Papst Innozenz II.: Verurteilung Peter Abaelards und seiner Schriften

© Werner Robl, Neustadt, März 2003
 

Zwei kurz aufeinander folgende Bullen bzw. Schreiben Papst Innozenz' II. haben Peter Abaelard Verurteilung zum gegenstand. Sie datieren vom 16. Juli 1141. Beide Schriftstücke gingen den entscheidenden kirchenpolitischen Persönlichkeiten zu, die auch bei der Verurteilung der Schriften Abaelards auf dem Konzil von Sens am 25. Mai 1141 Feder führend gewesen waren: Die Erzbischöfe von Reims und Sens und Bernhard von Clairvaux. Ersteres Schreiben erwähnte kein Wort von Abaelards Appellation. Abaelard hatte umständehalber keine Gelegenheit zur persönlichen Appellation in Rom gefunden, sondern seine Sache an der Kurie lediglich durch Mittelsmänner - z. B. Hyazinth Bobo und Guido von Cittá di Castello - vertreten lassen.

Beide päpstlichen Schreiben unterscheiden sich bezüglich Inhalt und Ausführung deutlich. In ersterem gab sich Papst Innozenz in der Arenga alle Mühe, das Vorgehen gegen Ketzer im Allgemeinen und gegen Abaelard im Besonderen theologisch zu begründen. Die Bulle endete mit der Verurteilung der Lehrsätze und Werkkapitel Abaelards, die in Sens als häretisch befunden worden waren, und mit einem Schweigegebot für Abaelard persönlich. Dieser wurde in dem Schreiben jedoch nur mit einem Ketzer verglichen, nicht als ein solcher bezeichnet. Des weiteren fand sich eine Exkommunikationsandrohung für die Anhänger seiner Lehre.

Das zweite Schreiben an die Erzbischöfe und Bernhard ist ein sogenannter Justizbrief. Er ist äußerst knapp gehalten, ohne theologische oder formal-juristische Erklärung und verurteilt Peter Abaelard und Arnold von Brescia, der kurz vor 1141 zu Abaelard gestoßen war, zu getrennter Klosterhaft und ewigem Schweigen. Abaelards Werke sollten dem Feuer überantwortet werden. Außerdem findet sich in einem Zusatz der Hinweis, dass dieses Urteil erst anlässlich einer anstehenden Bischofskonferenz in Paris verlesen werden solle. Daraus ergeben sich folgende Rückschlüsse: 1. Es handelte sich bei dem besagten Schreiben um die für Bernhard von Clairvaux bestimmte Kopie. 2. Die Stimmung in Paris muss wegen der Verurteilung Abaelards sehr aufgewühlt gewesen sein. Warum sonst hätte eine hochrangige Kirchenversammlung dem Urteil Nachdruck verleihen sollen?

Ausführliche Angaben zum Prozess Abaelards, zur Werksgeschichte der Bullen und zur Wertung der Urteile finden sich an anderer Stelle:

Der lateinische Text der ersten Bulle entstammt der kritischen Ausgabe der Werke Bernhards von: Leclercq, J. und Rochais, H., S.: Bernardi Opera Vol. VII und VIII (Epistolae), Rom 1974 und 1977. Der Text der zweiten Bulle ist Mignes Patrologia Latina entnommen: PL Band 179, Spalte 517.

EPISTOLA CXCIV

LITTERAE DOMINI INNOCENTII PAPAE CONTRA HAERESES PETRI ABAELARDI. 

Innocentius episcopus, servus servorum Dei, venerabilibus fratribus Henrico Senonensi, Samsoni Remensi, archiepiscopis eorumque suffraganeis, et carissimo in Christo filio Bernardo, Claraevallis abbati: salutem et apostolicam benedictionem. 

1. TESTANTE Apostolo, sicut UNUS DOMINUS, ita UNA FIDES esse dignoscitur, in qua tamquam in immobili fundamento, praeter quod nemo potest aliud ponere, firmitas catholicae Ecclesiae inviolata consistit. Inde est quod beatus Petrus apostolorum princeps, pro eximia huius fidei confessione, a Domino ac Salvatore nostro audire meruit: TU ES, inquit, PETRUS, ET SUPER HANC PETRAM AEDIFICABO ECCLESIAM MEAM, petram utique firmitatem fidei et catholicae unitatis soliditatem manifeste designans. Haec siquidem est inconsutilis tunica Redemptoris nostri, super qua milites soniti sunt, sed eam dividere minime potuerunt, contra quam in initio FREMUERUNT GENTES ET POPULI MEDITATI SUNT INANIA, ASTITERUNT REGES TERRAE ET PRINCIPES CONVENERUNT IN UNUM. Verum apostoli, duces dominici gregis, et eorum successores apostolici viri, ardore caritatis et zelo rectitudinis succensi, fidem defendere et eam in cordibus aliorum proprii sanguinis effusione plantare non dubitarimt. Demum, cessante persecutorum rabie, IMPERAVIT Dominus VENTIS, ET PACTA EST in Ecclesia TRANQUILLITAS MAGNA. 

2. Sed quia hostis humani generis semper CIRCUIT QUAERENS QUEM DEVORET, ad impugnandam sinceritatem fidei, fraudulentam haereticorum fallaciam subinduxit. Contra quos viri ecclesiarum pastores, viriliter insurgentes, eorum prava dogmata cum ipsorum auctoribus condemnarunt. In magna namque Nicaena synodo Arius haereticus est damnatus. Constantinopolitana synodus Manichaeum haereticum debita sententia condemnavit. In Ephesina synodo Nestorius condignam sui erroris damnationem excepit. Chalcedonensis quoque synodus Nestorianam haeresim et Eutychianam cum Dioscoro et eius complicibus iustissima sententia confutavit. Marcianus praeterea, licet laicus, christianissimus tamen Imperator, catholicae fidei amore succensus, praedecessori nostro sanctissimo Papae Ioanni scribens adversus eos qui sacra mysteria profanare contendunt, inter cetera sic loquitur, dicens: Nemo clericus, vel militaris, vel alterius cuiuslibet condicionis, de fide christiana publice tractare conetur in posterum. Nam iniuriam facit iudicio reverendissimae synodi, si quis semel iudicata et recte disposita revolvere, et iterum disputare contendit, et in contemptores huius legis, tamquam in sacrilegos, poena non deerit. Igitur si clericus erit, qui publice tractare de religione ausus fuerit, consonio clericorum removebitur. 

3. Dolemus autem, quoniam, sicut litterarum vestrarum inspectione et missis a vestra fraternitate nobis errorum capitulis cognovimus, in novissimis diebus, quando instant periculosa tempora, in Petri Abaelardi perniciosa doctrina et praedictorum haereses, et alia perversa dogmata catholicae fidei obviantia pullulare coeperunt. Verum in hoc maxime consolamur, et omnipotenti Deo gratias agimus, qui in partibus vestris pro Patribus tales filios suscitavit, et tempore apostolatus nostri in Ecclesia sua tam praeclaros voluit esse pastores, qui novi haeretici calumniis studeant obviare et immaculatam sponsam UNI VIRO VIRGINEM CASTAM EXHIBERE CHRISTO. Nos itaque qui in beati Petri cathedra, cui a Domino dictum est: ET TU ALIQUANDO CONVERSUS, CONFIRMA FRATRES TUOS, licet indigni, residere conspicimur, communicato fratrum nostrorum episcoporum et cardinalium consilio, destinata nobis a vestra discretione capitula et universa ipsius Petri perversa dogmata sanctorum canonum auctoritate cum suo auctore damnavimus, eique tamquam haeretico perpetuum silentium imposuimus. Universos quoque erroris sui sectatores et defensores a fidelium consortio sequestrandos et excomunicationis vinculo innodandos esse censemus.  

Datum Laterani, XVII Kalendas Augusti.

BRIEF 194

BRIEF DES HERRN PAPSTES INNOZENZ GEGEN DIE IRRLEHREN DES PETER ABAELARD. 

Bischof Innozenz, der Diener der Diener Gottes, seinen ehrwürdigen Brüdern, den Erzbischöfen Heinrich von Sens, Samson von Reims und ihren Suffraganbischöfen, sowie dem in Christus geliebten Sohn Bernhard, Abt von Clairvaux: Heil und den apostolischen Segen! 

1. Nach dem ZEUGNIS des Apostels wird erkannt: Wie es nur EINEN HERRN gibt, so gibt es nur EINEN GLAUBEN. (Eph 4,5) Auf ihm ruht, wie auf einem unerschütterlichen Fundament, neben das niemand ein anderes setzen kann, unverletzt die Stärke der katholischen Kirche. Deshalb verdiente der heilige Apostelfürst Petrus, für sein ausnehmendes Bekenntnis dieses Glaubens von unserem Herrn und Erlöser zu hören: DU BIST PETRUS, UND AUF DIESEM FELSEN WERDE ICH MEINE KIRCHE ERBAUEN. (Mt 16,18) Als Felsen bezeichnete er ganz klar die Stärke des Glaubens und die Festigkeit der katholischen Einheit. Das ist in der Tat das nahtlose Kleid unseres Erlösers, über das die Soldaten das Los warfen, das sie aber keineswegs teilen konnten, GEGEN DAS VON ANFANG AN DIE HEIDEN MURRTEN UND DIE VÖLKER EITLES AUSHECKTEN, DIE KÖNIGE DER ERDE AUFTRATEN UND DIE FÜRSTEN SICH TRAFEN. (Ps 2,1f) Die Apostel aber, die Führer der Herde des Herrn, und ihre apostolischem Nachfolger - Männer von apostolischem Geist -, zögerten nicht - entflammt von der Glut der Liebe und dem Eifer der Geradlinigkeit -, den Glauben zu verteidigen und ihn durch das Vergießen des eigenen Blutes in die Herzen anderer einzupflanzen. Als die Wut der Verfolger schließlich nachließ, BEFAHL der Herr den WINDEN, und ES TRAT in der Kirche GROSSE RUHE ein. (Mt 8,26) 

2. Weil aber der Feind des Menschengeschlechtes immer UMHER GEHT UND NACH OPFERN SUCHT, DIE ER VERSCHLINGEN KÖNNTE (1 Petr 5,8), hat er heimlich das trügerische Ränkespiel der Ketzer eingeführt, um die Reinheit des Glaubens anzugreifen. Gegen diese haben sich die Hirten der Kirche mannhaft erhoben und ihre verdorbenen Lehrsätze mitsamt ihren Verfassern verurteilt: So wurde zum Beispiel in der großen Synode von Nizäa Arius als Häretiker verurteilt. Die Synode von Konstantinopel verurteilte durch einen gebührenden Spruch Manichäus als Häretiker. In der Synode von Ephesus empfing Nestorius die seiner Irrlehre würdige Verurteilung. Auch die Synode von Chalkedon brachte durch einen höchst gerechten Urteilsspruch die nestorianische und eutychianische Häresie mit Dioskorus und seinen Komplizen zum Schweigen. Außerdem spricht Marcianus, zwar ein Laie, aber ein höchst christlicher Kaiser, aus Liebe zum katholischen Glauben, in einem Schreiben an unseren Vorgänger, den heiligsten Papst Johannes, unter anderem Folgendes gegen die, die es wagen, die Heiligen Mysterien zu entweihen: Kein Kleriker, Krieger oder Angehöriger irgendeines anderen Standes wage es ein für alle Mal, über den christlichen Glauben öffentlich zu verhandeln. Wenn nämlich jemand danach strebt, eine einmal entschiedene und richtig verfügte Sache wieder aufzurollen und erneut zu diskutieren, fügt dem Urteil der hoch verehrten Versammlung Unrecht zu. Wer dieses Gesetz missachtet, wird wie ein Frevler der Strafe nicht entkommen. Wenn derjenige, der öffentlich über die Religion zu diskutieren wagte, ein Kirchenmann ist, soll er also aus der Gemeinschaft der Kleriker ausgestoßen werden. 

3. Es erfüllt uns aber mit Schmerz, dass in den jüngsten Tagen, wenn gefährliche Zeiten drohen (2 Tim 3,1), in der verderblichen Lehre des Peter Abaelard sowohl die Ketzereien der eben erwähnten Leute als auch andere verdrehte und dem katholischen Glauben abholde Lehren zu sprießen begannen. So haben wir es aus der Einsicht Eures Briefes und aus den uns von Eurer Brüderlichkeit übersandten Kapiteln der Irrtümer zur Kenntnis nehmen müssen. Aber wir finden darin am meisten Trost und danken dem allmächtigen Gott, dass er auf Eurer Seite solche Söhne für die Väter weckte und wollte, dass in der Zeit unseres Apostolats in seiner Kirche so hervorragende Hirten sind, die sich darum bemühen, sich den Feindseligkeiten des neuen Ketzers entgegenzustellen und die unbefleckte Braut als REINE JUNGFRAU NUR DEM EINEN, CHRISTUS, ZUZUFÜHREN. (2 Kor 11,2) Und so haben wir - so unwürdig wir auch sind, uns auf dem Stuhl des Heiligen  Petrus sitzen zu sehen, dem vom Herrn gesagt worden ist: DU ABER, WENN DU DICH EINMAL BEKEHRT BIST, STÄRKE DEINE BRÜDER (Lk 22,32) - mit unseren Brüdern, den Bischöfen und Kardinälen, gemeinsam beraten und kraft der Autorität der Heiligen Vorschriften die uns von Eurer Urteilskraft bezeichneten Kapitel und alle verderblichen Lehrsätze Peters einschließlich ihres Urhebers verurteilt und ihm wie gleichsam einem Ketzer ewiges Schweigen auferlegt. Wir erklären, dass auch alle Anhänger und Verteidiger seiner Irrlehre aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen und mit der Bande der Exkommunikation belegt werden müssen.  

Erlassen im Lateran, am 16. Juli.

EPISTOLA CDXLVIII

AD SAMSONEM REMENSEM, HENRICUM SENONENSEM, EPISCOPOS, ET BERNARDUM ABBATEM CLARAEVALLENSEM DE ABAELARDI ET ARNALDI DAMNATIONE
 

Innocentius episcopus, servus servorum Dei, venerabilibus fratribus Samsoni Remensi, Henrico Senonensi archiepiscopis, et charisssimo in Christo filio Bernardo Claraevallis abbati, salutem et apostolicam benedictionem.

Per praesentia scripta fraternitati vestrae mandamus quatenus Petrum Abaelardum et Arnaldum de Brixia, perversi dogmatis fabricatores, et Catholicae fidei impugnatores, in religiosis locis, ubi vobis melius visum fuerit, separatim faciatis includi, et libros erroris eorum, ubicunque reperti fuierint, igne comburi.

Data Laterani XVII Kalendas Augusti.

Transcripta ista nolite ostendere cuiquam, donec ipsae litterae in Parisiacensi colloquio, quod prope est, praesentate fuerint ipsis archiepiscopis.

 

BRIEF 448

BRIEF DES HERRN PAPSTES INNOZENZ AN DIE BISCHÖFE SAMSON VON REIMS UND HEINRICH VON SENS, SOWIE AN ABT BERNHARD VON CLAIRVAUX, ÜBER DIE VERURTEILUNG ABAELARDS UND ARNOLDS VON BRESCIA

Bischof Innozenz, Diener der Diener Gottes, an die ehrwürdigen Brüder Erzbischöfe Samson von Reims und Heinrich von Sens, und an den vielgeliebten Sohn in Christus, Bernhard, Abt von Clairvaux: Einen Gruß und den apostolischen Segen!

Durch vorliegendes Schreiben beauftragen wir Eure Brüderlichkeit, dass Ihr Peter Abaelard und Arnold von Brescia, die Urheber einer verkehrten Lehre und Feinde des christlichen Glaubens, in Klosteranstalten, die Euch am geeignetsten erscheinen, getrennt von einander einsperren lasst und die Bücher ihrer Irrlehren, wo immer sie auch aufgefunden werden, dem Feuer überantwortet.

Gegeben am 16. Juli im Lateran.

Zeigt diese Abschrift keinem, bis das betreffende Originalschreiben auf der demnächst in Paris stattfindenden Synode denselben Erzbischöfen vorgelegt wird.

 

 
[Zurück zur letzten Seite] [Zum Seitenanfang]