Kloster Sainte-Marie von Argenteuil

Abtei um 1674, Kupferstich aus dem Monasticon Gallicanum

Der Name Argenteuil ist mit einer der dramatischsten Episoden im Leben Heloïsas und Abaelards verbunden. Als nach der Entdeckung des Liebesverhältnisses ein Verbleiben Heloïsas in Paris nicht mehr möglich war, brachte sie Peter Abaelard als frisch angetrauter Ehemann in die Benediktinerabtei Sainte-Marie von Argenteuil - ca. 12 Kilometer nordwestlich von Paris. In diesem Frauenkonvent war Heloïsa keine Unbekannte. Sie war von klein auf dort erzogen worden und hatte ihren ersten Unterricht in Latein, Griechisch und vielleicht auch schon in Hebräisch, erhalten.

Als ich davon hörte, brachte ich Heloïsa in das Nonnenkloster Argenteuil bei Paris, in dem sie einst als kleines Mädchen erzogen und ausgebildet worden war... Abaelard, Historia Calamitatum
Auch nachdem Heloïsa eingekleidet, d.h. auf eine weitere Klosterlaufbahn vorbereitet war, ließ sich Abaelard nicht davon abhalten, seine angetraute, in Paris aber verheimlichte Ehefrau in Argenteuil aufzusuchen - zu manchem Liebes-Rendezvous. Dies geschah unter der offensichtlichen Protektion einer verständigen Äbtissin, welche nach eigenen Recherchen den Namen Mathilde trug, und dem Paar ein trautes Beisammensein im wohl einzigen erwärmten Raum des Klosters, dem Refektorium, ermöglichte:
Du weißt wohl noch, was dort die Unbändigkeit meiner Leidenschaft mit Dir trieb, und zwar in einem Winkel des Refektoriums selbst... Abaelard, Brief 5
Die Affäre spielte sich um 1117 ab. Sie endete schließlich mit der Kastration Abaelards.

Saint-Marie d'Argenteuil um 1610, Kupferstich von Chastillon, AusschnittAls Heloisa in diesem Konvent lebte, blickte dieser bereits auf eine mehr als vierhundertjährige Tradition zurück: Ein erstes Kloster war bereits im 7. Jahrhundert unter dem Merowingerkönig Childebert gegründet worden. Im Jahre 1129 nahm Abt Suger von Saint-Denis angebliche alte Besitzrechte wahr und ließ die Nonnen von Argenteuil, darunter auch ihre Priorin Heloïsa, vertreiben: Er gab vor, herausgefunden zu haben, dass das Kloster von Argenteuil einst ein Männer-Kloster gewesen war und zu Saint-Denis gehört hatte. Dabei berief er sich auf eine - wahrscheinlich gefälschte - Urkunde aus dem Jahre 828, in der der Kaiser Ludwig der Fromme und sein Sohn Lothar versprochen hatten, das Kloster nach dem Tode der Äbtissin Theodrada wieder an Saint-Denis zurückzugeben. Die Echtheit der Urkunde wurde bereits wenige Jahre nach Sugers Tod angezweifelt. Das Original ist heute verloren. Der Abt behauptete auch, nach einer zweiten Urkunde hätten Hermenricus und seine Frau Numma das Kloster in Argenteuil gegründet und unter König Pippin, 751-768, dem Kloster Saint-Denis geschenkt. Argenteuil um 1789, Diorama von Janson, 1939Diese Behauptung ist weitgehend widerlegt, denn das Kloster war nachweislich schon unter König Chlothar III., 657-673, gegründet und der Mutter Gottes sowie Peter und Paul geweiht worden. Ein Kartular von Saint-Denis aus dem Jahre 750 führte das Kloster Argenteuil nicht auf. Karl der Große hatte seine Tochter Theodrada zur Äbtissin gemacht. So standen sich zu seiner Zeit das Königskloster Saint-Denis als Männerkonvent und das Kloster Sainte-Marie von Argenteuil als Frauenkonvent in enger Nachbarschaft auf beiden Seiten der Seine gleichrangig gegenüber. Die Normannen zerstörten Argenteuil, und es blieb danach über hundert Jahre öde und verwaist. Erst Königin Adelheid, die Frau Hugos Capet, und ihr Sohn, König Robert II., 969-1031, gründeten es als benediktinisches Nonnenkloster neu. Obwohl König Robert die Gründungsurkunde in Saint-Denis ausgestellt hatte, fehlt in ihr erneut jeder Hinweis auf etwaige Ansprüche dieses Klosters. Der damalige Abt von Saint-Denis hatte nicht einmal mit unterzeichnet. Trotzdem der dürftigen Beweislage wurden die Nonnen vertrieben, und die Vertreibung durch ein Konzil - und unter Zustimmung des Päpstlichen Legaten Matthäus von Albano und des Königs - bestätigt.

Eine ausführlichere Beschreibung und Bewertung der damaligen Vorgänge findet sich innerhalb dieser Seiten unter:

[Die Vertreibung Heloïsas und ihrer Mitschwestern aus Argenteuil]

Die Heilige Tunika von ArgenteuilÜber die späteren Geschicke des Klosters, das von nun an nur noch als relativ unbedeutendes Priorat von Saint-Denis bis zur Französischen Revolution weiter existierte, ist nur wenig Markantes zu erzählen. Nach der Tradition von Saint-Denis hatte einst Kaiser Karl der Große seiner Tochter Theodrada die Heilige Tunika - auch cappa pueri domini Jesu genannt - geschenkt, die er von einer Reise ins Heilige Land mitgebracht hatte - als Geschenk der byzantinischen Kaiserin Irene. Im Jahre 1156 - also noch zu Lebzeiten Heloïsas - vermeldete Abt Odo von Deuil, die zwischenzeitlich verschollene Gewandreliquie im Priorat Argenteuil "wieder entdeckt" zu haben. Er ließ sie dem Volk feierlich zur Verehrung präsentieren. Vermutlich versuchte er mit dieser Aktion, die nach der Umwandlung stark zurückgegangenen Altar-Einkünfte des  Konvents wieder zu heben.

Taufkapelle Saint-Jean aus dem 11. JahrhundertDie weitere, bewegte Geschichte des Priorates ist in Zusammenhang mit Heloïsa und Abaelard nur wenig interessant. Das Kloster wurde während in der französischen Revolution bis auf unbedeutende Reste zerstört. Argenteuil ist heute eine relativ konturlose Industriestadt nordwestlich von Paris, mit zirka 100 000 Einwohnern, die nur wenig aus alten Zeiten bewahrt hat. Ausgrabungen auf dem Gelände der Abtei Größere, überirdische Reste des einstigen Frauenklosters selbst sind heute nicht mehr erhalten. Von den sonstigen Bauten ist die Kapelle Saint-Jean am eindrucksvollsten, die aufgrund archetektonischer Merkmale in das 11. Jahrhundert - also in die Zeit vor Heloïsa - zurückdatiert wird und als Taufkapelle gedient haben soll. Sie steht heute - vorbildlich renoviert - in einem der Neubauviertel, unmittelbar nördlich des ehemaligen Abtei-Areals. Die Überreste des Klosters selbst liegen in einem von außen nicht zugänglichen Immobilienkomplex und werden nur angemeldeten Besuchergruppen hin und wieder eröffnet. Sie beschränken sich im wesentlichen auf die Krypta der ehemaligen Abteikirche.

L'ancien Hôpital, 18. Jahrhundert, heute Musée du Vieil ArgenteuilDie Fundstücke aus dem Klosterareal aus der Zeit der Romanik, darunter ein Portalgesims im sogenannten normannischen Stil, ein sehr schönes Säulenkapitell, eine Skulpturenplatte und das Epitaph eines Musiklehrers namens Addalaldus, der im Kloster Musik unterrichtete und in der Kapelle Saint-Jean begraben wurde, werden heute im alten Hospital der Stadt, dem Musée du Vieil Argenteuil, aufbewahrt und an einzelnen Wochentagen der interessierten Öffentlichkeit präsentiert. Das Museum steht unter der Schirmherrschaft der Société historique et archéologique "Le Vieil Argenteuil" - eine Gemeinschaft örtlicher Heimatkundler, welche auch in unregelmäßigen Abständen ein Bulletin mit Facharbeiten zu Argenteuil herausgibt. Diese wenigen Funde, die aus Heloïsas Abtei noch erhalten sind, belegen durch die Schönheit ihrer Ausführungen, wie blühend und reich dieser Konvent bis zur Vertreibung der Nonnen einst gewesen sein muss. Das genannte Epitaph belegt, dass dort auch die schönen Künste gepflegt wurden - eine Information, die man sonst nur durch die Quellen zu Heloïsa gewinnt. Das Museum enthält außerdem eine sehr schöne Sammlung von Kupferstichen und sonstigen Dokumenten zum Thema - unter anderem eine fast komplette Serie der sehr frühen Werke Angelika Kauffmanns.

[Weiteres Bildmaterial von und über Argenteuil]   Langer Download: Ca. 550 KB!


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