Predigt an die Kleriker von Paris: Über die Bekehrung

 

Die Predigt De conversione ist von außerordentlicher Wichtigkeit für das Verständnis der Biographien Peter Abaelards und Bernhards von Clairvaux. Der vorliegende Text, ergänzt um die Manuskriptvorlage zum Fest Allerheiligen und eine eigene (sicher nicht ganz fehlerfreie) deutsche Übersetzung, entspricht der Ausgabe der Sancti Bernardi Opera Omnia, kurz SBO, ed. J. Leclercq/H. Rochais, Bd. 4, S. 69-116.

Ausführliche Angaben zur Werksgeschichte und -bedeutung, ergänzt um eine Neudatierung, finden sich hier:

 

AD CLERICOS DE CONVERSIONE AN DIE KLERIKER ÜBER DIE BEKEHRUNG IN FESTIVITATE OMNIUM SANCTORUM ZUM FEST ALLERHEILIGEN

 

I. QUOD NEMO CONVERTI AD DOMINUM, NISI DOMINI VOLUNTATE PRAEVENTUS ET EIUS VOCE INTERIUS CLAMANTE, POSSIT. I. NIEMAND KANN ZUM HERRN BEKEHREN WERDEN, WENN IHM NICHT DER WILLE DES HERRN UND SEINE IM INNEREN RUFENDE STIMME ZU HILFE KOMMT. de voluntate, ratione et memoria et de novem beatitudinibus. Über den Willen, die Vernunft und das Gedächtnis; über die neun Seligkeiten.
1. Ad audiendum, ut credimus, verbum Domini convenistis. Neque enim causa nobis alia vestrae huius tam avidae concursionis occurrit. Approbamus utique desiderium hoc, et laudabili studio congaudemus. Beati enim qui audiunt verbum Dei, sed si custodiant illud. Beati qui memores sunt mandatorum eius, sed ut faciant ea. Nimirum verba vitae aeternae habet, et venit hora - utinam et nunc sit - quando mortui audient vocem eius, et qui audierint vivent: siquidem VITA IN VOLUNTATE EIUS. Et si vultis scire, voluntas eius conversio nostra. Denique ipsum audite: NUMQUID VOLUNTATIS MEAE EST MORS IMPII, DICIT DOMINUS, ET NON MAGIS UT CONVERTATUR ET VIVAT? Ex quibus verbis evidenter agnoscimus, quoniam vera nobis vita nonnisi in conversione est, nec aliter ad eam patet ingressus, dicente item Domino: Nisi CONVERSI FUERITIS ET EFFICIAMINI SICUT PARVULI, NON INTRABITIS IN REGNUM CAELORUM. Merito sane parvuli soli intrant, nam puer parvulus minat eos, qui in hoc ipsum natus et datus est nobis. Quaero igitur vocem quam audiant mortui, et cum audierint vivant: forte enim et mortuis evangelizare necesse est. Et occurrit interim verbum breve, sed plenum, quod os Domini locutum est, ut Propheta testatur: DIXISTI, ait, loquens sine dubio ad Dominum Deum suum: CONVERTIMINI, FILII HOMINUM. Nec immerito sane a filiis quidem hominum videtur exigenda conversio, peccatoribus utique necessaria. Nam supernis spiritibus ea magis quae rectos decet indicta laudatio est, eodem Propheta psallente: LAUDA DEUM TUUM, SION. l. Ihr habt euch, wie wir glauben, versammelt, um das Wort des Herrn zu hören. Uns fällt zumindest kein anderer Grund ein, warum ihr so begierig zusammengekommen seid. Natürlich billigen wir diesen Wunsch und freuen uns mit euch über dieses lobenswerte Studium. Selig sind nämlich die, die das Wort Gottes hören - jedoch nur, wenn sie jenes befolgen. Selig sind die, die an seine Gebote denken, allerdings nur, wenn sie danach handeln. Er hat allerdings Worte des ewigen Lebens, und es kommt die Stunde (Joh 5,25) - wenn sie nur jetzt da wäre -, in der die Toten seine Stimme hören werden, und alle, die sie hören, werden leben: LEBEN LIEGT NÄMLICH IN SEINEM WILLEN. (PS 29,6) UND WENN IHR ES WISSEN WOLLT: ER WILL, DASS WIR UNS BEKEHREN. Hört ihn doch selbst: WILL ICH ETWA DEN TOD DES RUCHLOSEN - SAGT DER HERR - UND NICHT VIEL MEHR, DASS ER SICH BEKEHRT UND LEBT? (Ez 18,23) Aus diesen Worten erkennen wir klar, dass das wahre Leben für uns nur in der Bekehrung liegt, und kein anderer Zugang zu ihm offen steht, weil der Herr sagt: Wenn IHR EUCH NICHT BEKEHRT UND WIE DIE KINDER WERDET, KÖNNT IHR NICHT IN DAS HIMMELREICH KOMMEN. (Mt 18,3) Ja, zu Recht betreten es allein die Kinder, denn als kleiner Knabe weidet er sie - er, der uns eben darin geboren und geschenkt wurde. Ich suche daher die Stimme, die die Toten hören sollen, damit sie nach dem Hören leben. Vielleicht ist es nämlich nötig, auch den Toten das Evangelium zu verkünden. Inzwischen kommt mir ein kurzes, aber reiches Wort in den Sinn, das der Mund des Herrn gesprochen hat, wie der Prophet bezeugt: DU HAST GESAGT, spricht er, und wendet sich ohne Zweifel an den Herrgott: BEKEHRT EUCH, IHR MENSCHENSÖHNE. (PS 89,3) Nicht unverdient muss von den Söhnen der Menschheit klar die Bekehrung gefordert werden, die für Sünder ganz und gar notwendig ist. Denn den himmlischen Geistern nämlich ist eher das Lob angesagt, das sich für die Gerechten ziemt, wie derselbe Prophet singt: LOBE, ZION, DEINEN GOTT! (PS 147,12) 1. Non immerito, fratres, nec ad insipientiam vobis ad audiendum verbum Domini avide convenistis, quoniam verba vitae aeternae habet, et venit hora et nunc est, quando mortui audient vocem eius, et qui audierint vivent. Nolo enim, ait ipse per Prophetam, nolo mortem peccatoris, sed magis nt convertatur et vivat. Sine conversione enim nullus nobis ad vitam patet accessus, dicente ipso Domino: NISI CONVERSI FUERITIS ET EFFICIAMINI SICUT PARVULUS ISTE, NON INTRABITIS IN REGNUM CAELORUM. Arbitror itaqae vocem quam audiunt mortui et quam, qui audierint vivent, ipsam esse quam Propheta manifestius exprimens: DIXISTI, inquit, CONVERTIMINI, FILII HOMINUM. Ad Dominam enim loquebatnr. Nec immerito filiis quidem hominum, quae peccatoribus necessaria est conversio, angelicis vero spiritibus ea quae rectos decet, indicta laudatio est, dicente hoc eodem Propheta: LAUDA, IERUSALEM, DOMINUM; LAUDA DEUM TUUM, SION. 1. Nicht unverdient, Brüder, sondern als Ausdruck eurer Klugheit, seid ihr eifrig zusammengeströmt, um das Wort des Herrn zu hören. Er hat ja Worte des ewigen Lebens, und es kommt die Stunde und sie ist jetzt da, in der die Toten seine Stimme hören werden, und alle, die sie vernommen haben, werden leben. Ich will nämlich nicht, sagt er selbst durch den Propheten, ich will nicht den Tod des Sünders, sondern eher, dass er sich bekehrt und lebt. Ohne Bekehrung steht euch kein Zugang zum Leben offen, wie der Herr selbst sagt: WENN IHR NICHT UMKEHRT UND WIE DIE KINDER WERDET, WERDET IHR NICHT INS HIMMELREICH GELANGEN. (Mt 18,3) Die Stimme also, die die Toten hören, und die allen das Leben verheißt, die sie hören, ist meiner Einschätzung nach dieselbe, die der Prophet noch klarer zum Ausdruck bringt: DU HAST, so sagt er, so sagt er, GESPROCHEN - KEHRT UM, IHR MENSCHENSÖHNE. (PS 89,3). Er sprach nämlich zum Herrn. Verdientermaßen ist den Menschensöhnen die Bekehrung angesagt, die für die Sünder notwendig ist, den Geistern der Engel aber die Lobpreisung, die den Rechtschaffenen geziemt, wie derselbe Prophet sagt: LOBE, JERUSALEM, DEN HERRN. LOBE DEINEN GOTT, ZION! (PS 147,12)
2. Ceterum quod ait: DIXISTI, meo quidem iudicio non negligenter praetereundum est, nec simpliciter audiendurn. Quis enim humanis comparare audeat dictis, quod dixisse dicitur Deus? Vivus profecto est sermo Dei et efficax, et vox eius in magnificentia et virtute. Denique IPSE DIXIT, ET FACTA SUNT. Dixit: FIAT LUX, ET FACTA EST LUX. Dixit: CONVERTIMINI, et conversi sunt filii hominum. Ita plane conversio animarum opus divinae vocis est, non humanae. Simon Ioannis, piscator hominum in hoc ipsum vocatus et constitutus a Domino, incassum tamen et ipse laborans tota nocte nil capiet donec in verbo Domini rete iactans, concludere possit multitudinem copiosam. Utinam iactemus et nos in hoc verbo hodie rete verbi, et experiamur quod scriptum est: ECCE DABIT VOCI SUAE VOCEM VIRTUTIS ! Si mendacium loquimur, id plane de proprio est. Sed et tunc forsitan nostra iudicabitur vox esse, et non Domini, si quaeramus quae nostra sunt, non quae Iesu Christi. Ceterum, etsi loquimur iustitiam Dei et gloriam Dei quaerimus, effectum tamen ab eo solo sperare, ab eo postulare necesse est, ut voci suae vocem virtutis accommodet. Ad hanc ergo interiorem vocem aures cordis erigi admonemus, ut loquentem Deum intus audire quam foris hominem studeatis. Illa enim vox magnificentiae et virtutis, deserta concutiens, secreta discutiens, torporem excutiens animarum. 2. Übrigens darf man das DU HAST GESPROCHEN (PS 89,3) meinem Urteil nach nicht nachlässig übergehen und auch nicht schlicht und einfach hören. Wer würde es nämlich wagen, das mit menschlichen Sprüchen zu vergleichen, was Gott gesagt haben soll? Lebendig ist in der Tat das Wort Gottes und kraftvoll, und seine Stimme erschallt mit Herrlichkeit und Kraft. Schließlich sprach ER SELBST UND SIE WAREN ERSCHAFFEN. (PS 148,5) Er sagte: ES WERDE LICHT UND ES WARD LICHT. (Gen 1,3) Er sagte: BEKEHRT EUCH (PS 89,3), und es bekehrten sich die Söhne der Menschen. So ist in der Tat die Bekehrung der Seelen Werk des göttlichen Rufes, nicht des menschlichen. Simon, der Sohn des Johannes, der Menschenfischer, der gerade dazu von Gott berufen und eingesetzt wurde, wird dennoch erfolglos bleiben und nichts fangen, selbst wenn er sich die ganze Nacht über bemüht, bis er auf das Wort des Herrn hin das Netz auswirft und eine große Menge fangen kann. Möge auch ich in diesem Wort heute das Netz des Wortes auswerfen und die Erfahrung machen, von der geschrieben steht: SEHT, ER WIRD SEINE STIMME DIE STIMME DER KRAFT GEBEN. (PS 67,34) Wenn wir eine Lüge aussprechen, so stammt diese freilich von uns allein. Doch vielleicht wird man auch dann meinen, es sei unsere Stimme und nicht die des Herrn, wenn wir suchten, was uns betrifft, und nicht Jesus Christus (Phil 2,21). Wenn wir im Übrigen die Gerechtigkeit Gottes verkünden und die Ehre Gottes suchen, selbst dann muss man den Erfolg dennoch allein von ihm erhoffen und von ihm erbitten, dass er seine Stimme der Stimme der Kraft angleiche. Wir mahnen dazu: Richtet auf diese innere Stimme die Ohren des Herzens und müht euch, Gott im Inneren sprechen zu hören, so wie außen den Menschen. Erstere Stimme ist nämlich die der Herrlichkeit und Macht: (PS 28,4) sie lässt die Wüsten erbeben, (PS 28,8) deckt die Geheimnisse auf und treibt die Stumpfheit der Seelen aus. 2. Verumtamen non simpliciter accipiamus quod ait: DIXISTI, nec humanis dictis simile reputemus. Est enim, teste Propheta, vox DOMINI IN VIRTUTE, et in Apostolo legitur: Vivus SERMO DOMINI ET EFFICAX, quoniam IPSE DIXIT ET FACTA SUNT, IPSE MANDAVIT ET CREATA SUNT. Qui dixit: FIAT LUX, ET FACTA EST LUX; dixit: CONVERTIMINI, et conversi sunt filii hominum. Divinae siquidem, non humanae vocis est opus animarum conversio ita ut incassum laboret etiam ipse Petrus piscator hominum constitutus a Domino, donec in verbo Domini iactet rete et concludat piscium multitudinem copiosam. Utinam nos quoque in eodem iactemus hodie rete nostrum, ut experiamur quod scriptum est: ECCE DABIT VOCI SUAE VOCEM VIRTUTIS. Vox hominis mentientis sua ipsius, non Domini est et de proprio loquitur, dum mentitur. Sed et tunc nihilominus sua est, cum invenitur quaerere quae sua sunt, non quae Iesu Christi. Quod si iustitiam loquimur, sine dubio in nobis loquitur Christus, et vox eius est quae deservit lucris ipsius. Nec sic tamen efficaciam habet nullam, nisi detur a Domino vox virtutis. Audiens proinde verbum Dei, multo magis attende loquentem intus Deum quam hominem foris, nam illa vox viva et efficax ipsa est vox Domini convertens animas. 2. Wir wollen jedoch nicht einfach anhören, was er gesagt hat: DU HAST GESPROCHEN, und es nicht menschlichen Aussagen gleichstellen. Nach dem Zeugnis des Propheten ist es ja die Stimme DES HERRN MIT KRAFT (PS 28,4), und beim Apostel liest man: Lebendig IST DAS WORT DES HERRN UND VOLLER WIRKSAMKEIT (Hebr 4,12), DENN ER SPRACH SELBST, UND ES GESCHAH, ER BEFAHL, UND ES WURDE GESCHAFFEN. Er sagte: ES WERDE LICHT, UND ES WURDE LICHT. (Gen 1,3) Er sagte: BEKEHRET EUCH und die Menschensöhne haben sich bekehrt. Die Bekehrung der Seelen ist ja das Werk der göttlichen, nicht einer menschlichen Stimme, so dass selbst Petrus, der vom Herrn als Menschenfischer berufen worden war, sich sinnlos abmüht, bis er auf ein Wort des Herrn hin das Netz auswirft und mit einer reichlichen Menge an Fischen das Boot füllt. Möchten doch auch wir auf dasselbe Wort hin heute unser Netz auswerfen, um zu erfahren, was geschrieben steht: SIEHE, ER WIRD SEINEM WORT DIE STIMME DER KRAFT GEBEN. (PS 67,34) Die Stimme eines Lügners ist seine eigene Stimme, nicht die des Herrn, und wenn er lügt, spricht er aus seinem Eigenen (Joh 8,44). Aber auch dann ist es in gleicher Weise seine Stimme, wenn man findet, dass er nur das Seine sucht und nicht die Sache Jesu Christi. Wenn wir aber die Gerechtigkeit verkünden, spricht ohne Zweifel Christus in uns, und das Wort, das um seinen Zugewinn bemüht ist, ist sein Wort. Jedoch auch so hat es keine Wirkung, wenn ihm nicht vom Herrn die Stimme der Kraft gegeben wird. Wenn du also das Wort Gottes hörst, dann achte viel mehr darauf, dass Gott im Inneren spricht, als auf die äußere Stimme des Menschen, denn ersteres ist das lebendige und wirksame Wort des Herrn, das die Seelen wendet.
II. QUOD IPSA VOX DOMINI OMNIBUS SE OFFERAT ET INGERAT, ET ANIMAM SIBIIPSI ETIAM NOLENTEM PRAESENTET. II. GERADE DIE STIMME DES HERRN BIETET SICH ALLEN AN UND DRINGT IN ALLE EIN, SIE STELLT AUCH DIE WIDERWILLIGE SEELE SICH SELBST GEGENÜBER.    
3. Nec sane laborandum est, ut ad vocis huius perveniatur auditum; labor est potius aures obturare ne audias. Nimirum vox ipsa se offert, ipsa se ingerit, nec pulsare interim cessat ad ostia singulorum. Denique QUADRAGINTA ANNIS, inquit, PROXIMUS FUI GENERATIONI HUIC, ET DIXI: SEMPER HI ERRANT CORDE. Adhuc nobis proximus est, adhuc loquitur, et non est forte qui audiat. Adhuc dicit: HI ERRANT CORDE; adhuc Sapientia clamitat in plateis: REDITE, PRAEVARICATORES, AD COR. Hoc nempe initium loquendi Domino, et hoc verbum ad omnes qui convertuntur ad cor, praecessisse videtur, et non modo revocans eos, sed et reducens et statuens contra faciem suam. Est enim non tantum vox virtutis, sed et radius lucis, annuntians pariter hominibus peccata eorum et illuminans abscondita tenebrarum. Nec vero ulla internae huius vocis ac lucis differentia est, cum unus idemque sit Dei Filius et Verbum Patris, et splendor gloriae, sed et animae quoque substantia, in suo quidem genere etiam ipsa spiritualis et simplex, sine ulla distinctione sensuum, sed tota, si tamen tota dicenda est, videns pariter et audiens videatur. Quid enim illo agitur sive radio, sive verbo, nisi ut noverit semetipsam? Aperitur siquidem conscientiae liber, revolvitur misera vitae series, tristis quaedam historia replicatur, illuminatur ratio, et evoluta memoria velut quibusdam eius oculis exhibetur. Utraque vero non tam ipsius animae est quam anima ipsa, ut eadem sit et insipiens, et inspecta, contra suam statuta faciem, et violentis quibusdam apparitoribus immissarum utique cogitationum coacta, proprio interim iudicanda tribunali. Quis sane iudicium hoc sine tribulatione sustineat? AD MEIPSUM ANIMA MEA TURBATA EST, ait Propheta Domini, et tu contra faciem tuam sine argutione, sine turbatione, sine confusione statui non posse miraris? 3. Natürlich muss man sich nicht abmühen, um zum Gehör dieser Stimme zu kommen; viel mühsamer ist es, die Ohren zu verstopfen, um nicht zu hören. Die Stimme bietet sich allerdings selbst an, sie dringt selbst ein und hört zwischenzeitlich nicht auf, an die Türen Einzelner zu klopfen. Schließlich sagt er: ÜBER VIERZIG JAHRE WAR ICH DIESEM GESCHLECHT GANZ NAHE UND HABE GESPROCHEN: IMMER IRREN SIE IM HERZEN. (PS 94,10) Noch immer ist er uns ganz nahe, noch immer spricht er, und doch gibt es keinen, der vielleicht hören will. Noch immer sagt er: SIE IRREN IM HERZEN, noch immer ruft die Weisheit auf den Plätzen: IHR TREULOSEN KEHRT ZUM HERZEN ZURÜCK. Denn so beginnt der Herr zu sprechen, und dieses Wort scheint zuerst an alle gerichtet zu sein, die zum Herzen bekehrt werden. Er ruft sie nicht nur zurück, sondern führt sie auch zurück und stellt sie sich selbst vor Augen. Er ist nämlich nicht nur eine Stimme der Macht, sondern auch ein Lichtstrahl, der den Menschen in gleicher Weise ihre Sünden meldet und das im Dunkeln Verborgene ans Licht bringt. Es besteht aber nicht der geringste Unterschied zwischen dieser inneren Stimme und dem Licht, da ein und derselbe Sohn Gottes das Wort des Vaters und der Glanz seiner Herrlichkeit ist. Doch auch das Wesen der Seele, das in seiner Art selbst ebenfalls geistig und einfach ist, erscheint ohne Trennung der Sinne, sondern als Ganzes - wenn man es dennoch ein Ganzes nennen kann - gleichermaßen sehend und hörend. Was wird nämlich durch jenen Strahl bzw. jenes Wort anderes bewirkt, als dass sie sich selbst erkennt? Aufgeschlagen wird nämlich das Buch des Gewissens, der elende Lebenslauf wieder aufgerollt, eine traurige Geschichte neu dargestellt, die Vernunft erleuchtet und die enthüllte Erinnerung gleichsam den eigenen Augen vorgehalten. Beides ist aber nicht so sehr Zeichen der Seele, als Seele selbst, so dass sie, zugleich unverständig und im Anblick stehend, sich ins Gesicht schaut und durch manche gewaltsame Handlanger der ihr eingegebenen Gedanken gezwungen wird, sich derweil vor ihrem eigenen Richterstuhl zu beurteilen. Wer könnte wohl dieses Urteil ohne Trübsal ertragen? VERWIRRT IST MEINE SEELE, HIN ZU MIR SELBST (PS 41,7), spricht der Prophet des Herrn, und du wunderst dich, dass du vis-a-vis deiner selbst nicht ohne Anklage, Störung und Beschämung hingestellt werden kannst? 3. Porro modus ipse conversionis, quantum mihi videtur, hic est. Primum quidem revocamur ad nos ipsos et audimus vocem dicentis: PRAEVARICATORES, REDITE AD COR, idque tam efficaciter dicitur ut vox ipsa reducat nos, arguens et statuens contra faciem nostram. Potest tamen non solum vox dici, sed etiam lux, que nimirum et hominibus annuntiat peccata ipsorum et illaminat abscondita tenebrarum. Sive enim vox dicatur quam audiunt mortui et resurgunt, sive lux quae oritur habitantibus in regione umbrae mortis, nulla differentia est, quoniam spiritualis animae substantia nec composita partibus secundum corporis formam, nec distincta membris, una et simplici mente videt pariter intus et audit Quid vero agitar illi sive verbo sive radio, nisi ut cognoscat anima semetipsam? Memoria nostra, quae de nobis est, et ita, secundam quod iam diximus, statuit nos ante faciem nostram, ne de cetero ocalos avertamus a nobis. Nec mirum si conturbamur, quando et ipse Propheta ait: AD MEIPSUM ANIMA MEA CONTURBATA EST. 3. Das aber ist die Art und Weise der Bekehrung selbst, so weit es mir erscheint: Zuerst werden wir zu uns selbst zurückgerufen, und wir hören die Stimme dessen, der sagt: IHR ABTRÜNNIGEN, KEHRT ZUM HERZEN ZURÜCK! (Jes 46,8), und dies wird so nachdrücklich gesagt, dass uns die Stimme selbst zurückführt, indem sie uns anklagt und unserem Antlitz entgegenstellt. Man kann jedoch nicht nur von einer Stimme sprechen, sondern auch von einem Licht, das den Menschen ihre Verfehlungen verkündigt und das erleuchtet, was im Dunkeln verborgen ist. Denn ob man es Stimme nennen will, die die Toten hören und dann wieder auferstehen, oder Licht, das denen aufleuchtet, die im Land des Todesschattens wohnen: es macht keinen Unterschied, da das Wesen der Seele geistig ist und nicht nach Art des Körpers aus Teilen zusammengesetzt oder in unterschiedliche Glieder eingeteilt ist; so sieht und hört sie in gleichermaßen im Inneren mit einem einzigen und einfachen Sinn. Was aber wird mit jenem Wort oder Lichtstrahl anderes bewirkt, als dass die Seele sich selbst erkennt? Unser Gedächtnis stellt das, was von uns stammt, und so, wie wir schon gesagt haben, uns selbst vor Augen, dass wir künftig unsere Augen nicht mehr von uns abwenden. Kein Wunder, wenn wir in Verwirrung geraten, da auch der Prophet selbst sagt: MEINE SEELE IST VERWIRRT IN MIR. (PS 41,7)
III. QUOD PER HANC ANIMAE RATIO, QUASI IN LIBRO, OMNIA MALA PROPRIA DEPREHENDERE, REPREHENDERE, DIIUDICARE ET DISCERNERE VALEAT. III. DIE VERNUNFT DER SEELE KANN DURCH DIESE STIMME WIE IN EINEM BUCH ALLES EIGENE BÖSE STELLEN, ZURECHTWEISEN, BEURTEILEN UND AUSEINANDERHALTEN.    
4. Nec a me speres audire quid in memoria tua ratio deprehendat, quid reprehendat, quid diiudicet, quid decernat. Applica intus auditum, reflecte oculos cordis, et proprio disces experimento quid agatur. NEMO ENIM SCIT QUAE SUNT IN HOMINE, NISI SPIRITUS HOMINIS QUI IN IPSO EST. Si superbia, si invidia, si avaritia, si ambitio aut similis aliqua pestis abscondita est, vix effugere poterit hoc examen. Si fornicatio, si rapina, si crudelitas, si fraus ulla aut quaelibet culpa admissa, internum hunc iudicem non latebit reus ipse, nec inficiabitur coram eo. Transiit enim velociter totus ille pruritus delectationis iniquae, et voluptatis illecebra tota brevi finita est; sed amara quaedam impressit signa memoriae, sed vestigia foeda reliquit. In illud siquidem repositorium, velut in sentinam aliquam, tota decurrit abominatio, immunditia tota defluxit. Volumen grande, cui universa inscripta sunt, stilo utique veritatis. Amarum iam venter tolerat, etsi fauces miseras brevi transitu dulcedine quadam frivola visum est oblectasse. Ventrem meum doleo, miser, doleo ventrem meum. Quidni doleam ventrem memoriae, ubi tanta congesta est putredo? Quis nostrum, fratres, exteriorem hanc vestem, qua tegitur, si repente obscoenis undique sputis illitam et foedissimis quibusque sordibus inquinatam consideret, non vehementer exhorreat, non velociter exuat, non indignanter abiciat? Itaque qui non vestem, sed semetipsum intus sub veste talem reperit, eo amplius doleat et animo consternetur oportet, quo propius tolerat quod exhorret. Neque enim ut tunicam abicit suam, sic abicere contaminata anima potest et seipsam. Denique quis in nobis est tantae patientiae et virtutis, ut si forte, quemadmodum de Maria sorore Moysi legitur, carnem suam subitanea quadam lepra male candentem viderit, aequo animo stare possit et gratias agere Creatori? Quis vero est caro ista, nisi corruptibilis quaedam tunica, qua vestimur? Aut quid lepra haec corporea electis omnibus aestimanda, nisi paternae virga correptionis et purgatio cordis? Ibi, ibi tribulatio vehemens et iustissima causa doloris est, cum, excitatus a somno miserae voluptatis, inferiorem coeperit quis deprehendere lepram, quam sibi ipse multo studio et labore quaesivit. Licet enim nemo oderit carnem suam, sed multo minus odisse poterit anima seipsam. 4. Hoffe nicht, von mir zu hören, was der Verstand in deinem Gedächtnis erfasst, was er tadelt, was er beurteilt und was er unterscheidet. Richte dein Lauschen nach innen, spiegele die Augen des Herzens wieder, und du wirst durch eigene Erfahrung lernen, was los ist. KEINER WEISS NÄMLICH, WAS IM HERZEN IST, AUSSER DER GEIST, DER IN IHM STECKT. (1 Kor 2,11) Wenn Hochmut, wenn Missgunst, wenn Habsucht, wenn Ehrgeiz oder irgendeine ähnliche Seuche verborgen ist, wird sie dieser Prüfung kaum entrinnen können. Wenn Unzucht, wenn Raub, wenn Grausamkeit, wenn irgendein Betrug oder sonst eine Schuld eingelassen wurde, wird der Angeklagte sich vor diesem inneren Richter nicht verbergen und vor ihm nicht leugnen können. Schnell ist nämlich jenes ganze Jucken bösen Vergnügens vorüber, und der ganze Reiz der Lust in Kürze zu Ende. Manche bittere Abzeichen hat er jedoch dem Gedächtnis eingeprägt und böse Spuren hinterlassen. In diese Ablage läuft nämlich wie in einen Abguss der ganze Unrat hinab, fließt die ganze Unreinheit hinein. Ein gewaltiges Buch, in dem alles aufgezeichnet ist, und zwar mit dem Griffel der Wahrheit! Bitteres erleidet nun der Magen, wenn es auch den elenden Schlund beim kurzen Schluckakt mit loser Süßigkeit erfreut zu haben scheint. Mit tut nun mein Magen weh, ich Elender, mir schmerzt der Magen! Wie sollte ich nämlich über den Magen des Gedächtnisses nicht Schmerz empfinden, wo so viel Fäulnis angehäuft wurde! Wer von uns, Brüder, würde vor diesem äußeren Gewand, das er anhat, nicht erschrecken, wenn er es plötzlich überall mit schmutzigem Auswurf besudelt und mit hässlichstem Kot beschmutzt sähe? Würde er es nicht schnell ausziehen, nicht voller Abscheu wegwerfen? Wer nicht sein Gewand, sondern sich selbst im Inneren unter dem Gewand so vorfindet, muss deshalb umso mehr betrübt und im Herzen bestürzt sein, je näher er das an sich trägt, was ihn abstößt. Nicht so, wie einer sein Kleid ablegt, kann die beschmutzte Seele sich selbst wegwerfen. Wer unter uns besitzt schließlich so große Geduld und Kraft, dass er, wie man von Maria, der Schwester des Moses liest, beim Anblick des Leibes, der plötzlich durch irgend einen bösen Aussatz weiß wurde, gleichgültig bleiben und dem Schöpfer noch danken könnte? Was jedoch ist dieser Leib, wenn nicht jenes verderbliche Kleid, das wir tragen? Oder was bedeutet dieser körperliche Aussatz für alle Erwählten anderes als diese väterliche Zuchtrute und die Reinigung des Herzens? Dort, dort findet man heftige Trübsal und den gerechtesten Grund zum Schmerz, wenn man vom Schlaf der elenden Lust erwacht und den inneren Aussatz zu erkennen beginnt, den man sich selbst mit viel Eifer und Mühe gesucht hat. Wenn schon keiner seinen Leib hasst, um wie viel weniger wird dann die Seele sich selbst hassen können! 4. Quid enim invenimus in nobis, aut quid in memoria videt oculus rationis? Ea utique quae continentur in illa. NEMO ENIM SCIT QUAE SUNT IN HOMINE, NISI SPIRITUS HOMINIS QUI IN IPSO EST: fornicationes, adulteria, ?? periaria ??, furta, rapinas multaque similia et dissimilia. In brevi transiit voluptas ipsa peccati, sed infectam foetidamque relinquit infelicem memoriam, ubi velut in sentinam quamdam immunditia tota confluxit. Quantam putamus abhorret et consternatur animus, seipsam talem inveniens. Et quis ferre possit, si vestem suam talem inveniat? Aut quis non statim cam indignatione proiciat? Multo magis semetipsam, quam non possit abicere, si talem invenerit, anima consternatur mente, et anxiatur super eam Spiritus eius. Quis carnem suam subito leprosam inveniens, aequo animo possit esse? Hinc ergo qui multo peiore lepra maculatam videt animam suam, timendum omnimodo a pusillanimitate Spiritus et desperatione. 4. Was finden wir denn in uns, oder was sieht das Auge der Vernunft in der Erinnerung? Doch nur das, was in ihr enthalten ist. DENN KEINER WEISS, WAS IM MENSCHEN LIEGT, AUSSER DER GEIST, DER IN IHM STECKT. (1 Kor 2,11) Unzucht, Ehebruch, Meineid, Diebstahl, Raub und viele ähnliche und unähnliche Vergehen. Die Lust der Sünde ist nach kurzem vorbei, sie lässt aber eine, befleckte, übel riechende und unglückselige Erinnerung zurück, wo wie in eine Jauchegrube alle Unreinheit sich dort gesammelt hat. Wie sehr, glauben wir, schaudert doch die Seele bestürzt zurück, wenn sie sich in einem solchen Zustand findet! Wer könnte es ertragen, wenn er sein Kleid so verunreinigt fände? Wer würde es nicht sofort mit Empörung von sich werfen? Wenn die Seele sich selbst in diesem Zustand findet und sich selbst nicht von sich werfen kann, gerät sie in tiefe, geistige Bestürzung, und ihr Geist ängstigt sich um sie. Wer könnte gleichmütig sein, wenn er sein Fleisch plötzlich aussätzig fände? So muss also der, der seine Seele mit einem noch viel schlimmeren Aussatz befleckt sieht, in jeder Hinsicht in eine Furcht geraten, die vom Kleinmut des Geistes und der Verzweiflung herrührt.
IV. QUOD QUI ODIT INIQUITATEM NON SOLUM ANIMAM, SED ETIAM CARNEM SUAM ODIRE COMPROBETUR. IV. JEDER, DER DIE UNGERECHTIGKEIT HASST, HASST NACHWEISLICH NICHT NUR DIE SEELE, SONDERN AUCH SEINEN LEIB.    
5. At forte aliquem moveat illud de Psalmo: QUI DILIGIT INIQUITATEM, ODIT ANIMAM SUAM. Ego autem dico: odit et carnem. Annon odit, cui gehennae cumulos mercatur in dies, cui secundum duritiam suam et cor impaenitens thesaurizat iram in die irae? Ceterum hoc odium tam carnis quam animae, non in affectu, sed in effectu potius invenitur. Sic nimirum odit et phreneticus carnem suam, cum sibi ipsi manus inferre laborat, rationis deliberatione sopita. An vero gravior ulla phrenesis iudicatur quam impaenitentia cordis et peccandi obstinata voluntas? Siquidem manus nefarias inicit sibi ipsi, nec carnem, sed mentem lacerat et corrodit. Si vidisti hominem scalpere manus et usque ad sanguinem confricare, evidentem habes in eo similitudinem animae peccantis expressam. Cedit siquidem voluptas illa dolori, et succedit pruritui cruciatus. Neque id ignorabat, sed dissimulabat ille dum scalperet. Sic laceravimus, sic exulceravimus propriis manibus animas infelices, nisi quod tanto gravius, quanto excellentior est spiritualis creatura, et cui difficilius medeatur. Neque id quidem inimicitiarum studio gerimus, sed stupore quodam insensibilitatis internae. Effusus siquidem animus damna interiora non sentit, quia nec intus est, sed in ventre forsitan, aut sub ventre. Denique et animus quorumdam in patinis, quorumdam in loculis invenitur. UBI EST THESAURUS TUUS, inquit, IBI EST ET COR TUUM. Quid vero mirum, si propriam minime sentiat anima laesionem, quae, sui ipsius oblita et penitus absens sibi, in longinquam prorecta est regionem? Erit autem cum, in seipsam reversa, cognoscet quam crudeliter miserae venationis obtentu evisceraverit semetipsam. Neque enim id sentire poterat, dum vilem muscarum praedam desiderio captans insatiabili, aranearum instar ex visceribus propriis intexere retia videretur. 5. Doch vielleicht bewegt einen jenes Wort des Psalms: WER DIE UNGERECHTIGKEIT LIEBT, HASST SEINE SEELE. (PS 10,6) Ich aber sage: Er hasst auch das Fleisch. Oder hasst er es etwa nicht, wenn es ihm die Gipfel der Hölle tagtäglich einhandelt, wenn sein unbußfertiges Herz ihm zufolge seine Härte und seinen Zorn für den Tag des Zornes hortet? Im übrigen findet sich dieser Hass gegen den Leib wie gegen die Seele nicht im Gefühlsausdruck, sondern eher im Ergebnis. Ebenso hasst nämlich auch ein Wahnsinniger sein Fleisch, wenn an sich selbst Hand anzulegen er sich bemüht, da vernünftige Überlegung ausgeschaltet ist. Ist jedoch irgend ein Wahnsinn als schlimmer einzuschätzen als die Reuelosigkeit des Herzens und der hartnäckige Wille zur Sünde? Er legt doch ruchlose Hand an sich selbst, er zerfleischt und zerstört zwar nicht das Fleisch, aber die Seele! Wenn du einen Menschen gesehen hast, der seine Hände zerkratzt und bis aufs Blut reibt, so findest du in ihm das Bild der sündigen Seele anschaulich ausgedrückt. Jene Lust weicht nämlich dem Schmerz, und dem Jucken folgt die Qual. Es war ihm dies sehr wohl bekannt, jedoch verheimlichte er es, solange er kratzte. So haben wir mit eigenen Händen die unglücklichen Seelen zerfleischt, so haben wir sie verwundet, wobei es umso schlimmer ist, je herausragender das geistige Geschöpf und je schwieriger seine Heilung ist. Freilich, dies tun wir nicht aus Eifer für Feindschaften, sondern aus einer gewissen Abgestumpftheit und inneren Unempfindlichkeit heraus. Der vergossene Geist fühlt nämlich nicht den inneren Schaden, weil er nicht im Inneren ist, sondern vielleicht im Bauch oder unterhalb des Bauches. Außerdem findet man den Sinn mancher in den Schüsseln, anderer in den Geldbeuteln. WO DEIN SCHATZ IST, sagt er, DORT IST AUCH DEIN HERZ. (Mt 6,21) Wen wundert es also, wenn die Seele die eigene Verwundung am allerwenigsten spürt, zumal sie sich selbst vergessen hat und weit weg von sich in eine weit entfernte Gegend gezogen ist? Doch wenn sie zu sich selbst zurückkehrt, wird sie erkennen, wie grausam sie unter dem Vorwand elender Jagd sich selbst zerfleischt hat. Doch konnte sie das nicht spüren, solange sie in unersättlicher Gier als wertlose Beute Fliegen zu fangen und wie die Spinnen aus ihren eigenen Eingeweiden Netze zu weben schien. 5. Gravis enim res est et nimis gravis animae laesio, praesertim si consuetudine inveteratus est morbus. 5. Bedrückend ist der Zustand, und allzu schwer ist die Verwundung der Seele, besonders, wenn die Krankheit durch Gewohnheit sich verhärtet hat.
DE POENA POST MORTEM TAM ANIMAE QUAM CARNIS, ET PAENITENTIA INFRUCTUOSA. VON DER STRAFE NACH DEM TOD FÜR DIE SEELE WIE FÜR DEN LEIB UND VON DER UNFRUCHTBAREN BUSSE.    
6. Erit autem hic reditus sine dubio vel post mortem, cum universa, quibus ad vagandum foras et inutiliter sese occupandum, in eam quae praeterit huius mundi figuram egredi consueverat, ostia corporis clausa erunt, ut necessario maneat in seipsa, cui nullus iam pateat exitus a seipsa. Verum is quidem perniciosissimus erit reditus, et miseria sempiterna, quando iam paenitentia haberi poterit, agi non poterit. Ubi enim deerit corpus, actus non erit. Sane ubi nulla fuerit actio, nec satisfactio quidem ulla poterit inveniri. Quocirca paenitentiam quidem habere, dolere est; nam paenitentiam agere, remedium doloris est. Neque enim carenti manibus erit ultra levare cor in caelum cum manibus; sed quisquis ante obitum carnis non redierit ad seipsum, in seipso maneat necesse est in aeternum. Sed in quali seipso? Qualem sese refecit in hac vita, qualem invenerit exiens ab hac vita, nisi quod fortasse erit nonnumquam deterior, nam melior numquam erit. Habet enim hoc ipsum, quod nunc ponit, quandoque recipere corpus, non tamen ad paenitentiam, sed ad poenam, ubi nimirum peccati ipsius et carnis quodammodo similis videbitur esse condicio, ut quemadmodum culpa semper puniri poterit nec umquam poterit expiari, sic nec in corpore aliquando tormenta finiri, nec corpus ipsum exanimari valeat in tormentis. Merito quidem ultio sempiterna desaeviet, quod numquam possit culpa deleri; nec substantia carnis deficiet, ne simul cogatur etiam afflictio carnis terminari. Haec, fratres mei, qui pavet, cavet; qui negligit, incidit. 6. Es wird jedoch diese Rückkehr spätestens nach dem Tod stattfinden, wenn alle Pforten des Körpers, wodurch die sie hinauszugehen pflegte, um draußen herumzuschweifen und sich nutzlos mit der vergänglichen Gestalt dieser Welt zu beschäftigen, geschlossen sein werden. So muss sie notwendigerweise in sich selbst bleiben, wenn ihr kein Weggang von sich selbst mehr offen steht. Diese Rückkehr wird wahrlich sehr verderblich sein, und ein endloses Elend, da sie dann zwar Reue spüren, aber nicht mehr Buße tun kann. Wo nämlich der Leib fehlt, wird kein Handeln sein. Wo aber kein Tun vorliegt, wird natürlich auch keine Genugtuung zu finden sein. Deswegen bedeutet Reue verspüren in etwa dasselbe wie Schmerz empfinden; Buße tun ist jedoch das Heilmittel für den Schmerz. Denn für einen, der keine Hände hat, wird es zu weit gehen, sein Herz mit den Händen in den Himmel heben. Wer somit vor dem Tod des Fleisches nicht zu sich selbst zurückgekehrt ist, muss zwangsläufig ewig in sich selbst bleiben. Doch in welchem Ich-Selbst? Wie er sich nämlich in diesem Leben gemacht hat, so wird er sich vorfinden, wenn er aus diesem Leben scheidet, wenn er nicht - was vielleicht sein kann - manchmal noch unseliger wird, denn besser wird er niemals sein. Er muss nämlich diesen Leib selbst, den er jetzt ablegt, irgendwann einmal wieder aufnehmen, und zwar nicht zur Buße, sondern zur Strafe, wobei die Lage der Sünde selbst und des Fleisches gewissermaßen ähnlich zu sein scheint. So wie die Schuld immer nur bestraft und niemals gesühnt werden kann, so werden auch im Leib nie die Qualen beendet werden, noch wird der Leib selbst in den Qualen zugrunde gehen können. Verdientermaßen wird somit die ewige Strafe dahinwüten, weil die Schuld niemals getilgt werden kann, die Substanz des Fleisches jedoch nicht schwinden, damit die Züchtigung des Fleisches nicht zwangsläufig gleichzeitig zu Ende geht. Wem das, meine Brüder, Angst macht, der gibt acht! Wer sich achtlos verhält, fällt hinein!    

V. IN PRAESENTI VERMIS CONSCIENTIAE SENTIENDUS AC SUFFOCANDUS, NON IN IMMORTALITATEM FOVENDUS AC NUTRIENDUS.

V. IN DER GEGENWART MUSS DER GEWISSENSWURM GEFÜHLT UND ERSTICKT WERDEN, NICHT BIS ZUR UNSTERBLICHKEIT GEHEGT UND ERNÄHRT.    
7. Ut ergo redeamus ad vocem unde processimus: expedit nobis profecto redire ad cor, dum illic iter, quo ostendat nobis salutare suum, qui tanto studio pietatis illuc revocat praevaricatores. Nec sentire interim pigeat morsus vermis interni, aut periculosa quaedam animi teneritudo, et perniciosa mollities persuadere queat, ut praesentem velimus dissimulare molestiam. Optimum est tunc sentiri vermem, cum possit etiam suffocari. Itaque mordeat nunc ut moriatur, et paulatim desinat mordere moriente. Rodat interim putredinem, ut rodendo consumat, et ipse quoque pariter consumatur, ne foveri incipiat in immortalitatem. VERMIS, inquit, EORUM NON MORIETUR, ET IGNIS EORUM NON EXSTINGUETUR. A facie illorum morsuum quis sustinebit? Multiplex enim nunc consolatio arguentis conscientiae relevat cruciatum. Benignus est Deus, qui non patitur nos tentari supra quam possumus, nec vermem hunc supra modum patitur malignari. Maximeque inter initia conversionis oleo misericordiae linit ulcera, ut nec morbi quantitas, nec difficultas curationis ultra quam expedit innotescat; magis autem arridere videtur facilitas quaedam, quae postmodum evanescit, quando iam exercitatos habenti sensus certamen forte datur, ut vincat et discat quoniam omnium potentior est sapientia. Interim sane audiens quis vocem Domini: REDITE, PRAEVARICATORES, AD COR, et tantis in interiore cubiculo obscenitatibus deprehensis, singula quaeque rimari satagit, et quonam haec influxerint aditu, curiosus vestigator explorat; nec difficile patet foramen, immo foramina contuenti. Sed nec parum illi ex hac consideratione doloris accedit, cum per fenestras proprias mors ista deprehenditur introisse. Multa siquidem admisisse videtur petulantia oculorum, multa pruritus aurium, multa quoque olfaciendi, gustandi tangendique voluptas. Nam spiritualia quidem vitia, quorum supra meminimus, difficile adhuc, prout sunt, carnalis examinat. Unde fit, ut quae graviora sunt, aut minus, aut minime sentiat, nec tam superbiae aut invidiae quam flagitiosorum aut facinorosorum recordatione actuum mordeatur. 7. Um also zu der Stimme zurückzukehren, von der wir ausgegangen sind: Es ist für uns tatsächlich förderlich, ins Herz zurückzukehren, solange dort der Weg ist, auf dem uns Gott sein Heil zeigen will - er, der mit soviel frommem Eifer die Frevler dorthin zurückruft. Nicht verdrießen darf es uns einstweilen, die Bisse des inneren Wurmes zu verspüren, noch soll uns eine gewisse gefährliche Empfindlichkeit der Seele oder eine verderbliche Weichheit übertölpeln können, so dass wir die gegenwärtige Last übergehen wollten. Es ist ja das Beste, den Wurm dann zu spüren, wenn er auch erstickt werden kann. Daher soll er nur jetzt beißen, um zu sterben und durch sein Sterben allmählich mit dem Beißen aufzuhören. Er soll nur einstweilen die Fäulnis annagen, durch sein Nagen verzehren und selbst in gleicher Weise auch verzehrt werden, damit er nicht für die Unsterblichkeit gehegt zu werden beginne. DER WURM IN IHNEN, sagt der Prophet, WIRD NICHT STERBEN UND DAS FEUER IN IHNEN NICHT ERLÖSCHEN. (Jes 66,24) Angesichts dieser Bisse, wer soll das aushalten? Vielfacher Trost erleichtert nämlich jetzt die Qual des anklagenden Gewissens. Gütig ist Gott, der nicht zulässt, dass wir über unsere Kraft hinaus versucht werden, noch, dass uns dieser Wurm über das Maß hinaus zusetzt. Zu Beginn der Bekehrung lindert er am meisten mit dem Öl der Barmherzigkeit die Geschwüre, so dass man weder das Ausmaß der Krankheit noch die Schwierigkeit der Heilung über das zuträgliche Maß hinaus bekannt wird. Eher scheint einem eine gewisse Leichtigkeit zuzulächeln, die später verschwindet, wenn dem, der schon erprobte Sinne hat, ein starker Kampf aufgegeben ist, um zu siegen und zu lernen, dass die Weisheit mächtiger ist als alles. Sobald freilich einer inzwischen die Stimme des Herrn hört IHR FREVLER, KEHRT ZUM HERZ ZURÜCK (Jes 46,8), und nach der Entdeckung von soviel Unflat im inneren Gemach alles einzeln ausforschen will, wenn er als neugieriger Prüfer erkundet, wie denn all das eingedrungen ist, dann öffnet sich ohne Schwierigkeit seinem Blick die Öffnung, oder vielmehr die Öffnungen. Jedoch kommt ihm aus dieser Betrachtung einiges an Schmerz, wenn begriffen wird, dass dieser Tod durch die eigenen Fenster eingetreten ist. Viel scheint nämlich die Keckheit der Augen, viel das Jucken der Ohren, viel auch die Lust am Riechen, Schmecken und Berühren eingelassen zu haben. Die geistigen Laster aber, die ich oben erwähnt habe, erforscht der fleischliche Mensch nur schwierig in ihrer Eigenart. Daher kommt es, dass er das Schwerwiegendere entweder nur wenig oder keinesfalls merkt und weniger durch die Erinnerung an Hochmut und Neid als an Schandtaten und Übeltaten gebissen wird. 7. Verumtamen benignus est Deus, qui non patitur electum suum tentari supra id quod possit. Unde fit at nec damni quantitas, nee difficultas recuperandi, quanta est innotescat. Magis autem arridet facilitas quaedam, quae post paululum evanescat, quando iam magis exercitatos habenti sensus dabitur forte certamen, at vincat et discat quoniam omnium potentior est sapientia. Nunc autem, deprehensis sordibus istis in anima sua, conturbatus pariter et confusus omnia collustrat, considerat universa, diligenter quaerens undenam venerit haec immunditia, tamquam si, videns aquam in lecto suo, quaerat for-amen per quod intravit. Invenit ergo per corporis sui membra mortem intrasse, per fenestras scilicet oculorum, quae ad visum pertinent, et per singula ceterorum sordes alias et alias introisse, et nanc ecce amaritudo eius amarissima est, cum videt non per extraneam, sed per servum proprium provenisse sibi tam immane st inaestimabile damnum. 7. Aber Gott ist gnädig, er lässt nicht zu, dass sein Erwählter über seine Kraft hinaus versucht wird. So kommt es, dass er das Ausmaß des Schadens nicht erkennt, und auch nicht, wie groß die Schwierigkeit ist, ihn wieder gutzumachen. Viel mehr lächelt eine gewisse Leichtigkeit, die sich später ein wenig verliert, wenn er schon mehr geübte Sinne hat und ihm ein harter Kampf aufgegeben wird, damit er siege und lerne, dass die Weisheit mächtiger ist als alles. Jetzt aber ist er noch gleichermaßen verwirrt und verstört, nachdem er diesen Schmutz in seiner Seele erkannt hat; er mustert alles, überdenkt das Ganze und sucht sorgfältig, woher denn diese Unreinheit gekommen sein könnte. Es ist, als würde er das Loch suchen, durch das das Wasser eingedrungen ist, das er in seinem Bett findet. Er findet also, dass der Tod durch die Glieder des eigenen Körpers eingedrungen ist, das heißt, durch die Fenster der Augen, die zum Sehen da sind, und dass durch jedes einzelne der übrigen Glieder dieser und jener Schmutz eingedrungen ist. Siehe, nun ist seine Bitterkeit am allerbittersten, wenn er sieht, dass dieser so unmäßige und unabschätzbare Schaden ihm nicht von außen sondern durch den eigenen Sklaven entstanden ist.
VI. QUOD FACILE QUIBUSDAM VIDETUR, UT VOCI DIVINAE OPTEMPERET VOLUNTAS HUMANA. VI. MANCHEN SCHEINT ES LEICHT, DASS DER MENSCHLICHE WILLE DER GÖTTLICHEN STIMME GEHORCHT.    
8. Et ecce iterum vox de nubibus dicens: Peccasti, quiesce. Et quod dicitur, tale est: Iam sentina redundans domum omnem intolerabili foetore contaminat; vanum tibi est, dum adhuc sordes influant, exhaurire, dum peccare non destiteris, paenitere. Quis enim eorum ieiunia probet, qui ad lites et contentiones ieiunant, et percutiunt pugno impie, sed et voluntates et voluptates propriae inveniuntur in eis? NON TALE EST IEIUNIUM QUOD ELEGI, DICIT DOMINUS. Claude fenestras, obsera aditus, foramina obstrue diligenter, et sic demum non subeuntibus novis, sordes poteris expurgare vetustas. Aestimat homo facile quod iubetur implendum, tamquam ignarus exercitii spiritualis. Quis enim prohibeat, inquit, quominus imperem membris meis? Indicit igitur gulae ieiunia, crapulam interdicit, obturari praecipit aures ne audiant sanguinem, averti oculos ne videant vanitatem, manus non ad avaritiam, sed ad eleemosynam magis extendi, quibus forte et laborem imponere velit, prohibens latrocinia, sicut scriptum est: Qui FURABATUR IAM NON FURETUR, MAGIS AUTEM LABORET MANIBUS SUIS QUOD BONUM EST, UT HABEAT UNDE TRIBUAT NECESSITATEM PATIENTI. 8. Sieh, wiederum spricht die Stimme aus den Wolken: Du hast gesündigt, komm zur Ruhe. Und was gesagt wird, ist folgendes: Schon besudelt die überquellende Kloake das ganze Haus mit unerträglichem Gestank, es ist für dich umsonst, den Unrat auszuschöpfen, solange immer noch neuer hereinfließt, oder Buße zu tun, solange du nicht aufgehört hast, zu sündigen. Wer würde nämlich das Fasten derer billigen, die bei Streit und Hader fasten und ruchlos mit Gewalt zuschlagen. Sowohl eigenes Wollen als auch eigene Vergnügungen finden sich doch in ihnen. DAS IST NICHT EIN SOLCHES FASTEN, WIE ICH ES BEVORZUGE, SPRICHT DER HERR. (Jes 58,6) Schließe die Fenster, verriegle die Eingänge, verstopfe sorgfältig die Löcher! So wirst du schließlich, wenn kein neuer Schmutz hinzukommt, den alten wegputzen können. Es glaubt der Mensch, was befohlen ist, sei leicht auszuführen, da er gleichsam im geistlichen Training unerfahren ist. Wer sollte mich denn hindern, sagt er, meinen Gliedern zu befehlen? Er sagt also seinem Schlund das Fasten an, untersagt den Rausch, schreibt den Ohren vor, sich zu verschließen, damit sie nicht von einer Bluttat hören, den Augen, sich wegzudrehen, um keine Eitelkeiten zu sehen, den Händen, sich nicht zur Habsucht, sondern mehr zum Almosengeben auszustrecken. Ihnen möchte er vielleicht sogar die Arbeit auferlegen und Diebstähle verbieten, so wie geschrieben steht: WER STAHL, SOLL NICHT MEHR STEHLEN. MEHR SOLL ER MIT SEINEN HÄNDEN ARBEITEN, WAS GUT IST, DAMIT ER ETWAS HAT, WOVON ER DEM NOTLEIDENDEN ABGEBEN KANN. (Eph 4,28) 8. Sed ecce vox Domini clamat ad eum dicens: Peccasti, quiesce, ac si manifestius dicat: Plena est sentina multimodis sordibus; primo obstrue foramen per quod introiit, et sie poteris exhaurire. Aestimans homo facile esse quod praecipitur, indicit gulae ieiunia, crapalam interdicit, manibus laborem imperat, prohibet latrocinia, aures obtnrari iubet ne audiant sanguinem, oculos averti ne videant vanitatem. 8. Doch siehe, die Stimme Gottes ruft und sagt zu ihm: Du hast gesündigt, komme zur Ruhe! Es ist, als ob sie ganz deutlich sagte: Voll ist die Jauchegrube von allerlei Schmutz; verstopfe zuerst das Loch, durch das er eingedrungen ist, und so wirst du ihn ausschöpfen können. Weil der Mensch glaubt, die Ausführung des Gebotes sei leicht, sagt er dem Gaumen Fasten an, er untersagt den Rausch, befiehlt den Händen Arbeit und verbietet Räuberei, er befiehlt, die Ohren zu verschließen, damit sie nicht von Bluttat hören, und die Augen abzuwenden, um keine Eitelkeit zu sehen.
9. Ceterum dum suas quibusque membris in hunc modum leges promulgat et decreta proponit, interrumpunt subito vocem iubentis ut uno impetu clamant: Unde haec nova religio? Facile iubes ut libet. Sed invenietur qui novis decretis obviet, qui novis legibus contradicat. Quis enim ille est? inquit. Et illa: Nimirum ipsa, quae paralytica iacet in domo et male torquetur. Ipsa est, in cuius nos pridem deputasti obsequium, si ignoras, ad oboediendum utique concupiscentiis eius. Expalluit miser ad hanc vocem et confusus obmutuit. Anxiabatur enim in eo Spiritus eius. Ac membra quidem ad suam illam infelicissimam dominam incunctanter accedunt, ut adversus dominum crudeliter interpellent et imperia duriora causentur. Plangit gula parsimoniae sibi modum adhibitum, prohibitam crapulae voluptatem. Oculus queritur indictas lacrimas, petulantiam interdictam. Quibus haec et similia prosequentibus excitata et vehementer exacerbata voluntas: Somniumne est, inquit, an tabula, quod narratis? Tum vero opportunum suae tempus nacta querimoniae lingua: Omnino, ait, sic est ut audisti. Nam et ego a fabulis et mendaciis iussa sum reticere et nihil deinceps nisi serium, immo et penitus necessarium loqui. 9. Während er nun allen seinen Gliedern auf diese Weise seine Gesetze erlässt und Bestimmungen vorlegt, unterbrechen sie plötzlich die Stimme des Befehlenden und rufen in einem einzigen Aufschrei: Woher kommt diese neue Religion? Du kannst leicht befehlen, wie es dir beliebt. Doch es wird sich jemand finden, der den neuen Bestimmungen entgegentritt und der den neuen Gesetzen widerspricht. Wer ist das denn? fragt er. Darauf sagt jene Stimme: Gerade die ist es, die gelähmt im Hause liegt und sich im schlimmen Schmerzen windet. (Mt 8,6) Gerade sie ist es, in deren Gefolgschaft du uns früher gestellt hast - wenn du es nicht weißt -, um ihren Gelüsten ganz zu gehorchen. Da erblich der Elende bei dieser Rede und brachte wegen seiner Verwirrung kein Wort hervor. Darin ängstigte sich nämlich sein Geist. Die Glieder hingegen wenden sich unverzüglich an ihre äußerst unglückliche Herrin, um gegen den Herrn grausam einzuschreiten und sich über die allzu harten Befehle zu beklagen. Der Gaumen beschwert sich, welch bescheidenes Maß ihm zugemutet wird, und dass ihm das Vergnügen des Rausches verboten ist. Das Auge klagt, ihm seien Tränen verordnet und die Keckheit untersagt worden. Bei diesen und ähnlichen Folgerungen fährt der Wille erregt und heftig erzürnt auf: Ist das ein Traum, sagt sie, oder ein Märchen, was ihr erzählt? Da aber spricht die Zunge, die eine günstige Gelegenheit zum Jammern erhalten hat: Es ist ganz genau so, wie du gehört hast. Denn auch mir wurde aufgetragen, Lügengeschichten zu verschweigen und von nun an nur ernsthaft, ja, kaum das Notwendige zu sprechen. 9. Sed dum in hunc modum leges promulgat et decreta proponit, interrumpunt subito vocem iubentis et aiunt: Facile iubetis ut libet, sed minus attenditis quemadmodum sese res habeat. Nescitis quoniam uxori nostrae, quae languida iacet, dati sumus ad oboediendum concupiscentiis eius? Non licet nobis facere, nisi quod illa praeceperit. Accedunt igitur ad dominam et nova mandata referant; ac dura domini sui causantur imperia. Conqueritnr gula adhibitam sibi abstinentiam, crapulam sibi prohibitam; oculas conqueritur indictas lacrimas, petulantiam interdictam, dumque novas rationis leges depromerent singula: Somnium est istud, ait volantas, an fabala quam narratis? Et lingua: Omnino sic est. Nam et a fabulis et mendaciis penitus abstinentiae mandatnm accepi, et nihil iam nisi serium et penitus necessarium loqui. 9. Doch während er auf diese Weise Gesetze verkündigt und Bescheide gibt, unterbrechen die Glieder plötzlich die Stimme des Gebietenden und sagen: Ihr könnt leicht befehlen, wie es euch beliebt, aber ihr erkennt nicht recht, wie der Stand der Dinge ist. Wisst ihr nicht, dass wir unserer Gattin, die geschwächt daniederliegt, an die Seite gegeben sind, um ihren Begierden willfährig zu sein? Uns ist nur erlaubt, das zu tun, was jene befiehlt. Sie wenden sich also an ihre Herrin, berichten von den neuen Geboten und beschweren sich über die harten Befehle des Herrn. Der Gaumen klagt, dass ihm Enthaltsamkeit anempfohlen und der Rausch untersagt worden sei; das Auge klagt, dass ihm nur Tränen zugestanden und Ausgelassenheit versagt worden sei. Während die einzelnen Glieder die neuen Gesetze der Vernunft vorbrachten, rief der Wille: Ist das ein Traum, oder erzählt ihr ein Märchen? Da sprach die Zunge: Gewiss ist es so! Denn auch ich habe den Befehl erhalten, mich ganz und gar der Fabeln und Lügen zu enthalten und in Zukunft nur Ernstes und das Nötigste zu sprechen.
QUALITER VOLUNTAS HOMINIS PER GULAM, CURIOSITATEM ET SUPERBIAM, AC PER OMNES SENSUS CARNIS RENITATUR VOCI DIVINAE. WIE DER MENSCHLICHE WILLE DURCH DIE KEHLE DIE NEUGIER UND DEN HOCHMUT UND DURCH ALLE LEIBLICHEN SINNE DER GÖTTLICHEN STIMME WIDERSTAND LEISTET.    
10. Exsilit igitur vetula furens, et totius oblita languoris, procedit horrentibus comis, veste lacera, pectore nudo, scalpens ulcera, frendens dentibus et arescens, atque ipsum inficiens aerem flatibus virulentis. Quidni confundatur, si quid adhuc superest rationis, ad talem miserae voluntatis occursum et incursum? Haec, inquit, tota est tui coniugii fides? Sic compateris male patienti? Usque adeo super dolorem vulnerum meorum addere pepercisti. Subtrahendum forsitan ex immoderata dote aliquid videbatur, sed quid relinquitur, hoc sublato? Solum hunc languenti miserae praestitisti, et omnia eius obsequia, quemadmodum sint distributa, aliquando cognovisti. Nunc autem si tibi forsitan morbi huius pessimi, quo laboro, triplex malignitas excidisse potuit, sed non mihi. Siquidem voluptuosa sum, curiosa sum, ambitiosa sum, et ab hoc triplici ulcere non est in me sanitas a planta pedis usque ad verticem. Itaque fauces, et quae obscena sunt corporis, assignata sunt voluptati, quandoquidem velut de novo necesse est singula recenseri. Nam curiositati pes vagus, et indisciplinatus oculus famulantur. At vanitati quidem auris et lingua serviunt, dum per illam impinguat caput meum oleum peccatoris; per hanc ipsa suppleo quod in laudibus meis alii minus fecisse videntur. Valde enim delector et recipere ab aliis, et, cum opportune possum, etiam tradere aliis laudes meas, et meo et alieno ore semper cupiens praedicari. Cui potissimum morbo tuum quoque ingenium plurima solet adhibere fomenta. Porro manus ipsas, quibus est undique liber motus, non uni specialiter alicui operi deputamus, sed modo vanitati, modo curiositati, modo voluptati sedulum satis exhibent ramulatum. Quibus ita dispositis, non mihi haec omnia vel in uno satisfacere aliquando potuerunt, quod non satietur oculus visu, nec auris impleatur auditu. Atque utinam inter spectandum totum aliquando corpus fieret oculus, aut inter prandendum in fauces membra omnia verterentur. Tune igitur mihi id modicum consolationis, quod utcumque mendico, tentas surripere? Dixit, et cum indignatione et furore recedens: Teneo, inquit, longumque tenebo. 10. Da springt nun die tobsüchtige Alte hervor, vergisst ihre Schwäche, tritt auf mit schrecklich zerzausten Haaren, mit zerrissenem Gewand und nackter Brust; sie kratzt an den Geschwüren, fletscht die Zähne und knirscht mit ihnen, ja, sie steckt sogar die Luft an mit ihren giftigen Ausdünstungen. Soll da nicht, wenn etwas von der Vernunft übrig ist, diese bei diesem Angriff und Zugriff des elenden Willens in Verwirrung geraten? Das, sagt er, ist deine ganze Bundestreue? So teilst du dein Mitleid mit einer schwer Leidenden? Bislang hast du so sehr mich verschont, den Schmerz meiner Wunden zu mehren. Schien es dir vielleicht nötig, etwas aus der allzu großen Gabe wegzunehmen? Doch was bleibt übrig, wenn dies entfernt ist? Nur ihn allein hast du der dahinsiechenden Unglücklichen zugestanden und all seine Gebote, wie sie auch verteilt sind, hast du einst gekannt. Nun hat aber dir vielleicht die dreifache Bösartigkeit dieser allerschlimmsten Krankheit, an der ich leide, entfallen können, aber nicht mir! Wenn ich auch vergnügungssüchtig, neugierig und ehrgeizig bin und es an mir von diesem dreifachen Geschwür keine heile Stelle von der Fußsohle bis zum Scheitel gibt. So sind der Schlund und obszönen Partien des Körpers der Lust verschrieben, da es gleichsam von neuem notwendig ist, alles einzeln durchgehen. Der Neugier dient jedoch der umherschweifende Fuß und das ungezügelte Auge. Der Eitelkeit hingegen dienen Ohr und Zunge: Durch die erstere salbt das Öl des Sünders mein Haupt, durch die letztere aber ergänze ich selbst, was andere bei meinem Lob zu wenig vollbracht haben. Es freut mich ja sehr, sowohl von anderen zu empfangen, als auch - wenn ich die günstig Gelegenheit dazu habe - anderen mein Lob mitzuteilen. So möchte ich durch eigenen und fremden Mund immer gelobt werden. Dieser Krankheit pflegt auch dein Geist am meisten die größtmögliche Pflege zuteil werden zu lassen. Die Hände hingegen, die überall freie Bewegung haben, ordnen wir nicht irgendeiner einzigen Arbeit spezieller Art zu, nein, bald erweisen sie der Eitelkeit, bald der Neugier und bald dem Vergnügen eifrige Dienste. Nachdem ich all dies so dargelegt habe, konnte mich all dies nicht einmal in einem je zufrieden stellen, da das Auge nicht vom Sehen satt, noch das Ohr vom Hören voll wird. Würde doch beim Schauen der ganze Leib irgendwann einmal zum Auge oder beim Schmausen alle Glieder zu Gaumen sich verwandeln! Du versuchst also, mir dieses bisschen Trost, das ich wie nur immer erbettle, zu entreißen? So sagte sie und ging mit Empörung und Zorn davon. Ich halte, sagte sie, und werde lange standhalten! 10. Surgit igitur vetula fracto sinu, nudo pectore, pruriente scabie, sanie defluente, procedit frendens dentibus, spirans minarum et dirum toto pectore virus exhalans. Confunditur ratio ad talem infandae mulieris occursum pariter et incursum. Sic enim in illam invehitur vetula et, immemor inveterati languoris, exclamat: Haec veritas vestra? Haec vestri fides coniugii? Hanc mihi, inquit, servatis fidem? Hanc exhibetis honorem? Unum tantum dedistis servulum vilem miserae languenti, et nunc ipsum tentatis auferre. Ubi saltem libellus repudii? Alioquin, quid dote privor absque iudicio? Postremo etsi forte vobis excidit triplex infirmitas, qua ab ipsis paene cunabulis laboro, sed non mihi, nam et voluptuosa, et curiosa, et ambitiosa sum ego, sie occupata hoc triplici morbo, ut a planta pedis usque ad verticem non sit in me sanitas ulla. Ergo voluptati quidem deditae sunt fauces et gula. Quandoquidem oportet nunc tamquam de novo singula exponere vobis. Curiositati deserviunt pes deducens et oculus spectans, vanitati vero auris et lingua, dum per illam oleum peccatoris impinguat caput meum. Per hanc in verbo iactantiae suppleo quod minus alii faciunt in laudibus meis. Valde enim delector et laudari ab aliis, et laudare me ipsam, cui morbo vanitatis etiam ingenium vestrum multa solet adhibere fomenta. Porro manus, quae libere moventur, et undique membris omnibus auxiliam praebent, et ad omnia sunt paratae, et cum sic totum corpus in meos usus inordinate sit ordinatum, numquam mihi vel in uno potuerunt membra omnia satisfacere, eo quod non satietur oculus visu nec impleatur auris auditu; nunc antem super dolorem ulcerum meorum addere non pepercistis, quando id parum consolationis, quod utcumque mendicare possam, voluistis auferre. Dixit et cum indignatione recedens: Teneo, inquit, longumque tenebo. 10. Also erhebt sich die Alte und tritt vor mit zerrissenem Kleid und entblößter Brust; sie ist übersät mit juckendem Aussatz, der Geifer tropft herab, und sie knirscht mit den Zähnen. Jeder Atemzug ist eine Drohung, und aus der ganzen Brust dringt grausiges Gift. Die Vernunft wird in Verwirrung bei dieser Begegnung mit dem schrecklichen Weib, ja, bei diesem Angriff. Denn die Alte dringt so wild auf sie ein, ohne an ihre alt gewohnte Schlaffheit zu denken und schreit: Ist das eure Wahrheit? Ist das euer Treuebund? Haltet ihr mir, sagt sie, so die Treue? Ist das die Ehre, die ihr mir entgegenbringt? Einen einzigen wertlosen Diener habt ihr mir Unglücklichen in meiner Schwäche gegeben, und jetzt versucht ihr, mir auch den noch zu nehmen? Wo ist wenigstens das Scheidebuch? Und überhaupt, wieso werde ich ohne Urteil der Mitgift beraubt? Und wenn euch zuletzt etwa die dreifache Krankheit entfallen ist, an der ich fast von der Wiege an leide, so ist sie doch mir nicht entfallen; ich bin nämlich genusssüchtig, neugierig und ehrgeizig, ich bin von dieser dreifachen Krankheit derart befallen, dass von der Sohle bis zum Scheitel nichts Gesundes an mir ist. So sind Schlund und Kehle dem Vergnügen ergeben. Wenn es nun sein muss, lege ich euch gleichsam von neuem alle Einzelheiten dar: Der Neugierde dient mein verführerischer Fuß und das blickende Auge; der Eitelkeit aber dienen das Ohr und die Zunge, indem durch das eine das Öl des Sünders meinen Kopf salbt. Dadurch ergänze ich in einem Wort der Prahlerei , was andere weniger zu meinem Ruhm tun. Es bereitet mir ja großes Vergnügen, von anderen gelobt zu werden und mich selbst zu loben. Dieser Krankheit der Eitelkeit pflegt auch euer Geist viele Umschläge zu machen. Ferner sind die Hände, die sich frei bewegen und von überallher allen Gliedern Hilfsdienste leisten, zu allem bereit. Obwohl so zu meinem Gebrauch der ganze Körper ordnungswidrig geordnet ist, konnten mir doch alle Glieder niemals genug tun, auch nicht darin, dass weder das Auge vom Schauen satt noch das Ohr vom Hören erfüllt werden kann. Jetzt aber hast du es mir nicht erspart, zum Schmerz meiner Geschwüre einen neuen hinzuzufügen: du wolltest mir auch diesen allzu geringen Trost nehmen, um den ich wie auch immer zu betteln vermag. So sprach sie und wich in Empörung zurück. Ich halte, sagte sie, und ich werde lang standhalten.
UT RATIO ANIMAE, IAM TANDEM VEXATA, PRAESUMPTAE FACILITATIS ARGUATUR ET DIFFICULTATE CONFUNDATUR. DIE VERNUNFT DER SEELE, DIE SCHON LANGE GEQUÄLT WURDE, WIRD DER VORSCHNELLEN LEICHTIGKEIT ANGEKLAGT UND DURCH DIE SCHWIERIGKEIT VERWIRRT.    
11. Iam vero ratione ipsa vexatio dat intellectum, iam innotescit aliquatenus huius negotii difficultas, iam praesumpta facilitas. Videt enim memoriam plenam spurcitiarum, videt abundantius alias atque alias influere sordes, videt ipsas fenestras morti patulas claudi omnino non posse, quod adhuc praesidens voluntas languida dominetur, e cuius ulceribus sanies universa profluxit. Videt denique anima sese contaminatam, nec per alium, sed per proprium corpus, nec aliunde quam a seipsa. Est enim quiddam animae, sicut memoria quae inficitur, sic voluntas ipsa quae inficit. Denique tota ipsa nihil est aliud quam ratio, memoria et voluntas. Nunc autem et ratio minus habens, caeca quodammodo, quod hactenus ista non viderit, infirma omnino quod ne agnita quidem praevaleat reparare, et memoria foedissima pariter et foetidissima, et voluntas languida et horrendis ulceribus undique scaturiens invenitur. At ne quid ex Omnibus quae sunt hominis relinquatur, ipsum etiam corpus rebelle est, et singula membra fenestrae singulae, quibus mors intrat ad animam, et incessanter exuberat ipsa confusio. 11. Nun aber gibt gerade die Quälerei im Verstand die Einsicht, schon wird ein wenig die Schwierigkeit dieser Aufgabe offenkundig, schon erweist sich die Zustimmung als vorschnell. Er sieht nämlich das Gedächtnis voller Schmutz, er sieht den einen oder anderen Unrat überreichlich einfließen, er sieht, dass die Fenster, die dem Tod geöffnet sind, überhaupt nicht geschlossen werden können, dass noch immer der kranke Wille als Vorsitzender den Ton angibt, aus dessen Geschwüren aller Eiter troff. Die Seele sieht schließlich, dass sie befleckt ist, nicht durch einen anderen, sondern durch den eigenen Leib, und von nichts anderem als von sich selbst. Es gibt manches an der Seele wie das Gedächtnis, das angesteckt wird, wie auch der Wille selbst, der es ansteckt. Die ganze Seele ist ja nichts anderes als Vernunft, Gedächtnis und Wille. Nun aber erweist sich die Vernunft als zu gering, gewissermaßen blind, weil sie das bisher nicht eingesehen hat, als ganz schwach, weil sie nicht einmal das Zuerkannte zu verbessern vermag; das Gedächtnis dagegen als gleichermaßen hässlich und übel riechend, der Wille aber als träge und rundum bedeckt mit schrecklichen Geschwüren. Und damit nichts von allem, was den Menschen betrifft, übrig bleibt, ist auch der Leib selbst in Aufruhr, und jedes einzelne Glied ein Fenster, durch das der Tod zur Seele tritt und unablässig die Verwirrung selbst überbordet. 11. Quid agat inter haec ratio? Innotescit aliquatenus rei difficultas et frustra sperata facilitas evanescit. Ecce tribulatio super tribulationem et super anxietatem anxietas. Videt multimodis sordibus plenam esse memoriam et adhuc tanto impetu sordes influere, ut non possit opilare foramen. Videt denique anima inquinatam se esse non per alienum, sed per corpus suum, non aliunde, a seipsa. Ab ulceribus enim voluntatis sanies tota profluxit et profluit. Quiddam vero animae ipsius voluntas, sicat et memoria. Tota ipsa nihil est aliud quam ratio, memoria et voluntas. Nunc autem ratio, quidem inventa est minus habens, caeca quodammodo quae tanto tempore ista non viderit, debilis omnino quae nec visa possit corrigere. Memoria vero foeda et foetida invenitur, voluntas languida et horrendis ulceribus scaturiens undique. Servum unum habebat, corpus loquor, sed et ille rebellis inventus est et spiritui non subiectus. 11. Was soll die Vernunft inzwischen tun? Die Schwierigkeit der Aufgabe wird ihr nun einigermaßen bewusst, und die vergeblich erhoffte Leichtigkeit entschwindet. Trübsal über Trübsal, Angst über Angst! Sie sieht das Gedächtnis voll von Unrat jeglicher Art, sie sieht, dass der Schmutz noch immer in solchem Schwall eindringt, dass sie nicht das Loch verstopfen kann. Schließlich sieht die Seele, dass sie nicht durch einen fremden, sondern durch den eigenen Körper beschmutzt worden ist, nicht durch fremde Einwirkung, sondern durch sich selbst, denn der ganze Eiter floss aus den Geschwüren des Willens hervor und er fließt weiter. Der Wille aber, wie auch das Gedächtnis, ist Bestandteil der Seele selbst, ist doch die ganze Seele selbst nichts anderes als Vernunft, Gedächtnis und Wille. Jetzt aber hat sich die Vernunft als schwach erwiesen, in gewisser Weise blind, weil sie diese Dinge so lange nicht gesehen hat, und völlig schwach, weil sie das Gesehene nicht zum Besseren wenden kann. Das Gedächtnis aber erweist sich als hässlich und übel riechend, der Wille als schlaff und übersät mit grässlichen Geschwüren. Einen Sklaven hatte sie ich rede vom Körper , aber auch dieser erwies sich als aufrührerisch und dem Geist nicht unterworfen.
VII. RESPIRATIO CONSOLATIONIS, QUANDO HUIUSCEMODI BEATITUDINEM AUDIT PROMITTI REGNI CAELESTIS. VII. DAS AUFATMEN IM TROST, WENN DIE SEELE DIE SELIGKEIT DERARTIG HÖRT, DASS DAS HIMMELREICH VERSPROCHEN WIRD.    
12. Audiat ergo anima, quaecumque eiusmodi est, vocem divinam, et audiat cum stupore et admiratione dicentem: BEATI PAUPERES SPIRITU, QUONIAM IPSORUM EST REGNUM CAELORUM. Quis spiritu pauperior eo, qui in toto spiritu suo non invenit requiem, non invenit ubi caput reclinet? Hoc quoque consilium pietatis, ut qui sibi displicet, placeat Deo, qui propriam domum odit, domum utique plenam spurcitiae et infelicitatis, invitetur ad domum gloriae, domum non manu factam, aeternam in caelis. Nec mirum si huius dignationis magnitudinem expavescit, si difficile credit huic auditui, si vehementi stupore admiratur, et ait: Ergone beatum hominem miseria facit? Ceterum quisquis eiusmodi est, non diffidas. Non miseria, sed misericordia facit beatum; sed huius propria sedes miseria est. Aut certe faciat beatum ipsa miseria, ut humiliatio in humilitatem transeat, necessitas in virtutem. PLUVIAM, inquit, VOLUNTARIAM SEGREGABIS, DEUS, HEREDITATI TUAE, ET INFIRMATA EST, TU VERO PERFECISTI EAM. Utilis prorsus infirmitas, quae medici manum requirit, et salubriter a se deficit, quem perficit Deus. 12. Es höre nun jede Seele, die sich derartig fühlt, auf die Stimme Gottes. Sie höre mit Staunen und Bewunderung, wenn diese sagt: SELIG DIE ARMEN IM GEISTE, DENN IHRER IST DAS HIMMELREICH. (Mt 5,3) Wer ist ärmer im Geist als der, der in seinem ganzen Geist keine Ruhe findet, keinen Ort findet, wo er sein Haupt hinlegen kann? Auch das ist der Ratschluss der Religion, dass jeder, der sich selbst missfällt, Gott gefällt, und dass der, der sein eigenes Haus hasst, ein Haus voller Schmutz und Unglück, in das Haus der Ehre, in ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel (2 Kor 5,1) eingeladen wird. Kein Wunder, wenn er über die Größe dieser Würdigung erblasst, wenn er dieser Kunde nur schwer glaubt, wenn er voll heftigem Erstaunen sich wundert und fragt: Macht also das Elend den Menschen glücklich? Wer auch immer so geartet ist, hege kein Misstrauen! Nicht das Elend, sondern das Erbarmen macht glücklich, doch es hat seinen eigenen Sitz im Elend. Aber gewiss kann das Elend selbst selig machen, so dass die Demütigung in Demut übergeht, der Zwang in die Tugend. GERNE WIRST DU GOTT, DEINEM ERBE SEGEN SPENDEN, sagt er, ES IST GESCHWÄCHT, ABER DU HAST ES VOLLENDET. (PS 67,10) So nützlich ist die Schwäche, die nach der Hand des Arztes verlangt, und heilsam wendet der sich von sich ab, den Gott vollendet. 12. Quid magis utile animae huiuscemodi est, quam vocem audire divinam: BEATI PAUPERES SPIRITU? Quis enim pauperior spiritu, quando quidem in toto spiritu suo non habet ubi caput suum reclinet? Optime quoque nunc agitur, ut qui non invenit requiem in seipso, ad Dominum convertatur. Non invenis, ait Dominus, in teipso ubi maneas, domus tua impleta est spurciciis, plena miseriis? Habeto domum non manufactam aeternam in caelis. BEATI PAUPERES SPIRITU, QUONIAM IPSORUM EST REGNUM CAELORUM. Sed quis credat huic auditui? Stupet ille stupore vehementi et, supra quam credi possit admirans, ait: Quomodo et de miseria beatus ero, qui non supra membra mea regnum mihi vindicare possum? Qua ratione regnum caeleste sperabo? Et vox divina: BEATI MITES, QUONIAM ipsi POSSIDEBUNT TERRAM. Mitiga, inquit, efferos motus voluntatis et vehementiam eius tempera, ut fera illa pessima mansuescat et dometur, et subtilietur, ut Evam tuam eatenus contristare non possis. Ligatus es: quaere ut solvi possit quod rumpi omnino non potest. 12. Was könnte für die Seele in diesem Zustand nützlicher sein, als die göttliche Stimme zu hören: SELIG DIE ARMEN IM GEISTE (Mt 5,3)? Denn wer wäre ärmer im Geist, da sie doch in ihrem ganzen Geist keinen Ort hat, wo sie ihr Haupt hinlegen könnte? Auch jetzt ist es das beste, dass sich der, der in sich selbst nicht Ruhe findet, dem Herrn zuwendet. Findest du, spricht der Herr, in dir selbst keine Ruhestätte, ist dein Haus angefüllt mit Schmutz, voll von Elend? Du sollst nicht ein selbstgebautes, ewiges Haus im Himmel haben. SELIG DIE ARMEN IM GEISTE, DENN IHRER IST DAS HIMMELREICH. Aber wer sollte diesem Wort glauben? Er erstarrt in heftigem Staunen, er wundert sich, mehr als man glauben könnte, und spricht: Wie werde ich aus meinem Elend glücklich sein, der ich nicht einmal über meine Glieder die Herrschaft erringen kann? Mit welchem Vernunftgrund soll ich das himmlische Reich erhoffen? Und die göttliche Stimme spricht: SELIG DIE SANFTMÜTIGEN, DENN GERADE SIE WERDEN DAS LAND BESITZEN. (Mt 5,4) Sänftige die wilden Regungen des Willens und mäßige ihre Heftigkeit, damit jene schlimmste Bestie zahm, gebändigt und fein wird, so dass du dann deine Eva nicht mehr betrüben kannst. Du bist gebunden: Suche, wie gelöst werden könnte, was keinesfalls zerrissen werden kann.
QUOD HOC REGNUM SPERARE NON POSSIT IN CUIUS ADHUC CARNE PECCATUM REGNAT, ET IDEO ATTENDENDUM QUOD SEQUITUR: BEATI MITES, ETC. AUF DIESES REICH KANN DER NICHT HOFFEN, IN DESSEN FLEISCH NOCH DIE SÜNDE HERRSCHT, UND DESHALB MUSS MAN DAS FOLGENDE BEACHTEN: SELIG DIE SANFTMÜTIGEN ETC.    
Sed quia non est via ad regnum Dei sine primitiis regni, nec sperare potest caeleste regnum, cui nec super propria membra adhuc regnare donatur, sequitur ergo vox dicens: BEATI MITES, QUONIAM IPSI HEREDITABUNT TERRAM, ac si evidentius dicat: Mitiga efferos motus voluntatis, et crudelem bestiam mansuescere cura. Ligatus es: solvere studeas quod rumpere omnino non possis. Eva tua est. Vim facere, aut eatenus offendere eam nullo modo praevalebis. Doch da es keinen Weg zum Reich Gottes gibt ohne die Erstlinge des Reiches, und keiner die Himmelsherrschaft erhoffen kann, dem die Herrschaft über die eigenen Glieder noch nicht geschenkt wurde, spricht die Stimme weiter: SELIG DIE SANFTMÜTIGEN, DENN SIE WERDEN DAS LAND ERBEN (Mt 5,4), als wollte sie umso deutlicher sagen: Besänftige die wilden Erregungen des Willens und sorge dafür, das grausame Tier zu zähmen. Du bist gebunden: Bemühe Dich, den Knoten zu lösen, den du unmöglich zerreißen kannst. Er ist deine Eva. Um Gewalt anzuwenden oder sie gar anzugreifen, wirst du keineswegs schaffen.    
VIII.13. Nec mora, respirans homo inter haec verba, atque id quoque facilius reputans, licet verecundus, accedit et delinire satagit viperam inflammatam. Arguit vitae carnalis illecebras, et consolationes saecularis nugacitatis accusat, tamquam exiguas et indignas, sed et brevissimas quoque et perniciosissimas omnibus amatoribus suis. VIII.13. Ohne Zeit zu verlieren, wenn auch scheu, geht der Mensch, der unter diesen Worten aufatmet und dies auch für leichter hält, heran und sucht die aufgeheizte Schlange zu besänftigen. Er greift die Verlockungen des fleischlichen Lebens an und klagt die Tröstungen irdischer Possenreißerei an, sowohl gering und unwürdig, als auch sehr kurzlebig und verderblich für alle zu sein, die sie lieben. 13. At ille facile et hoc reputans, licet verecundus, accedit et delinire tentat viperam inflammatam, illud maxime memorans, quoniam servus iste tibi diu servire non potest et quam diu inhaesisti ei, sicut ipsa fateris quod nulli umquam infirmitati tuae potuit satisfacere. 13. Doch jener erachtet auch das als leicht und geht, wenn auch scheu, ans Werk und sucht die erregte Schlange zu besänftigen, indem er vor allem an Folgendes erinnert: Dieser Sklave kann dir nicht lange dienen, und solange du dich an ihn klammert hast, konnte er deiner Schwäche Abhilfe tun, wie du selbst zugibst.
APPETITUS GULAE ET LIBIDINIS ACTUS ET EXITUS QUIS HABEATUR, CURIOSITATIS VANITAS ET AMOR DIVITIARUM QUEM FINEM HABEANT. TATEN UND AUSWIRKUNGEN GAUMENLUST UND BEGIERDE HABEN, UND WOHIN DIE NICHTIGKEIT DER NEUGIER UND DIE LIEBE ZUM REICHTUM FÜHREN.    
Super hoc, ait, nequam et inutili servo tuo ipsa fatere. Nec enim ?? infidiare ?? potes, ne in modico quidem tibi universa eius obsequia satisfacere aliquando potuisse. Voluptas gutturis, quae tanti hodie aestimatur, vix duorum obtinet latitudinem digitorum, et huius tam modicae partis tam exigua delectatio quanta paratur sollicitudine, quantam deinde molestiam parit? Hinc monstruosius dilatantur renes et humeri, hinc tumentes uteri non tam impinguantur quam impraegnantur a ruina, et dum carnis onus ossa non sustinent, etiam morbi varii generantur. Sic libidinis illecebrosa vorago quantis laboribus et dispendiis, interdum et famae vel honoris, aut etiam vitae ipsius periculo comparatur, ut ad modicum flagrans sulfureus vapor furentes stimulis agat, et apum par volantum, ubi male grata mella fuderit, nimis tenaci feriat icta corda morsu, cuius appetitus anxietatis et vecordiae, actus abominationis et ignominiae, exitus paenitudinis et verecundiae plenus esse dignoscitur. Dazu sagt er: Gib das alles deinem schlechten und unwürdigen Diener doch selbst zu. Du kannst es nämlich nicht leugnen: Seine ganze Gefolgschaft konnte dich nie auch nur gegrenzt zufrieden stellen. Das Vergnügen der Kehle, die heute so hoch geschätzt wird, erreicht kaum eine Breite von zwei Fingern. Und dennoch - mit welcher Umsicht wird dieses so kleine Vergnügen eines so unbedeutenden Körperteils vorbereitet und welch große Last bereitet es selbst danach? Seinetwegen dehnen sich die Nieren und Schultern schrecklich aus, seinetwegen werden die schwellenden Fettwänste nicht fett allein, sondern untergangsträchtig, und da die Knochen die Last des Fleisches nicht aushalten, werden verschiedene Folgekrankheiten erzeugt. Mit wie viel Mühen und welch großem Einsatz wird auch der verführerische Abgrund der Begierde erkauft, ja bisweilen sogar mit Gefahr für Ruf oder Ehre oder selbst für das Leben, so dass der lodernde Schwefeldampf die Rasenden mit Stacheln ein gehöriges Maß antreibt. Wie den fliegende Bienen gleich jagt er die zerstochenen Herzen mit allzu heftigem Biss dorthin, wo er den zum Bösen verheißenen Honig ausgegossen hat. Sein Streben ist erkennbar voll Angst und Wahnsinn, sein Tun voll Abscheulichkeit und Schande, sein Ende voll von Reue und Scham.    
14. Ceterum spectacula vana, rogo, quid corpori praestant, quidve animae conferre videntur? Nam tertium nihil in homine cui curiositas prosit invenies. Frivola prorsus et inanis ac nugatoria consolatio, et nescio quid illi durius imprecer, quam ut semper habeat quod requirit, qui iucundae quietis fugitans curiosa inquietudine delectatur. Liquet sane vel ex hoc ipso nihil his omnibus delectationis inesse, quorum solus transitus iuvat. Ceterum vanitas vanitatum quam nihil sit, vel ex ipso nomine manifestius indicatur. Vanus utique labor, qui studio vanitatis assumitur. 0 DOXA! DOXA, ait Sapiens, IN MIILIBUS MORTALIUM NIHIL ALIUD QUAM AURIUM INFLATIO VANA! Et tamen quantam putas infelicitatem haec ipsa non tam felix vanitas quam vana felicitas parit? Hinc namque caecitas cordis, sicut scriptum est: POPULE MEUS, QUI TE BEATIFICANT IN ERROREM TE INDUCUNT. Hinc cervicosus furor animositatis, hinc suspicionis labor anxius, hinc livoris crudele tormentum, et cremantis invidiae miserior quam miserabilior cruciatus; sic divitiarum amor insatiabilis longe amplius desiderio torquet animam quam refrigeret usu suo, utpote quarum acquisitio quidem laboris, possessio timoris, amissio plena doloris invenitur. Postremo UBI MULTAE OPES, MULTI ETIAM QUI COMEDUNT EAS, et usus quidem divitiarum apud alios, divitibus solum nomen cedit et sollicitudo. Et in his omnibus pro tam exiguis, aut magis ne exiguis quidem, sed nullis, eam parvipendere gloriam, quam nec oculus vidit, nec auris audivit nec in cor hominis ascendit, quae praeparavit Deus diligentibus se, non tam insipientiae quam infidelitatis esse videtur. 14. Die leeren Schauspiele aber, was bitte leisten sie für den Leib oder was scheinen sie für die Seele zu bringen? Denn nichts Drittes wirst du im Menschen finden, dem die Neugier nützte. Ganz oberflächlich, nutzlos und lächerlich ist dieser Trost, und ich weiß nicht, was ich jenem Menschen Schlimmeres wünschen könnte, als dass er immer hat, was er sich wünscht - er, der die angenehme Ruhe meidet und sich an der neugierigen Unruhe erfreut. Gerade daraus wird ganz klar, dass in all dem keine Freude steckt, dessen Übergang allein hilft. Wie nichtig übrigens die Nichtigkeit der Nichtigkeiten ist, wird bereits aus dem Namen allein allzu deutlich gezeigt. Nichtig ist freilich die Mühe, die man im Verlangen nach Nichtigkeit auf sich nimmt. O SCHEIN, SCHEIN, sagt der Weise, BEI TAUSENDEN VON MENSCHEN FINDET SICH NICHTS ANDERES ALS LEERE AUFGEBLASENHEIT DER OHREN! Und dennoch, wie viel Unglück, glaubst du, erzeugt gerade diese glückliche Nichtigkeit, oder besser nichtige Glücklichkeit! Von da kommt nämlich die Blindheit des Herzens, so wie geschrieben steht: MEIN VOLK, WER DICH SELIG PREIST, FÜHRT DICH IN DIE IRRE. (Jes 3,12) Von da kommt die hartnäckige Wut eines wallenden Seele, von da die angsterfüllte Mühe des Argwohns, von da die grausame Qual des Neides und die eher erbärmliche als erbarmungswürdige Marter der verzehrenden Missgunst. So quält die unersättliche Liebe zum Reichtum die Seele weit mehr durch das Verlangen, als sie diese durch dessen Gebrauch erfrischt. Seinen Erwerb findet man nämlich als mühevoll, seinen Besitz als angstvoll, sein Verlust als schmerzreich. Schließlich, WO ES VIELE SCHÄTZE GIBT, DORT GIBT ES AUCH VIELE, DIE SIE VERZEHREN. (Koh 5,10) Und der Gebrauch des Reichtums durch andere lässt den Reichen nur den Namen und die Sorge. Und für all das, was als so gering, oder besser, nicht einmal winzig klein, sondern gar nichts gilt, jene Herrlichkeit gering zu schätzen, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und keinem Menschen ins Herz gestiegen ist, das, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (1 Kor 2,9), das ist scheint nicht so sehr ein Zeichen von Dummheit als von Unglauben zu sein.    
DE INDIGNA SERVITUTE VITIORUM ET INCERTITUDINE MORTIS ET INFELICITATE DIVITIARUM CONGREGATARUM. VON DER UNWÜRDIGEN KNECHTSCHAFT DER LASTER, DER UNGEWISSHEIT DES TODES UND DER UNSELIGKEIT DES ANGEHÄUFTEN REICHTUMS    
15. Nec immerito sane mundus hic, positus in maligno, vana promissione deludit animas propriae conditionis et nobilitatis oblitas, quas non pudeat porcis in ministerio subiugari, in desiderio sociari, nec sic tamen infelici edulio satiari. Unde enim haec tanta pusillanimitas et abiectio tam miserabilis, ut egregia creatura, capax aeternae beatitudinis et gloriae magni Dei, utpote cuius sit inspiratione condita, similitudine insignita, cruore redempta, fide dotata, spiritu adoptata, miseram non erubescat sub putredine hac corporeorum sensuum gerere servitutem? Merito plane ne eos quidem apprehendere potest, quae talem deserens sponsum, tales sequitur amatores. Merito siliquas esurit et non accipit, qui porcos pascere maluit quam paternis epulis satiari. Insanus siquidem labor pascere sterilem quae non parit et viduae benefacere nolle, omittere curam cordis et curam carnis agere in desiderio, impinguare et fovere cadaver putridum, quando paulo post vermium esca futurum nullatenus dubitatur. Nam et servire mammonae et avaritiam colere, quod est servitus idolorum, aut vanitatis sectari studium, prorsus degeneris animae indicium esse quis nesciat? 15. Nicht unverdient verführt immerhin diese Welt, die im Bösen begründet ist, durch ein eitles Versprechen die Seelen, die ihre eigene Lage und ihre Vornehmheit vergessen. Sie schämen sich nicht, sich Schweinen in den Dienst zu stellen, sich ihnen im Streben zuzugesellen und doch von dem unseligen Mahl nicht gesättigt zu werden. Woher kommt nämlich dieser so große Kleinmut und die so elende Weggeworfenheit, dass die hervorragende Schöpfung, die für die ewige Glückseligkeit und Herrlichkeit des großen Gottes aufnahmefähig ist, durch dessen Einhauchung sie ja geschaffen, nach dessen Abbild sie gestaltet, durch dessen Blut sie losgekauft, mit dessen Glauben sie beschenkt und durch dessen Geist sie an Kindes Statt angenommen worden ist, sich nicht schämt, unter dieser Fäulnis der körperlichen Sinne ein Leben in Knechtschaft zu führen? Weil sie einen solchen Bräutigam verlässt und solchen Liebhabern nachläuft, kann sie selbstverständlich und verdientermaßen nicht einmal diese festhalten. Zu Recht hungert der nach den Futterschoten und erhält sie doch nicht (Lk 15,1524), der lieber Schweine hüten, als sich am Tisch des Vaters sättigen will. Unheilvoll ist nämlich die Mühe, eine Unfruchtbare zu hüten, die nicht gebiert, und der Witwe nichts Gutes tun zu wollen, die Sorge um das Herz aufzugeben und die Sorge für das Fleisch, in der Begierde zu betreiben, einen modrigen Leichnam zu mästen und zu hegen, wo dieser doch kurze Zeit später zweifellos ein Fraß der Würmer sein wird. Denn sowohl dem Mammon zu dienen als auch die Habgier zu pflegen, was Götzendienst ist, oder dem Streben nach Eitelkeit anzuhängen, ist doch gewiss ein Zeichen für eine entartete Seele. Das weiß ein jeder!    
QUOD TEMPORALIA OPERA QUASI SEMINA SINT MERCEDIS AETERNAE. DIE ZEITLICHEN WERKE SIND GLEICHSAM DIE SAAT FÜR DEN EWIGEN LOHN.    
16. Esto tamen magna sint et honesta quae mundus interim amatoribus suis erogare videtur; sed infida esse quis nesciat? Certa nimirum eorum brevitas, et ipsius quoque brevitatis finis incertus. Saepe viventem deserunt; nam morientem nec raro sequuntur. Quid vero in rebus humanis certius morte, quid hora mortis incertius invenitur? Non miseratur inopiam, non divitias reveretur, non generi cuiuslibet, non moribus, non ipsi denique parcit aetati, nisi quod senibus quidem in ianuis, adolescentibus autem in insidiis est. Infelix proinde, qui in huius vitae tenebris et lubrico fidens, perituram insumit operam, nec advertit quoniam VAPOR EST AD MODICUM PARENS, et VANITAS VANITATUM. Obtinuisti tandem, ambitiose, quam ex longo concupieras dignitatem? Serva quod habes. Implesti, pecuniose, loculos tuos? Sollicitus esto ne perdas. Uberes fructus attulit ager tuus? Dirue horrea tua, ut maiora aedifices; muta quadrata rotundis, dic animae tuae: HABES MULTA BONA REPOSITA IN ANNOS PLURIMOS. Erit enim qui dicat: STULTE, HAC NOCTE ANIMAM TUAM REPETUNT A TE, QUAE AUTEM PARASTI, CUIUS ERUNT? 16. Auch wenn es große und ehrenwerte Dinge sein mögen, die die Welt einstweilen ihren Liebhabern zu gewähren scheint, so sind sie doch unzuverlässig, wer wüsste das nicht? Sicher ist dagegen ihre Kurzlebigkeit, obendrein ist das Ende dieser kurzen Dauer ungewiss. Oft lassen sie einen Lebenden im Stich, denn einem Sterbenden folgen sie nicht einmal selten nach. Was ist aber in den menschlichen Dingen sicherer als der Tod, was unsicherer als die Stunde des Todes? Er hat kein Mitleid mit der Armut, lässt sich nicht vom Reichtum beeindrucken, nimmt bei keinem Rücksicht, weder auf Abstammung noch auf Lebensführung, ja nicht einmal auf das Alter, außer dass er bei den Greisen natürlich auf der Schwelle steht, bei jungen Leuten aber im Hinterhalt liegt. Unselig ist daher, wer im Vertrauen auf die Finsternis und Unsicherheit dieses Lebens, die dem Verderben anheim fallende Mühe auf sich nimmt und nicht bemerkt, DASS ES NUR EIN NEBEL IST, DER IN GEWISSEM MASS AUFZIEHT (Jak 4,15), und NICHTIGKEIT ÜBER NICHTIGKEIT. (Koh 1,2) Hast du, Ehrgeizling, endlich die Würde erhalten, die du seit langem begehrt hattest? Bewahre Dir, was du hast. Hast du, Geldgieriger, deine Geldsäcke gefüllt? Pass auf, dass du nichts verlierst. Hat dein Acker reiche Frucht getragen? Reiß deine Getreidespeicher ab, um größere zu bauen: mach das Quadrat rund und sag deiner Seele: DU HAST VIELE GÜTER FÜR SEHR VIELE JAHRE GELAGERT. (Lk 12,19) Es wird aber einen geben, der könnte sagen: DU TÖRICHTER! NOCH IN DIESER NACHT WERDEN SIE DEINE SEELE ZURÜCKVERLANGEN VON DIR. WEM GEHÖRT DANN ALL DIES, WAS DU DIR VERSCHAFFT HAST? (Lk 12,20)    
17. Atque utinam tantum congregata perirent, et non deterius ipse quoque periret congregator eorum. Esset utique tolerabilius perituro quam peremptorio insudare labori. Nunc vero stipendia peccati mors, et qui in carne seminat, de carne metet corruptionem. Nec enim opera nostra transeunt, ut videntur; sed temporalia quaeque velut aeternitatis semina iaciuntur. Stupebit insipiens, cum ex modico semine copiosam viderit exsurgere messem seu bonam, seu malam, pro diversa qualitate sementis. Hoc qui cogitat, nullum omnino parvum reputat esse peccatum, quod futuram messem potius aestimet quam sementem. Seminant ergo dum nesciunt, seminant dum occultant homines iniquitatis mysteria, dum vanitatis consilia celant, dum perambulant in tenebris negotia tenebrarum. 17. Ach würde doch lediglich der angehäufte Reichtum untergehen, und nicht - was schlimmer ist - gerade auch der, der sie angehäuft hat! Es wäre nämlich erträglicher, sich für eine Arbeit abzuplagen, die selbst untergehen wird, als für eine, die dahinrafft! Nun aber ist der Lohn der Sünde der Tod und wer im Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten. (Rom 6,23) Denn nicht unsere Werke gehen vorüber, wie es den Anschein hat, sondern alle werden gleichsam als Samen der Ewigkeit ausgeworfen. Staunen wird der Dumme, wenn er aus einem kleinen Samenkorn eine reichliche Ernte aufgehen sieht, egal ob gut oder böse, je nach der unterschiedlichen Qualität des Saatguts. Wer dies bedenkt, wird überhaupt keine Sünde für gering ansehen, weil er mehr auf die zukünftige Ernte achtet als auf den Samen. So säen also die Menschen, ohne es zu wissen, sie säen, während sie die Geheimnisse der Bosheit verstecken, wenn sie die nichtigen Pläne verbergen, wenn sie in der Finsternis die Werke der Finsternis durchstreifen.    
IX. QUOD IMPOSSIBILE SIT PECCANTEM LATERE. IX. UNMÖGLICH IST ES FÜR DEN SÜNDER, VERBORGEN ZU BLEIBEN    
18. Parietes, inquit, sunt undique: quis me videt? Esto nemo te videat; non tamen nullus. Videt te malus angelus, videt te angelus bonus, videt bonis et malis maior angelis Deus, videt accusator, videt testium multitudo, videt et ipse iludex, cuius oportet te assistere tribunali, sub cuius sane oculis velle delinquere tam insanum, quam horrendum incidere in manus Dei viventis. Noli esse securus: latent insidiae, quas latere non possis. Latent, inquam, insidiae, quas ut deprehendere ipse non potes, sic non potes ipse non deprehendi. Audit plane qui plantavit aurem, et qui finxit oculum, ipse considerat. Non illius Solis arcet radios maceria lapidum, quos ipse creavit, non vel ipse corporis huius paries veritatis excludit aspectum. Nulla sunt eius oculis omnia, penetrabilior ancipiti gladio. Ipsas quoque non modo cernit, sed discernit cogitationum vias et medullas affectionum. Denique si non totam humani cordis abyssum et quidquid in ipso latet inspiceret et prae ipso, non ille iam nil sibi conscius iudicantis sese Domini sententiam tantopere formidaret. MIHI, inquit, PRO MINIMO EST, UT A VOBIS IUDICER AUT AB HUMANO DIE, SED NEQUE MEIPSUM IUDICO. NIHIL ENIM MIHI CONSCIUS SUM, SED NON IN HOC IUSTIFICATUS SUM. QUI AUTEM IUDICAT ME, DOMINUS EST. 18. Wände, sagt einer, sind überall, wer sieht mich? (Sir 23,18) Mag sein, dass dich kein Mensch sieht, aber dennoch ist es nicht niemand. Es sieht dich der böse Engel, es sieht dich der gute Engel, es sieht dich Gott, der größer ist als die guten und bösen Engel. Es sieht dich der Ankläger, es sieht dich die Menge der Zeugen, es sieht dich auch der Richter selbst, vor dessen Richterstuhl du stehen musst, und unter dessen Zusehen sündigen zu wollen gewiss so hirnlos ist, wie es furchtbar ist, in die Hände des lebenden Gottes zu fallen. Sei Dir nicht sicher: Auf dich lauert die Falle, der du nicht verborgen bleiben kannst. Es droht, sage ich, im Verborgenen ein Hinterhalt: und so wie du ihn selbst nicht erfassen kannst, ist es für dich selbst unmöglich, ihm zu entgehen. Es hört dich sicher der, der das Ohr eingesetzt hat, und der das Auge geformt hat, gerade der schaut dich an. Vor den Strahlen jener Sonne schützt keine Mauerwerk, die er selbst geschaffen hat, noch schließt selbst die Wand dieses Leibes den Blick der Wahrheit aus. Nichts ist alles vor seinen Augen; er durchdringt die Wand leichter als ein zweischneidiges Schwert (Hebr 4,12). Sogar die Wege der Gedanken und das Innerste der Gefühle sieht er nicht bloß, sondern er durchschaut sie. Denn wenn er letztendlich nicht den ganzen Abgrund des menschlichen Herzens sowie alles, was in ihm und vor ihm verborgen ist, sähe, dann würde wohl jener, der sich doch keiner Schuld mehr bewusst war, den Satz des richtenden Herrn nicht so sehr fürchten: MIR, sagt er, IST ES UNWICHTIG, OB ICH VON EUCH ODER EINEM MENSCHENGERICHT VERURTEILT WERDE, UND ICH URTEILE NICHT ÜBER MICH SELBST. ICH BIN MIR ZWAR KEINES VERGEHENS BEWUSST, DOCH BIN ICH DADURCH NOCH NICHT GERECHTFERTIGT. WER MICH ABER RICHTET, DAS IST DER HERR. (1 Kor 4,3f.)    
19. Tu si obiectu parietis, aut cuiuslibet simulationis praetentu, humana frustrari posse iudicia gloriaris, certus esto, non illum vera crimina praeterire, qui de falsis etiam accusare criminibus consuevit. Si tantopere eius, qui nihilominus forte tuam vereatur, proximi conscientiam reformidas, multo minus eos contemnas, quibus odiosa magis iniquitas, longe amplius exsecrabilis corruptio est. Si denique Deum non times, et solos hominum vereris aspectus, memor esto hominem Christum hominum facta ignorare non posse, ut quod me coram attentare minime prorsus auderes, multo minus audeas coram ipso, quodque non dico non liceret, sed nec liberet quidem praesumere vidente conservo, inspiciente Domino vel cogitare penitus exhorrescas. Alioquin si carnis oculum magis quam gladium, qui carnes habet devorare, formidas, et is quoque timor quem times eveniet tibi, et accidet quod vereris. Nihil opertum quod non reveletur, vel occultum quod non sciatur. Arguentur a luce in lucem prolata opera tenebrarum, nec modo obscenitatum abominanda secreta, sed iniqua commercia venditantium sacramenta, et fraudulenta susurria adinvenientium dolos, et iudicia subvertentium qui novit omnia, nota faciet universis, cum coeperit scrutator ille cordis et renum scrutari Ierusalem in lucernis. 19. Wenn du prahlst, durch das Vorschieben einer Wand oder unter Vorgabe irgendeiner Heuchelei menschliche Gerichte hinters Licht führen zu können, so sei dir sicher, dass die wahren Verbrechen jenem nicht entgehen, der daran gewöhnt ist, auch wegen falscher Untaten Anklage zu führen. Wenn du so sehr das Mitwissen des Nächsten fürchtest, der nicht weniger das deine fürchtet, so solltest du viel weniger jene verachten, denen die Ungerechtigkeit noch mehr verhasst und die Verdorbenheit um vieles abscheulicher ist. Wenn du schließlich Gott nicht fürchtest und nur den Blick der Menschen schaust, so danke daran, dass dem Menschen Christus die Taten der Menschen nicht entgehen können. Was du also vor meinen Augen unter keinen Umständen zu versuchen wagtest, dürftest du in seiner Gegenwart noch viel weniger wagen, und was du unter den Augen eines Mitknechtes nicht herausnehmen dürftest - was sage ich - ja nicht einmal wolltest, das vor dem Anblick des Herrn auch nur zu denken soll dir tiefen Schauder bringen. Sonst, wenn du das Auge des Fleisches mehr fürchtest als das Schwert, das doch Fleisch zu fressen hat, (Deut 32,42) dann wird auch die Angst, vor der du Angst hast, über dich kommen und dir das passieren, wovor du dich fürchtest. Nichts ist verdeckt, was nicht enthüllt wird, und nichts verborgen, was nicht bekannt wird. Die ans Licht gebrachten Werke der Finsternis werden vom Licht angeklagt werden, und nicht nur die abscheulichen Geheimnisse der Obszönität, sondern auch die unbilligen Händel derer, die die heiligen Geheimnisse mit Geld kauften, das betrügerische Flüstern derer, die Tricks erfanden, und die Urteilssprüche der Umstürzler wird der, der alles weiß, der Allgemeinheit bekannt machen, wenn er, der auf Herz und Nieren prüft (PS 7,10), Jerusalem mit der Laterne zu erforschen beginnt.    
X. QUID SENTIENDUM DE HIS QUI IMPIE AGUNT, SI ET ILLI PEREUNT QUI BONA NON BENE FECERUNT. X. WAS VON DENEN ZU HALTEN IST, DIE BÖSE HANDELN, UND OB AUCH JENE ZUGRUNDE GEHEN, DIE DAS GUTE NICHT IN GUTER ABSICHT VOLLBRACHT HABEN.    
20. Quid ergo ibi facturi sunt, immo potius quid passuri, qui crimina commiserunt, ubi audituri sunt: ITE IN IGNEM AETERNUM, qui pietatis opera non fecerunt? Quando vero admittetur ad nuptias, qui nec lumbos praecinxit ut abstineret a malo, nec lucernam tenuit ut faceret bonum, quando nec virginitatis integritas, nec lampadum claritas solius olei poterit excusare defectum? Aut quis illos manere credendus est cruciatus, qui in hac vita non solum mala, sed forte pessima perpetrant, si sic sunt cruciandi qui hic bona receperint, ut in medio flammae, aestuantibus linguis, ne minimae quidem stillae obtinere refrigerium queant? Caveamus ergo mala opera, nec includentis sagenae fiducia, libere intra Ecclesiam delinquamus, hoc scientes, quia non omnes quos sagena trahit, piscatorum vasa recipient, sedent cum ad littus venerint, eligent bonos in vasa, malos autem foras mittent. Neque hoc contenti lumborum cingulo, accendamus etiam lucernas nostras et instanter operemur bonum, cogitantes quod omnis arbor, non modo quae malum fecerit fructum, sed etiam quae bonum non fecerit, excidetur et in ignem mittetur, illum utique IGNEM AETERNUM, QUI PARATUS EST DIABOLO ET ANGELIS EIUS. 20. Was werden aber dort die tun, oder besser, was werden sie erleiden, die Verbrechen begangen haben, wenn schon jene, die die Werke der Frömmigkeit nicht getan haben, hören werden: WEG MIT EUCH IN DAS EWIGE FEUER? Wann wird man den zur Hochzeit zulassen, der weder die Hüften umgürtet, um sich des Bösen zu enthalten, noch eine Lampe hielt, um das Gute zu tun, wo doch weder die unversehrte Jungfräulichkeit noch die Helligkeit der Lampen das Fehlen des Öls allein wird entschuldigen können? Oder welche Marter wird wohl jenen bleiben, die in diesem Leben nicht nur Böses, sondern vielleicht sogar das Allerschlimmste vollbringen, wenn doch schon die, die hier Gutes erhalten haben, so zu quälen sind, dass sie inmitten der Flamme für ihre dörrenden Zungen nicht einmal die Erfrischung eines winzigsten Tröpfchens erhalten können? Hüten wir uns also vor bösen Werken und vergehen wir uns nicht mutwillig in der Kirche im Vertrauen auf das umschließende Netz - wohl wissend, dass nicht alle, die das Netz zieht, von den Gefäßen der Fischer aufgenommen werden. Wenn sie ans Ufer gekommen sind, werden jene die guten in Gefäße legen, die schlechten aber wegwerfen (Mt 13,47 f.). Seien wir nicht zufrieden mit dem Gürtel um die Hüften, sondern zünden wir auch unsere Lampen an und tun wir unaufhörlich das Gute! Denken wir daran, dass jeder Baum, nicht nur, wenn er schlechte Frucht hervorbringt, sondern auch, wenn er keine gute bringt, gefällt und ins Feuer geworfen wird, jenes EWIGE FEUER, DAS FÜR DEN TEUFEL UND SEINE ENGEL ENTFACHT IST. (Mt 25,41)    
21. Ceterum sic declinemus a malo et faciamus bonum, ut inquiramus pacem, non gloriam persequamur. Illa enim Dei est, et alteri eam non dabit. GLORIAM, inquit, MEAM ALTERI NON DABO. Et dicebat homo secundum cor Dei: NON NOBIS, DOMINE, NON NOBIS, SED NOMINI TUO DA GLORIAM. Recordemur etiam Scripturae dicentis: SI RECTE OFFERAS ET NON RECTE DIVIDAS, PECCASTI. Recta est, fratres, nostra illa divisio, nemo detrectet. Alioquin si cui forsitan minus placet, sciat non nostram esse, sed angelorum. Priores enim angeli cecinerunt: GLORIA IN EXCELSIS DEO, ET IN TERRA PAX HOMINIBUS BONAE VOLUNTATIS. Servemus ergo in vasis oleum, ne forte, quod absit, clausas iam nuptiarum ianuas frustra pulsantes, verbum audiamus amarum, et deintus nobis sponsus respondeat: NESCIO vos. Adhuc tamen mors posita est, non modo secus iniquitatis, sterilitatis, vanitatis, sed et secus introitum ipsius etiam voluptatis. Quocirca opus est fortitudine adversus tentamenta peccati, ut rugienti leoni resistamus fortes in fide, et ignita ipsius iacula hoc clypeo viriliter repellamus. Opus est iustitia, ut operemur bonum. Opus prudentia, ne cum fatuis virginibus reprobemur. Opus denique temperantia, ne, voluptatibus indulgentes, audiamus aliquando quod miser ille, epularum pariter et vestium splendore finito, dum misericordiam precaretur, audivit: MEMENTO, FILI, QUOD RECEPISTI BONA IN VITA TUA, ET LAZARUS SIMILITER MALA; NUNC AUTEM HIC CONSOLATUR, TU VERO CRUCIARIS. Plane terribilis Deus in consiliis super filios hominum! Sed si terribilis est, etiam misericors invenitur, dum futuri formam iudicii non occultat. ANIMA QUAE PECCAVERIT, IPSA MORIETUR; palmes qui fructum non fecerit, excidetur; virgo cui defuerit oleum, a nuptiis excludetur, et qui bona receperit in hac vita, cruciabitur in futura. Quod si forte contingat in uno quolibet simul haec quatuor inveniri, ea plane extrema desperatio est. 21. Im übrigen wollen wir so das Böse meiden und das Gute tun, dass wir den Frieden suchen, nicht dem Ruhm nachjagen. Diese gehört nämlich Gott, und er wird sie keinem anderen überlassen. MEINEN RUHM, sagt er, WERDE ICH KEINEM ANDEREN GEBEN. (Jes 42,8) Auch ein Mensch sagte nach dem Herzen Gottes: NICHT UNS, OH HERR, NICHT UNS, SONDERN DEINEM NAMEN GIB RUHM! (PS 113,9) Erinnern wir uns auch an das Schriftwort: WENN DU RICHTIG OPFERST UND NICHT RICHTIG TEILST, HAST DU GESÜNDIGT. (Gen 4,7) Richtig ist, Brüder, diese unsere Aufteilung, niemand möge sie angreifen. Wenn sie aber vielleicht jemandem weniger gefällt, so soll er wissen, dass sie nicht von uns, sondern von den Engeln stammt. Zuerst haben nämlich die Engel gesungen: EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE UND AUF ERDEN FRIEDE DEN MENSCHEN, DIE GUTEN WILLENS SIND. (Lk 2,14) Bewahren wir also das Öl in den Gefäßen, damit wir nicht etwa, was uns fern liege, vergeblich an die bereits verschlossenen Türen zum Hochzeitssaal anklopfen und das bittere Wort hören, die Antwort, die der Bräutigam von innen her gibt: ICH KENNE EUCH NICHT. (Mt 25,12) Noch immer steht der Tod nicht nur an der Schwelle zur Ungerechtigkeit, Unfruchtbarkeit, Eitelkeit, sondern auch am Eingang der Lust. Deshalb braucht es Stärke gegen die Versuchungen der Sünde, damit wir dem brüllenden Löwen stark im Glauben Widerstand leisten, (1 Petr 5,8) und seine brennenden Geschosse mit diesem Schild mannhaft abwehren. Es braucht Gerechtigkeit, damit wir das Gute tun. Es braucht Klugheit, damit wir nicht mit den törichten Jungfrauen verdammt werden. Schließlich braucht es Mäßigung, damit wir nicht den Gelüsten nachgeben und einst dasselbe hören wie jener Elende, als es mit dem Glanz der Gelage und Kleider zu Ende war. Als er um Erbarmen bat, bekam er zu hören: DENK DARAN; MEIN SOHN, DASS DU GUTES IN DEINEM LEBEN EMPFANGEN HAST, DOCH LAZARUS IN ÄHNLICHEM AUSMASS NUR SCHLECHTES. JETZT ABER WIRD DIESER DAFÜR GETRÖSTET, DU ABER MUSST LEIDEN. (Lk 16,23) Ja, Furcht erregend ist Gott mit seinen Plänen zu den Menschensöhnen! Doch wenn er schrecklich ist, so zeigt er sich auch barmherzig, indem er die Gestalt des künftigen Urteils nicht verbirgt: GERADE DIE SEELE, DIE GESÜNDIGT HAT, WIRD STERBEN (Ez 18,20); die Rebe, die keine Frucht getragen hat, wird abgeschnitten werden; die Jungfrau, der das Öl fehlt, wird von der Hochzeit ausgeschlossen werden, und wer Gutes in diesem Leben empfangen hat, wird im künftigen leiden. Sollte es jedoch vorkommen, dass diese vier Eigenschaften gleichzeitig bei jemandem zu finden sind, so ist dessen Lage äußerst verzweifelt.    
XI. QUOD SPIRITUI TIMORE DEI CORREPTO ET AD BONUM PARATO RESISTAT CARO. XI. DEM GEIST, DER VON DER GOTTESFURCHT ZURECHTGEWIESEN WURDE UND ZUM GUTEN BEREIT IST, WIDERSETZT SICH DAS FLEISCH.    
22. Haec igitur et similia intus suggerit ratio voluntati, eo copiosius quo perfectius illustratione Spiritus edocetur. Felix sane, cuius voluntas sic cesserit et acquieverit consilio rationis, ut a timore concipiens, promissionibus deinceps caelestibus foveatur, et parturiat spiritum salutis. At forte invenietur rebellis et obstinata voluntas, nec impatiens solum, sed et monitis peior, et minis durior, et adhibitis acerbior blandimentis. Invenietur forsitan, quae nihil mota suggestionibus rationis, immo et gravi commota furore respondeat, dicens: Quousque vos patior? Praedicatio vestra in me non capit. Scio quod astuti estis; sed astutia vestra apud me locum non habet. Forte et advocans membra singula, solito amplius solitis iubet oboedire concupiscentiis, nequitiis deservire. Hinc nimirum illud est quod quotidianis discimus experimentis, eos qui converti deliberant, tentari acrius a concupiscentia carnis, et urgeri gravius in operibus luti et lateris, qui Aegyptum egredi, Pharaonem effugere moliuntur. 22. Dieses also und ähnliches redet der Verstand dem Willen ein - um so reichlicher, je vollkommener er durch die Erleuchtung des Geistes gelehrt wird. Selig ist freilich, dessen Wille so nachgibt und dem Ratschluss der Vernunft zustimmt, dass er von der Furcht empfängt, hierauf von den himmlischen Versprechungen genährt wird und so den Geist der Rettung hervorbringt. Aber vielleicht wird sich der Wille widerspenstig und hartnäckig zeigen, nicht bloß unwillig, sondern auf Mahnungen hin nur noch schlechter, durch Drohungen noch härter und durch Schmeicheleien noch verbitterter. Vielleicht wird sich ergeben, dass er sich durch die Eingebungen des Verstandes überhaupt nicht bewegen lässt, sondern sogar, von heftigem Zorn erregt, antwortet: Wie lange halte ich euch noch aus? Eure Predigt greift bei mir nicht. Ich weiß, dass ihr schlau seid. Doch eure Pfiffigkeit findet bei mir keinen Platz. Vielleicht ruft er auch die Glieder einzeln herbei und befiehlt ihnen, mehr noch als gewöhnlich den Begierden zu gehorchen und den Lastern zu dienen. Daher kommt nämlich, was wir durch tägliche Erfahrungen lernen: die sich mit dem Gedanken tragen, sich zu bekehren, werden heftiger von der Begehrlichkeit des Fleisches versucht. Härter werden bei der Arbeit zu Lehm und Ziegelarbeiten die gezwungen, die den Plan hegen, aus Ägypten auszuwandern, um dem Pharao zu entkommen. 22. Impatiens illa et adhibitis blandimentis acerbior: Quousque, inquit, sermones vestros patior? Praedicatio vestra in me non capit. Non ignoro quoniam astuti estis ab initio; sed apud me astutia vestra non habet locum. Nonne enim qui converti volunt acriora solent peccati incitamenta sentire, et qui deliberant Aegyptios fugere gravius urgeri in operibus luti et lateris? 22. Ungeduldig und über die angewandten Lockmittel noch erbitterter spricht der Wille: Wie lange noch ertrage ich euer Gerede? Eure Predigt verfängt bei mir nicht. Ich weiß genau, ihr seid schlau von Anfang an, aber bei mir hat eure Schlauheit keinen Platz. Ist es nicht so, dass diejenigen, die sich bekehren wollen, die Verlockungen zur Sünde noch heftiger empfinden, dass diejenigen, die aus Ägypten zu fliehen beabsichtigen, noch schwerer unter dem Druck der Lehm- und Ziegelarbeiten stöhnen?
CONTRA HANC LUCTAM LUGENDUM, POST LUCTAM CONSOLANDUM, QUIA BEATI QUI LUGENT ETC. GEGEN DIESES RINGEN MUSS MAN TRAUERN, NACH DEM RINGEN ABER GETRÖSTET WERDEN, DENN SELIG SIND DIE TRAUERNDEN ETC.    
23. Utinam autem qui eiusmodi est declinet impietatem, et terribile illud profundum caveat, de quo scriptum est: IMPIUS, CUM VENERIT IN PROFUNDUM MALORUM, CONTEMNIT. Fortissima siquidem potione curatur, et periclitabitur facile, nisi multa sollicitudine studeat medici obtemperare consiliis, observare praecepta. Vehemens est tentatio, proxima desperationi, nisi totum colligat, et ad miserandum animae suae, quam adeo miseram et miserabilem videt, convertat affectum, et audiat vocem dicentem: BEATI QUI LUGENT, QUONIAM IPSI CONSOLABUNTUR. Lugeat abundanter, quia lugendi tempus advenit, et ad sorbendas iuges lacrimas ista sufficiunt. Lugeat, sed non sine pietatis affectu et obtentu consolationis. Consideret nullam sibi inveniri requiem in seipso, sed omnia plena miseriae et desolationis. Consideret non esse bonum in carne sua, sed et in saeculo nequam nihil nisi vanitatem et afflictionem Spiritus contineri. Consideret, inquam, nec intus, nec subtus, nec circa se sibi occurrere consolationem, ut vel tandem aliquando discat quaerendam sursum, et desursum esse sperandam. Lugeat sane interim plangens dolorem suum, exitus aquarum deducat oculus eius, et palpebra non requiescat. Nimirum purgatur lacrimis oculus ante caligans, et acuitur visus, ut intendere possit in serenissimi luminis claritatem. 23. Möge jedoch jeder, der sich in dieser Lage befindet, die Ruchlosigkeit meiden und sich vor jener furchtbaren Tiefe hüten, von dem geschrieben steht: WENN DER RUCHLOSE IN DIE TIEFE DES BÖSEN GELANGT IST, IST ER VOLL VERACHTUNG. (Spr 18,3) Da er mit einem ganz starken Trank geheilt wird, wird er leicht in Gefahr geraten, wenn er sich nicht mit großer Sorgfalt bemüht, den Ratschlägen des Arztes zu gehorchen und seine Verordnungen zu beachten. Heftig ist die Versuchung, ganz nahe an der Verzweiflung, wenn er sich nicht ganz konzentriert und seinen Sinn darauf richtet, sich der eigenen Seele zu erbarmen, die er so elend und erbarmungswürdig sieht. Er soll auch auf die Stimme hören, die sagt: SELIG DIE TRAUERNDEN, SIE WERDEN GETRÖSTET WERDEN. (Mt 5,5) Er soll reichlich trauern, weil die Zeit der Trauer gekommen ist, und dies soll genügen, ständig die Tränen aufzusaugen. Er soll trauern, doch nicht ohne die Gesinnung der Frömmigkeit und die Gewährung des Trostes. Er soll erwägen, dass er keine Ruhe in sich selbst findet, sondern dass alles voll Elend und Trostlosigkeit ist. Er soll zusehen, dass in seinem Fleisch nichts Gutes liegt, ja, dass es auch in dieser Welt nichts als Nichtigkeit und Bedrängnis des Geistes enthalten ist. Er soll erwägen, meine ich, dass ihm weder von innen, noch von unten, noch von außen her Trost begegnet, dass er wenigstens dann endlich einmal lerne, ihn oben zu suchen und von oben zu erhoffen. Inzwischen soll er allerdings trauern, seinen Schmerz beklagen, Wasser soll aus seinen Augen strömen und sein Lid soll nicht ruhen. Durch die Tränen wird nämlich das zuvor verfinsterte Auge gereinigt und der Blick geschärft, so dass er sich auf die Helligkeit des gleißenden Lichtes richten kann. 23. Utinam nunc non convertatur ad impietatem, ne fiat quod scriptum est: IMPIUS, CUM VENERIT IN PROFUNDUM MALORUM, CONTEMNIT. Fortissima quidem potione curatur, ita ut possit facile periclitari, nisi sollicitus fuerit medici obtemperare consiliis, observare mandata, ut misereatur animae suae, quam adeo miseram et miserabilem videt, audiatque vocem de caelo dicentem: BEATI QUI LUGENT, QUONIAM IPSI CONSOLABUNTUR.. Lugeat abundanter, quoniam tempus est, et sufficiunt haec ad sorbendas iuges lacrimas. Lugeat, sed cum pietate, quaerens consolationem. Et ubi, inqnit, illam invenio? In me non est consolatio, in saeculo nequam nonnisi vanitas et afflictio Spiritus. - Sed nihil in te, nihil subtus te consolationis invenis. Exitus aquarum deducat oculus tuus, ut purgatior fiat et acutior ad videndum, si forte suspicere possis, et quam non invenis alibi, super te invenias consolationem. Animadvertit igitur anima, dum in multa anxietate circumspicit universa, desursum esse radiatus, quo illustrante, tam tenebras nunc primum agnovit. 23. Möge er sich jetzt nur nicht der Ruchlosigkeit zuwenden, damit nicht geschehe, was geschrieben steht: WENN DER GOTTLOSE IN DER TIEFE SEINER ÜBEL ANGEKOMMEN IST, IST ER VOLL VERACHTUNG. (Spr 18,3) Freilich wird er mit einem sehr starken Heiltrank kuriert, so dass er leicht in Gefahr geraten könnte, wenn er nicht darauf bedacht ist, den Anweisungen des Arztes zu gehorchen und die Vorschriften zu beachten. Er soll sich seiner Seele erbarmen, die er so elend und erbärmlich sieht, und er soll auf das Wort hören, das vom Himmel spricht: SELIG DIE TRAUERNDEN, WEIL SIE WERDEN GETRÖSTET WERDEN. (Mt 5,5) Er soll im Übermaß trauern, denn die Zeit dazu ist da, und der Anlass gibt genug Grund, nie versiegende Tränen zu trinken. Er soll trauern, aber mit Ehrehrbietung und in der Suche nach Trost. Und wo, sagt er, finde ich diesen? In mir ist kein Trost, und in der Welt ist nichts zu finden als Eitelkeit und Bedrängnis des Geistes. Ja, nichts ist in dir, und unter dir findest du nichts an Trost. Dein Auge soll dem Wasser seinen Lauf lassen, damit sein Blick ungetrübter und schärfer werde, wenn du etwa in der Lage bist, ihn nach oben zu richten, und den Trost, den du anderswo nicht findest, sollst du über dir finden. Während die Seele mit großer Angst nach allen Seiten umherblickt, bemerkt sie wirklich, dass von oben ein Strahl kommt, in dessen Leuchten sie jetzt zum ersten Mal die Finsternis erkennt.
XII. POST LUCTUM ET CONSOLATIONEM AD CAELESTIA CONTEMPLANDA ACCEDENDUM DESIDERIUM XII. NACH TRAUER UND TROST MUSS DIE SEHNSUCHT ENTZÜNDET WERDEN, DIE HIMMLISCHEN GÜTER ZU SCHAUEN.    
24. Ex hoc sane suspiciat per foramen, prospiciat per cancellos, praeducem radium pio sequatur obtutu, et Magorum sedulus imitator, lumen lumine quaerat. Inveniet enim locum tabernaculi admirabilis, ubi panem angelorum manducet homo; inveniet paradisum voluptatis plantatum a Domino; inveniet hortum floridum et amoenissum; inveniet refrigerii sedem, et dicet: O si audiat vocem meam misera illa voluntas, ut ingrediens videat bona, et visitet locum istum! Hic nimirum inveniet requiem ampliorem, et me quoque eo minus inquietabit, quo minus inquietabitur ipsa. Neque enim mentitur qui dixit: TOLLITE IUGUM MEUM SUPER vos, ET INVENIEIIS REQUIEM ANIMABUS VESTRIS. In huius fide promissionis exacerbatam blandius alloquatur, et simulata quadam hilaritate, in spiritu mansuetudinis eam conveniens, dicat: Cesset penitus indignatio tua. Non ego sum qui te offendere possim. Tuum est corpus, tuus ego ipse; non est quod timeas, non est quod verearis. Nec mirum, si forte amarius adhuc reddiderit illa responsum, ut dicat quia multae cogitationes ad insaniam te adduxerunt. Sustineat interim aequanimiter, ac dissimulet omnino quod agitur, donec inter loquendum inducens alia pro aliis, opportune aliquando inferat, dicens: Inveni hodie hortum pulcherrimum et amoenissimum locum. Bonum esset illic nos esse; nam et tibi nocet in hoc lecto aegritudinis, in hoc doloris strato versari, in hoc cubili tuo gravi corde compungi. Aderit Dominus quaerenti se, animae speranti in se; aderit votis supplicibus, et verbis eius efficaciam ministrabit. Excitabitur desiderium voluntatis, et non modo videre locum, sed et introire paulatim, et mansionem inibi facere concupiscat. 24. Danach muss er nun durch die Öffnung emporschauen, durch die Gitterstäbe hindurchschauen - mit frommem Blick dem Leitstrahl folgen, und als eifriger Nachahmer der Magier das Licht im Licht suchen. Finden wird er nämlich den Ort des wunderbaren Zeltes, wo der Mensch das Brot der Engel (PS 77,25) isst. Finden wird er das Paradies des Vergnügens, das vom Herrn gepflanzt wurde. Finden wird er den blühenden und äußerst lieblichen Garten. Finden wird er einen Platz zur Erfrischung und sprechen: Wenn doch nur jener elende Wille meine Stimme hören wollte, so dass sie beim Eintritt Gutes sieht und diesen Ort besucht! Hier wird sie wirklich reichlicher Ruhe finden und wird auch mich umso weniger beunruhigen, je weniger sie selbst beunruhigt wird. Es lügt nämlich der nicht, der gesagt hat: NEHMT MEIN JOCH AUF EUCH und IHR WERDET RUHE FINDEN FÜR EURE SEELE. (Mt 11,29) Auf dieses Treuwort bauend soll er dem aufgewühlten Willen ganz schmeichlerisch zureden, eine gewisse Heiterkeit vortäuschen und mit ihm im Geist der Sanftmut übereinkommen: Er soll sagen: Deine Empörung möge ganz weichen. Ich bin niemand, der dich angreifen könnte. Dir gehört der Leib, dir gehöre ich selbst, es ist kein Grund zur Furcht, kein Grund zur Sorge. Kein Wunder, wenn jener vielleicht noch immer eine ganz bittere Antwort zurückgibt, so dass er spricht: Das viele Denken hat dich zum Wahnsinn getrieben. (Apg 26,24) Einstweilen soll er das mit Gleichmut ertragen und gar nicht auf das achten, was geschieht, bis er im Gespräch das eine oder andere Argument einfügen und bei günstiger Gelegenheit einmal die Worte einfließen lassen kann: Ich habe heute einen wunderschönen und ganz lieblichen Garten (Gen 2,8) gefunden. Es wäre gut, wenn wir dort wären, (Mt 17,4) denn auch für dich ist es schädlich, in diesem Bett des Krankheit, auf diesem Schmerzenslager zu liegen und dich in dieser deiner Liegestatt schweren Herzens quälen zu lassen. Der Herr wird dem helfen, der ihn sucht, der Seele, die auf ihn hofft. Helfen wird er den demütig Bittenden und ihren Worten Wirksamkeit verleihen. So wird die Sehnsucht des Willens geweckt werden, so dass er den Wunsch hegt, diesen Ort nicht nur zu sehen, sondern auch allmählich einzutreten und sich dort eine Bleibe zu schaffen. 24. Applicat proinde oculum aliquatenus clariorem et defaecatum in lacrimis, unde et minus reverberatur ad illius luminis claritatem, dnmque suspiceret per foramen quo radius introivit, ecce paradisos voluptatis plantatus a Domino, hortus ?? floridas ?? et amoenissimus locus. Est autem paradisus terrestris virtutum plantatio, et ait intra se: O si videret hunc locum voluntas illa misera, quae me cruciat! Utinam audiat me et videat locum istum. Profecto enim obliviscetur pristina desideria, quae non poterant satiari. Aggreditur igitur voluntatem, simulata quadam hilaritate, et ait: Bono animo estote; ego enim quod vobis displiceat non volo, non possum. Cesset indignatio vestra, et quod factum est sic habeatur ac si non fuerit, quia multae cogitationes, inquit, ad insaniam vos adduxerant. Cumque ad aliena illam callide deduceret ratio, inducens alia pro aliis tandem inter loquendum: Vidi, inquit, hortum pulcherrimum et amoenis-simum locum, et profecto bonum esset illic nos esse. Nam et nocet in stratu doloris volvi tota die et in cubili vestro gravi corde compungi. 24. Also richtet sie das Auge, das schon spürbar klarer und in den Tränen rein gewaschen ist, wodurch der Blick weniger abprallt, auf die Helligkeit jenes Lichtes, und während sie aufblickt durch die Öffnung, durch die der Strahl eingetreten ist, siehe, da erblickt sie das vom Herrn gepflanzte Paradies der Freude, den blühenden Garten, den lieblichsten Ort. Das irdische Paradies aber ist die Pflanzung der Tugenden. Und die Seele spricht bei sich: O wenn doch der elende Wille, der mich quält, diesen Ort sehen könnte! Möchte er mich doch hören und diesen Ort sehen! Denn dann wird er gewiss die früheren Sehnsüchte vergessen, die nicht gestillt werden konnten. Sie greift also den Willen an, täuscht eine gewisse Heiterkeit vor und spricht: Seid guten Mutes, denn ich will und kann nicht etwas, was euch missfallen könnte. Eure Empörung weiche, und was geschehen ist, soll angesehen werden, als wäre es nicht gewesen, denn die vielen Gedanken hatten euch zum Wahnsinn getrieben. Und da die Vernunft den Willen geschickt auf andere Gedanken lenken wollte, ließ sie dies und jenes schließlich ins Gespräch einfließen: Ich habe einen wunderschönen Garten und einen ganz reizenden Ort gesehen, und in der Tat wäre es gut, wenn wir dort wären. Denn es schadet, sich den ganzen Tag auf dem Schmerzensbett zu wälzen und sich auf eurem Bett schweren Herzens von Gewissensbissen quälen zu lassen.
XIII. IN HAC CONTEMPLATIONE QUIESCENDUM GUSTUQUE EIUS DELECTANDUM ET ERUDIENDUM. XIII. NUN SOLL MAN IN DIESER ANSCHAUUNG RUHEN UND DURCH IHR VERKOSTEN FREUDE UND BELEHRUNG EMPFANGEN.    
25. Nec vero locum reputes corporalem paradisum hunc voluptatis internae. Non pedibus in hunc hortum, sed affectibus introitur. Nec terrenarum tibi commendatur arborum copia, sed virtutum utique spiritualium iucunda decoraque plantatio. Hortus conclusus, ubi fons signatus in quatuor capita derivatur, et ex una sapientiae vena virtus quadripartita procedit. Splendidissima quoque inibi lilia vernant et, dum flores apparent, etiam vox turturis auditur. Illic nardus sponsae fragrantissimum praestat odorem et cetera quoque aromata fluunt, austro spirante, aquilone fugato. Ibi media est arbor vitae, malus illa de Cantico, cunctis pretiosior lignis silvarum, cuius et umbra sponsam refrigerat, et fructus dulcis gutturi eius. Ibi continentiae nitor, et sincerae veritatis intuitus oculis cordis irradiat, auditui quoque dat gaudium et laetitiam dulcissima vox consolatoris interni. Ibi quibusdam spei naribus influit iucundissimus odor agri pleni, cui benedixit Dominus. Ibi avidissime praelibantur incomparabiles deliciae caritatis et, succisis spinis ac vepribus, quibus antea pungebatur, unctione misericordiae perfusus animus in conscientia bona feliciter requiescit. Quae quidem non inter vitae aeternae praemia, sed inter temporalis militiae stipendia deputantur, nec ad futuram pertinent, sed ad eam magis, quae nunc est, Ecclesiae promissionem. Hoc enim centuplum est, quod in hoc saeculo saeculi contemptoribus exhibetur. Mec tibi illud nostro speraveris eloquio commendandum. Solus est Spiritus qui revelat: sine causa paginam consulis; experientiam magis require. Sapientia est, cuius pretium nescit homo. De occultis trahitur, nec in terra suaviter viventium invenitur ista suavitas. Nimirum suavitas Domini est: nisi gustaveris, non videbis. GUSTATE, inquit, ET VIDETE QUONIAM SUAVIS EST DOMINUS. Manna absconditum est, nomen novum est, quod nemo scit nisi qui accipit. Non illud eruditio, sed unctio docet, nec scientia, sed conscientia comprehendit. Sanctum est, margaritae sunt, nec faciet ipse quod prohibet, qui coepit facere et docere. Neque enim canes aut porcos iam reputat, quos prioribus abrenuntiantes facinoribus atque flagitiis etiam consolatur per Apostolum, dicens: HAEC QUIDEM FUISTIS, SED ABLUTI ESTIS, SED SANCTIFICATI ESTIS. Tantum caveat, ne revertatur canis ad vomitum vel sus lota ad volutabrum luti. 25. Du darfst nun aber nicht meinen, dass dieses Paradies (Gen 2,8) der inneren Freude ein räumlicher Ort ist. Nicht mit Füßen betritt man diesen Garten, sondern durch die Gefühle. Auch wird dir keine Fülle an irdischen Bäumen geboten, sondern die beglückende und reizvolle Pflanzung der geistlichen Tugenden. Ein verschlossener Garten ist es, wo die versiegelte Quelle (Hid 4,12) sich in vier Hauptflüsse teilt und aus dem einen Gefäß der Weisheit die vierfache Tugend hervorgeht. Auch leuchtende Lilien blühen dort, und wenn die Blumen erscheinen, ist sogar die Stimme der Turteltaube zu hören. Dort spendet die Narde der Braut köstlichen Duft, und auch die anderen Gerüche verströmen, wenn der Südwind weht und der Nordwind vertrieben wurde. Dort in der Mitte steht der Baum des Lebens, jener Apfelbaum des Hohenlieds, der kostbarer ist als alle Bäume des Waldes. Sein Schatten erfrischt die Braut und seine Frucht ist köstlich für ihren Gaumen. Dort leuchtet der Glanz der Enthaltsamkeit und der Anblick der reinen Wahrheit den Augen des Herzens entgegen, dem Ohr jedoch gibt die süße Stimme des inneren Trösters Freude und Seligkeit. Dort steigt der angenehme Duft eines vollen Ackers, den der Herr gesegnet hat, gleichsam der Hoffnung in die Nase. Dort kostet man im voraus voll Verlangen die unvergleichlichen Wonnen der Liebe, und der Geist ruht nach Entfernung der Dornen und Stacheln, von denen er früher gestochen wurde, nun selig in einem guten Gewissen aus, durchdrungen von der Salbung der Barmherzigkeit. Das alles ist aber nicht zum Lohn des ewigen Lebens zu rechnen, sondern zum Sold des irdischen Kriegsdienstes; es bezieht sich nicht auf die zukünftige Verheißung, sondern vielmehr auf jene für die Kirche der Gegenwart. Das nämlich ist das Hundertfache, das in dieser Welt denen, die der Welt entsagen, gewährt wird. Erwarte nicht, dass ich dir jenes durch meine Rede empfehlen kann. Allein der Geist ist es, der dies enthüllt. Nutzlos ziehst du Geschriebenes zu Rate, frage lieber die Erfahrung. Die Weisheit ist es, deren Preis der Mensch nicht kennt. Aus dem Verborgenen wird sie gezogen, und im Land derer, die nur ein süßes Leben rühren, ist diese Süßigkeit nicht zu finden. Es ist nämlich die Süßigkeit des Herrn: wenn du nicht gekostet hast, wirst du nichts sehen. KOSTET, sagt man, UND SEHT WIE SÜSS DER HERR IST. (PS 33,9) Ein verborgenes Manna ist es, ein neuer Name, den nur der kennt, der ihn empfängt. Nicht die Bildung lehrt dies, sondern die Salbung, nicht das Wissen begreift es, sondern das Gewissen. Heilig ist es, Perlen sind es; und er, der begonnen hat, zu wirken und zu lehren (Apg 1,1), wird nicht selbst das tun, was er verbietet. Er hält nämlich diejenigen nicht mehr für Hunde oder Schweine, die sich von ihren früheren Untaten und Schandtaten bekehren und die er nun auch durch den Apostel mit den Worten tröstet: SOLCHE GAB ES UNTER EUCH. ABER IHR SEID REIN GEWASCHEN, IHR SEID GEREINIGT. (1 Kor 6,11) Nur muss man sich davor hüten, dass der Hund zu seinem Erbrochenen zurückkehrt, oder dass die gewaschene Sau sich wieder im Dreck wälzt (2 Petr 2,22). 25. Porro locus ille super omnem aestimationem pulcherrimus et amoenissimus. Talia, inquit illa, quaerere et nuntiare debueratis, non adinvenire insanias et scandala suscitare. At ego quidem an possim nescio; tentabo tamen exire, ut videam bona quae dicitis et visitem locum illum. Adductam igitur ad foramen, per quod inspexerat prius, diligenter intueri ratio iubet: Cum videritis, inquiens, si placuerit vobis, et deducere vos ad locum, atiam et introducere non gravabor. Videt itaque voluntas virtutum speciem, suavitatem ac securitatem conscientiae bonae, caritatis delicias et naturalem quamdam delectationem boni, quae non quidem vitae aeternae praemia sunt. Illa enim in cor hominis non ascendunt, sed de centuplo quod in hoc saeculo repromittitur contemptoribus huius saeculi, quibus datum est experiri quia non modo remuneratio, sed ipsa quoque exspectatio iustorum laetitia est. 25. Nun ist aber jener Ort über jedes Ermessen äußerst schön und lieblich. Da sprach der Wille: Solches musstet ihr suchen und verkünden, nicht Unvernunft erfinden und Ärgernisse erregen! Ich weiß zwar nicht, ob ich es vermag, aber ich will doch versuchen mich aufzumachen, um jene Güter, von denen ihr sprecht, zu sehen und jenen Ort zu besuchen. Die Vernunft führte ihn also zu der Öffnung, durch die sie selbst vorher hineingeblickt hatte, und befahl ihr aufmerksam zu schauen; dann sprach sie: Wenn ihr gesehen habt, und wenn es euch gefällt, werde ich mich nicht weigern, euch zu dem Ort zu rühren, ja sogar hineinzuführen. Der Wille sieht nun den Schein der Tugenden, die Süße und Sicherheit eines guten Gewissens, die Wonnen der Liebe und eine Art natürlicher Freude am Guten, was freilich nicht die Belohnungen des ewigen Lebens ist. Jene nämlich sind nicht in das Herz der Menschen gestiegen, sondern es gehört zu dem hundertfachen Lohn, der in dieser Welt denen versprochen wird, die diese Welt verachten. Ihnen ist es gegeben zu erfahren, dass nicht nur die Belohnung, sondern auch schon die Erwartung die Freude der Gerechten ist.
XIV. TALI GUSTU EFFECTUM INTELLIGERE QUIA BEATI QUI ESURIUNT ET SITIUNT IUSTITIAM ETC. XIV. GESTÄRKT DURCH DIESEN GESCHMACK KANN MAN ERKENNEN, DASS DIEJENIGEN SELIG SIND, DIE HUNGERN UND DÜRSTEN NACH DER GERECHTIGKEIT ETC.    
26. In huius igitur ostio paradisi divini susurri vox auditur, sacratissimum secretissimumque consilium, quod absconditum est a sapientibus et prudentibus, parvulis revelatur. Cuius sane vocis auditum non sola iam ratio capit sed gratanter eum communicat etiam voluntati. BEATI QUI ESUR.IUNT ET SITIUNT IUSTITIAM, QUONIAM IPSI SATURABUNTUR. Altissimum plane consilium, et inaestimabile sacramentum. FIDELIS SERMO ET OMNI ACCEPTIONE DIGNUS, qui de caelo nobis a regalibus sedibus venit. Facta est enim valida fames in terra, et omnes iam non egere coepimus, sed ad extremam devenimus egestatem. Denique et comparati sumus iumentis insipientibus, et similes facti sumus uni: etiam porcorum siliquas insatiabiliter esurimus. Qui pecuniam diligit, non satiatur; qui luxuriam, non satiatur; qui gloriam, non satiatur; denique qui mundum amat, numquam satiatur. Novi ego homines satiatos hoc mundo et ad eius omnem memoriam nauseantes. Novi satiatos pecunia, satiatos honoribus, satiatos voluptatibus et curiositatibus huius mundi, nec mediocriter, sed usque ad fastidium satiatos. Et facile est cuique nostrum hanc satietatem per Dei gratiam obtinere. Neque enim parit hanc copia, sed contemptus. Sic fatui filii Adam, porcorum vorando siliquas, non esurientes animas, sed esuriem ipsam pascitis animarum. Sola nimirum hoc edulio inedia vestra nutritur, sola fames alitur cibo innaturali. Et dico planius exempli gratia, unum sumens e multis quae humana vanitas concupiscit. Non ante satiatur cor hominis auro quam corpus aura satientur. Nec indignetur avarus; et de ambitiosis et luxuriosis, etiam et de facinorosis eadem sententia est. Si quis mihi forte non credit, experientiae credat, vel propriae, vel multorum. 26. An diesem Tor zum Paradies ist nun das Flüstern der göttlichen Stimme zu hören: der allerheiligste und geheimste Ratschluss, der den Weisen und Klugen verborgen ist, wird den ganz Kleinen offenbart. Den Klang dieser Stimme fasst nun nicht mehr bloß der Verstand, sondern er teilt ihn mit Freuden auch dem Willen mit. SELIG DIE HUNGERN UN DURSTEN NACH DER GERECHTIGKEIT, DENN SIE WERDEN SATT WERDEN. (Mt 5,6) Es ist freilich der höchste Ratschluss, ein unschätzbares Geheimnis. GLAUBWÜRDIG IST DAS WORT UND WÜRDIG DES VERNEHMENS (1 Tim 1,13), das aus dem Himmel zu uns vom königlichen Thronsitz kommt. Es ist nämlich eine gewaltige Hungersnot auf Erden ausgebrochen, und wir alle fangen nicht bloß an, Not zu leiden, sondern sind in äußerste Not geraten. Zuletzt sind wir sogar dem hirnlosen Vieh (PS 48,30) vergleichbar und ihm ähnlich geworden: sogar nach den Futterschoten der Schweine hungern wir unersättlich (Lk 15,16). Wer das Geld liebt, wird nicht satt; wer die Ausschweifung, wird nicht satt; wer den Ruhm, wird nicht satt; wer schließlich die Welt liebt, wird niemals satt. Dabei kenne ich Menschen, die von dieser Welt gesättigt sind, und denen es beim bloßen Gedanken an sie ekelt. Ich kenne solche, die das Geld satt haben, die Ehren satt haben, die Lüste und Reize dieser Welt satt haben, und nicht nur ein wenig, sondern bis zum Überdruss satt. Dabei ist es leicht für jeden von uns, diese Sättigung durch Gottes Gnade zu empfangen. Nicht die Menge bringt sie nämlich hervor, sondern die Verachtung. So füttert ihr, törichte Adamskinder, beim Verschlingen der Schweineschoten nicht die hungrigen Seelen, sondern den Hunger der Seelen selbst. Nur euer Hunger wird durch diese Speise gemehrt, nur die Gier genährt durch die unnatürliche Kost. Und ich sage es deutlicher wegen eines Beispiels, indem ich eines von vielen herausgreife, was die menschliche Eitelkeit begehrt: Nicht eher wird das Herz des Menschen am Gold satt, als bis der Körper die Luft satt hat. Der Geizhals soll mir das nicht übel nehmen; auch von den Ehrsüchtigen und Genusssüchtigen, ja sogar von den Verbrechern gibt es dieselbe Aussage. Wenn mir jemand vielleicht nicht glaubt, soll er der Erfahrung glauben, entweder der eigenen oder der von vielen. 26. Et ecce vox Domini, quam pariter cum ratione audiat et voluntas: BEATI QUI ESURIUNT ET SITIUNT IUSTITIAM, QUONIAM Ipsi SATURABUNTUR. Desiderium ergo iustitiae, quia fortius est, utpote cognatum spiritui et naturale, expellit cetera desideria. 26. Und siehe, die Stimme des Herrn, die zugleich mit der Vernunft auch der Wille hört, spricht: SELIG DIE HUNGERN UND DÜRSTEN NACH DER GERECHTIGKEIT, DENN SIE WERDEN GESÄTTIGT WERDEN. (Mt 5,6) Die Sehnsucht nach der Gerechtigkeit also treibt die übrigen Sehnsüchte aus, denn sie ist stärker, da sie dem Geist verwandt ist und der Natur entspricht.
27. Quis in vobis est, fratres, qui satiari cupiat, et desiderium suum optet impleri? Incipiat esurire iustitiam, et non poterit non satiari. Panes illos desideret, qui in domo patris abundant, et inveniet sese continuo siliquas fastidire porcorum. Gustum iustitiae vel exiguum studeat experiri ut eo ipso desideret amplius, et amplius mereatur, sicut scriptum est: Qui EDIT ME, ADHUC ESURIET, ET QUI BIBIT ME, ADHUC SITIET. Hoc enim cognatum magis spiritui, et naturalius desiderium vehementius occupat cor humanum, ceteraque viriliter desideria pellit. Sic nimirum fortem armatum fortior superat, sic clavus clavo solet extundi. BEATI ergo QUI ESURIUNT ET SITIUNT IUSTITIAM, QUONIAM IPSI SATURABUNTUR. Nondum quidem ipsa, qua non satiabitur homo, et vivet, sed ceteris universis, quae prius insatiabiliter fuerant concupita, ut ex hoc sibi voluntas ad serviendum prioribus concupiscentiis corpus vindicare desistens, rationi prorsus exponat, magis autem urgeat ipsa servire iustitiae in sanctificationem, non minore zelo quam prius exhibuisset servire iniquitati ad iniquitatem. 27. Wer ist unter euch, Brüder, der gesättigt werden will und die Erfüllung seiner Sehnsucht wünscht? Er soll beginnen, nach Gerechtigkeit zu hungern, und es wird nicht möglich sein, dass er nicht gesättigt wird. Er soll jene Brote ersehnen, die es im Haus des Vaters im Überfluss gibt, und er wird merken, dass er unverzüglich vor den Futterschoten der Schweine Abscheu empfindet. Den Geschmack der Gerechtigkeit soll er wenigstens ein wenig zu erfahren wollen, um eben dadurch mehr zu ersehnen und mehr zu verdienen, sowie geschrieben steht: Wer MICH SPEIST, DER HUNGERT NOCH, WER MICH TRINKT, DER DÜRSTET NOCH. (Sir 24,29) Das ist nämlich dem Geist mehr eingeboren, und die natürlichere Sehnsucht besetzt das menschliche Herz stärker und vertreibt kraftvoll die übrigen Sehnsüchte. So besiegt den bewaffneten Starken tatsächlich ein Stärkerer, so pflegt der Nagel durch einen anderen ausgestoßen zu werden. SELIG SIND also, DIE HUNGERN UND DÜRSTEN NACH DER GERECHTIGKEIT, DENN SIE WERDEN GESÄTTIGT WERDEN. (Mt 5,6) Freilich noch nicht von ihr selbst, von der kein Mensch gesättigt werden wird, so er lebt, sondern von allem anderen, was früher unersättlich begehrt worden war. So hört der Wille auf, künftig den Leib für sich zum Dienst an den früheren Begierden zu beanspruchen und stellt ihn ganz der Vernunft zur Verfügung, mehr aber drängt er ihn, selbst der Gerechtigkeit zur Heiligung zu dienen, mit nicht geringerem Eifer, als er ihn zuvor aufgewendet hatte, um der Ungerechtigkeit zur Ungerechtigkeit zu dienen. 27. Sic enim fortem armatum fortior superat, sie clavus minor maiore solet expelli. Hoc itaque modo fames et sitis iustitiae satietatem operatur, non quidem ipsius iustitiae qua non satiabitur homo, sed eorum quae prias tam ardenter et insatiabiliter fuerant desiderata, nunc autem prae desiderio iustitiae in sacietatem et fastidium convertuntur. Iam nunc ergo non sibi vindicat voluntas corpus suum ad serviendum concupiscentiis prioribus, sed libenter exponit ad omnia quae dictaverit ratio, vel magis urget ipsa desideriis spiritualibus deservire. 27. So überwindet nämlich der Stärkere den bewaffneten Starken, so pflegt ein kleinerer Nagel durch einen größeren ausgetrieben zu werden. Auf diese Weise also ruft der Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit Sättigung hervor, freilich nicht Sättigung an der Gerechtigkeit selbst denn daran wird der Mensch nie satt werden, sondern an den Dingen, die früher so brennend und unersättlich erstrebt worden waren, jetzt aber vor Sehnsucht nach der Gerechtigkeit sich in Übersättigung und Ekel wandeln. Schon beansprucht also der Wille seinen Körper für sich nicht mehr, um seinen früheren Begierden zu dienen, vielmehr setzt er ihn zu allem frei, was die Vernunft diktiert, ja mehr noch, er drängt ihn selbst, den geistigen Bedürfnissen zu dienen.
XV. QUOD PECCATA NOSTRA PUNITA ET REMISSA, NEC ITERATA, NIL OBESSE POSSINT, SED COOPERENTUR POTIUS IN BONUM. XV. WENN UNSERE SÜNDEN BESTRAFT UND VERGEBEN SIND UND NICHT NEU BEGANGEN WERDEN, KÖNNEN SIE NICHT SCHADEN, SONDERN WIRKEN VIELMEHR ZUM GUTEN.    
28. Ceterum iam voluntate mutata et in servitutem redacto corpore, velut siccato iam aliquatenus fonte et oppilato foramine, tertium adhuc, idque gravissimum, restat, de purganda scilicet memoria et exhaurienda sentina. Quomodo enim a memoria mea excidet vita mea? Membrana vilis et tenuis atramentum forte ebibit; qua deinceps arte delebitur? Non enim superficie tenus tinxit; sed prorsus totam intinxit. Frustra conarer eradere: ante scinditur charta quam caracteres miseri deleantur. Ipsam enim forte memoriam delere posset oblivio, ut videlicet, mente captus, eorum non meminerim, quae commisi. Ceterum, ut memoria integra maneat et ipsius maculae diluantur, quae novacula possit efficere? Solus utique sermo vivus et efficax, et penetrabilior omni gladio ancipiti: DIMITTUNTUR TIBI PECCATA TUA. Murmuret Pharisaeus et dicat: Quis POTEST DIMITTERE PECCATA, NISI SOLUS DEUS? Mihi enim qui id loquitur Deus est, et non aestimabitur alius ad illum, qui adinvenit omnem viam disciplinae, et dedit illam Iacob puero suo, et Israel dilecto suo, post haec in terris visus est et cum hominibus conversatus est. Huius indulgentia delet peccatum, non quidem ut a memoria excidat, sed ut quod prius inesse pariter et inficere consuevisset, sic de cetero insit memoriae, ut eam nullatenus decoloret. Multorum enim nunc peccatorum, quae vel a nobis, vel ab aliis commissa novimus, recordamur; sed propria quidem inquinant, aliena non nocent. Ut quid hoc, nisi quod in bis erubescimus singulariter, haec nobis imputanda veremur? Tolle damnationem, tolle timorem, tolle confusionem, quae quidem omnia plena remissio tollit, et non modo non oberunt, sed et cooperantur in bonum, ut devotas ei referamus gratias, qui remisit. 28. Übrigens, auch wenn der Wille bereits gewandelt und der Leib zum Dienst unterworfen ist, also gleichsam die Quelle einigermaßen ausgetrocknet und das Loch verstopft ist, bleibt noch ein Drittes, und zwar das Schwierigste: nämlich das Gedächtnis zu reinigen und den Unrat auszuschöpfen. Wie soll denn mein Leben meinem Gedächtnis entfallen? Angenommen, ein billiges und dünnes Papier saugt die Schwärze vielleicht auf; durch welche Kunst soll diese später gelöscht werden? Nicht nur oberflächlich ist es nämlich getränkt, sondern ganz und gar durchtränkt. Vergeblich würde ich das Abschaben versuchen: eher reißt das Papier, als dass die elenden Zeichen gelöscht werden. Das Gedächtnis selbst könnte nämlich vielleicht im Vergessen verlöschen, sodass ich mich in geistiger Verwirrung nicht mehr an das erinnere, was ich begangen habe. Dass jedoch das Gedächtnis unversehrt bleibt und nur die Makel desselben abgewaschen werden, welches Messer könnte das bewirken? Ganz allein das lebendige und wirksame Wort, das tiefer dringt als jedes zweischneidige Schwert: DEINE SÜNDEN SIND DIR VERGEBEN. (Mk 2,5) Mag der Pharisäer murren und sagen: WER KANN SÜNDEN VERGEBEN, AUSSER DEM EINEN GOTT? (Mk 2,7) Für mich ist es nämlich Gott, der so spricht, und kein anderer wird neben dem gelten, der den ganzen Weg der Zucht erfunden und sie Jakob, seinem Diener, auferlegt hat, und Israel, seinem Geliebten. Danach erschien er auf Erden und verweilte bei den Menschen. Seine Nachsicht tilgt die Sünde, zwar nicht so, dass er sie aus dem Gedächtnis herausschneidet, sondern so, dass das, was es vorher gewöhnlich besetzte und zugleich befiel, auch weiterhin im Gedächtnis da ist, ohne es jedoch irgendwie zu entfärben. Vieler Sünden kommen uns nämlich jetzt in Gedächtnis und wir wissen, dass sie entweder von uns oder von anderen begangen wurden: Die eigenen jedoch beflecken uns, die fremden schaden uns nicht. Und wieso das, wenn nicht, weil wir uns der ersten in einzigartiger Weise schämen und ihre Anrechnung für uns fürchten? Nimm die Verurteilung, nimm die Furcht, nimm die Beschämung weg - all das, was die volle Vergebung hinweg nimmt - und sie werden nicht nur nicht schaden, sondern sogar zum Guten wirken, so dass wir dem herzlichen danken, der vergeben hat. 28. Et nunc primum voci illi qua dictum est: BEATI MITES, QUONIAM IPSI POSSIDEBUNT TERRAM, datur a Domino vox virtutis, at nunc primum habeat efficaciam, et incipiat exhiberi consolatio luctui repromissa. Ecce vero mitigata iam voluntate et subiecto corpore, velut oppilato foramine per quod tantae sordes intraverant, unum restat depurganda memoria velut exhaurienda sentina. Difficilis profecto et prorsus difficilis res. Quomodo enim a memoria nostra excidet vita nostra? Membrana vilis et tenuis atramentum forte prorsus ebibit: quo pacto ultra delebitur? Si radere volo, ante scindetur pellis quam littera deleatur, quia superficiem non summatim tinxit, sed totam prorsus intinxit. Sic inquinata memoria scindi porerit, ut captus mente non meminerim eorum quae commisi? Alioquin integra manere et, quo semel est imbuta deterrimum colorem, qua ratione amittere potest? Attamen unus est qui potest Deus, cui nil impossibile, nil difficile est. Nonne hoc et ipsi Iudaei cognoverant, quando, dicente Domino ad paralyticum: DIMITTUNTUR TIBI PECCATA TUA, indigne ferentes: QUIS EST HIC, inquiunt, QUI LOQUITUR BLASPHEMIAS? QUIS POTEST DIMITTERE PECCATA, NISI SOLUS DEUS? At quoniam, ut diximus, tolli a memoria, integra ea manente, non possunt, operatur divina miseratio, ut quae prius inerant et inficiebant, postea sint quidem in ea, sed eam nullatenus decolorent, quatenus videlicet sie memoretur anima peccati sui sicut et alieni. Ecce enim et mea peccata, et aliena in memoria habeo, sed mea inquinant, aliena non nocent. Cur hoc, nisi quia haec imputanda timeo, sed non illa. Itaque si fieri potest ut mea quoque iam non imputanda praesumam, nec mea nocebunt, immo et cooperabuntur in bonum, ut gratias agam et devotus sim ei qui remisit. 28. Und nun wird zum ersten Mal jenem Wort, in dem gesagt wurde: SELIG DIE SANFTMÜTIGEN, DENN SIE WERDEN DAS LAND BESITZEN (Mt 5,4) vom Herrn die Stimme der Kraft gegeben, so dass es jetzt zum ersten Mal Wirksamkeit zeigt und beginnt, sich als der Trost zu erweisen, der der Trauer versprochen wurde. So ist nun endlich der Wille besänftigt und der Körper unterworfen, also gleichsam die Öffnung verstopft ist, durch die solcher Unrat eingedrungen war. Eines aber bleibt noch zu tun: das Gedächtnis muss gereinigt werden, so wie man eine Jauchegrube ausschöpfen muss. In der Tat eine schwierige, eine sehr schwierige Angelegenheit! Wie wird denn unser Leben aus unserem Gedächtnis geschnitten? Angenommen, ein billiges und dünnes Blatt wird die Tinte ganz aufsaugen: wie wird diese wieder gelöscht werden? Wenn ich sie abschaben will, wird eher das Pergament reißen als dass der Buchstabe getilgt wird, denn die Schwärze hat nicht nur die Oberfläche flüchtig getränkt, sondern das ganze Papier völlig durchtränkt. Wird nur so das befleckte Gedächtnis zerrissen werden können, dass, im Geist befangen, ich mich nicht mehr erinnere, was ich begangen habe? Auf welche andere Weise kann es unversehrt bleiben und doch die äußerst hässliche Farbe verlieren, mit der es einmal durchtränkt worden ist? Doch Gott allein ist es, der es vermag - ihm, dem nichts unmöglich, nichts schwierig ist. Haben dies nicht selbst die Juden erkannt?, als der Herr zu dem Gelähmten sagte: DEINE SÜNDEN WERDEN DIR ERLASSEN (Mk 2,5), und sie voll Unwillen sagten: WER IST DIESER, DER GOTTESLÄSTERUNGEN AUSSPRICHT? WER KANN SÜNDEN VERGEBEN, AUSSER GOTT ALLEIN? (Lk 5,21) Da es aber, wie gesagt, nicht möglich ist, die Befleckungen aus dem Gedächtnis zu tilgen und dieses unversehrt zu lassen, bewirkt das göttliche Erbarmen, dass das, was früher in ihm war und es infizierte, zwar auch nachher in ihm ist, es aber keineswegs entstellt, da sich die Seele nun an die eigene Sünde so wie an eine fremde erinnert. Denn siehe, ich habe meine eigenen und fremde Sünden im Gedächtnis; meine Sünden aber beschmutzen mich, fremde schaden nicht. Warum dies? Doch nur, weil ich von den einen fürchte, dass sie mir angerechnet werden, von den anderen aber nicht. Wenn es demnach geschehen kann, dass ich annehmen darf, auch die meinen müssen mir nicht mehr angerechnet werden, dann werden auch meine Sünden nicht mehr schaden, ja, sie werden sogar dadurch zum Guten gereichen, dass ich danke und mich dem hingebe, der sie erlassen hat.
XVI. DE MISERICORDIA QUAE PAENITENTI PROMITTITUR AC MISERENTI: BEATI, INQUIT, M1SERICORDES ETC. XVI. DIE BARMHERZIGKEIT, DIE DEM VERSPROCHEN WIRD, DER BEREUT UND DER BARMHERZIG IST: SELIG SIND, SAGT MAN, DIE BARMHERZIGEN USW.    
29. Iam vero supplicanti pro ea, congrue respondetur: BEATI MISERICORDES, QUONIAM ipsi MISERICORDIAM CONSEQUENTUR. Miserere ergo animae tuae, qui Deum tibi vis misereri. Lava per singulas noctes lectum tuum, lacrimis tuis stratum tuum rigare memento. Si compateris tibi ipsi, si laboras in gemitu paenitentiae, - primus hic gradus misericordiae est -, misericordiam utique consequeris. Quod si forte magnus et multus peccator es, et magnam quaeris misericordiam ac multitudinem miserationum, tu quoque misericordiam tuam magnificare labora: reconciliatus es tibi ipsi; nam et tibi gravis factus eras, quod positus esses contrarius Deo. Ex hoc sane in domo propria reformata pace, eamdem necesse est prius erga proximos dilatari, ut novissime osculetur te et ipse osculo oris sui et, quemadmodum scriptum est, reconciliatus pacem habeas ad Deum. Dimitte his qui in te peccaverunt, et dimittetur tibi quod ipse peccasti, dum secura conscientia oraveris Patrem et dixeris: DIMITTE NOBIS DEBITA NOSTRA, SICUT ET NOS DIMITTIMUS DEBITORIBUS NOSTRIS. Si forte quempiam defraudaveris, redde vel simplum; quod superest da pauperibus et, misericordiam praestans, misericordiam consequeris. Si FUERINT PECCATA TUA UT COCCINUM, QUASI NIX DEALBABUNTUR, ET SI FUERINT RUBRA QUASI VERMICULUS, VELUT LANA ALBA ERUNT. Ut non confundaris super cunctis adinventionibus tuis quibus praevaricatus es, in quibus nunc erubescis, fac eleemosynam, si non potes de terrena substantia, de voluntate bona, et omnia munda erunt: non modo illuminata ratio et correcta voluntas, sed ipsa quoque memoria munda, ut ex hoc iam voceris ad Dominum, et audias vocem dicentis: 29. Nun aber wird dem, der um Erbarmen bittet, passend geantwortet: SELIG SIND DIE BARMHERZIGEN, DENN SIE WERDEN ERBARMUNG FINDEN. (Mt 5,7) Erbarme dich also deiner Seele, wenn du das Erbarmen Gottes für dich wünschst. Wasche jede Nacht dein Bett, gedenke dein Lager mit deinen Tränen zu benetzen. Wenn du mit dir selbst Mitleid hast, wenn du dich im bußfertigen Seufzen abmühst - das ist die erste Stufe der Barmherzigkeit - wirst du sicher Erbarmen erlangen. Wenn du aber vielleicht große und viele Sünden begangen hast und große Barmherzigkeit und eine Vielzahl von Erbarmungen erbittest, dann mühe auch du dich, deine Barmherzigkeit groß werden zu lassen. Du bist mit dir selbst versöhnt; denn auch dir warst du zur Last geworden, weil du dich Gott widersetzt hattest. Da jetzt im eigenen Haus der Friede wiederhergestellt ist, muss sich dieser notwendigerweise zunächst gegenüber den Nächsten ausweiten, so dass zuallerletzt auch Gott selbst dich auf deinen Mund küsst und du - wie geschrieben steht - als Versöhnter Frieden hast mit Gott. Vergib denen, die gegen dich gesündigt haben, und auch dir wird vergeben werden, was du selbst gesündigt hast, während du mit ruhigem Gewissen zum Vater beten und sprechen kannst: VERGIB UNS UNSERE SCHULD, WIE AUCH WIR UNSEREN SCHULDIGERN VERGEBEN. (Mt 6,12) Wenn du etwa jemanden hintergangen hast, erstatte es ihm wenigstens einmal zurück. Was übrig bleibt, gib den Armen und du wirst, wenn du Barmherzigkeit erweist, Barmherzigkeit erlangen. WENN DEINE SÜNDEN WIE SCHARLACH WAREN, SIE WERDEN WEISS WIE SCHNEE, WENN SIE ROT WAREN WIE PURPUR, SIE WERDEN WEISS WIE DIE WOLLE. (Jes 1,18) Damit du dich nicht schämst wegen all deiner Unternehmungen, in denen du gesündigt hast und über die du jetzt errötest, gib Almosen: Wenn es dir nicht aus irdischer Substanz möglich ist, so durch gutem Willen, und alles wird rein sein: nicht bloß die Vernunft ist erleuchtet und der Wille korrigiert, sondern auch das Gedächtnis selbst ist rein, so dass du nun bereits zum Herrn gerufen werden und die Stimme vernehmen kannst, die da sagt: 29. Iam vero de indulgentia supplicans, audio vocem dicentis: BEATI MISER.ICORDES, QUONIAM IPSI MISERICORDIAM CONSEQUENTUR, ac sic dicat: Ecce iam quidem reconciliatus es tibi; nam et tibi ipsi gravis factus eras, eo quod esses contrarius mihi. Nanc, in domo tua pace composita, oportet ut etiam erga proximos habeas pacem, nt postea, reconciliatus, pacem habere possis ad Deum. Oportet ut, quod in te est, cum omnibus hominibus pacem habeas, non solum nihil retinens de alieno, quod est iustitiae, sed etiam propria communicans, quod est misericordiae. Fac eleemosynam, si non potes de terrena substantia saltem de voluntate bona, et omnia munda erunt. Et iam non solum mitigata voluntas illuminata ratio, sed et memoria munda est; condona aliis quod deliquerunt in te, et dimittetur tibi quod peccasti. Esto misericors erga alios, et misericordiam consequeris. Cumque his omnibus misericordiae operibus operam dederit et, quod in ipso est, sine querela fuerit inter fratres, ecce vox Domini: BEATI MUNDO CORDE, QUONIAM IPSI DEUM VIDEBUNT. 29. Während ich für meine Vergebung dankbar bin, höre ich das Wort dessen, der sagt: SELIG DIE BARMHERZIGEN, DENN SIE WERDEN BARMHERZIGKEIT ERLANGEN (Mt 5,7), so, als wenn er sagte : Siehe, nun bist du mit dir versöhnt, denn auch dir selbst warst du dadurch zur Last geworden, dass du dich mir entgegengestellt hast. Da jetzt also in deinem Haus Friede geschaffen ist, musst du auch mit deinen Nächsten Frieden halten, damit du, nun versöhnt, später auch mit Gott Frieden haben kannst. Du sollst, soweit es in dir steckt, mit allen Menschen Frieden haben, nicht nur dadurch, dass du nichts von fremdem Besitz für dich behältst, was die Gerechtigkeit verlangt, sondern auch, indem du das eigene teilst, was die Barmherzigkeit verlangt. Gib Almosen, und wenn du es nicht mit irdischer Substanz kannst, dann doch mit deinem guten Willen, und alles wird rein werden. Und schon ist nicht mehr nur der Wille besänftigt und die Vernunft erleuchtet, sondern auch das Gedächtnis rein. Vergib anderen, was sie an dir verbrochen haben, und auch dir wird vergeben werden, was du verbrochen hast. Sei barmherzig zu anderen, und du wirst Barmherzigkeit erlangen. Wer sich um all diese Werke der Barmherzigkeit bemüht hat und, soweit es in ihm selbst steckt, ohne Streit unter den Brüdern gelebt hat, der hört die Stimme des Herrn: SELIG DIE EIN REINES HERZ HABEN, DENN GERADE SIE WERDEN GOTT SCHAUEN. (Mt 5,7)
XVII. UT DEUS VIDEATUR, COR MUNDANUM, QUIA BEATI MUNDO CORDE ETC. XVII. UM GOTT ZU SCHAUEN, MUSS DAS HERZ GEREINIGT WERDEN, DENN SELIG, DIE EIN REINES HERZ HABEN.    
30. BEATI MUNDO CORDE, QUONIAM IPSI DEUM VIDEBUNT. Magna promissio, fratres mei, et totis desideriis affectanda. Haec enim visio, confirmatio est, sicut Ioannes Apostolus ait: Nunc filii Dei sumus, sed nondum apparuit quid erimus. Scimus quia, cum apparuerit, similes ei erimus, quia videbimus sicuti est. Haec visio vita aeterna est, sicut ipsa in Evangelio Veritas ait: HAEC EST VITA AETERNA, UT COGNOSCANT TE SOLUM VERUM DEUM, ET QUEM MISISTI IESUM CHRISTUM. Odibilis macula, quae beatam hanc nobis adimit visionem, et exsecrabilis negligentia, qua dissimulamus interim illius oculi mundationem. Ut enim corporeus nobis visus aut humore interiori, aut exterioris iniectu pulveris impeditur, sic et intuitus spiritualis interdum quidem propriae carnis illecebris, interdum curiositate saeculari et ambitione turbatur. Quod quidem non minus nos experientia propria quam divina pagina docet, ubi legitur scriptum: CORPUS QUOD CORRUMPITUR AGGRAVAT ANIMAM, ET DEPRIMIT TERRENA INHABITATIO SENSUM MULTA COGITANTEM. In utroque tamen solum quod hebetat et confundit obtutum, peccatum est, nec aliud inter oculum et lucem, inter Deum et hominem separare videtur. Quod enim dum in hoc corpore sumus, peregrinamur a Domino, non utique corporis est culpa, sed huius quod adhuc scilicet corpus mortis, magis autem corpus peccati sit caro, in qua bonum non est, sed potius lex peccati. Interdum tamen corporeus oculus, non adhuc festuca manente, sed iam sublata vel exsufflata, aliquamdiu caligare videtur, quod quidem et ipsum in interiore oculo qui in spiritu ambulat, saepius experitur. Neque enim ubi ferrum extraxeris, continuo vulnus est redditum sanitati, sed tunc primum necesse est adhibere fomenta et operam dare curationi. Nemo ergo sentinam exiens, mundatum sese protinus arbitretur; quinimmo noverit se multis interim purificationibus egere. nec modo lavandum aqua, sed et purgandum et examinandum igni, ut dicat: TRANSIVIMUS PER IGNEM ET AQUAM, ET EDUXISTI NOS IN REFRIGERIUM. BEATI igitur MUNDO CORDE, QUONIAM IPSI DEUM VIDEBUNT: nunc quidem per speculum in aenigmate, in futuro autem facie ad faciem, ubi nimirum faciei nostrae fuerit consummata mundities, ut sibi eam exhibeat gloriosam, non habentem maculam neque rugam. 30. SELIG DIE EIN REINES HERZ HABEN, DENN SIE SELBST WERDEN GOTT SEHEN. (Mt 5,7) Groß ist die Verheißung, meine Brüder, und mit ganzem Sehnen zu erstreben. Das ist nämlich die Schau, die Bekräftigung, so wie der Apostel Johannes sagt: Jetzt sind wir die Söhne Gottes, aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (1 Joh 3,2) Diese Schau ist das ewige Leben, so wie die Wahrheit selbst im Evangelium sagt: DAS IST DAS EWIGE LEBEN, DASS SIE DICH, DEN EINZIGEN WAHREN GOTT ERKENNEN, UND JESUS CHRISTUS, DEN DU GESANDT HAST. (Joh 17,3) Hassenswert ist der Makel, der uns diese selige Schau raubt, und verwünschenswert die Gleichgültigkeit, in der wir in der Zwischenzeit die Reinigung jenes Auges vernachlässigen. Denn so wie der leibliche Blick bei uns entweder durch ein innerliches Sekret oder durch das Eindringen von äußerlichem Staub getrübt wird, so wird auch der geistige Blick getrübt und zwar bisweilen durch die Verführungen des eigenen Fleisches und bisweilen durch weltliche Neugier und Ehrgeiz. Das lehrt uns tatsächlich die eigene Erfahrung nicht weniger als die heilige Schrift, wo man geschrieben liest: DER LEIB, DER VERDORBEN WIRD, BESCHWERT DIE SEELE, UND DIE IRDISCHE BEHAUSUNG BEDRÜCKT DEN VIELES DENKENDEN SINN. (Weish 9,15) Bei beiden ist jedoch das einzige, was den Blick abstumpft und verwirrt, die Sünde, und nichts anderes erscheint zwischen dem Auge und dem Licht, zwischen Gott und dem Menschen zu trennen. Denn dass wir, solange wir in diesem Leib sind, fern vom Herrn wandeln, ist bestimmt nicht die Schuld dieses Leibes, sondern die Tatsache, dass er eben noch der Leib des Todes, mehr noch, der Leib der Sünde, das Fleisch ist. In diesem ist nichts Gutes, sondern vielmehr das Gesetz der Sünde. Bisweilen jedoch scheint das körperliche Auge, obwohl der Splitter nicht mehr darin, sondern bereits ausgeschwemmt und beseitigt ist, eine Zeitlang trüb zu sein, was freilich derjenige, der im Geist wandelt, in seinem inneren Auge des Öfteren erfährt. Nicht sofort nach Entfernung der eisernen Spitze ist nämlich die Wunde wieder gesund, sondern man muss dann zuerst warme Umschläge machen und sich um die Heilung mühen. Niemand darf sich bei der Entfernung des Unrats sofort für gereinigt halten, nein, er soll wissen, dass er einstweilen vieler Reinigungen bedarf. Nicht nur das Waschen mit Wasser ist nötig, sondern auch die Läuterung und Prüfung im Feuer, so dass er sagen kann: WIR GINGEN DURCH FEUER UND WASSER, UND DU HAST UNS IN DIE ERHOLUNG GEFÜHRT. (PS 65,12) SELIG also, DIE REIN SIND IM HERZEN, DENN SIE WERDEN GOTT SCHAUEN (Mt 5,8): Jetzt freilich sehen wir durch einen Spiegel in einem schemenhaften Umriss, in Zukunft aber werden wir von Antlitz zu Antlitz schauen (1 Kor 13,12), dort, wo die Reinheit unseres Angesichtes vollendet ist, so dass Gott es herrlich vor sich erscheinen lässt, ohne Flecken und Falte. 31. ?? lim ?? nunc accedat qui nec aliquid habet adversus aliquem nec quemquam, quantum quidem in ipso est, adversus se patitur quidquam habere. Cum autem iam familiaris et bene notus fidelis inventus fuerit, tunc primum audit: BEATI PACIFICI, QUONIAM FILII DEI VOCABUNTUR. Iam committitur ei opus filii, reconciliationis videlicet alienae, ut qui reconciliatus est, etiam alios reconciliare sollicitus sit, utpote qui expertus sit in seipso quemadmodum oporteat aliis misereri. Fidelis ergo sit in domo regis ingrediens et egrediens, pergens ad imperium eius, fideliter et efficaciter eius negotia tractans. Ei denique, qui eiusmodi est, secure iam instent alii opportune, importune: potest enim alios intro-ducere tamquam bene notus ostiario; potest enim eos Domino praesentare, quia invenit gratiam in oculis eius. 31. Nun endlich trete heran, wer weder gegen einen anderen etwas hat noch etwas hinnehmen muss, soweit es in ihm selbst liegt, dass jemand etwas gegen ihn hat. Wenn er sich jetzt aber als Freund und wohlbekannter Treuer erwiesen hat, dann hört er zum ersten Mal: SELIG DIE FRIEDEN STIFTEN, DENN SIE WERDEN SÖHNE GOTTES GENANNT WERDEN. (Mt 5,9) Nun wird ihm das Werk des Sohnes anvertraut, freilich Versöhnung mit anderen. Wer selbst versöhnt ist, soll nun motiviert sein, andere zu versöhnen, hat er doch an sich selbst erfahren, wie man sich anderer erbarmen muss. Er sei also treu, wenn er im Haus des Königs ein und ausgeht, wenn er sich zu seiner Herrschaft aufmacht, wenn er treu und wirksam seine Geschäfte führt. An einen Menschen, der derartig ist, dürfen sich schließlich ruhig auch andere wenden, ob passend oder unpassend. Er vermag nämlich auch andere hineinzuführen, ist er doch dem Torwächter wohl bekannt. Er kann sie dem Herrn vorstellen, da er in seinen Augen Gnade gefunden hat.
XVIII. DE PACATO, PACANTE ET PACIFICO: BEATI PACIFICI ETC. XVIII. ÜBER DEN BEFRIEDETEN, BEFRIEDENDEN UND FRIEDENSSTIFTER: SELIG, DIE FRIEDFERTIGEN ETC.    
31. Ubi opportune illico subinfertur: BEATI PACIFICI, QUONIAM FILII DEI VOCABUNTUR. Est enim homo pacatus, qui bona pro bonis reddens, quod in se est, nemini vult nocere. Est alius patiens, qui non reddens mala pro malis, etiam potens est sustinere nocentem. Est et pacificus, qui bona pro malis reddens, in promptu habet et prodesse nocenti. Primus parvulus est et facile scandalizatur, nec facile qui eiusmodi est in hoc saeculo nequam et pleno scandalis poterit obtinere salutem. Secundus, ut scriptum est, in patientia sua possidet animam suam. Nam tertius quidem non modo suam possidet, sed et multorum animas lucrifacit. Primus, quantum in ipso est, pacem habet, secundus pacem tenet, tertius pacem facit. Merito proinde beatificatur nomine filii, quod opus filii impleverit, ut post suam non ingratus reconciliationem, etiam alios reconciliet Patri suo. Siquidem qui bene ministraverit, bonum gradum sibi acquirit, nec in domo patris melior gradus credendus est quam filii. SI ENIM FILII, ET HER.EDES: HER.EOES QUIDEM DEI, COHEREDES AUTEM CHRISTI, ut, quemadmodum ipse dicit, ubi ipse est, ibi sit et minister ipsius. Fatigavimus vos prolixitate sermonis et detinuimus ultra quam oporteret. Ex hoc iam finem loquacitati nostrae, quem non imperat verecundia, videtur imperare vel hora. Mementote tamen Apostoli, quem aliquando verbum praedicationis usque in mediam noctem legitis protraxisse. UTINAM ADHUC, ut ipsius verbis utar, SUSTINEATIS MODICUM QUID INSIPIENTIAE MEAE: AEMULOR ENIM VOS DEI AEMULATIONE. 31. Wo passend sofort hinzugefügt wird: SELIG DIE FRIEDFERTIGEN, SIE WERDEN SÖHNE GOTTES GENANNT WERDEN. (Mt 5,9) Es gibt nämlich den befriedeten Menschen, der Gutes mit Gutem vergilt und, soweit es an ihm liegt, keinem schaden möchte. Ein anderer ist geduldig, der nicht Böses mit Bösem vergilt, und sogar die Kraft hat, den Schädling auszuhalten. Es gibt auch den Friedensstifter: Dieser vergilt Böses mit Gutem und ist bereit, sogar dem Schädling zu nützen. Der erste ist wie ein kleines Kind und wird leicht zum Bösen verführt: Es ist nicht leicht für einen solchen, in dieser bösen Welt voller Skandale das Heil zu erlangen. Der zweite gewinnt - wie geschrieben steht - in seiner Geduld das Leben. Der dritte dagegen macht sicher nicht nur das seine, sondern auch noch das Leben von vielen zum Gewinn. Der erste hat, soweit es an ihm liegt, Frieden, der zweite hält Frieden, der dritte schafft Frieden. Zu Recht wird er daher mit der Bezeichnung Sohn selig gepriesen, da er doch das Werk eines Sohnes erfüllt hat: Nach seiner eigenen Versöhnung ist er nicht undankbar und möchte auch andere mit seinem Vater versöhnen. Wer nämlich gut gedient hat, erlangt sich einen hohen Rang, und im Haus des Vaters ist wohl kein anderer Rang höher einzuschätzen als der des Sohnes. WENN WIR SÖHNE SIND, SIND WIR AUCH ERBEN GOTTES UND MITERBEN CHRISTI (Rom 8,17), so dass er, wie er selbst sagt, sein Diener dort ist, wo er selbst ist. Ich habe euch durch die Ausführlichkeit der Predigt ermüdet und länger hingehalten, als es sich gehört.

Das Ende meiner Gesprächigkeit fordert daher jetzt, wenn schon nicht die Schüchternheit, so offensichtlich wenigstens die fortgerückte Stunde. Erinnert euch jedoch an den Apostel, von dem man liest, dass er sein Predigtwort einmal bis um Mitternacht hinausgezogen hatte. (Apg 20,7) SO LASST EUCH DOCH, um die Worte desselben zu gebrauchen, NOCH EIN WENIG VON MEINEM UNVERSTAND GEFALLEN: DENN ICH BIN EIFERSÜCHTIG AUF EUCH MIT DER EIFERSUCHT GOTTES. (2 Kor 11,12)

   
XIX. INCREPATIO AD AMBITIOSOS QUI, NON PRIUS IPSI MUNDATO CORDE, PACIFICARE SE DEUM ALIIS PRAESUMUNT. XIX. TADEL DER EHRGEIZIGEN, DIE OHNE VORHERIGE REINIGUNG DES EIGENEN HERZENS GOTT MIT DEN ANDEREN ZU VERSÖHNEN SICH VORNEHMEN.    
32. Filioli, QUIS DEMONSTRAVIT VOBIS FUGERE AB IRA VENTURA? Nemo enim magis iram meretur quam amicum simulans inimicus. IUDA, OSCULO FILIUM HOMINIS TRADIS, homo unanimis, qui simul cum eo dulces capiebas cibos, qui in paropside manum pariter intinxisti! Non est tibi pars in oratione, qua orat ad Patrem et dicit: PATER, IGNOSCE ILLIS, QUIA NESCIUNT QUID FACIUNT. Vae vobis qui clavem tollitis non scientiae solum, sed et auctoritatis, nec ipsi introitis, et multipliciter impeditis quos introducere debuistis! Tollitis enim, non accipitis claves. De quibus Dominus queritur per Prophetam: IPSI REGNAVERUNT, ET NON EX ME; PRINC1PES EXSTITERUNT, ET EGO NON VOCAVI EOS. Unde tantus praelationis ardor, unde ambitionis impudentia tanta, unde vesania tanta praesumptionis humanae? Audeatne aliquis nostrum terreni cuiuslibet reguli, non praecipiente aut etiam prohibente eo, occupare ministeria, praeripere beneficia, negotia dispensare? Nec tu Deum putes, quae in magna domo sua a vasis irae aptis in interitum sustinet, approbare. Multi quidem veniunt, sed considera quis vocetur. Ordinem ipsum dominici sermonis attende: BEATI, inquit, MUNDO CORDE, QUONIAM IPSI DEUM VIDEBUNT, ac deinde: BEATI PACIFICI, QUONIAM FILII DEI VOCABUNTUR. Mundicordes utique vocat Pater caelestis, qui non quaerunt quae sua sunt, sed quae Iesu Christi, nec quod sibi utile est, sed quod multis. PETRE, inquit, AMAS ME? DOMINE, TU SCIS QUIA AMO TE. PASCE, ait, OVES MEAS. Quando enim sic amatas oves committeret non amanti? Nimirum hoc quaeritur inter dispensatores, ut fidelis quis inveniatur. Vae ministris infidelibus, qui necdum reconciliati, reconciliationis alienae negotia, quasi homines qui iustitiam recerint, apprehendunt! Vae filiis irae, qui se ministros gratiae profitentur! Vae filiis irae, qui pacificorum sibi usurpare gradus et nomina non verentur! Vae filiis irae, qui fideles sese mediatores pacis, ut peccata populi comedant, mentiuntur! Vae qui ambulantes in carne, Deo placere non possunt, et placare velle praesumunt. 32. Meine Söhnchen, WER HAT EUCH GELEHRT, DASS IHR KÜNFTIGEM ZORN ENTKOMMEN KÖNNT? (Mt 3,7) Keiner verdient nämlich mehr Zorn als der den Freund vortäuschende Feind. JUDAS, MIT EINEM KUSS VERRÄTST DU DEN MENSCHENSOHN (Lk 22,48), ein mit ihm einmütig lebender Mensch, der zusammen mit ihm süße Speisen zu sich nahm, der wie er die Hand in die Schüssel tauchte! Du hast nicht teil am Gebet, in dem er zum Vater betet und spricht: VATER, VERGIB IHNEN, DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN. (Lk 23,34) Weh euch, ihr ergreift nicht nur den Schlüssel zum Wissen, sondern auch den zur Amtsgewalt. Ihr tretet selbst nicht ein und behindert vielfach die, die ihr hättet hineinführen müssen! Ihr greift euch einfach die Schlüssel, ohne sie zu empfangen. Über solche klagt der Herr durch den Propheten: SIE HABEN ALS KÖNIGE GEHERRSCHT, ABER NICHT AUS MIR HERAUS, SIE HABEN SICH ALS FÜRSTEN GEGEBEN, ABER ICH HABE SIE NICHT BERUFEN. (Hos 8,4) Woher eine so große Selbstüberhebung, woher ein so unverschämter Ehrgeiz, woher ein solcher Wahnwitz menschlicher Anmaßung? Würde einer von uns bei irgendeinem irdischen Kleinkönig wagen - ohne seinen Befehl oder sogar gegen sein Verbot -, Ämter zu besetzen, Einkünfte an sich zu reißen und Geschäfte zu verteilen? Du aber darfst nicht glauben, dass Gott mit dem einverstanden ist, was er in seinem großen Haus von den Gefäßen des Zornes, die für den Untergang geeignet sind, erträgt. Viele kommen freilich, doch beachte, wer gerufen wird. Achte Ordnung des Herrenwortes! SELIG, sagt er, DIE REINEN HERZENS SIND, DENN SIE WERDEN GOTT SCHAUEN (Mt 5,8), und dann erst: SELIG DIE FRIEDFERTIGEN, DENN DIE WERDEN SÖHNE GOTTES GENANNT WERDEN. (Mt 5,9) Die reinen Herzen sind, beruft also der himmlische Vater, die nicht das Ihre suchen, sondern die Sache Jesu Christi, und nicht ihren Nutzen, sondern den Nutzen vieler. PETRUS, sagt er, LIEBST DU MICH? HERR, DU WEISST, DASS ICH DICH LIEBE. WEIDE, sagt er, MEINE SCHAFE. (Joh 21,1617) Wann würde er nämlich die so geliebten Schafe einem anvertrauen, der nicht liebt? Eben das wird von Verwaltern verlangt, dass sich ein jeder als treu erweist. Wehe den untreuen Dienern, die, ohne noch versöhnt zu sein, nach dem Geschäft fremder Versöhnung greifen, wie gleichsam Menschen, die Gerechtigkeit gepachtet haben! Wehe den Söhnen des Zorns, die sich als Diener der Gnade bezeichnen! Wehe den Söhnen des Zorns, die sich nicht scheuen, der Friedensstifter Rang und Namen an sich zu reißen! Wehe den Söhnen des Zorns, die lügen, sie seinen gläubige Mittler des Friedens, um die Sünden des Volkes zu tilgen! Wehe ihnen, die sie im Fleische wandeln und Gott nicht Gefallen können, sich aber herausnehmen wollen, Frieden zu stiften!    
ADMIRATIO QUOD QUIDAM SUPREMUM PACIFICORUM GRADUM SIBI USURPANT, QUI NULLUM INFERIORUM, NE PRIMUM QUIDEM, ATTIGERUNT. VERWUNDERUNG DARÜBER DASS SICH MANCHE DEN OBERSTEN RANG DES FRIEDENSSTIFTERS ANMASSEN, DIE KEINEN EINZIGEN DER NIEDRIGEREN RÄNGE, NICHT EINMAL DEN UNTERSTEN ERREICHT HABEN.    
33. Non miramur, fratres, quicumque praesentem statum Ecclesiae miseramur, non miramur de radice colubri regulum orientem. Non miramur, si vindemiat vineam Domini, qui institutam a Domino praetergreditur viam. Impudenter enim pacifici gradum et filii Dei vices occupat homo, qui nec primam quidem adhuc vocem Domini ad cor revocantis audivit, aut, si quando forsitan coepit audire, resiliens fugit ad folia, ut absconderetur in eis. Propterea necdum peccare quievit, sed longam adhuc trahit restem: necdum factus est vir videns paupertatem suam, sed dicit quia dives sum et nullius egeo, cum sit pauper, et nudus, et miser, et miserabilis. Nihil illi de spiritu mansuetudinis, quo praeoccupatos in delicto possit instruere, considerans seipsum, ne et ipse tentetur. Compunctionis lacrimas nesciens, laetatur magis cum male fecerit, et exsultat in rebus pessimis. Nimirum unus eorum est, quibus Dominus ait: VAE VOBIS QUI RIDETIS NUNC, QUONIAM FLEBITIS! Pecuniam, non iustitiam concupiscit; oculi eius omne sublime vident. Insatiabiliter esurit dignitates, gloriam sitit humanam. Procul ab eo misericordiae viscera: saevire potius et tyrannum exhibere laetatur; quaestum aestimat pietatem. Quid de munditia cordis loquar? Utinam non illud oblivioni dedisset tamquam mortuus a corde! Utinam non esset COLUMBA SEDUCTA NON HABENS COR! Utinam esset vel quod deforis est mundum, nec ea, quae corporalis est, maculata tunica inveniretur, ut oboediret vel in hac parte dicenti: MUNDAMINI, QUI FERTIS VASA DOMINI. 33. Wir wundern uns nicht, Brüder, die wir alle vom gegenwärtigen Zustand der Kirche verwundet sind, wir wundern uns nicht, wenn aus der Wurzel der Schlange eine Natter hervorgeht. Wir wundern uns nicht, wenn einer den Weinberg des Herrn ausplündert, da er den vom Herrn festgesetzten Weg übergeht. Schamlos ist nämlich der Anspruch des Menschen auf den Rang eines Friedensstifters und den Anteil des Sohnes Gottes, wenn er noch nicht einmal den ersten Anruf des Herrn an das Herz zur Umkehr gehört hat, oder, falls er vielleicht zu hören begann, zurückprallte und zu den Blättern floh, um sich in ihnen zu verstecken. Deshalb ließ er bisher nicht vom Sündigen ab, sondern er zieht noch einen langen Strick mit sich: Er wurde noch nicht zu einem Mann, der seine Armut sieht, sondern er sagt: Ich bin reich und mir fehlt nichts, obwohl er arm und nackt, elend und erbärmlich ist. Nichts ist in ihm vom Geist der Sanftmut, durch den er die in Sünde Verstrickten unterrichten könnte, und indem er auf sich selbst achtet, dass nicht auch er versucht wird. Die Tränen der Zerknirschung kennt er nicht, freut sich vielmehr, wenn er Bösen tut und jubelt bei den schlechtesten Dingen. Wahrhaftig, er ist einer von denen, zu denen der Herr sagt: WEHE EUCH, DIE IHR JETZT LACHT, DENN IHR WERDET WEINEN. (Lk 6,25) Auf Geld, nicht auf Gerechtigkeit ist er aus, seine Augen blicken alles Erhabene an. Unersättlich hungert er nach Würden, dürstet er nach menschlicher Ehre. Fern liegt ihm das Innerste der Barmherzigkeit. Viel mehr freut es ihn, zu wüten und den Alleinherrscher herauszukehren. Aus Erwerbsgründen achtet er die Frömmigkeit. Was soll ich über die Reinheit des Herzens sagen? Wäre das doch nicht seinem Gedächtnis so entschwunden wie ein Toter aus dem Herzen! Wäre er nur nicht eine VERFÜHRTE TAUBE, DIE KEIN HERZ HAT! (Hos 7,11) Wäre doch wenigstens das Äußerliche rein und das Kleid, das körperlich ist, nicht befleckt, so dass er wenigstens in diesem Punkt dem gehorchte, der da spricht: REINIGT EUCH, DENN IHR TRAGT DIE GEFÄSSE DES HERRN. (Is 52,11)    
XX. EXPROBRATIO QUOD INCONTINENTES SACROS ORDINES IMPUDENTER TEMERARE NON VERENTUR. XX. EIN VORWURF DARÜBER, DASS SOLCHE, DIE NICHT ENTHALTSAM LEBEN, SICH NICHT SCHEUEN, DIE HEILIGEN ORDEN SCHAMLOS ZU BEFLECKEN.    
34. Non accusamus universitatem, sed nec universitatem possumus excusare. Reliquit sibi Dominus multa millia. Alioquin, nisi eorum nos excusaret iustitia et illud nobis semen sanctum Dominus Sabaoth reliquisset, olim iam sicut Sodoma subversi essemus, et sicut Gomorrha similiter perissemus. Dilatata siquidem videtur Ecclesia; ipse etiam cleri sacratissimus ordo super numerum multiplicatus est. Verum, etsi multiplicasti gentem, Domine, non magnificasti laetitiam, dum nihil minus appareat decessisse meriti quam numeri accessisse. Curritur passim ad sacros Ordines, et reverenda ipsis quoque spiritibus angelicis ministeria homines apprehendunt sine reverentia, sine consideratione. Neque enim signum regni occupare caelestis aut illius timent imperii gestare coronam, in quibus avaritia regnat, ambitio imperat, dominatur superbia, sedet iniquitas, luxuria etiam principatur, in quibus et pessima forte appareat intra parietes abominatio, si, iuxta Ezechielis prophetiam, parietem fodiamus, ut in domo Dei videamus horrendum. Siquidem post fornicationes, post adulteria, post incestus, ne ipsae quidem apud aliquos ignominiae passiones et turpitudinis opera desunt. Utinam non fierent quae usque adeo non conveniunt, utinam nec Apostolum scribere nec, nec nos dicere oporteret! Utinam nec dicentibus crederetur, quod humanum aliquando occupaverit animum tam abominanda cupido! 34. Wir beschuldigen nicht die Allgemeinheit, doch wir können die Allgemeinheit auch nicht entschuldigen. Der Herr hat viele Tausende für sich zurückgelassen. Andernfalls, wenn uns nicht derer aus Gerechtigkeit entschuldigte und der Herr Sabaoth uns nicht jene heilige Saat zurückgelassen hätte, wären wir schon einst wie Sodom gestürzt und ähnlich wie Gomorra zugrunde gegangen. Ausgeufert erscheint nämlich die Kirche, selbst der allerheiligste Stand des Klerus ist übermäßig zahlreich geworden. Doch wenn du auch dein Volk vermehrt hast, Herr, so hast du doch nicht die Freude vergrößert (PS 39,6), solange es so scheint, als würde es nicht weniger an Verdienst abnehmen, als es an Zahl gewinnt. Man läuft allseits zu den heiligen Weihen, und die Menschen packen sogar für die himmlischen Geister verehrungswürdige Dienste ohne Ehrfurcht an sich, ohne Nachdenken. Nicht einmal das Zeichen des Himmelreiches zu beanspruchen oder die Krone seiner Herrschaft zu tragen scheuen sie sich, sie, in denen die Habsucht herrscht, der Ehrgeiz gebietet, die Überheblichkeit vorherrscht, die Unbilligkeit sitzt, ja, sogar die Ausschweifung den Ton angibt, in denen vielleicht selbst der allerschlimmste Gräuel zwischen den Mauern zum Vorschein kommt, wenn wir - nach der Prophetie des Ezechiel (8,713, 8) - die Wand durchbrechen, um das Schreckliche im Haus Gottes zu sehen. Nach Unzucht, nach Ehebruch und nach Blutschande fehlen bei manchen nicht einmal die Leidenschaften und Werke der Schmach (Rom 1,26).17 Würde das nur nicht geschehen, was ganz und gar nicht passt, müsste nicht nur der Apostel es schreiben, oder ich es zu aussprechen! Würde man den Sprechenden nur nicht glauben, dass je eine so scheußliche Begierde den menschlichen Geist beseelte!    
35. Numquid non olim civitates illae, spurcitiae huius matres, divino praedamnatae iudicio et incendio sunt deletae? Numquid non gehennalis flamma, moram non sustinens, exsecrabilem illam praevenit tollere nationem, quod ipsius specialiter essent peccata manifesta praecedentia ad iudicium? Numquid non ipsam, utpote consciam tantae confusionis, tellurem absumpsit ignis, sulfur et Spiritus procellarum? Numquid non in lacum horribilem solum omne redactum est? Amputata sunt hydrae capita quinque, sed heu, innumera surrexerunt. Quis reaedificavit urbes flagitii? Quis turpitudinis moenia dilatavit? Quis extendit propagines virulentas? Vae, vae, inimicus hominum sulfurei illius incendii reliquias infelices circumquaque dispersit, exsecrabili illo cinere Ecclesiae corpus adspersit, et ipsorum quoque ministrorum nonnullos sanie foetidissima spurcissimaque respersit! Heu! GENUS ELECTUM, REGALE SACERDOTIUM, GENS SANCTA, POPULUS ACQUISITIONIS, quis inter tua illa primordia tam divina et spiritualibus affluentem charismatibus christianae religionis ortum, credere posset posse talia in te aliquando reperiri? 35. Sind etwa nicht einst jene Städte, die Mütter dieser Unflätigkeit, vom göttlichen Gericht verdammt und vom Brand zerstört worden? Hat nicht etwa das Feuer der Hölle, ohne einen Aufschub zu dulden, schon vorgegriffen, jenes verwünschte Volk zu beseitigen, weil seine Sünden in besonderer Weise offenkundig waren und ihm vorausgingen zum Urteil? Haben etwa nicht Feuer, Schwefel und Sturmwind sogar das Land verzehrt, das gleichsam Mitwisser so großer Verwirrung war? Wurde etwa nicht der ganze Boden zu einem schrecklichen See? Der Hydra wurden fünf Häupter abgeschlagen, doch ach, unzählige wuchsen nach. Wer baute die Städte der Schandtat wieder auf? Wer erweiterte die Mauern der Schmach? Wer breitete die giftigen Ableger aus? Wehe, wehe, der Feind der Menschen hat die unseligen Überreste jenes Schwefelbrandes überall verstreut, mit jener abscheulichen Asche den Leib der Kirche bestreut, und sogar manchen ihrer Diener mit schmutzigen und schmählichen Eiter bespritzt. Welch ein Unglück! AUSERWÄHLTES GESCHLECHT, KÖNIGLICHE PRIESTERSCHAFT, GEHEILIGTER STAMM, ERWORBENES VOLK (1 Petr 2,8), wer hätte bei deinem so göttlichen Anfang und der von Geistesgaben überfließenden Geburt des christlichen Glaubens glauben können, dass sich in dir einst solches finden ließe?    
36. Ingrediuntur cum hac macula tabernaculum Dei viventis; inhabitant cum hac macula templum, sanctum Domini polluentes, iudicium multiplex accepturi, quod et tam gravissimas conscientias gerunt, et nihilominus sese ingerunt in sanctuarium Dei. Tales enim non modo non placant Deum, sed et magis irritant, dum videntur in cordibus suis dicere: NON REQUIRET. Irritant plane, et infensum reddunt sibi, vereor ne et his quibus eum propitiare debuerant. Utinam magis turrim inchoaturi, sedentes computarent, ne forte sumptus non habeant ad perficiendum! Utinam qui continere non valent, perfectionem temerarie profiteri aut caelibatui dare nomina vereantur! Sumptuosa siquidem turris est, et verbum grande, quod non omnes capere possunt. Esset autem sine dubio melius nubere quam uri, et salvari in humili gradu fidelis populi quam in cleri sublimitate et deterius vivere, et districtius iudicari. Multi enim, non quidem omnes, sed tamen multi, certum est, nec latere queunt prae multitudine, nec prae impudentia quaerunt; multi utique libertatem, in qua vocati sunt, in occasionem carnis dedisse videntur, abstinentes remedio nuptiali, et in omne deinceps flagitium effluentes. 36. Sie treten mit diesem Schandfleck in den Tabernakel des lebendigen Gottes; sie bewohnen mit diesem Schandfleck seinen Tempel und besudeln die Heiligkeit des Herrn. Ein vielfaches Strafgericht werden sie empfangen, weil sie ein derart schwer belastetes Gewissen tragen und sich dennoch ins Heiligtum Gottes einschleusen. Solche nämlich versöhnen nicht nur Gott nicht, sondern erzürnen ihn umso mehr, indem sie in ihren Herzen zu sagen scheinen: ER WIRD NICHT NACHFRAGEN. (PS 9,34) Sie reizen ihn klar und machen ihn nicht nur sich selbst zum Feind, sondern - so fürchte ich - auch denen, denen sie seine Gnade erwirken müssten. Würden sie sich nur besser vor den Turmbau (Lk 14,28) beginnen und im Sitzen rechnen, damit ihnen nicht die Mittel ausgehen zur Fertigstellung! Würden sich doch jene, die sich nicht enthalten können, scheuen, leichtsinnig die Vollkommenheit zu geloben oder ihre Namen dem Zölibat zu verschreiben! Protzig ist nämlich der Turm und groß das Wort, das nicht alle fassen können. Es wäre aber zweifelsohne besser zu heiraten als zu brennen, im demütigen Stand des gläubigen Volkes gerettet zu werden, als in der Erhabenheit des Klerus ziemlich schlecht zu leben und reichlich streng gerichtet zu werden. Viele nämlich, allerdings nicht alle, aber dennoch eine Menge, das ist sicher -verstehen es weder, sich wegen ihrer Vielzahl zu verstecken, noch wollen sie es wegen ihrer Unverschämtheit. Viele scheinen tatsächlich die Freiheit, zu der sie berufen sind, in das Belieben des Fleisches gegeben zu haben: sie verschmähen das Heilmittel der Ehe und verströmen sich ihn zu jeder Übeltat.    
XXI. EXHORTATIO AD PAENITENTIAM, ET UT PRIUS HUMILIA SAPIANT, UT POSTMODUM DIGNE ALTA CONSCENDANT. XXI. MAHNUNG ZUR REUE, DASS SIE ZUERST DEMUT SCHMECKEN, EHE SIE WÜRDIG SIND, ZUR HÖHE AUFZUSTEIGEN.    
37. Parcite, obsecro, fratres, parcite animabus vestris, parcite sanguini qui pro vobis effusus est. Horrendum cavete periculum, ignem qui paratus est declinate. Inveniatur tandem non irrisoria professio perfectionis, exhibeatur etiam virtus in specie pietatis. Non sit inanis caelibis vitae forma, et vacua veritatis. Quidni periclitaretur castitas in deliciis, humilitas in divitiis, pietas in negotiis, veritas in multiloquio, caritas in hoc saeculo nequam? Fugite de medio Babylonis, fugite et salvate animas vestras. Convolate ad urbes refugii, ubi possitis et de praeteritis agere paenitentiam, et in praesenti obtinere gratiam, et futuram gloriam fiducialiter praestolari. Non vos retardet conscientia peccatorum, quia ubi illa abundaverunt, superabundare gratia consuevit. Non paenitentiae austeritas ipsa deterreat: neque enim condignae sunt passiones huius temporis ad praeteritam culpam, quae remittitur; non ad praesentem consolationis gratiam, quae immittitur; non ad futuram gloriam, quae promittitur nobis. Denique nulla est tanta amaritudo, quam non prophetica farina dulcoret, quam non sapidam reddat sapientia, lignum vitae. 37. Schont, ich beschwöre euch, Brüder, verschont eure Seelen, habt Erbarmen mit dem Blut, das für euch vergossen wurde. Hütet euch vor der schrecklichen Gefahr, weicht dem Feuer aus, das bereits geschürt ist! Wenn nur endlich das Bekenntnis zur Vollkommenheit nicht ins Lächerliche gezogen würde! Wenn nur auch tatsächlich die Tugend im Anschein der Frömmigkeit geübt würde! Nicht sinnlos darf die ehelose Lebensform sein, oder leer an Wahrheit! Wie würde dann nicht die Keuschheit bei den Verlockungen, die Demut bei den Kostbarkeiten, die Frömmigkeit bei den Geschäften, die Wahrheit bei der Schwatzhaftigkeit und die Liebe in dieser Weltlichkeit in Gefahr geraten? Flieht aus der Mitte Babylons, flieht und rettet eure Seelen! Eilt zu den Städten des Asyls, wo ihr für das Vergangene Buße tun und noch heute Gnade erhalten und zuversichtlich für die zukünftige Herrlichkeit bereit sein könnt. Nicht lähmen soll euch das Bewusstsein der Sünden, denn wo diese im Überfluss sind, ist gewöhnlich auch die Gnade überreich. Die Strenge der Buße braucht euch nicht abzuschrecken: Die Leiden dieser Zeit bedeuten nämlich nichts im Verhältnis zur vergangenen Schuld, die euch erlassen wird; nichts im Verhältnis zur gegenwärtigen Gnade des Trostes, die uns zuteil wird; nichts im Verhältnis zur künftigen Herrlichkeit, die uns versprochen wird. Außerdem ist keine Bitterkeit so groß, dass sie nicht durch das Mehl des Propheten versüßt, ja, dass sie nicht essbar wird durch die Weisheit, den Baum des Lebens.    
38. Si verbis non creditis, operibus credite, exemplis acquiescite plurimorum. Currunt undique peccatores ad paenitentiam, et natura pariter et consuetudine delicati exteriorem omnino asperitatem non reputant, ut exasperatae conscientiae leniantur. Nihil credentibus impossibile, nil amantibus difficile, nil asperum mitibus, nil humilibus arduum reperitur, quibus et gratia fert auxilium, et oboediendi devotio lenit imperium. Quid ambulatis in magnis et in mirabilibus super vos? Magnum prorsus et mirabile est ministrum esse Christi, et mysteriorum Dei dispensatorem. Longe supra vos est ordo pacificorum, nisi forte, omissis gradibus praeostensis, saltare magis quam ascendere libet. Utinam tamen quisquis sic intrat, si fieri posset, tam fideliter ministraret quam fiducialiter se ingessit! At difficile, fortassis et impossibile est, ut ex amara radice ambitionis, suavis fructus ardeat caritatis. Dico ego, si vultis audire, immo non ego, sed Dominus: CUM VOCATUS FUERIS AD NUPTIAS, RECUMBE IN NOVISSIMO LOCO, QUIA OMNIS QUI SE EXALTAT HUMILIABITUR, ET QUI SE HUMILIAT EXALTABITUR. 38. Wenn ihr den Worten nicht glaubt, glaubt wenigstens den Werken, schließt euch dem Beispiel vieler an. Von überallher laufen Sünder zur Buße. Obgleich durch Natur und Gewohnheit in gleicher Weise verwöhnt, scheuen sie vor der äußeren Bitterkeit überhaupt nicht zurück, nur um die verhärteten Gewissen zu beruhigen. Nichts wird unmöglich denen, die glauben, nichts schwer denen, die lieben, nichts bitter für die Sanftmütigen, nichts hart für die Demütigen. Ihnen kommt die Gnade zu Hilfe, und das gehorsame sich Dreingeben erleichtert den Befehl. Was wandelt ihr in Gefilden, die zu groß und wunderbar für euch sind? Groß freilich und wunderbar ist es, der Diener Christi zu sein und Verwalter der Geheimnisse Gottes. Weit über euch steht der Rang der Friedensstifter, außer, ihr wollt etwa unter Auslassung der vorhin gezeigten Stufen lieber springen als aufsteigen. Würde doch nur jeder, der so eintritt, wenn es geschehen könnte, so zuverlässig dienen, wie er sich zuversichtlich einschleust. Es ist aber schwierig, vielleicht sogar unmöglich, dass aus dem Bitterwurz des Ehrgeizes die süße Frucht der Liebe entbrennt. So sage ich, wenn ihr mir Gehör schenken wollt, nein, nicht ich, sondern der Herr: WENN DU ZU EINER HOCHZEIT GERUFEN WURDEST, SETZE DICH AUF DEN ALLERLETZTEN PLATZ. DENN JEDER, DER SICH ERHÖHT, WIRD ERNIEDRIGT WERDEN, UND WER SICH ERNIEDRIGT, WIRD ERHÖHT WERDEN. (Lk 14,810)    
XXII. DE PERSECUTIONE SUSTINENDA SECUNDUM ULTIMAM BEATITUDINEM: BEATI QUI PERSECUTIONEM PATIUNTUR... BEATI ERITIS ETC. XXII. VON DER VERFOLGUNG, DIE MAN NACH DER LETZEN SELIGPREISUNG AUSHALTUNG MUSS: SELIG, DIE VERFOLGT WERDEN ... SELIG SEID IHR, ETC.    
39. BEATI, inquit, PACIFICI, QUONIAM FILII DEI VOCABUNTUR. Considera diligenter non pacidicos, sed pacificos commendari. Sunt enim qui dicunt, et non faciunt. Sane quemadmodum non auditores legis iusti sunt, sed factores, sic non annuntiatores pacis beati sunt, sed actores. Utinam tamen nostri quicumque videntur hodie Pharisaei, - forte enim aliqui sunt -, etsi non facerent, saltem dicerent quod oportet! Utinam qui sine sumptu ponere Evangelium nolunt, ponerent vel pro sumptu! Utinam vel evangelizarent ut manducarent! MERCENARIUS, inquit, VIDET LUPUM VENIENTEM, ET FUGIT. Utinam hodie quicumque pastores non sunt, mercenarios gregi vellent se exhibere, non lupos! Utinam ipsi non laederent, utinam non fugerent, nemine persequente, utinam non exponerent gregem, donec lupus veniens videretur! Nimirum sustinendi fuerant, si invenirentur, praesertim tempore pacis, recipientes mercedem suam, et pro mercede saltem in custodia gregis laborantes, dummodo non ipsi turbarent gregem, et gratis averterent a pascuis iustitiae et veritatis. Nam persecutio quidem indubitanter mercenarios a pastoribus segregat et discernit. Quando enim transitoria damna non timeat, qui temporalia lucra sectatur? Quando terrenam sustineat persecutionem propter iustitiam, qui terrenam mercedem quam iustitiam quaerit? BEATI, inquit, QUI PERSECUTIONEM PATIUNTUR PROPTER IUSTITIAM, QUONIAM IPSORUM EST REGNUM CAELORUM. Pastorum haec beatitudo, non mercenariorum, multo minus latronum est vel luporum. Usque adeo siquidem persecutionem non sustinent propter iustitiam, ut persecutionem malint quam iustitiam sustinere. Nempe contraria est operibus eorum, gravis est eis etiam ad audiendum. 39. Selig sind, so sagt der Herr, die Friedenstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. (Mt 5,9) Achte sorgfältig darauf, dass nicht die, die vom Frieden reden, sondern die, die Frieden stiften, gelobt werden. Es gibt nämlich solche, die reden, aber nicht handeln. Sowie nämlich nicht die gerecht sind, die das Gesetz hören, sondern die es erfüllen, so sind auch nicht die selig, die Frieden verkünden, sondern die, die ihn schaffen. Dennoch: Würden nur alle, die die Pharisäer von heute zu sein scheinen - denn vielleicht gibt es solche - wenn schon nicht tun, so doch wenigstens aussprechen, was sich gehört! Würden doch jene, die das Evangelium ohne Kosten verkünden wollen, es wenigstens um der Kosten willen verkünden! Würden sie doch wenigstens verkünden, um zu essen! DER TAGLÖHNER, sagt er, SIEHT DEN WOLF KOMMEN UND FLIEHT. (Joh 10,12) Wären doch heutzutage alle, die keine Hirten sind, bereit, sich als bezahlte Knechte zu erweisen, nicht als Wölfe! Würden sie nur nicht selbst verwunden, würden sie nur nicht fliehen, wo niemand verfolgt, und damit die Herde im Stich lassen, bis der Wolf sichtlich im Anmarsch ist! Erträglich war es hingegen, wenn man solche fand, vor allem in Friedenszeiten, die ihren Lohn entgegennahmen und sich wenigstens um des Lohnes willen um die Überwachung der Herde bemühten, solange sie nur nicht selbst die Herde in Verwirrung brachten und sie unentgeltlich von den Weiden der Gerechtigkeit und Wahrheit abwendeten! Die Verfolgung aber scheidet und trennt wirklich unzweifelhaft die bezahlten Knechte von den Hirten. Wann würde nämlich der einen vorübergehenden Schaden nicht fürchten, wenn er auf weltlichen Gewinn aus ist? Wann würde derjenige wohl die irdische Verfolgung wegen der Gerechtigkeit ertragen, der irdischen Lohn mehr als die Gerechtigkeit sucht? SELIG, heißt es, DIE VERFOLGUNG ERLEIDEN, WEGEN DER GERECHTIGKEIT, DENN IHRER IST DAS HIMMELREICH. (Mt 5,10) Für die Hirten gilt diese Seligkeit, nicht für die bezahlten Knechte, um vieles weniger noch für die Räuber oder Wölfe. Denn jene ertragen die Verfolgung nicht um der Gerechtigkeit willen, so dass sie lieber die Verfolgung als die Gerechtigkeit aushalten wollen. Denn diese widerspricht ja ihren Werken, schon davon zu hören ist ihnen lästig.    
40. Ceterum propter avaritiam, propter ambitionem paratos videas universa pericula subire, suscitare scandala, sustinere odia, dissimulare opprobria, negligere maledicta, ut non minus perniciosa sit animositas talium quam pusillanimitas mercenariorum. Veris ergo pastoribus dicit Pastor eorum, pastor bonus, qui pro ovibus suis animam suam ponere non pepercit: BEATI ERITIS CUM VOS ODERINT HOMINES, ET CUM SEPARAVERINT VOS, ET EIECERINT NOMEN VESTRUM TAMQUAM MALUM PROPTER FILIUM HOMINIS. GAUDETE IN ILLA DIE ET EXSULTATE, QUONIAM MERCES VESTRA COPIOSA EST IN CAELIS. Siquidem non est quod fures timeant, qui in caelo thesaurizant. Non est quod causentur de multiplici tribulatione, ubi multiplicationem mercedis attendunt. Quinimmo gaudeant magis, ut dignum est, quod non tam persecutio quam remuneratio augeatur, et exsultent eo abundantius quo plura sustinent propter Christum, ut eo perinde copiosior merces maneat apud ipsum. QUID TIMIDI ESTIS, MODICAE FIDEI? Fidelis exstat sententia irrefragabili veritate subnixa, quia nulla nocebit adversitas, si nulla dominetur iniquitas. Sed parum est non nocere; etiam proderit, et copiosius proderit, dummodo sit iustitia in intentione, Christus in causa, apud quem PATIENTIA PAUPERUM NON PERIBIT IN FINEM. Ipsi gloria nunc, et semper, et in saecula saeculorum. 40. Im übrigen kannst du diese um der Gewinnsucht und des Ehrgeizes willen bereit sehen, alle Gefahren auf sich zu nehmen, Skandale hervorzurufen, Hass zu ertragen, Schimpf und Schande geflissentlich zu übersehen, Flüche zu übergehen, so dass die Leidenschaftlichkeit solcher Menschen nicht weniger verderblich ist als der Kleinmut der bezahlten Knechte. Den wahren Hirten jedoch sagt ihr Hirte, der gute Hirte, der sich nicht schonte, für seine Schafe sein Leben hinzugeben: SELIG SEID IHR, WENN EUCH DIE MENSCHEN HASSEN, WENN SIE EUCH ABSONDERN, EUREN NAMEN IN VERRUF BRINGEN WEGEN DEM MENSCHENSOHN. FREUT EUCH AN JENEM TAG UND JUBELT, DENN EUER LOHN IM HIMMEL IST REICHLICH. (Lk 6,22 f.) Daher müssen diejenigen keine Diebe fürchten, die ihre Schätze im Himmel sammeln. Sie haben über vielfache Bedrängnis nicht zu klagen, wo sie doch eine Vervielfachung des Lohnes erwarten. Ganz im Gegenteil: Sie freuen sich, wie es würdig und recht ist, weil nicht so sehr die Verfolgung als die Entlohnung vermehr wird, und sie frohlocken um so überschwänglicher, je mehr sie wegen Christus ertragen, damit ihnen dadurch bei ihm ein umso reichlicherer Lohn bleibt. WAS FÜRCHTET IHR EUCH, IHR KLEINGLÄUBIGEN? (Mt 8,26) Als zuverlässig erweist sich der Satz, der sich auf die unverbrüchliche Wahrheit stützt: Keine Widrigkeit wird schaden, wenn kein Unrecht vorherrscht. Es langt jedoch nicht, dass sie nicht schadet; sie wird sogar nützen, und dies umso reichlicher, wenn nur die Billigkeit in der Absicht vorliegt, und Christus im Anliegen, bei dem DIE GEDULD FÜR DIE ARMEN NIE UNTERGEHEN WIRD, BIS ANS ENDE DER ZEITEN. (PS 9,18) Ihm sei die Ehre, jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.    


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