Brieftraktat 77: Über die Taufe - De Baptismate

 

In diesem Traktat bezog sich Bernhard von Clairvaux auf ein vorangegangenes, heute verlorenes Schreiben Hugos von Saint-Victor, in dem dieser ihm die Lehrsätze eines namentlich nicht genannten, jedoch offensichtlich umstrittenen Theologen zur Diskussion vorgelegt hatte. Bereits früh wurde Erzbischof Johann von Sevilla oder Hugo Farsit hinter diesem Anonymus vermutet (siehe PL 182, 1029f). Auf Grund der Inhalte der Thesen besteht jedoch wenig Zweifel, dass es sich um Peter Abaelard handelte. Besonders deutlich wird dies im 9. Kapitel: Hier polemisiert Bernhard von Clairvaux recht eindeutig gegen dessen Intentionsethik - insbesondere in Bezug auf die Frage, ob die Kreuziger Christi Schuld auf sich geladen hätten, weil sie mit der Kreuzigung das Gesetz vollzogen hatten. Weitere Bezüge zu Abaelard finden sich auch in der Einschätzung, ob ungetaufte Kinder das Heil erwarten könnten, oder in der Behandlung der Frage, inwieweit die Väter des Alten Testamentes eine vollständige Erkenntnis des künftigen Heilsgeschehens erlangt hätten.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass Hugo von Saint-Victor den Namen des oppositionellen Theologen Bernhard zuvor nicht genannt hatte. Vielmehr wird Bernhard von Clairvaux auf indirektem Weg mündlich informiert worden sein. Warum sonst hätte er sich so ausführlich mit den Anwürfen eines Mannes auseinandersetzen sollen, dessen Relevanz ihm verborgen war? Wenn er in der schriftlichen Ausführung bewusst den Namen verschwieg, nahm er lediglich Rücksicht auf die Tatsache, dass derartige Traktate ungeachtet des persönlichen Addressaten öffentlich verlesen wurden - nicht nur im Stift Saint-Victor selbst, sondern vermutlich auch in den Kirchen und Schulen der Stadt. Doch in diesem frühen Stadium der Auseinandersetzung ging es Bernhard noch um Versachlichung - unter Vermeidung persönlicher Animosität. So blieb das Inkognito gewahrt. Damit unterschied sich Bernhards Brief im Stil noch wohltuend von den ätzenden Invektiven seiner späteren Jahre.

Der vorsichtige Umgang mit dem Kontrahenten legt nahe, dass die Anhandlung zu einem sehr frühem Zeitpunkt verfasst wurde - wahrscheinlich noch vor Bernhards Pastoralvisite im Paraklet, weswegen er hinterher von Abaelard persönlich angefeindet wurde. Es ist durchaus denkbar, dass die Abfassung auch vor dem Konzil von Soissons im Jahre 1121 stattfand - am ehesten zu der Zeit, als Abaelard erstmals in Paris öffentlich Theologie lehrte (um 1116), oder in seiner Zeit als Mönch von Saint-Denis (etwa zwischen 1118 und 1121). In diesen Jahren hatte Bernhard bereits das Abbaziat von Clairvaux und Hugo das Magisterium in Saint-Victor übernommen. Für diese frühe Datierung spricht auch die Tatsache, dass Hugo sein Schreiben nach Pontigny geschickt hatte, und nicht nach Clairvaux. Da Pontigny als zweite Zisterze von Cîteaux im Jahre 1114 noch vor Clairvaux gegründet worden war, mag es zum betreffenden Zeitpunkt bereits über ein Skriptorium und eine Bibliothek verfügt haben, während Clairvaux sich noch im Aufbau befand. Spätere Datierungen - zum Beispiel in die Paraklet-Zeit Abaelards oder in die Periode seines Abbaziats in Saint-Gildas - fanden die Anerkennung der Fachwissenschaft, ohne dass sich ein Beweis dafür gefunden hätte. Eine Datierung nach 1125 erscheint zumindest aus Gründen der Lebenssituation Abaelards und Bernhards nicht so sehr plausibel - erst recht nicht eine Datierung in seine zweite Pariser Schaffensperiode nach 1133. Bernhard von Clairvaux berichtete zum Beispiel in dem Traktat, dass auch seine eigenen Thesen bei den Kanonikern von Saint-Victor auf Kritik gestoßen seien; in dieser späten Phase wäre ihm dies sicher nicht mehr in der geschilderten Form passiert. Abaelard berichtete seinerseits von der Paraklet-Zeit, dass ihn damals "zwei neue Apostel" verfolgt hätten. Wenn der eine von beiden Bernhard war - was anzunehmen ist -, so predigte er gegen ihn nun sicher nicht mehr anonym. Abaelard bedauerte ja, es hätten sich ja darauf hin einige seiner alten Freunde von ihm abgewandt.

Siehe hierzu auch: Luscombe, D.E., The school of Peter Abelard, Cambridge, 1969, Seite 186; Little E., Relations between St. Bernard and Abelard before 1139, in: Saint Bernard of Clairvaux, Studies commemorating the Eighth Centenary of his Canonisation, Kalamazoo, Michigan, 1977, Seite 165; Van den Eynde, Essai sur la succession et la date des oeuvres de Hugue de Saint-Victor, Rom, 1960, 132ff.

 

EPISTOLA LXXVII

AD MAGISTRUM HUGONEM DE SANCTO VICTORE.

De baptismo aliisque quaestionibus ab ipso propositis, uti prius epistola inscribebatur, ad modum cuiusdam tract-atus vel opusculi.

Si tibi videor tardius rescripsisse, scito me tarde quoque accepisse ad quod rescriberem. Nam quod miseras, non continuo ad me usque perlatum est, sed Pontiniaci diu ante retentum. Porro ubi accepi, moram minime feci in rescribendo. Ceterum id brevius quam tua forte deposcebat intentio, sed non plane quam mea occupatio sineret. Curavi tamen ne te utcumque lateret quidquid super interrogatis ego sentirem, tuo sane eadem mea sensa et otio et ingenio plenius astruenda relinquens, si ita oportere cognoveris. Nec dubito ad manum tibi esse rationes certas et congruas auctoritates, quibus facile id possis. Is ergo, cuius me respondere assertionibus iubes et nomen taces, tibi noverit a me super consultis quod sentio dictum, non sibi contradictum, etiamsi quid aliter ab ipso sapimus. Nam si verum nos sapimus, veritas ei contradicit, non nos. Sed enim si non confunditur acquiescere veritati, et veritas cum eo sapit, et nos. Sin autem, servum dei tamen non oportet litigare, sed magis patientem esse ad omnes. Ideoque non quaerimus pugnas verborum, novitates quoque vocum iuxta apostolicam doctrinam evitamus. Patrum tantum opponimus sententias ac verba proferimus, et non nostra: nec enim sapienciores sumus quam patres nostri. Abundet sane in suo sensu qui vult quantum vult, dummodo nos patiatur in Scripturarum sensibus abundare, quomodo dicit apostolus: non quod sufficientes simus cogitare aliquid a nobis tamquam ex nobis, sed sufficientia nostra ex deo est.

BRIEF 77

AN MAGISTER HUGO VON SAINT- VICTOR.

Über die Taufe und andere von ihm gestellte Fragen, wie ein Brief früher überschrieben war, in Form eines Traktates oder einer kurzen Abhandlung.

Wenn Du meinst, ich hätte allzu spät zurück geschrieben, dann wisse, dass ich das Schreiben, worauf ich antworten sollte, auch sehr spät erhalten habe. Was Du mir nämlich geschickt hattest, ist nicht direkt zu mir gelangt, sondern vorher lange Zeit in Pontigny liegen geblieben; gleich nach dem Eintreffen aber habe ich keine Zeit für die Beantwortung mehr verstreichen lassen. Im übrigen ist meine Antwort kürzer, als Du es gewünscht hattest; aber zumindest so lange, wie es meine Arbeit zuließ. Trotzdem sorgte ich dafür, dass Du über meine Ansichten bezüglich der aufgeworfenen Fragen nicht im Unklaren bliebst. Natürlich überlasse ich es Deiner Muße und Deinem Geist, diese meine Empfindungen vollständiger darzustellen, wenn Du es als nötig erkannt hast. Ich zweifle nicht daran, dass Dir zuverlässige Vernunftgründe und passende Autoritäten zur Verfügung stehen, mit denen Du dies leicht vermagst. Jener Mensch also, auf dessen Behauptungen zu antworten Du mich aufforderst, ohne seinen Namen zu nennen, soll wissen, dass die Worte, mit denen ich Dir meine Meinung über die Probleme darlege, nicht gegen ihn gerichtet sind, auch wenn unsere Einsicht von seiner Erkenntnis abweicht. Wenn nämlich unsere Einsicht wahr ist, widerspricht ihm die Wahrheit als solches, nicht wir. Wenn er sich nicht davon abbringen lässt, der Wahrheit beizupflichten, stimmt die Wahrheit mit ihm überein, so wie mit uns. Andernfalls aber "soll ein Knecht des Herrn nicht Streit anzetteln, sondern eher gegen alle tolerant sein." (2 Tim 2,24) Daher suchen wir keine Wortgefechte; auch meiden wir nach der apostolischen Lehre unerhörte Worte. Wir bringen nur die Aussagen und Worte der Väter vor und nicht die unseren, denn wir sind nicht weiser als unsere Väter. Wer will, möge von seinem Empfinden überzeugt sein, soviel er will, wenn er uns nur überströmen lässt in unseren Auffassungen zu den heiligen Schriften, wie der Apostel sagt: "Nicht weil wir uns darauf bescheiden sollen, etwas von uns wie aus uns heraus an Gedanken zu liefern; vielmehr kommt diese unsere Fähigkeit von Gott." (2 Kor 3,5)

I. 1. Scribis itaque quemdam asserere nescio quem - nam non nominas - ex quo primum dictum a Domino legitur: nisi quis renatus fuerit ex aqua et spiritu sancto, non intrabit in regnum caelorum, ex eo neminem absque eodem percepto actualiter visibili sacramento, vel eius vice martyrio, ullatenus potuisse salvari; sed etsi forte illud quispiam cum vera fide et contritione cordis expeteret, sed praeventus mortis articulo assequi quod cuperet non valeret, tamen omnino damnari. Ubi primo de temporis quidem praefixione durum nimis austerumque videtur, ut videlicet verbum adhuc absconditum palam iam noceat, et ante iudex feriat quam minetur, quodque interim in tenebris loquitur et in aure salvator, nondum quidem salvet, quia nondum apparet, et iam mundum impleat condemnatis. Plane ergo verbum salutis et praeceptum vitae non prius vitam restituere valuit quam mortem inflixerit, idque eo innocentibus quo et nescientibus adhuc voluntatem Domini sui? Num gentem ignorantem et iustam, ut cum ethnico loquamur, debuit interficere Deus? Quis ita sapiat? Non equidem vitae concordat auctori, morte nimirum, quam exterminare venerat, uti mox in initio viarum suarum ad praeiudicium saeculi, caeleste adhuc recentissimum ignorantis edictum. Nefas est profecto sentire de omnium largitore bonorum quod tam malum principium dederit adveniens. Minime prorsus id ego cuipiam de Christo assenserim quod magis ab Antichristo merito formidatur, quia videlicet et ipse paraverit sagittam suam in pharetra, ut sagittaret in obscuro rectos corde.

I. 1. Du schreibst also, dass einer - ich kenne ihn nicht, denn Du nennst ja keinen Namen - anmerkt, wonach das erstmalige Wort des Herrn gelesen wird: "Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Heiligen Geist geboren wird, kann er nicht ins Himmelreich kommen" (Joh 3,5) Demnach kann niemand auf irgendeine Weise gerettet werden, wenn er nicht in der Tat dieses sichtbare Sakrament empfangen oder an seiner Stelle das Martyrium erlitten hat. Selbst wenn es jemand vielleicht mit wahrem Glauben und in der Zerknirschung des Herzens anstrebt, wird er dennoch gänzlich verdammt, wenn er vorzeitig stirbt und das Ersehnte nicht mehr erlangen kann. Er erscheint zunächst wegen der Festlegung der Zeit allzu hart und streng, dass nämlich das bislang verborgene Wort schon offen schadet, dass der Richter straft, ehe er noch androht, dass auch das Wort, das der Erlöser erst im Finstern spricht und ins Ohr, zwar noch nicht Heil bringt, weil es noch nicht offenbar ist, wohl aber die Welt schon mit Verdammten erfüllt. Hat so also das Wort des Heiles und das Gebot des Lebens nicht früher das Leben wiederherstellen können, als vielmehr den Tod verhängt, und dies über Unschuldige, weil sie noch nicht den Willen ihres Herrn kannten? Hat Gott ein unwissendes und - um mit dem Heiden zu sprechen -gerechtes Volk töten müssen? Wer könnte so denken? Es entspricht sicher nicht dem Schöpfer des Lebens, gleich am Beginn seiner Wege den Tod zu verhängen, zu dessen Beendigung er doch in die Welt gekommen war, zur Vorverurteilung einer Welt, die noch nicht das jüngste himmlische Gebot kannte. Es ist Unrecht, in der Tat zu denken, dass der Spender aller Güter seiner Ankunft einen so bösen Anfang gegeben hätte. Keineswegs möchte ich also jemandem zustimmen, der über Christus das denkt, was mit Recht vom Antichrist gefürchtet wird, weil dieser freilich seinen Pfeil im Köcher bereit hält, um ihn im Dunkeln auf die Aufrichtigen im Herzen abzuschießen. (PS 10,3)

2. Quanti namque interim toto orbe non baptizati moriuntur, profecto ignorantes, quid cum Nicodemo Iesus noctu secretoque confabuletur? Quid ergo? necdum lex promulgatur, et iam praevaricantes tenentur? ET QUOMODO, inquit, CREDENT IN EUM QUEM NON AUDIERUNT? QUOMODO VERO AUDIENT SINE PRAEDICANTE? QUOMODO AUTEM PRAEDICABUNT NISI MITTANTUR? Necdum iniuncta, necdum vulgata, necdum audita praedicatio est, et iuxta pigri ac nequam servi sententiam tam durus est Dominus, ut necdum sata iam metere velit, et non sparsa colligere? Absit. Sed audi magis huius rei veritatem. Qui unus est Magister in caelo et in terra ei, qui magister tantum in Israel erat, familiari privatoque colloquio tradebat quod traderet, docebat quod doceret, non quod exigeret et ab absentibus, non unde praescriberet et his qui non audierant. Valde quippe iniuste exigitur oboeditio, ubi non praecessit auditio. Neque enim tale est hoc, quod et absque promulgatione naturalis lex ignorare non sineret, quale, verbi gratia, illud est: QUOD TIBI NON VIS FIERI, ALU NE FECERIS. Facticium magis quodammodo est, et non naturale mandatum. Quaenam enim natura seu ratio docet, internam aeternamque salutem mortalium neminem posse percipere, cuius foris corpus perfusum visibili non fuerit elemento? Sacramentum Dei Altissimi est suscipiendum, non discutiendum, venerandum, non diiudicandum, fide sortitum, non innatum, traditione sancitum, non adinventum ratione. Porro fidem necesse est ut auditus praecesserit, dicente Apostolo: ERGO FIDES EX AUDITU. Quod ergo omnino sciri non poterat si non audiretur, quo pacto, quaeso, exigi debeat et antequam audiretur? Vide autem quomodo huc refugit Apostolus, et de solo auditu convincit incredulos. SED DICO, inquit: NUMQUID NON AUDIERUNT? Ac si dicat: Excusari poterant, si non audissent. UBI ENIM NON EST LEX, NEC PRAEVARICATIO. Nunc vero cum in omnem terram exierit sonus praedicantium et in fines orbis terrae verba eorum, quia dissimulari iam non valet auditus, profecto inexcusabilis est et contemptus.

2. Denn wie viele sterben inzwischen auf dem ganzen Erdkreis ungetauft und wissen in der Tat nicht, was Jesus nächtens vertraulich mit Nikodemus spricht? Was also? Das Gesetz ist noch nicht veröffentlicht, und schon werden die Menschen wegen Verstoß belangt? UND WIE, spricht der Apostel, SOLLEN SIE AN DEN GLAUBEN, DEN SIE NICHT GEHÖRT HABEN? WIE ABER SOLLEN SIE HÖREN, WENN NIEMAND PREDIGT? WIE ABER SOLLEN SIE PREDIGEN, WENN SIE NICHT GESANDT WERDEN? (Rom 10,14f) Noch ist die Verkündigung nicht verordnet, nicht verbreitet und gehört, und nach dem Urteil des faulen und unnützen Knechtes ist der Herr so hart, dass er schon ernten will, wo noch nicht gesät ist, und sammeln, wo nicht verstreut ist? Fern sei der Gedanke! Aber höre lieber die Wahrheit des folgenden Sachverhalts: Er, der allein der Meister im Himmel und auf Erden ist, vertraute dem, der nur Meister in Israel war, in einem vertraulichen und geheimen Gespräch das an, was er ihm anvertrauen wollte. Er lehrte ihn das, was er ihn lehren wollte, aber nichts, was er auch von Abwesenden forderte, nichts, von dem er auch Vorschriften für diejenigen ableitete, die ihn nicht gehört hatten. Nur höchst ungerecht wird Gehorsam eingefordert, wo zuvor das Gebot nicht gehört wurde. Es ist ja nicht ein solches, das man nach dem Naturgesetz auch ohne Bekanntmachung kennen müsste, wie zum Beispiel jenes: WAS DU NICHT WILLST, DASS ES DIR GESCHEHE, DAS FÜG AUCH KEINEM ANDEREN ZU! (Hiob 4,16) Es ist eher gewissermaßen eine Machenschaft, nicht ein Naturgesetz. Denn welche Natur, welche Vernunft lehrt, dass keiner der Sterblichen inneres und ewiges Heil erlangen könne, dessen Körper nicht äußerlich von einem sichtbaren Element benetzt worden ist? Das Sakrament des allerhöchsten Gottes muss angenommen, nicht diskutiert werden, es muss verehrt und nicht beurteilt werden, es ist durch den Glauben gelost worden und nicht angeboren, es ist durch die Tradition sanktioniert und ist nicht durch die Vernunft erfunden worden. Weiterhin ist es notwendig, dass dem Glauben das Hören vorausgeht, wie der Apostel sagt: ALSO GRÜNDET DER GLAUBE IM HÖREN. (Röm 10,17) Was also überhaupt nichts gewusst werden konnte, ohne vorher gehört worden zu sein, wie, bitte, sollte etwas eingefordert werden, ehe es gehört wurde? Sieh doch, wie der Apostel hier Zuflucht nahm und die Ungläubigen nur aus dem Gehörten überzeugte. Er sagt: ICH FRAGE ABER: HABEN SIE WOHL NICHT GEHÖRT? (Rom 4,15) Als ob er sagen wollte: Sie könnten sich entschuldigen, wenn sie nicht gehört hätten. WO ES NÄMLICH KEIN GESETZ GIBT, DA GIBT ES AUCH KEINE ÜBERTRETUNG. (Rom 4,15) Aber jetzt, wo die Stimme der Prediger sich über die ganze Erde verbreitet hat und ihre Worte bis an die Grenzen des Erdkreises gedrungen sind, ist die Missachtung in der Tat unentschuldbar, weil das Vernommene nicht mehr verheimlicht zu werden vermag.

3. Multa profecto scienda nesciuntur, aut sciendi incuria, aut discendi desidia, aut verecundia inquirendi. Et quidem huiusmodi ignorantia non habet excusationem. Sed numquid forte tale est hoc, quod inquisitum humano possit addisci magisterio? Homo hominis, nisi ipso indicante, non intelligit cogitatum; quanto minus divinum quis poterit investigare consilium, nisi cui ipse voluerit revelare? Audi denique ipsum: SI NON VENISSEM, ait, ET LOCUTUS EIS NON FUISSEM, PECCATUM NON HABERENT. Non dicit simpliciter: Et locutus non fuissem, sed, interferens EIS: ET LOCUTUS EIS, inquit, NON FUISSEM, ostendens sine dubio non ante censeri inexcusabiles de contemptu quam ad ipsorum usque notitiam iussio perveniret. Nam si locutus quidem fuisset, sed non eis, inoboedientiae culpam ignorantia nihilominus excusaret. NUNC AUTEM, inquit, quoniam locutus sum, et locutus sum eis, EXCUSATIONEM NON HABENT DE PECCATO. Unde et aiebat: EGO PALAM LOCUTUS SUM MUNDO ET IN OCCULTO LOCUTUS SUM NIHIL. Nec quod suos domesticos multa in occulto privatimque non docuerit; sed quod tamquam nihilum interim reputaret, et nec poenam, nec praemium ea agere quae in secreto tradebat, iudicaret, donec de medio fierent et prodirent in lumine. Denique et dicebat: QUOD DICO VOBIS IN TENEBRIS, DICITE IN LUMINE, ut merito videlicet iam audientibus oboedientiae vel meritum ascriberet, vel contemptum, cum in medio proferrentur. Item: QUI VOS AUDIT, inquit, ME AUDIT, ET QUI VOS SPERNIT ME SPERNIT. Ac si diceret: Iudicium meum inter oboedientes et contemnentes, non de mea secreta traditione, sed de vestra publica praedicatione pendebit.

3. In der Tat wird vieles, was man wissen müsste, nicht gewusst, sei es aus Unbekümmertheit über das Wissen, sei es aus Faulheit zu lernen oder aus Angst nachzuforschen. Ein derartiges Nichtwissen findet keine Entschuldigung. Aber liegt vielleicht das Problem darin, ob man das Erforschte überhaupt durch menschliche Unterweisung erlernen kann? Der Mensch erkennt nicht die Gedanken eines anderen Menschen, wenn dieser sie ihm nicht selbst kundtut. Um wie viel weniger wird jemand den göttlichen Ratschluss erforschen können, es sei denn, Gott selbst wollte ihm diesen offenbaren? Höre schließlich ihn selbst: WENN ICH NICHT GEKOMMEN WÄRE, sagt er, UND NICHT ZU IHNEN GESPROCHEN HÄTTE, WÄREN SIE OHNE SÜNDE. (Joh 15,22) Er sagt nicht einfach: Und nicht gesprochen hätte, sondern, indem er noch ZU IHNEN beisteuerte, sagte er: WENN ICH NICHT ZU IHNEN GESPROCHEN HÄTTE. Ohne Zweifel zeigt er damit, dass sie nicht als unentschuldbar einzustufen wären für die Missachtung eines Befehls, ehe dieser zu ihrer Kenntnis gelangt wäre. Denn wenn er zwar gesprochen hätte, aber nicht zu ihnen, würde das Nichtwissen um nichts weniger das Vergehen des Ungehorsams entschuldigen. JETZT ABER, sagte er, da ich gesprochen habe - und zu ihnen gesprochen habe - HABEN SIE KEINE ENTSCHULDIGUNG FÜR IHRE SÜNDE. (Joh 15,22) Daher sagt er auch: ICH HABE OFFEN VOR ALLER WELT GESPROCHEN UND NICHTS IM GEHEIMEN GESAGT. (Joh 18,20) Nicht dass er seinen Vertrauten nicht vieles im Geheimen und hinter verschlossenen Türen gelehrt hätte, aber es waren Worte, denen er zunächst gewissermaßen keine besondere Bedeutung zumaß. Was er im Geheimen anvertraute, sollte nach seiner Einschätzung weder Strafe noch Lohn nach sich ziehen, bis es offenbar wurde und ins Licht trat. Schließlich sagte er auch: WAS ICH EUCH IM DUNKELN SAGE, DAVON REDET AM HELLLICHTEN TAG (Mt 10,27), um nun freilich den Hörern nach ihrem Verdienst entweder den Verdienst für Gehorsam oder Missachtung zuzuschreiben, wenn seine Worte bekannt geworden seien. Ebenso spricht er: WER EUCH HÖRT, DER HÖRT MICH, UND WER EUCH VERACHTET, VERACHTET MICH. (Lk 10,16), als ob er sagte: Mein Urteil über die, die gehorchen und nicht gehorchen, wird nicht davon abhängen, was ich insgeheim anvertraute, sondern von eurer öffentlichen Verkündigung.

4. Sed forte aliquis dicat eos quidem qui non audierunt, etsi non de contemptu iudicari, damnari tamen propter originale peccatum, a quo utique nisi per lavacrum emundari minime potuerunt. At vero quis nesciat et alia praeter baptismum contra originale peccatum remedia antiquis non defuisse temporibus? Abrahae quidem et semini eius, circumcisionis sacramentum in hoc ipsum divinitus traditum est. In nationibus vero, quotquot inventi fideles sunt, adultos quidem fide et sacrificiis credimus expiatos, parvulis autem etiam solam profuisse, immo et suffecisse parentum fidem. Porro hoc ita usque ad baptismi tempora perdurasse, quo uno substituto, vacasse cetera.

4. Vielleicht aber sagt jetzt jemand: Diejenigen, die nicht gehört haben, werden zwar nicht wegen Missachtung gerichtet, aber doch wegen der Erbsünde verdammt, von der sie gewiss nur durch das Bad der Taufe gereinigt werden können. Aber wer wüsste nicht, dass in alten Zeiten neben der Taufe auch andere Heilmittel gegen die Erbsünde nicht fehlten? Abraham und seinen Nachkommen ist dazu von Gott die Verpflichtung zur Beschneidung aufgetragen worden. In allen Völkern aber, die als gläubig befunden wurden, halten wir die Erwachsenen durch ihren Glauben und durch ihre Opfer für gereinigt, während den Kindern schon der Glaube der Eltern allein nützte, vielmehr genügte. Dies hielt bis zur Zeit der Taufe an, als mit der alleinigen Einsetzung dieses Sakraments alles andere seine Bedeutung verlor.

5. Quaerimus itaque baptismi tempus ex quo coeperit. Ex quo, inquit, primum dictum est: NISI QUIS RENATUS, et cetera. Tene ergo firmiter dictum hoc ad Nicodemum, utique amicum Iesu, OCCULTUM tamen PROPTER METUM IUDAEORUM, occultumque illud de nocte requisisse colloquium. Quanta autem putas obisse interim, ut de gentibus taceam, millia circumcisorum, cum necdum in lucem prodierit quod de baptismo tunc in tenebris dicebatur? Quid igitur? Damnatos illos omnes dicimus, quia baptizati non sunt? Fit ergo iniuria antiquo illi Dei aeque mandato, si novo adhuc furtive quodammodo superveniente, non tamen subveniente, illud ita subito evanuisse putetur, ut prodesse deinceps non valeret. Et quidem quam longe post putas publice praedicatum et clamatum super tecta fuisse: Si CIRCUMCIDAMINI, CHRISTUS VOBIS NON PRODERIT? Quomodo deinde stabit illud, quia A DIEBUS IOANNIS BAPTISTAE REGNUM CAELORUM VIM PATITUR, si praecipue tunc temporis contigisse constiterit huiuscemodi a regno violentam interclusionem, qualis quidem nec ante fuerit, nec post futura sit? Sancito quippe novi mysterii decreto, sed adhuc secreto, quisnam, quaeso, morientibus interim ad regnum patet accessus, dum et vetus iam deficit, quoniam a novo excluditur, et novum tamen non subvenit, quoniam, dum nescitur, non percipitur? 0 infelicissima illa tempora, quae sola a saeculis omni penitus salutis remedio vacua transierunt, dum et circumcisio, quae illo usque viguerat, prodesse iam subripiente baptismate non auderet, et baptisma, quoniam adhuc lateret, non succurreret! Forsan dormiebat eo temporis Deus, nec fuit interim qui redimeret neque qui salvum faceret.

5. Wir fragen also nach der Zeit, in der die Taufe ihren Anfang nahm. Er sagt: Seit das erste Mal gesagt wurde: WENN JEMAND NICHT WIEDERGEBOREN WIRD, etc. (Joh 3/5) Halte also fest, was zu Nikodemus gesagt wurde, also einem Freund Jesu, doch IM VERBORGENEN, AUS FURCHT VOR DEN JUDEN (Joh 19,38), und dass er jene Unterredung heimlich des Nachts suchte. Wie viele Tausend von Beschnittenen - glaubst Du - sind inzwischen verstorben, ganz zu schweigen von den Heiden, solange noch nicht ans Licht getreten war, was damals im Dunkeln über die Taufe gesagt wurde? Was nun? Halten wir alle diese für verdammt, weil sie nicht getauft wurden? Es geschieht also jenem alten Gebot Gottes, das in gleicher Weise erlassen wurde, Unrecht, wenn man meinte, es habe so plötzlich seine Geltung verloren, es könnte fürderhin nicht mehr nützen, wenn plötzlich ein bis dahin unbekanntes Gebot gewissermaßen verstohlen auftaucht, das noch nicht zu Hilfe gereicht! Freilich, wie viel Zeit, glaubst du, ist vergangen, bis öffentlich gepredigt und über die Dächer gerufen wurde: WENN IHR BESCHNITTEN SEID, WIRD CHRISTUS EUCH NICHTS NÜTZEN (Gal 5,2)? Wie wird dann jenes Wort bestehen, dass SEIT DEN TAGEN JOHANNES DES TÄUFERS DAS HIMMELREICH GEWALT ERLEIDET (Mt 11,12), wenn bekanntlich gerade damals das Abgeschnittensein vom Königreich so gewaltsam war, wie nie zuvor und nie danach? Freilich, das Gebot des neuen Mysterium war in Kraft gesetzt, aber bislang nur im Geheimen: Welcher Zugang zum Himmelreich kann bitte inzwischen den Sterbenden offen stehen, wenn das alte Gebot schon nicht mehr gilt, da es ja vom neuen ausgeschlossen wird, und das neue noch nicht hilft, da es nicht vernommen wird, wenn es keiner kann? 0 wie äußerst unglückselig waren jene Zeiten, die über Jahrhunderte als einzige verstrichen, ohne ein Mittel zum Heil zu enthalten: die Beschneidung, die bisher Gültigkeit besaß, wagte nicht mehr zu nützen, da die Taufe ihr die Wirksamkeit raubte, die Taufe hingegen brachte keine Hilfe, solange sie noch verborgen blieb! Vielleicht schlief Gott damals, und es gab zwischenzeitlich keinen, der Erlösung oder Rettung brachte.

II. 6. Satis profecto ex his, quantum reor, apparet quod damnatio non baptizatorum, et frustratio circumcisorum, et evacuatio sacrificiorum, quae forte contra originale peccatum ritus observabat antiquus, generaliter iam tunc minime coeperit, quando Nicodemo clam dictum est: NISI QUIS RENATUS FUERIT EX AQUA ET SPIRITU SANCTO, NON INTRABIT IN REGNUM CAELORUM. Sed nec quando Apostolis palam iniunctum est: ITE, DOCETE OMNES GENTES, BAPTIZANTES EOS IN NOMINE PATRIS ET FILII ET SPIRITUS SANCTI; sed ex eo tempore tantum cuique coepit antiqua observatio non valere, et non baptizatus quisque novi praecepti reus exsistere, ex quo praeceptum ipsum inexcusabiliter ad eius potuit pervenire notitiam. Sane parvulis et necdum ratione utentibus, quia sola creditur nocere peccati contagio, non etiam mandati praevaricatio, tamdiu credendum est antiqua valuisse sacramenta, quamdiu palam interdicta non fuisse constiterit. An vero ultra? Penes Deum est, non meum diffinire. Porro in maiori aetate quisquis post vulgatum ubique baptismi remedium renuit iam baptizari, generali originalique maculae addit et ex proprio crimen superbiae, duplicem secum portans iustissimae damnationis causam, si sic de corpore exire contigerit. Tamen si ante exitum resipuerit, et voluerit, et petierit baptizari, sed mortis praeoccupatus articulo forte obtinere nequiverit, dum non desit fides recta, spes pia, caritas sincera, propitius sit mihi Deus quia huic ego ob solam aquam, si defuerit, nequaquam omnino possum desperare salutem, nec vacuam credere fidem, nec confundere spem, nec excidere caritatem tantum si aquam non contemptus, sed sola, ut dixi, prohibeat impossibilitas. Si quis aliter sapit, viderit unde sibi quod asserit persuaserit; nam me non facile fateor assentire, si non firmior induxerit vel ratio ad intelligendum, vel ad credendum auctoritas.

II. 6. Daraus wird, wie ich glaube, offensichtlich genug, dass die Verdammnis der Ungetauften, die Zurückweisung der Beschnittenen und die Aushöhlung der Opfer, die der alte Ritus etwa gegen die Erbsünde beachtete, ganz allgemein gerade damals am Allerwenigsten begann, als dem Nikodemus insgeheim gesagt wurde: WENN JEMAND NICHT AUS WASSER UND DEM HEILIGEN GEIST WIEDERGEBOREN WIRD, KANN ER NICHT IN DAS HIMMELREICH EINTRETEN. Aber auch dann nicht, als den Aposteln offen aufgetragen wurde: GEHT, LEHRT ALLE VÖLKER UND TAUFT SIE IM NAMEN DES VATERS UND DES SOHNES UND DES HEILIGEN GEISTES. (Mt 28,19) Aber erst von dieser Zeit an begann für jeden die alte Vorschrift nicht mehr zu gelten, und jeder Ungetaufte am neuen Gebot schuldig zu werden, als das Gebot selbst unentschuldbar zu seiner Kenntnis gelangen konnte. Für die Kinder, die noch nicht zum Gebrauch der Vernunft gelangt sind - da man doch glaubt, dass nur der Kontakt zur Sünde und nicht erst die Übertretung eines Gebotes schadet -, muss man gewiss glauben, dass die alten Sakramente so lange galten, als nicht feststand, dass sie öffentlich aufgehoben waren. Oder sogar darüber hinaus? Es liegt bei Gott, nicht bei mir, klar abzugrenzen. Jeder aber in späterem Lebensalter, der die Taufe noch verweigerte, nachdem überall das Heilmittel der Taufe bekannt geworden war, fügt zum allgemeinen Makel der Erbsünde von sich aus noch die Schuld des Hochmuts hinzu und trägt in sich doppelten Grund zur gerechtesten Verdammnis, wenn seine Seele in diesem Zustand den Körper verlassen sollte. Wenn er sich jedoch vor dem Tod besinnt und den Wunsch und das Verlangen nach der Taufe hat, sie aber durch vorzeitigen Tod nicht mehr erlangen kann, wenn ihm nicht der wahre Glaube, die fromme Hoffnung und reine Liebe fehlt, dann mag mir Gott gewogen sein, weil ich durchaus nicht völlig an seinem Heil verzweifeln kann, nur weil ihm das Wasser der Taufe fehlte. Ich kann seinen Glauben nicht für inhaltslos ansehen, die Hoffnung nicht verwirren und die Liebe abtöten; allerdings vorausgesetzt, dass nicht die Verachtung, sondern allein unüberwindliche Umstände die Taufe verunmöglichten. Wenn jemand anderes darüber denkt, mag er sehen, ob er sich von seiner Behauptung überzeugt hat. Ich jedenfalls muss gestehen, dass ich mich nicht leicht einer solchen Ansicht anschließe, wenn mich nicht ein stärkerer Vernunftgrund zur Einsicht oder eine höhere Autorität zum Glauben gebracht hat.

7. Sed miror admodum, si novus iste novarum inventor assertionum et assertor inventionum, invenire in hoc rationem potuerit, quae sanctos Patres latuerit Ambrosium et Augustinum, sive auctoritatem eorumdem auctoritate potiorem. Nam si nescit, uterque idem profecto sensit, quod fatemur sentire et nos. Librum certe Ambrosii DE MORTE VALENTINIANI legat, si non legit; recolat, si iam legit; non dissimulet, si recolit, et advertet sine dubio, Sanctum homini non baptizato et mortuo fidenter de sola fide salutem praesumere, et tribuere indubitanter bonae voluntati quod defuit facultati. Legat et Augustini DE UNICO BAPTISMO librum quartum, et se vel agnoscat imprudenter deceptum, vel probet impudenter obstinatum. Baptismi, inquit, vicem aliquando implere passionem, de latrone illo, cui non baptizato dictum est: HODIE MECUM ERIS IN PARADISO, beatus Cyprianus non leve documentum assumit. Et addit: Quod etiam atque etiam considerans invenio, inquit, non tantum passionem pro nomine Christi, id quod ex baptismate deerat posse supplere, sed etiam fidem conversionemque cordis, si forte ad celebrandum mysterium baptismi in angustiis temporum succurri non potest. Et infra: Quantum itaque, ait, valeat etiam sine visibili sacramento baptismi quod ait Apostolus: CORDE CREDITUR AD IUSTITIAM, ORE AUTEM CONFESSIO FIT AD SALUTEM, in illo latrone declaratum est. Sed tunc, inquit, impletur invisibiliter, cum mysterium baptismi non contemptus religionis, sed articulus necessitatis excludit. Et quidem non ignoro retractare ipsum id quod posuerat testimonium de latrone, minusque idoneum ad comprobandam illam sententiam confiteri, eo quod sane incertum sit, utrumnam non fuerit baptizatus. Ceterum sententiam et audacter prosequitur, et multipliciter confirmat; nec uspiam, nisi fallor, retractasse reperies. Item in alio loco Augustmus, cum aliquos praemisisset, quos Scriptura commemorat invisibiliter quidem, non tamen etiam visibiliter sanctificatos, tandem infert: Ex his colligitur, ait, invisibilem sanctificationem quibusdam affuisse et profuisse sine visibilibus sacramentis, quae pro temporum diversitate mutata sunt, ut alia tunc fuerint, et alia modo sint. Et paulo post: Nec tamen, inquit, visibile sacramentum omnino contemnendum, nam contemptor eius invisibiliter sanctificari non potest. Ubi satis evidenter ostendit fidelem et conversum ad Dominum, non si nequiverit, sed si contempserit baptizari, fructu privari baptismatis.

7. Es würde mich aber sehr wundern, wenn dieser neue Erfinder neuer Behauptungen und Verfechter neuer Erfindungen darin ein Argument finden könnte, welches den heiligen Vätern Ambrosius und Augustinus oder einer noch höheren Autorität verborgen geblieben wäre. Denn, falls er es nicht weiß: beide haben wahrlich die gleiche Ansicht vertreten, mit der auch wir übereinstimmen. Er lese - wenn er es noch nicht gelesen hat - das Buch des Ambrosius: ÜBER DEN TOD VALENTINIANS. Hat er es schon gelesen, dann soll er es nochmals zur Hand nehmen, und nicht so tun, als wüsste er von nichts! Ohne Zweifel wird er erkennen, dass der Heilige einen ungetauften, aber gläubigen Toten allein wegen des Glaubens das Heil erwarten lässt und unzweifelhaft dem guten Willen zubilligt, was dem Vermögen fehlte. Er lese auch das vierte Buch des Augustinus: ÜBER DIE EINZIGE TAUFE, und er müsste entweder erkennen, dass er sich unklugerweise täuschen ließ, oder er müsste sich als schamlos Verstockter erweisen. Er sagt: Von dem, was jenem ungetauften Räuber gesagt wurde: HEUTE NOCH WIRST DU MIT MIR IM PARADIES SEIN (Lk 23,43) leitet der Heilige Cyprian den gewichtigen Beweis ab, dass das Leiden bisweilen die Taufe ersetzen kann. Und er fügt hinzu: Wenn ich dies immer wieder bedenke, finde ich, dass nicht nur das Leiden im Namen Christi die fehlende Taufe ersetzen kann, sondern auch der Glaube und die Bekehrung des Herzens, wenn es etwa wegen der knappen Zeit nicht möglich ist, bei der Feier des Taufmysteriums Zuflucht zu nehmen. Und weiter unten: "Wie weit also auch ohne das sichtbare Sakrament der Taufe das gilt, was der Apostel sagt: WAS VON HERZEN GEGLAUBT WIRD, FÜHRT ZUR GERECHTIGKEIT, WAS MÜNDLICH BEKANNT WIRD, FÜHRT ZUM HEIL (Rom 10,10), ist bei jenem Räuber verdeutlicht worden. Aber, sagt er, so erfüllt es sich unsichtbar, wenn nicht die Missachtung der Religion, sondern höhere Gewalt das Taufmysterium ausschließt. Freilich weiß ich sehr wohl, dass er selbst relativiert, was er bezüglich des Räubers als Zeugnis angenommen hatte, und jenem Satz eine umso geringe Eignung zum Beweis einräumt, weil es ganz und gar nicht sicher ist, ob er nicht etwa doch getauft war. Im übrigen aber besteht er mutig aus seiner Aussage und bekräftigt sie auf vielfache Weise. Wenn ich nicht irre, zog er sie an keiner Stelle zurück. Ebenso folgert Augustinus an einer anderen Stelle, nachdem er zuvor einige angeführt hatte, von denen die Schrift erwähnt, dass sie zwar unsichtbar, jedoch nicht durch ein sichtbares Zeichen geheiligt wurden: Daraus ergibt sich, sagt er, dass einigen eine unsichtbare Heiligung zugute kam, auch ohne sichtbare Sakramente, die im Wechsel der Zeiten verändert wurden, und einst anders gewesen sein mögen, als sie jetzt sind. Und wenig später fügt er hinzu: Dennoch darf ein sichtbares Sakrament keinesfalls verachtet werden, denn wer es verachtet, kann auch ohne sichtbares Zeichen nicht geheiligt werden. Woraus sich mit genügender Klarheit ergibt, dass der Glaubende und zum Herrn Bekehrte, nicht dann der Frucht der Taufe beraubt wird, wenn er nicht getauft werden konnte, sondern dann, wenn er die Taufe aktiv verachtete.

8. Ab his ergo duabus columnis, Augustinum loquor et Ambrosium, difficile, crede mihi, avellor. Cum his, inquam, me aut errare aut sapere fateor; credens et ipse sola fide hominem posse salvari, cum desiderio percipiendi sacramentum; si tamen pio adimplendi desiderio mors anticipans seu alia quaecumque vis invincibilis obviaverit. Vide etiam ne forte ob hoc Salvator, curn diceret: QUI CREDIDERIT ET BAPTIZATUS FUERIT, SALVUS ERIT, caute et vigilanter non repetierit: Qui vero baptizatus non fuerit, sed tantum: QUI VERO, inquit, NON CREDIDERIT, CONDEMNABITUR, nimirum innuens solam interdum fidem sufficere ad salutem, et sine ipsa sufficere nihil. Quapropter, etsi martyrium vicem baptismi posse implere conceditur, non plane hoc facit poena, sed ipsa. Nam absque ipsa quid est martyrium, nisi poena? Quae ergo martyrio praestat, ut absque ulla dubietate pro baptismate reputetur, ipsa ita infirma et imbecillis per se erit, ut quod dare alteri valet, sola non valeat obtinere? Et prorsus sanguinis pro Christo effusio magnae cuiusdam fidei indubitata probatio, non Deo tamen, sed hominibus. Sed quid si Deus, qui profecto ad probandum quod vult, nullis indiget experimentis, aeque magnam in corde cuiuspiam in pace morientis inspicit fidem, martyrio quidem non interrogatam, martyrio tamen idoneam? Si recordatus fuerit homo, necdum se salutis percepisse mysterium, et dolens paenitensque toto desiderio expetierit, sed assequi mortis celeritate praeoccupatus nequiverit, damnabit fidelem suum Deus? Damnabit, inquam, hominem pro se etiam paratum mori? Paulus dicit: NEMO POTEST DICERE: DOMINUS IESUS, NISI IN SPIRITU SANCTO. Hunc ergo qui in articulo mortis non solum invocat Dominum Iesum, sed ipsius quoque toto desiderio experit sacramentum, dicemus aut non loqui in Spiritu Sancto, et falsus erit Apostolus, aut et cum Spiritu Sancto damnari? Salvatorem habet habitantem per fidem in corde et in ore per confessionem, et cum Salvatore damnabitur? Pro certo, cum non aliunde martyrium, nisi ex fidei merito illam obtinuerit praerogativam, ut singulariter vice baptismi secure suscipiatur, non video cur non ipsa aeque et sine martyrio apud Deum tantumdem possit, cui et sine martyrii probamento procul dubio innotescit. Possit sane tantumdem, dixerim, quantum ad salutis spectat obtentum, non autem ad meriti cumulum, quo indubitanter martyrium antecellit. Legimus: OMNIS QUI ODIT FRATREM SUUM, HOMICIDA EST, et item: QUI VIDERIT MULIEREM AD CONCUPISCENDUM EAM, IAM MOECHATUS EST EAM IN CORDE SUO. Quid planius, quod voluntas pro facto reputetur, ubi factum excludit necessitas? Nisi forte putetur in malo quam in bono efficacior inveniri voluntas apud Deum qui caritas est, et promptior esse ad ulciscendum quam ad remunerandum MISERICORS ET MISERATOR DOMINUS. Quomodo is qui alieno teneri se debito forte in extremis positus recolit, si desit unde persolvat, sola nihilominus paenitentia et cordis contritione obtinere veniam creditur, ne iam pro eo damnetur; sic sola fides et mentis ad Deum conversio, sine effusione sanguinis et sine perfusione aquae, salutem sine dubio operatur volenti, sed non valenti, prohibente articulo, baptizari. Et sicut nulla illi paenitentia remittitur peccatum, si, cum possit, non restituit ablatum, sic et huic nulla proderit fides, si, cum possit, non percipit sacramentum. Quamquam et fidem convincitur non habere perfectam, si negligit. Vera enim et plena fides universa praecepta complectitur: est autem hoc unum ipsumque praecipuum ex praeceptis. Merito ergo non fidelis, sed plane rebellis atque contemptor reputabitur quisquis oboedire renuerit. Quomodo denique fidelis, qui Dei contemnit sacramentum?

8. Von diesen zwei Säulen - ich spreche von Augustinus und Ambrosius - lasse ich mich nur schwer wegreißen, glaube mir. Mit ihnen, sage ich, bekenne ich mich entweder zum Irrtum oder zum Wissen, denn ich glaube auch selbst, dass der Mensch allein durch den Glauben gerettet werden kann, mit dem Verlangen, das Sakrament zu empfangen, auch wenn der Tod der Erfüllung seines frommen Verlangens zuvorkommt oder irgendeine andere unüberwindliche Gewalt ihm begegnet. Sieh zu, ob nicht vielleicht deswegen der Retter, als er sagte: WER GLAUBT UND SICH TAUFEN LÄSST, WIRD GERETTET. (Mk 16/16), vorsichtig und achtsam nicht wiederholt hat: Wer sich aber nicht taufen lässt, sondern nur: WER ABER NICHT GLAUBT, WIRD VERDAMMT WERDEN, sicherlich, weil er darauf hinweisen wollte, dass bisweilen der Glaube allein zum Heil genügt, dass ohne ihn aber nichts genügt. Auch wenn eingeräumt wird, dass das Martyrium die Taufe ersetzen könne, so hat deswegen gewiss nicht die Strafe diese Auswirkung, sondern der Glaube selbst. Denn was ist das Martyrium ohne ihn anderes als Strafe? Was also dem Martyrium erst die Möglichkeit verleiht, dass es ohne den geringsten Zweifel an Stelle der Taufe treten kann, das soll selbst für sich so schwach und kraftlos sein, dass es allein nicht erhalten kann, was es einem anderen zu geben vermag? Gewiss ist das Blutvergießen für Christus ein unzweifelhafter Beweis für den Glauben eines Menschen, jedoch nicht für Gott, sondern für die Menschen. Aber was ist, wenn Gott, der wahrlich keines Beweises dessen bedarf, was er will, im Herzen eines im Frieden sterbenden Menschen einen gleich großen Glauben sieht, der zwar nicht durch das Martyrium in Frage gestellt wurde, aber geeignet für ein Martyrium war? Wenn ein Mensch sich in Erinnerung gerufen hat, dass er das Mysterium der Rettung noch nicht empfangen hat, sich aber voll Schmerz und Reue mit innigem Verlangen danach sehnt, aber es dennoch - von der Schnelligkeit des Todes überrascht - nicht erlangt: wird Gott diesen seinen Gläubigen verdammen? Wird er, sage ich, einen Menschen verdammen, der sogar bereit ist, für ihn zu sterben? Paulus spricht: NIEMAND KANN SAGEN: JESUS IST DER HERR, ES SEI DENN, ER REDET AUS DEM HEILIGEN GEIST. (1 Kor 12,3) Werden wir also behaupten, dass dieser, der im Augenblick des Todes nicht nur den Herrn Jesus anruft, sondern auch mit ganzem Verlangen sein Sakrament begehrt, entweder nicht aus dem Heiligen Geist redet - d. h., dass der Apostel irrt -, oder dass er auch mit dem Heiligen Geist verdammt wird? Wer den Erlöser durch seinen Glauben im Herzen und durch sein Bekenntnis auf den Lippen hat, soll mit dem Erlöser verdammt werden? Wenn das Martyrium nur aus dem Verdienst des Glaubens jenes Vorrecht besitzt, dass auf besondere Art und Weise an Stelle der Taufe mit Sicherheit auf sich genommen wird, dann sehe ich wahrlich nicht, warum nicht der Glaube selbst auch ohne Martyrium vor Gott, der ihn ganz unzweifelhaft auch ohne den Beweis des Martyriums kennt, ebensoviel zustande bringen könnte. Er vermag, möchte ich sagen, gewiss ebensoviel in Hinblick auf Heilerwartung, allerdings nicht in Bezug auf den Gipfel des Verdienstes, worin zweifellos das Martyrium herausragt. Wir lesen: JEDER, DER SEINEN BRUDER HASST, IST EIN MÖRDER. (Hiob 3,15), und ebenso: WER EINE FRAU AUCH NUR ANSIEHT, UM SIE ZU BEGEHREN, IST IN SEINEM HERZEN SCHON EIN EHEBRECHER. (Mt 5,28) Was macht mehr deutlich, dass der Wille für die Tat gerechnet wird, wo die Zwangslage die Tat ausschließt? Man kann doch nicht etwa glauben, dass bei Gott, der die Liebe ist, der Wille zum Bösen sich als wirksamer erweist als der Wille zum Guten, und dass DER GNÄDIGE UND BARMHERZIGE HERR (PS 110,4) bereiter ist, zu strafen als zu belohnen. Wie einer, der sich auf dem Sterbebett erinnert, dass Schulden auf ihm lasten, und keine Gelegenheit mehr findet, sie zu tilgen, dennoch, wie man glaubt, allein durch die Reue und die Zerknirschung des Herzens die Gnade erlangt, dafür nicht verdammt zu werden, so bewirkt ebenso ohne Zweifel der Glaube allein und die Bekehrung der Gesinnung hin zu Gott die Rettung, ohne Blutvergießen oder Übergießung mit dem Taufwasser. Er muss nur die Taufe wollen, auch wenn sie im widrigen Augenblick nicht mehr gespendet werden kann. Und wie durch keine Reue die Sünde jenem vergeben wird, wenn er das Entwendete nicht zurückgibt, obwohl er es könnte, so wird diesem auch kein Glaube nützen, wenn er das Sakrament nicht empfängt, obwohl er es könnte. Er wird jedoch auch dessen überführt, keinen vollkommenen Glauben zu haben, wenn er voll Verachtung ist. Denn der wahre und volle Glaube umfasst ja alle Gebote insgesamt: Dieses eine aber nimmt unter den Geboten eine herausragende Stellung ein. Mit Recht wird also jeder, der den Gehorsam verweigert, nicht als gläubig angesehen werden, sondern als Rebell und Verächter. Wie könnte denn einer gläubig sein, der das Sakrament Gottes verachtet?

9. Sane infantes, quia hanc, prohibente aetate, non possunt habere fidem, hoc est cordis ad Deum conversionem, consequenter nec salutem, si absque baptismi perceptione moriuntur: non quod vel ipsi, quando baptizantur, fide omnimodo careant, sine qua impossibile est vel ipsos placere Deo; sed salvantur et ipsi per fidem, non tamen suam, sed alienam. Dignum nempe est, et ad Dei spectat benignitatem, ut quibus fidem aetas denegat propriam, gratia prodesse concedat alienam. Nec enim Omnipotentis iustitia propriam putat ab his exigendam fidem, quos novit propriam nullam habere culpam. Porro aliena opus est fide, cum sine sorde non nascantur aliena; quatenus nec a parvulis alienum sit, quod de omnibus generaliter dicitur: FIDE MUNDANS CORDA EORUM. Nec dubium quod macula contracta ab aliis, aliorum quoque fide valeat vel debeat emundari. Haec sunt quippe iudicia divinae iustitiae, in quibus exsultans sanctus David: MEMOR FUI, inquit, IUDICIORUM TUORUM A SAECULO, DOMINE, ET CONSOLATUS SUM. Hucusque de his.

9. Die Kinder freilich können folglich das Heil nicht erlangen, wenn sie vor der Spende der Taufe sterben, da ihr Alter entgegensteht, und sie diesen Glauben, das heißt die Hinwendung des Herzens zu Gott, nicht haben können; aber auch deswegen nicht, weil ihnen selbst dann, wenn sie getauft werden, gänzlich der Glaube fehlt, ohne den es unmöglich ist, selbst bei Gott Gefallen zu finden. Doch sie werden durch den Glauben gerettet, aber nicht durch ihren eigenen, sondern fremden. Denn es ist würdig und entspricht der Güte Gottes, dass seine Gnade den Nutzen fremden Glaubens denen gewährt, denen ihr Alter den eigenen Glauben vorenthält. Denn die Gerechtigkeit des Allmächtigen glaubt nicht, einen eigenen Glauben von denen fordern zu müssen, die, wie sie weiß, keine eigene Schuld tragen. Also bedarf es eines fremden Glaubens. Denn sie sind auch nicht ohne fremden Makel geboren. Trifft doch auch auf die kleinen Kinder zu, was allgemein von allen zugeschrieben wird: DURCH DEN GLAUBEN REINIGT ER IHRE HERZEN. (Apg 15,9) Zweifelsohne kann und muss ein Makel, dem man sich von anderen zugezogen hat, auch durch den Glauben anderer beseitigt werden. Das sind freilich die Entscheidungen göttlicher Gerechtigkeit, über die der heilige David frohlockt: ICH DACHTE AN DEINE URTEILE VON BEGINN DER WELT AN, O HERR, UND FAND TROST. (PS 118,52) Soviel zu dieser Thematik.

III. 10. Asserit praeterea, ut dicis, ille quem dicis, omnes antiquos iustos, quotquot videlicet Christi adventum praecesserunt, tantam omnino habuisse praescientiam futurorum, quantam nos, qui post sumus, praeteritorum scientiam, ita ut nullus vel simplicium iustorum aliquid prorsus ignoraret ex Omnibus quae modo nobis evangelica pandit historia. Verbi gratia, Verbum incarnatum, partum virginalem, doctrinam Salvatoris, miracula, crucem, mortem, sepulturam, descensum ad inferos, resurrectionem et ad caelos ascensionem, sic omnino omnibus illorum temporum iustis, aperte omnia, et distincte singula fuisse praecognita, quemadmodum suo sunt tempore post exhibita, et modo cognita nobis, adeo ut nec iusti fuerint, nec salvi sint, quibus ita clara omnia et perspicua non fuerint. Et id quidem falsum.

III. 10. Ferner behauptet, wie Du sagst, jener von Dir Angesprochene, dass alle alten Gerechten, d. h. alle, die der Ankunft Christi vorausgingen, durchaus ein solches Vorauswissen des Zukünftigen hatten, wie wir, die wir danach leben, ein Wissen um das Vergangene haben, so dass auch keinem der einfachsten Gerechten etwas von Allem, was uns die Geschichte des Evangeliums eröffnete, völlig unbekannt blieb. Zum Beispiel die Inkarnation des Wortes, die jungfräuliche Geburt, die Lehre des Erlösers, seine Wunder, das Kreuz, der Tod und das Begräbnis, der Abstieg in das Reich der Toten, die Wiederauferstehung und die Himmelfahrt: All diese Ereignisse waren allen Gerechten jener Zeiten im voraus bekannt gewesen - jedes einzelne Ereignis gesondert -, so wie es sich zu seiner Zeit dann ereignete und schließlich uns bekannt wurde - der Gestalt, dass diejenigen nicht gerecht gewesen und nicht gerettet sind, denen dies alles nicht klar und offensichtlich war. Aber auch dies ist falsch.

11. Verum ad refellendum tu tanta in tua epistola posuisse videris, ut nil addendum penitus putem, et paene quid addi possit non inveniam. De homine tamen qui ista loquitur, - pace ipsius dico paucis quod sentio -, videtur mihi plus novitatis curiosus quam studiosus veritatis, gravarique de omni re sentire cum aliis et dicere quod aut solus non dixerit, aut primus. Unde fit, ut in his quae sentit vel loquitur, modum omnino tenere aut ignoret, aut dissimulet. Ecce enim et in hac assertione sua, dum pares in scientia facit omnes, qui ventura sperabant, his qui praeterita legunt, Deum profecto aut nimis parcum praedicat, aut nimis largum, oculum discretionis ex nulla parte aperiens. Aut enim numerum electorum illius temporis sub paucitate redigit rarissimorum spiritualium, quos pro suae sanctitatis speciali excellentia insignes illustresque illis temporibus exstitisse, ac singulari munere Spiritus singula, uti ventura erant, praevidere certissime potuisse scriptura commemorat: et sic nimis abbreviat manum Dei, dum praeter paucos illos perfectissimos, neminem eo tempore putat potuisse salvari; aut certe, si et illa tempora multitudinem salvandorum etiam praeter istos habuisse non diffidetur, magnam, sed inauditam divini muneris largitatem veteri collatam populo asserit, siquidem omnem illam multitudinem omnia, quae de mysterio nostrae redemptionis superius enumerata sunt, liquido praecognovisse constiterit. Cum enim ex his quippiam tunc nec scriptum manifeste, nec publice praedicatum fuisse manifestum sit, restat ut fateamur omnia omnibus per Spiritum revelata fuisse, et sic omnes spirituales, omnes perfectos, omnes exstitisse prophetas, quotquot ab adventu Domini retro iusti et salvi fuerunt. Fuit itaque antiquis temporibus aut perrara salus, aut nimium numerosa perfectio: quorum quidem quodlibet sapere, discretionis terminos excedere est.

11. Aber zu ihrer Widerlegung scheinst Du in Deinem Brief so gewichtige Grunde angeführt zu haben, dass meiner Meinung nahezu nichts mehr hinzufügt werden kann, und dass ich fast nichts fände, was man noch anführen könnte. Was jedoch den Menschen betrifft, der das sagt - zu seinem Frieden will ich mit wenigen Worten sagen, was ich fühle -, so scheint er mir mehr begierig nach Neuartigem als auf Wahrheit bedacht zu sein. Es scheint ihn zu belasten, über jedes Problem mit anderen überein zu stimmen und etwas zu sagen, was er nicht entweder allein oder als erster ausgesprochen hat. So kommt es, dass er in seinen Empfindungen oder Gesprächen entweder kein Maß halten kann oder so tut, als ob er er es nicht könne. Sieh doch - auch in dieser seiner Anmerkung, dass er alle, die das Künftige erhofften, im Wissen gleichsetzt mit denen, die das Vergangene lesen, verkündigt er Gott in der Tat entweder als zu sparsam oder allzu verschwenderisch und öffnet nach keiner Seite hin das urteilende Auge. Denn entweder beschränkt er die Anzahl der Erwählten jener Zeit auf die äußerst wenigen vom Geist Erfüllten, von denen die Schrift sagt, dass sie in jenen Zeiten ausgezeichnet und berühmt waren, wegen ihrer besonders herausragenden Heiligkeit, und dass sie durch die einzigartige Gabe des Geistes jede künftige Einzelheit ganz sicher voraussehen konnten. So verkürzt er allzu sehr die Hand Gottes, wenn er glaubt, dass außer jenen wenigen ganz Vollkommenen niemand zu dieser Zeit gerettet werden konnte. Oder wenn er nicht leugnet, dass auch jene Zeiten außer diesen eine große Zahl zum Heil Erkorener hatten, dann meint er damit gewiss, dass dem alten Volk eine unerhört großzügige Fülle der göttlichen Gabe zuteil wurde, wenn feststand, dass jene ganze Menge alles klar im Voraus wusste, was über das Geheimnis unserer Erlösung oben aufgezählt wurde. Da nämlich zweifelsohne von diesen Ereignissen damals nichts nachweislich geschrieben oder offen gepredigt wurde, müssen wir letztendlich zugeben, dass allen alles durch den Geist geoffenbart wurde und dass auf diese Weise alle, die vor der Ankunft des Herrn gerecht waren und gerettet wurden, vom Geiste durchdrungen, alle vollkommen, alle Propheten waren. Entweder war also in alten Zeiten das Heil ganz selten, oder allzu zahlreich die Vollendung. Was immer man von beiden denken will, es bedeutet, die Grenzen rechter Unterscheidung zu überschreiten.

12. Quod si videtur tolerabilius, immo et Deo dignius iudicatur, replesse potius et ditasse saecula illa multitudine perfectorum quam salvandorum tanta fuisse paucitate contentum, quatenus et salvi non pauci tunc fierent, et omnes nihilominus repleti spiritu prophetico, necdum revelata mysteria iam tunc penetrarent; si, inquam, hoc recipitur, benedicimus quidem Deum in donis suis, sed quid tempori gratiae reservatum sit non videmus, nisi quod tempus gratiae illud potius iuxta sententiam hanc fuerit appellandum, in quo tot et tantae Dei populo divitiae Spiritus affluebant, ut illud prorsus incredibili felicitate cerneretur impletum, quod Moyses optabat, cum diceret: Quis DABIT UT OMNES PROPHETENT? Quaeso, quid simile attulit Evangelium? Frustra gloriatur Paulus de primitiis Spiritus, quas se putat cum suis coapostolis accepisse, cum nil tale in diebus suis potuerit experiri. Denique aiebat: NUMQUID OMNES PROPHETAE? Frustra, inquam, gloriatur de Evangelio suo, quia non ab homine, neque per hominem illud acceperit, sed quasi speciali quadam praerogativa per revelationem Iesu Christi, cum et ante ipsum per Spiritum Sanctum fuerit etiam populis revelatum. Sed nec apostolus Petrus profecto debuit propheticum illud ad sua tempora retorquere: EFFUNDAM DE SPIRITU MEO SUPER FILIOS ET FILIAS VESTRAS, ET PROPHETABUNT FILII VESTRI ET FILIAE, si abundantior iam praecesserat transactis saeculis effusio Spiritus. Aut certe propheta, vel potius in propheta Deus, - si vere illa tempora apostolica, cum hoc diceret, intuebatur -, non plane effundam, sed subtraham magis de Spiritu meo dixisse debuerat. Quid enim? Si filiis Evangelii omnes veteres iustos pares facimus in scientia, numquid non et superiores in gratia consequenter fateri necesse est? Utpote quos non lectio, sicut nos, aut praedicatio, sed ipsa unctio docuerit omnes de omnibus.

12. Wenn es erträglicher erscheint und wenn man es als der Würde Gottes angemessener einschätzt, jene Jahrhunderte lieber mit einer Menge Vollkommener angefüllt und bereichert zu haben, als sich einer so geringen Zahl der zum Rettenden, wenn damals nicht nur wenige das Heil erlangten und alle gleichermaßen von prophetischem Geist erfüllt, schon damals in die unenthüllten Geheimnisse eindrangen - wenn man, sage ich, dies annimmt -, preisen wir zwar Gott in seinen Gaben, aber wir sehen nicht, was für die Zeit der Gnade bleibt, es sei denn, man sollte gemäß dieser Meinung Zeit der Gnade eher jene nennen, in der dem Volk Gottes so viele und so große Reichtümer des Geistes zuströmten, dass jene Zeit in der Tat als von unglaublicher Glückseligkeit betrachtet wurde. Das ersehnte Moses, als er sagte: WER WIRD GEWÄHREN, DASS ALLE WEISSAGEN? (Num 11,29) Was bitte hat das Evangelium an Ähnlichem gebracht? Vergebens rühmt sich Paulus der Erstlingsgaben des Geistes, die er mit seinen Mitaposteln erhalten zu haben glaubte, wenn er in seinen Tagen nichts Derartiges erfahren konnte. Schließlich sagte er deshalb: SIND ETWA ALLE PROPHETEN? (1 Kor 12,29) Vergebens, sage ich, rühmt er sich seines Evangeliums, weil er es weder von einem Menschen noch durch einen Menschen empfangen hatte, sondern gleichsam auf Grund eines besonderen Vorrechtes durch die Offenbarung Jesu Christi, wenn es auch vor ihm schon durch den Heiligen Geist den Völkern enthüllt worden war. Aber auch der Apostel Petrus durfte sicher nicht jene Prophezeiung auf seine Zeit beziehen: ICH WERDE VON MEINEM GEIST AUSGIESSEN ÜBER EURE SÖHNE UND TÖCHTER, UND EURE SÖHNE UND TÖCHTER WERDEN WEISSAGEN (Joel 2,28), wenn schon in vergangenen Jahrhunderten der Geist Gottes sich üppiger ergoss. Oder der Prophet hätte sicher - eher Gott durch den Mund des Propheten - nicht klar sagen dürfen: Ich werde ausgießen, wenn er wirklich jene apostolischen Zeiten vor Augen hatte, als er das sagte, sondern eher: Ich werde von meinem Geist wegnehmen. Was denn? Wenn wir den Söhnen des Evangeliums alle alten Gerechten an Wissen gleichsetzen, muss man dann nicht konsequenterweise eingestehen, dass sie diese an Gnade sogar übertrafen? Unterwies sie alle doch nicht, wie uns, die Lesung oder die Predigt, sondern die Salbung selbst in allem.

13. Esto tamen: toleremus nos nostram iniuriam, et apostoli quoque suam, ut et ipsis minimi etiam antiquorum iustorum comparentur in scientia, praeferantur in gratia. Sed est sane quod ullo omnino pacto merito non ferimus, ut Dominus videlicet gloriae sentiatur vel falli umquam potuisse vel fallere voluisse. Et quidem ipse protestatus est inter natos mulierum non surrexisse maiorem Ioanne Baptista. Vide autem si non vere falsum rateri cogimur Veritatis hoc testimonium, si tantum tribuamus veteribus, quantum nec Ioanni vindicare valemus. Non utique fit iniuria Ioanni, si quid ignorasse creditur aut dicitur, nimirum quod et ipse non diffitetur; sed si quod praeconi Veritatis negamus, contra praeconium Veritatis alteri damus, hoc non tantum iniuria, sed et blasphemia est, et plane contradicere non Ioanni, sed Veritati. Quid ergo? Amicus sponsi dubitat et quaerit: TU ES QUI VENTURUS ES, AN ALIUM EXSPECTAMUS? Et nos millibus hominum certitudinem de omnibus nostro mendacio confirmamus.

13. Nun, so sei es: Lasst uns unser Unrecht ertragen, und die Apostel das ihre, dass sogar die Geringsten der alten Gerechten mit ihnen an Wissen verglichen, in der Gnade sogar vorangestellt werden. Es gibt jedoch etwas, was wir zu Recht überhaupt nicht ertragen: dass man meinte, der Herr der Herrlichkeit hätte je getäuscht werden können oder täuschen wollen. Er selbst hat doch bezeugt, dass unter allen Kindern der Frauen kein Größerer sich erhoben hat als Johannes der Täufer. Sieh aber, ob wir nicht wahrhaftig gezwungen sind, dieses Zeugnis der Wahrheit als falsch einzuschätzen, wenn wir den Alten soviel zubilligen sollen, wie wir nicht einmal für Johannes geltend machen können. Nicht dass schlechthin Johannes Unrecht widerfährt, wenn man glaubt oder sagt, er habe nichts gewusst, besonders wenn er selbst es nicht leugnet; aber wenn wir das, was wir dem Herold der Wahrheit versagen, gegen die Verkündigung der Wahrheit einem anderen geben, so ist das nicht nur Unrecht, sondern auch Blasphemie, und es heißt, dass man offen nicht dem Johannes, sondern der Wahrheit entgegenredet. Was also? Der Freund des Bräutigams zweifelt und fragt: BIST DU ES, DER KOMMEN SOLL, ODER WARTEN WIR AUF EINEN ANDEREN? (Mt 11,3) Und wir bestätigen durch unsere Lüge Tausenden von Menschen Gewissheit über alles?

14. Nec ipsos de se ita veteres sensisse, paucis advertere possumus. Moyses scribit Deum ad se loquentem dixisse sic: EGO SUM DEUS ABRAHAM, ET DEUS ISAAC, ET DEUS IACOB, ET NOMEN MEUM ADONAI NON INDICAVI EIS, subaudis: sicut tibi. Ostendit ergo se de Dei notitia plus aliquid praecedentibus patribus accepisse. David quoque super doctores suos et seniores donum sibi intelligentiae audacter praesumit, ita dicens: SUPER OMNES DOCENTES ME INTELLEXI, QUIA TESTIMONIA TUA MEDITATIO MEA EST, et rursum: SUPER SENES INTELLEXI, Sed et propheta Daniel: PERTRANSIBUNT, ait, PLURIMI, ET MULTIPLEX ERIT SCIENTIA, ampliorem scilicet rerum notitiam promittens et ipse posteris. Si ergo, ut ait etiam sanctus papa Gregorius, secundum incrementa temporum crevit et scientia spiritualium patrum, et quanto viciniores adventui Salvatoris exstiterunt, tanto mysterium salutis plenius perceperunt, non est dubium, quin bis qui et praesentes fuerunt, multo amplius contulerit rerum ipsarum exhibitio atque praesentia exhibentis. Denique et audiunt: BEATI OCULI QUI VIDENT QUAE VOS VIDETIS; item: VOS AUTEM DIXI AMICOS, QUIA OMNIA QUAECUMQUE AUDIVI A PATRE MEO, NOTA FECI VOBIS. MULTI, inquit, REGES ET PROPHETAE VOLUERUNT VIDERE QUAE VOS VIDETIS, ET NON VIDERUNT, ET AUDIRE QUAE AUDITIS, ET NON AUDIEJB.UNT. Quare? Ut videlicet clarius largiusque perciperent quod vix tenuiter obscureque praesenserant. Alioquin quid opus erat foris videre carnem et carnis audire sermones, si iam intus a Spiritu fuerant perfecte instructi de omnibus? Praesertim cum Dominus dicat: CARO NON PRODEST QUIDQUAM, SPIRITUS EST QUI VIVIFICAT. Quod si prophetae, et qui illustriores videbantur in illo populo, non omnes omnia liquido aequaliter agnoscere valuerunt, sed alii plus, alii minus, prout eis Spiritus dabat, dividens singulis prout volebat, idque absque praeiudicio suae sanctitatis atque perfectionis, quanto magis simpliciores quique iusti, sine detrimento salutis, salvationis tempus, modum et ordinem nescire potuerunt, quae tamen certa spe et fide, uti promissa fuerant, firmissime tenuerunt?

14. Dass nicht einmal die Alten diese Meinung von sich gehabt haben, können wir hin und wieder erkennen. Moses schreibt, dass Gott zu ihm gesprochen und folgendermaßen gesagt habe: ICH BIN DER GOTT ABRAHAMS, DER GOTT ISAAKS UND JAKOBS, ABER MEINEN NAMEN ADONAI HABE ICH IHNEN NICHT KUNDGETAN. (Ex 3,6;6,3) Man kann darunter verstehen: wie dir. Er zeigt also, dass er in der Erkenntnis Gottes einiges mehr empfangen hat als die Väter vor ihm. Auch David zieht mutig die ihm verliehene Gabe der Einsicht über die seiner Lehrer und der Älteren, wobei er sagt: ICH BEGRIFF MEHR ALS ALLE MEINE LEHRER, DENN MEINE GEDANKEN BEZOGEN SICH AUF DEINE VORSCHRIFTEN. (PS 118,99) Und noch einmal: ICH HABE MEHR BEGRIFFEN ALS DIE ALTEN. (PS 118/100) Aber auch der Prophet Daniel sagt: VIELE WERDEN DAZU ÜBERGEHEN, UND DAS WISSEN WIRD VIELFACH SEIN. (Dan 12,4), womit er selbst auch den Nachkommen ein reicheres Wissen um die Geschehnisse verspricht. Wenn daher, wie auch der Heilige Papst Gregor sagt, mit dem Fortschreiten der Zeiten auch das Wissen der vom Geist durchströmten Väter wuchs, und wenn sie sich umso mehr der Ankunft des Erlösers näherten, je voller sie das Mysterium des Heiles erfasst haben, dann besteht kein Zweifel, dass die Darstellung der Dinge selbst und die Gegenwart dessen, der sie offenbarte, den anwesenden Menschen, ein Wissen in weit größerem Maße gewährten. Schließlich hören sie: SELIG DIE AUGEN, DIE SEHEN, WAS IHR SEHT. (Lk 10,23) Und ebenso: EUCH ABER HABE ICH FREUNDE GENANNT, DENN ICH HABE EUCH ALLES BEKANNT GEMACHT, WAS ICH VON MEINEM VATER GEHÖRT HABE. (Joh 15,15) VIELE KÖNIGE UND PROPHETEN, sagt er, WOLLTEN SEHEN, WAS IHR SEHT, UND HABEN ES NICHT GESEHEN, SIE WOLLTEN HÖREN, WAS IHR HÖRT, UND HABEN ES NICHT GEHÖRT. (Lk 10,24). Warum? Damit sie klarer und reichlicher erfassten, was sie verhalten und dunkel kaum erst vorausgeahnt hatten. Wie hätte es sonst der Notwendigkeit bedurft, außenseitig das Fleisch zu sehen und die Reden des Fleisches zu hören, wenn sie schon im Inneren vom Geist in allen Dingen vollständig unterwiesen worden waren? Zumal, da der Herr sagt: DAS FLEISCH ALLEIN NÜTZT NICHTS, DER GEIST IST ES, DER LEBENDIG MACHT. (Joh 6,64) Wenn also in jenem Volk die Propheten und diejenigen Männer, die erleuchteter schienen, nicht alles gleich klar erkennen konnten, sondern die einen mehr, die anderen weniger, je nachdem, wie es ihnen der Geist gab, indem er jedem einzelnen zuteilte, was er wollte, ohne damit über seine Heiligkeit und Vollkommenheit zu präjudizieren, um wie viel weniger konnten die Einfacheren und Gerechten ohne Schaden für ihr Heil die Zeit, die Art und den Verlauf der Rettung wissen? Dennoch haben sie in sicherer Hoffnung und festem Glauben eisern daran festgehalten, wie es versprochen war.

15. Quanti hodieque profecto in populo christiano vitae aeternae saeculique futuri, quod indubitanter credunt et sperant, et ardenter desiderant, formam tamen ac statum ne cogitare quidem vel tenuiter norunt? Ita ergo multi ante Salvatoris adventum, Deum omnipotentem tenentes et diligentes suae salutis gratuitum promissorem, credentes in promissione fidelem, sperantes certissimum Redemptorem, in hac fide et exspectatione salvati sunt, licet quando, et qualiter, et quo ordine salus repromissa fieret, ignorarent. Denique Beda aperte docet aperta omnia omnibus nequaquam fuisse quae de Christo futura erant, quod tu quoque testimonium in tua epistola posuisti. Unum, inquit, idemque dominicae crucis trophaeum prius prophetae et Moyses, quam apostoli noverant et praedicabant; sed prophetae hoc aliquoties figuratis velatisque sermonibus, apostoli autem apostolorumque successores patefacta luce Evangelii semper aperte praedicabant, ita ut nunc omnis populus christianus scire et confiteri debeat fidem, quam eo tempore pauci admodum et perfectiores quique noverunt, quamvis omnis Dei populus etiam tunc eiusdem mysteria fidei in legalibus caeremoniis typice portaret. Multa sunt quae ad haec confirmanda concurrunt; sed modus epistolaris cuncta non patitur, nec opus est. Arbitror enim, ut ante iam dixeram, me quoque non respondente, ea potuisse sufficere quae tua super hoc epistola continet. Sed hoc addidi, ne intactum quid praeterirem ex omnibus quae petisti.

15. Wie viele gibt es in der Tat auch heute im Christenvolk, die an das ewige Leben und an die künftigen Zeiten ohne jeden Zweifel glauben, darauf hoffen und brennende Sehnsucht danach haben, die sich aber auch nicht verhalten von der Form und dem Zustand eine Vorstellung machen können? So haben also auch viele vor der Ankunft des Retters am allmächtigen Gott festgehalten, sie haben den geliebt, der ihnen unentgeltlich ihr Heil versprochen hat, sie haben dem geglaubt, der treu sein Versprechen halten würde, und haben mit größter Gewissheit auf den Erlöser gehofft. In diesem Glauben und in dieser Erwartung sind sie gerettet worden, auch wenn sie nicht wussten, wann, wie und in welcher Reihenfolge das versprochene Heil einträte. Schließlich lehrt Beda klar, dass keineswegs allen alles über die künftigen Geschehnisse um Christus offensichtlich war, was auch Du in Deinem Brief angeführt hast. Er sagt: Ein und dasselbe Kreuzzeichen des Herrn haben die Propheten und Moses früher als die Apostel gekannt und gepredigt; aber die Propheten haben es bisweilen in Bildern und verhüllten Reden verkündet, die Apostel jedoch und die Nachfolger der Apostel immer offen im aufgedeckten Licht des Evangeliums, so dass jetzt das ganze Christenvolk den Glauben kennen und bekennen muss, den zu jener Zeit nur ganz wenige und nur die einigermaßen Vollkommenen kannten, obwohl das ganze Volk Gottes auch damals die Geheimnisse desselben Glaubens in seinen gesetzlichen Handlungen typisch übertrug. Vieles gibt es, was man zur Bestätigung beisteuern könnte, aber die Briefform lässt nicht das Anführen aller Argumente zu, was ja auch nicht nötig ist. Wie schon erwähnt, glaube ich nämlich, dass auch ohne Antwort meinerseits das ausreichen kann, was Dein Brief darüber enthält. Das aber habe ich hinzugefügt, damit ich nichts von all dem, was Du erbeten hast, unbesprochen bleibt.

IV. 16. Iam contra tertiam assertionem non multum nobis arbitror laborandum, tum quod manifestam nimis praeferat falsitatem, tum quod ipse eius inventor, in sua superiori sententia, ipsam per se satis impugnet, sibimetipsi contrarius. Cum enim de noctumo illo privatoque susurrio Domini cum Nicodemo laqueum nectat publicae damnationis per totum orbem ignorantibus, arbitrans videlicet neminem ex illa hora potuisse salvari, qui non fuerit baptizatus, nonne aperte peccatum ignorantiae, et peccatum damnabile confitetur? Nisi forte tam protervus sit, ut Deum homines sine culpa damnare existimet. Verendum tamen, ne si vel breviter non respondetur stulto iuxta stultitiam suam, putans forte sapientiam, securius spargat seminarium vecordiae in auribus insipientium, et ita iam insipientiae eius non sit numerus. Veritatis proinde testimoniis, paucis et manifestis, manifestum mendacium confutetur. Is forsitan qui asserit non posse peccari per ignorantiam, numquam pro suis ignorantiis deprecatur, sed potius prophetam irrideat deprecantem et dicentem: DELICTA IUVENTUTIS MEAE ET IGNORANTIAS MEAS NE MEMINERIS. Forsitan et reprehendet Deum exigentem pro peccato ignorantiae satisfactionem. Loquitur enim in Levitico ad Moysen dicens: ANIMA SI PECCAVERIT PER IGNORANTIAM FECERITQUE UNUM EX HIS QUAE DOMINI LEGE PROHIBENTUR, ET PECCATI REA INTELLEXERIT INIQUITATEM SUAM, OFFERET ARIETEM IMMACULATUM DE GREGIBUS SACERDOTI, IUXTA MENSURAM AESTIMATIONEMQUE PECCATI, et rursum: QUI ORABIT PRO EO QUOD NESCIENS FECERIT, ET DIMITTETUR EI, QUIA PER ERROREM DELIQUIT IN DOMINUM.

IV. 16. Nun glaube ich, dass wir gegen die dritte Behauptung nicht mehr viel Mühe aufwenden brauchen - zum einen, weil sie sich nur zu klar als falsch erweist, zum anderen, weil sie ihr Erfinder selbst in seiner vorangehenden Ansicht zur Genüge bekämpft und sich selbst widerspricht. Denn wenn er auf Grund jener nächtlichen und heimlichen Einflüsterung des Herrn mit Nikodemus den Unwissenden auf dem ganzen Erdkreis die Schlinge öffentlicher Verdammnis knüpft, indem er freilich meint, dass von jener Stunde an niemand gerettet werden könne, der nicht zuvor getauft sei, gäbe er damit nicht offen die Sünde der Unwissenheit zu und damit eine Sünde, die zur Verdammnis führt? Es sei denn, er ist so unverschämt zu glauben, dass Gott die Menschen schuldlos verdammt. Wenn man jedoch jenem törichten Menschen nicht zumindest mit einigen Worten seine Torheit erwidert, muss man befürchten, dass er sie vielleicht für Weisheit hält und noch sorgloser den Samen des Wahnsinns in die Ohren der Unwissenden streut, und dass so sein Unverstand keine Zahl mehr findet. So mag also seine offenkundige Lüge mit wenigen offensichtlichen Zeugnissen der Wahrheit widerlegt werden. Er, der behauptet, dass durch Unwissenheit nicht gesündigt werden könne, hat wohl niemals für seine Unkenntnisse gebetet, sondern er verspottet eher den Propheten, der betend spricht: DENKE NICHT AN DIE SÜNDEN MEINER JUGEND UND MEINER UNWISSENHEIT. (PS 24,7) Vielleicht wird er auch Gott tadeln, wenn er für die Sünde der Unwissenheit Rechenschaft fordert. Im Buch Levitikus spricht er nämlich zu Moses und sagt: WENN JEMAND AUS UNWISSENHEIT SÜNDIGT UND ETWAS VON DEM TUT, WAS DURCH DAS GESETZ DES HERRN VERBOTEN WIRD, UND WENN DER EINER SÜNDE ANGESCHULDIGTE SEINE SÜNDE ERKENNT, SO MÖGE ER EINEN MAKELLOSEN WIDDER AUS DEN HERDEN DEM PRIESTER ANBIETEN, NACH DEM MASS UND DER EINSCHÄTZUNG DER SÜNDE. Und weiter: DIESER WIRD FÜR IHN BETEN, WEIL ER UNWISSEND GEHANDELT HAT, UND ES WIRD IHM VERGEBEN WERDEN, DENN ER HAT UNABSICHTLICH WIDER DEN HERRN GESÜNDIGT. (Lev 5,17-19)

17. Si ignorantia numquam peccatum est, cur dictum est in epistola ad Hebraeos quia in secundo tabernaculo semel in anno solus Pontifex intraret, non sine sanguine, quem offerret pro sui et populi ignorantia? Si peccatum ignorantiae nullum est, non ergo peccavit Saulus, quod persecutus est Ecclesiam Dei, quoniam quidem ignorans hoc fecit, manens in incredulitate. Bene itaque faciebat, quod erat blasphemus, et persecutor, et contumeliosus, quod erat SPIRANS MINARUM ET CAEDIS IN DISCIPULOS lesu, in hoc ipso quippe ABUNDANTER AEMULATOR EXSISTENS PATERNARUM SUARUM TRADITIONUM? Non ergo debuit dicere: MISERICORDIAM CONSECUTUS SUM, sed: Mercedem recepi, quippe quem ignorantia a peccato reddebat immunem, insuper et aemulatio remunerabilem iudicabat? Si, inquam, ignorantia numquam peccatur, quid ergo causamur adversus occisores apostolorum, quandoquidem non solum malum esse nescierunt interficere illos, sed insuper quoque id faciendo arbitrati sunt obsequium se praestare Deo? Sed frustra in cruce Salvator pro suis orabat crucifixoribus, quippe nescientibus, ipso teste, quid facerent, et ita nequaquam peccantibus? Neque enim fas est ullatenus suspicari mentitum fuisse Dominum Iesum, aperte perhibentem eos ignorare quid facerent, etsi forte de Apostolo dubitet quis, quod carnem suam aemulans, sicut homo mentiri potuerit, ubi ait: Si ENIM COGNOVISSENT, NUMQUAM DOMINUM GLORIAE CRUCIFIXISSENT? Numquid non ex his satis apparet in quantis iaceat ignorantiae tenebris, qui ignorat peccari posse interdum per ignorantiam? Sed de his hactenus.

17. Wenn Unwissenheit niemals Sünde ist, warum ist dann im Brief an die Hebräer gesagt worden, dass der Hohepriester das zweite Zelt nur einmal im Jahr allein betritt, nicht ohne Blutopfer. Soll er das für seine und des Volkes Unwissenheit darbringen? Wenn es keine Sünde der Unwissenheit gibt, dann hat also auch Saulus nicht gesündigt, weil er die Kirche Gottes verfolgt hat. Er hat ja unwissentlich gehandelt; denn er blieb in seinem Unglauben. Handelte er also gut, weil er ein Gotteslästerer, ein Verfolger und Schandmaul war, weil er VOR DROHUNGEN UND MORD GEGEN DIE JÜNGER JESU SCHNAUBTE (Apg 9,1), wobei er sich freilich MIT GRÖSSTEM EIFER FÜR DIE ÜBERLIEFERUNGEN SEINER VÄTER EINSETZTE? (Gal 1,14) Musste er also nicht sagen: ICH HABE ERBARMEN ERLANGT (1 Tim 1,13), sondern: Ich habe Lohn empfangen, da ihn doch das Nichtwissen von der Sünde los sprach und die Nachahmung ihn obendrein als belohnungswert einschätzte? Wenn, sage ich, aus Unwissenheit nie gesündigt wird, was klagen wir dann gegen die Mörder der Apostel? Sie haben doch nicht nur nicht gewusst, dass es etwas Böses sei, sie zu töten, sondern sogar geglaubt, damit Gott einen Gefallen zu erweisen. Hat also der Erlöser am Kreuz grundlos für seine Kreuziger gebetet, da sie doch nach seinem eigenen Zeugnis nicht wussten, was sie taten, und so auch nicht gesündigt haben? Wäre es wohl Frevel zu vermuten, der Herr Jesus hätte in irgendeiner Hinsicht gelogen, als er klar bezeugte, dass sie nicht wüssten, was sie tun? Und zweifelt vielleicht einer über den Apostel, er könnte, seinem Fleisch nachgebend, lügen, wenn er sagt: DENN WENN SIE ERKANNT HÄTTEN, HÄTTEN SIE DEN HERRN DER HERRLICHKEIT NICHT GEKREUZIGT. (1 Kor 2,8) Wird nicht aus dem Gesagten genügend deutlich, in welchem Dunkel der Unwissenheit derjenige liegt, der nicht weiß, dass bisweilen auch durch Unwissenheit gesündigt werden kann? Ich denke, dies reicht.

V. 18. In fine mihi insinuas, amicabiliter quidem, moveri aliquos super quadam mea sententia, qua dixi, cum Evangelium exponerem, consilium Dei nulli, etiam beatorum angelorum, antequam Virgini revelatum. Primo quidem inde, ut arbitror, quia non satis iuste moventur, advenere possunt quod eamdem sententiam non constanter affirmo, sed cum temperamento, suspendens sub disiunctiva particula: vel ideo, inquam, dictum est: A DEO. Siquidem praemissa una causa quae mihi videbatur, cur Evangelista, cum diceret: MISSUS EST ANGELUS GABRIEL, nominatim subiecerit: A DEO, alteram quoque temperate quidem et sub disiunctione subiunxi, quo et mihi non incumberet defendendi necessitas, et lectori daretur eligendi facultas quam e duabus voluisset. Si igitur una quaelibet illarum stare potest, de altera quid suggillor, quippe qui neutram affirmans, lectoris utramque magis iudicio derelinquo? Quamquam etsi ex sententia dixerim, ignotum usque adhuc sanctis angelis fuisse Dei consilium, non quidem quia per incarnandi Verbi mysterium Dei propositum erat quandoque operari salutem in medio terrae, - hoc enim et multis mortalium et praescire donatum est et praedicere -, sed quod potissimum tempus, quemve locum vel modum, praecipueque quam virginem, ad implendum propositum suum elegisset Deus; si, inquam, hoc Dei consilium non de opere, sed de tempore, loco, modo atque persona, etiam sanctos ignorasse angelos senserim et scripserim, profecto non video cur incredibile videatur. Sane ibi unusquisque in suo sensu securus abundat, ubi aut certae rationi, aut non contemnendae auctoritati quod sentitur non obviat.

V. 18. Zum Schluss vertraust Du mir an - und zwar in freundschaftlichem Ton -, dass manche sich an einem Satz von mir stoßen, in dem ich, als ich das Evangelium darlegte, sagte, dass die Absicht Gottes niemandem, auch keinem der seligen Engel, vor der heiligen Jungfrau enthüllt wurde. Dass sie nicht mit vollem Recht davon gerührt werden, können sie, wie ich glaube, erstens daran erkennen, dass ich diese Meinung nicht fest vertrete, sondern relativierend, indem ich sie mit einer disjunktiven Partikel verknüpfe. Ich sage: ... oder deswegen ist gesagt worden VON GOTT. Nachdem ich nämlich zuvor einen Grund angeführt hatte, der mir typisch dafür erschien, warum der Evangelist, als er sagte DER ENGEL GABRIEL WURDE GESCHICKT (Lk 1,26), noch wortwörtlich hinzufügte VON GOTT, habe ich auch noch - verhalten zwar und disjunktiv - einen zweiten angefügt, um mir den Zwang der Verteidigung zu ersparen, und um dem Leser die Möglichkeit zu lassen, welchen von den zwei Gründen er wählen wollte. Wenn also einer von jenen Gründen, welcher es auch sei, bestehen kann, was lasse ich mich bezüglich des anderen kränken, da ich doch keinen von beiden mit Nachdruck vertrete, sondern es mehr dem Urteil des Lesers überlasse, welchen er vorziehen will? Wenngleich ich mit diesem Satz sagen wollte, dass den heiligen Engeln bis zuletzt der Plan Gottes unbekannt war. Freilich war es nicht unbekannt, dass es Gottes Plan war, durch das Mysterium der Fleischwerdung des Wortes irgendwann einmal auf der Erde Heil zu bewirken. Denn es war sogar vielen Sterblichen geschenkt worden, dies voraus zu wissen und vorauszusagen. Dagegen war es nicht bekannt, welche Zeit genau, welchen Ort und welche Weise, vor allem aber, welche Jungfrau Gott erwählt hatte, um seinen Plan auszuführen. Wenn ich, so sage ich, gemeint und geschrieben habe, dass auch den heiligen Engeln dieser Plan Gottes unbekannt war - nicht bezüglich des Werkes als solchen, aber bezüglich der Zeit, des Ortes, der Art und Weise und der Person -, dann sehe ich wahrlich nicht, warum dies unglaubwürdig erscheint. Jeder kann dort gewiss seine Meinung mit Nachdruck vertreten, wo sie nicht im Widerspruch steht zur sicheren Vernunft oder zu einer Autorität, die nicht missachtet werden darf.

19. Quaenam enim me ratio sive auctoritas sentire cogat, etiam tempus illud ab antiquo angelis innotuisse, de quo Apostolus: POSTQUAM VENIT, inquit, PLENITUDO TEMPORIS, MISIT DEUS FILIUM SUUM FACTUM EX MULIERE, FACTUM SUB LEGE? Credibilius magis fortasse videtur, ut sicut futuri adventus Domini, ipso teste, diem prorsus ignorant, ita quoque prioris tempus nequaquam praescierint. Quis scit enim, si modo illo spirituali Dei Sapientia de primo adventu suo et angelis illud locuta sit, quod apostolis per os carnis assumptae de secundo legitur respondisse: NON EST, inquiens, VESTRUM NOSSE TEMPORA VEL MOMENTA, QUAE PATER POSUIT IN SUA POTESTATE? Quae me rursum credere compellat necessitas angelos iam ante advertisse civitatem Nazareth, quam illo cernerent missum Archangelum Virginem salutare, et partum nuntiare divinum? Siquidem quod praeelecta fuerit Bethleem nativitati, Jerusalem passioni, etiam sic aperte praescitum et praedictum est a prophetis. Quod autem et Nazareth provisa similiter est conceptioni, non tamen similiter, ut arbitror, praevisum fuisse et a prophetis, evidens aliquod invenitur de Scripturis testimonium. Nam quod legitur: QUONIAM NAZARAEUS VOCABITUR, profecto Evangelista, qui hoc de propheta sumit, non tam ad conceptionem quam ad educationem referri satis evidenter ostendit, quod illo videlicet ex Aegypto reportatus fuerit illicque nutritus. Denique Iudaei ad Nicodemum: SCRUTARE, aiunt, ET VIDE QUONIAM PROPHETA A GALILAEA NON SURGIT, Et quidem scienti legem loquebantur, et qui magister erat in Israel nihilque facile ignoraret ex omnibus; et tamen tota fiducia instabant, monstrantes Scripturas non loqui Christum venire a Galilaea, cuius Nazareth civitas esse cognoscitur. Plus sane ad manum fuit eis testimonium de propheta, ex quo regi, locum sciscitanti nativitatis, incunctanter Bethleem responderunt. Itaque natus in Bethleem Christus est, et in Ierusalem passus, et utrumque aperte praedixisse prophetas manifestum est. Conceptus aeque est et in Nazareth civitate Galilaeae; nec tamen visum est occurrere quippiam vel Nicodemo, per quod sive Galilaeam, sive Nazareth ad Christi adventum undecumque pertinere doceret.

19. Welche vernünftige Überlegung oder welche Autorität zwänge mich zur Einsicht, dass von alters her den Engeln auch jene Zeit bekannt war, über die der Apostel sagt: ALS DIE FÜLLE DER ZEIT KAM, SANDTE GOTT SEINEN SOHN, GEZEUGT AUS DEM WEIB UND UNTER DEM GESETZ. (Gal 4,4)? Viel glaubhafter erscheint es vielleicht, dass sie in gleicher Weise, wie sie bei Gott selbst als Zeugen den Tag der bevorstehenden Ankunft des Herrn nicht kannten, auch die Zeit des ersteren keineswegs voraus wussten. Wer weiß nämlich, ob nicht die Weisheit Gottes auch den Engeln über seine erste Ankunft auf jene geistige Weise das gesagt hat, was sie durch den Mund des angenommenen Fleisches den Aposteln nach der Schrift geantwortet hat? Sie sagt: EUCH STEHT ES NICHT ZU, ZEITEN UND AUGENBLICKE ZU ERFAHREN, DIE DER VATER IN SEINER MACHT FESTGESETZT HAT." (Apg 1,7) Welcher Zwang triebe mich ferner zu dem Glauben an, die Engel hätten die Stadt Nazareth beachtet, noch ehe sie erfuhren, dass der Erzengel ausgesandt worden sei, die Jungfrau zu grüßen und ihr die Geburt Gottes zu verkünden? Freilich, dass Bethlehem schon vorher erwählt war für die Geburt und Jerusalem für das Leiden, das ist von den Propheten so klar voraus gewusst und voraus gesagt worden. Dass aber auch Nazareth in gleicher Weise für die Empfängnis ausersehen worden ist, dafür findet sich aber, wie ich glaube, in den Schriften kein offensichtliches Zeugnis, zumindest nicht dem ähnlich, wie es von den Propheten vorausgesehen wurde. Denn wenn man liest: ER WIRD NAZARENER GENANNT WERDEN, (Mt 2,23) so bezieht sich dies nicht so sehr auf die Empfängnis als vielmehr auf die Erziehung. Das zeigt in der Tat der Evangelist, der dies vom Propheten bezieht, deutlich genug darin, dass Jesus aus Ägypten dorthin gebracht und dort aufgezogen wurde. Schließlich sagten die Juden zu Nikodemus: FORSCHE DOCH und SEHE, DASS DER PROPHET NICHT AUS GALILÄA KOMMT. (Joh 7,52) Und zwar sagten sie das zu einem Gesetzeskundigen, zu einem, der Lehrer war in Israel, dem nichts so leicht aus allen Schriften verborgen blieb. Und doch beharrten sie mit ganzer Zuversicht darauf und zeigten, dass die Schriften nicht sagen, Christus käme aus Galiläa, in dem bekanntlich die Stadt Nazareth liegt. Viel eher hatten sie wohl das Zeugnis des Propheten zur Hand, aus dem sie dem König, der den Geburtsort wissen wollte, unverzüglich Bethlehem antworteten. So ist also Christus in Bethlehem geboren worden und hat in Jerusalem gelitten, und es liegt auf der Hand, dass die Propheten beides klar vorausgesagt haben. In gleicher Weise ist er auch in Nazareth, einer Stadt Galiläas, empfangen worden; und doch schien sogar Nikodemus keine Stelle zu finden, womit er erklärte, Galiläa oder Nazareth bezögen sich auf die Ankunft Christi.

20. Sic quoque Nathanael, doctus et ipse in lege, Philippe nuntianti Iesum filium Ioseph a Nazareth, mox sub interrogatione admirando respondit: A NAZARETH, inquit, POTEST ALIQUID BONI ESSE? Nimirum admirans quod a Nazareth Christus nuntiaretur, quod ex nulla penitus Scriptura recoleret. Aut si non interrogando quidem, sed magis affirmando illud respondisse contenditur, memor utique praefati testimonii, QUONIAM NAZARAEUS VOCABITUR, non tamen perinde, quod in Nazareth conceptus fuerit lesus, eum agnovisse constabit, cum multae aliae causae occurrere potuissent, cur illud propheta praedixerit. Potuit ergo et de conceptionis loco, ut prophetas, sic et angelos divinum latuisse consilium.

20. So antwortete auch Nathanael - selbst ein Gesetzeslehrer -dem Philipp, als er von Jesus, dem Sohn Josephs aus Nazareth, berichtete, sogleich mit der erstaunten Frage: AUS NAZARETH? KANN VON DORT ETWAS GUTES KOMMEN? (Joh 1,46) Offensichtlich wunderte er sich darüber, dass Christus von Nazareth her verkündet wurde, weil er sich an keine einzige Stelle aus der Schrift erinnerte. Oder wenn man festhält, jene Antwort sei nicht als Frage, sondern als Behauptung gegeben worden, eingedenk des eben erwähnten Zeugnisses: WEIL ER NAZARENER GENANNT WERDEN WIRD (Mt 2,23), so wird doch keineswegs daraus bekannt, dass er erkannt habe, Christus wäre in Nazareth empfangen worden, zumal viele andere Gründe vorliegen konnten, warum der Prophet jenes gesagt hätte. So konnte also der Ratschluss Gottes über den Ort der Empfängnis den Engeln genauso wie den Propheten verborgen geblieben sein.

21. Modum deinde illum tam incomprehensibilem, quem et Virgo sollicita requisivit, unde quaeso doceri queam angelis fuisse praecognitum? Mihi vero videtur, ne ipsi quidem, ut pace eius dixerim, qui nuntiabat, quod et ipse fatetur, si eius verba diligenter advertimus. Respondens quippe: SPIRITUS SANCTUS SUPERVENIET IN TE, nonne aperte mittit ad magisterium Spiritus Sancti, cuius unctione doceatur de omnibus, quorum ipse sibi non praesumit scientiam, et discat experiendo quod audiendo non poterat? Denique subiungit: ET VIRTUS ALTISSIMI OBUMBRABIT TIBI, expressius profecto significans modum secretissimum arcani incomprehensibilis et ineffabilis sacramenti, quo quasi in umbra cum sola et in sola Virgine, sola Trinitas conceptum fuerat operatura divinum. Ad hoc quoque investigandum mysterium minus se idoneum confitetur magnus ille Ioannes, cum se indignum perhibet solvere corrigiam calceamenti. Sed et ipsam Virginem, rogo, unde probabitur ex nomine vel ex facie ante cognitam angelis, quod ipsa videlicet esset quam Deus elegerit in matrem sibi, excepto dumtaxat Archangelo, cui et servanda ab initio tradita fuisse credenda est? Porro autem si diabolus eam nec post conceptionem agnovit, Ioseph utique desponsatione deceptus, credi potest et sanctis angelis vel ante minime innotuisse quod ipsa videlicet esset Dei mater futura. Sane etenim reprobi Spiritus, etsi destituti sunt participatione gratiae spiritualis, non tamen vivacitate industriae naturalis.

21. Und was ist schließlich mit jener so unverständlichen Art, nach der die Jungfrau sorgenvoll fragte: Woher kann ich bitte darüber aufgeklärt werden, dass sie von den Engeln schon gewusst worden wäre? Mir scheint, dass nicht einmal der Engel der Verkündigung selbst davon Kenntnis hatte, wie ich zu seinem Frieden sagen möchte. Dies gesteht er auch selbst, wenn wir aufmerksam auf seine Worte achten. Wenn er antwortete: DER HEILIGE GEIST WIRD ÜBER DICH KOMMEN (Lk 1,35), verwies er damit nicht eindeutig auf die Unterweisung des Heiligen Geistes, durch dessen Salbung sie über alles aufgeklärt werde, wovon er sich selbst kein Wissen herausnahm, damit sie durch die Erfahrung lerne, was sie durch das Hörensagen nicht begreifen konnte? Schließlich fügt er noch hinzu: DIE KRAFT DES ALLERHÖCHSTEN WIRD DICH ÜBERSCHATTEN. (Ek 1,35), und deutet damit noch nachdrücklicher auf die unverständliche Art des tiefsten Geheimnisses und unaussprechlichen Sakramentes hin, durch das gleichsam im Schatten die Dreifaltigkeit allein, mit und in der Jungfrau allein, die Empfängnis Gottes bewirken wollte. Auch der große Johannes erklärt sich für nicht sehr berufen, dieses Mysterium zu ergründen, wenn er sich als unwürdig erweist, die Riemen der Schuhe zu lösen. Aber wie wird bitte bewiesen, dass die Jungfrau selbst dem Namen und dem Antlitz nach den Engeln vorbekannt war? Dass gerade sie es sei, die sich Gott zur Mutter ausgewählt hatte? Ausgenommen war allerdings der Erzengel, unter dessen Schutz - wie man glauben darf - sie von Anfang an gestellt worden war. Wenn sie ferner der Teufel auch nach der Empfängnis - getäuscht durch die Verlobung mit Joseph - nicht erkannte, dann darf man glauben, dass den heiligen Engeln vorher sicher nicht bekannt war, dass sie die künftige Mutter Gottes sein würde. Denn sicher mangelt es den unredlichen Geistern, auch wenn sie ausgeschlossen sind von der Teilhabe an der geistlichen Gnade, nicht an der Lebendigkeit ihres natürlichen Eifers.

22. Videsne in quantis, salva fide et veritate Scripturarum, divinum angeli consilium poteram ignorasse, praesertim ut horum revelandorum praerogariva Matri Virgini servaretur? Primum equidem est tempus, secundum locus, tertium modus, quartum electio personae virginalis. Hoc responde fratribus, qui me reprehendunt quod dixerim ad laudem Virginis, ideo positum esse A DEO, ne cui forte vel beatorum angelorum suum consilium Deus, priusquam Virgini, revelasse putetur, excepto dumtaxat archangelo Gabriele. Suum consilium dixi, non de opere, sed de operis tempore, de loco, de modo, de personae quoque electione.

Vale.

22. Siehst Du nun, wie weitgehend der göttliche Ratschluss - unbeschadet der Zuverlässigkeit und Wahrheit der Schriften - den Engel unbekannt sein konnte, zumal der Mutter und Jungfrau das Vorrecht überlassen wurde, dies zu enthüllen? An erster Stelle steht allerdings die Zeit, an zweiter der Ort, an dritter die Art und an vierter die Wahl der jungfräulichen Person. Gib dies den Brüdern zu Antwort, die mich tadeln, weil ich zum Lob der Jungfrau gesagt habe, das VON GOTT sei deswegen hinzugefügt worden, damit man nicht vielleicht glaube, Gott habe seinen Plan einem der seligen Engel - abgesehen vom Erzengel Gabriel - eher enthüllt als der Jungfrau. SEINEN PLAN habe ich gesagt und nicht vom Werk als solchem gesprochen, sondern vom Zeitpunkt des Werkes, vom Ort, von der Art und Weise und auch von der Wahl der Person.

Leb wohl.

 


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