard um 1120 in Maisoncelles-en-Brie seine Vorlesungen wieder aufnahm und großen Zulauf erhielt, empörten sich Alberich und Lotulf. Ihre Anträge, Abaelard die Lehrtätigkeit zu untersagen, blieben jedoch erfolglos. Vornehmlich ihren Intrigen war es zu verdanken, dass Abaelard ein Jahr später, im Jahre 1121, vor dem Konzil von Soissons seine Lehre von der Theologia Summi Boni widerrufen und sein Buch dem Feuer übergeben musste. Auch zur Zeit der Parakletschule waren Alberich und Lotulf noch propagandistisch gegen Abaelard tätig. Sehr viel später, im Jahre 1136, wurde Alberich von Reims Erzbischof von Bourges. Er verstarb um 1141.

Trotz Fehlen eines nennenswerten literarischen Nachlasses ist Alberich dennoch der Nachwelt bekannt geworden - durch ein überschwengliches Gedicht des Hugo von Orleans, eines Vagantendichters, der Alberich gegen Abaelard verteidigte. Der Primas hat die konservative Richtung der Reimser Schule, ihre Ablehnung der antiken Autoren, aber auch ihre tiefe Beunruhigung durch die neue theologische Richtung, in treffende Verse gebracht. Dieses Gedicht schildert den Gegensatz des konservativ-kontemplativen Theologen Alberich zum aufklärerischen Abaelard. Abaelard erscheint als Dieb, der den Gläubigen den Glauben raubt, als Eindringling in den Rat der Weisen, als Lebemann und Schmarotzer:

Reims besitzt die höchste Würde
schon durch seines Alters Bürde;
doch was früher ihm beschert,
wird durch Albrich jetzt vermehrt,
der's auf höchste Stufe rückt,
der's mit einer Krone schmückt,
der's mit Diadem bekränzt.
Durch wieviel auch Reims erglänzt,
alles ziert es nicht so sehr
wie der Quell der Gotteslehr',
Quell, der hell und ewig fließt,
dem nicht Tand, doch Lehr' entfließt,
keine falschen Argumente,
sondern Christi Sakramente.
Nicht die Weisheit des Marcian,
nicht Grammatik des Priscian
schätzt man hier, nicht die Poeten,
doch die Tiefe der Propheten;
nicht liest hier man die Poeten,
doch Johannes und Propheten;
nicht gibt's eitles Wissen dort,
sondern nur der Wahrheit Wort.
Sokrates wird nicht genannt,
doch ist Trinität bekannt.
Von dem einen Gott man spricht,
von Timäus, Platon nicht.
Herrscht das Heil'ge auch allein,
stellt sich doch die Zwietracht ein
in den Schulen und der Streit,
Irrtum und Uneinigkeit.
Der sagt ja, wo der verneint,
der siegt, der besiegt erscheint,
der Professor anders meint.
Doch wir lassen uns nicht rauben
Eintracht über einen Glauben,
einen Herrn und eine Tauf:
Dadurch geht's zu Gott hinauf,
hier gibt's Frieden, doch nicht Irren,
Eintracht, doch nicht Schisma-Wirren.
So steht unsere Schul' allein,
dürfte einzigartig sein.
Ihr, die nach der Lehre schmachtet
und zu Jesus Christus trachtet,
die ihr zu dem Quell gekommen,
habt ihr jenen Dieb vernommen?
Hört sich solchen Lebemann
Heiliger Konvent noch an?
Wert, dass Spott und Hohn Dich spritzen,
wagst Du in dem Kreis zu sitzen ?
Ihr, die Salomo gelesen
und bei Gottes Wort gewesen,
wollt das Ohr dem Strauchdieb leihen,
des Verbrechers Hörer sein ?
Schuldig muss er Fesseln tragen,
ward gebrannt und wundgeschlagen.
Das sieht man noch an dem Brandmal,
des gefang'nen Diebes Schandmal.
Ach, wie eitel schwatzt sein Mund.
Wird's nicht an der Narbe kund?
Er soll heim zur Kutte gehen,
sich mit schwarzer Tracht versehen!
Noch einmal wird er geschunden,
hält er nicht sein Maul verbunden.
Still jetzt oder fort bewegt
oder in den Sarg gelegt!

Dieses Gedicht - auch als Lob der Reimser Hohen Schule bekannt - wurde erst in den Jahren 1132 bis 1136 verfasst, als Abaelard möglicherweise auch zeitweise in Reims weilte. Es schildert aber sehr genau die Frontstellung, die bereits seit dem Konzil von Soissons im Jahre 1121 bestand: Abaelard schrieb die Verantwortung für das gegen ihn versammelte Konzil einzig der Eifersucht seiner beiden Mitschüler Alberich und Lotulf zu:

Seit dem Tod unserer gemeinsamen Meister, Wilhelm und Anselm, maßten sie sich die Alleinherrschaft an und wollten sie sich gleichsam in ihr Erbe teilen. Sie unterrichteten alle beide in Reims. Sie brachten es bei ihrem Erzbischof Radulf durch allerhand Einflüsterungen in der Tat soweit, dass man unter Beiziehung des Bischofs von Präneste, Conon, der damals päpstlicher Legat in Frankreich war, eine dürftige Versammlung unter dem stolzen Namen eines Konzils in Soissons abhielt und mich einlud, mein viel besprochenes Buch, das ich über die Dreifaltigkeit verfasst hatte, dorthin mitzubringen... Abaelard, Historia calamitatum


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