Bernhard von Clairvaux – Leben und Werk des berühmten Zisterziensers

Auszüge aus Peter Dinzelbachers Biographie, Seiten 138-141, 222 – 250

Erste Kontroverse mit Abaelard (1131)

Am 20. Januar 1131 nahm Bernhard an der Weihe des Laurentius-Altars durch den Papst in Morigny teil, wo er - zum ersten Mal? - Petrus Abaelardus persönlich getroffen haben muss. Abaelard wurde bei Innozenz wegen der Bestätigung des von ihm für seine Gattin Heloïse gegründeten Paraklet-Klosters (das nur eine Tagesreise von Clairvaux entfernt lag) vorstellig und bat um einen Legaten, der die Mönche seines Kloster St. Gildas in der Bretagne, mit denen er als Abt nicht fertig zu werden vermochte, in die Schranken weisen sollte. Die späteren Gegner unterzeichneten bei dieser Gelegenheit einmütig als Zeugen eine Urkunde. Interessant ist, wie der Verfasser der Klosterchronik, wohl ein Augenzeuge, die beiden berühmten Männer charakterisiert: Beide zählten bereits zu den bekanntesten Kirchenmännern ihrer Generation, der Zisterzienser als "der berühmteste Prediger des Gotteswortes in Frankreich", der Benediktiner als der "Leiter der hervorragendsten Schulen", vielleicht ein Hinweis darauf, dass Bernhard um einiges öfter auch außerhalb seines Kloster sprach, als bezeugt ist, vielleicht auch ein Rekurs auf den späteren Bernhard. Es war irgendwann in diesen Jahren, am wahrscheinlichsten bald nach dem Treffen von Morigny, dass Bernhard und Abaelard zum ersten Mal über eine fachtheologische Frage aneinander gerieten. Die noch sehr respektvoll von Abt zu Abt geführte Diskussion verrät doch schon ihre grundsätzlich verschiedenen Positionen. Bernhard hatte, vielleicht als Visitator im Auftrag des Papstes, das dem Paraklet, dem Heiligen Geist, geweihte Kloster in der Ebene südlich von Nogent-sur-Seine in der Champagne besucht, das Abaelard für seine Frau an der Stätte seines Wirkens als vielgesuchter Lehrer der Philosophie und Theologie eingerichtet hatte und das der Papst am 28. November 1131 bestätigen sollte. Bernhards "heiliger Besuch" war, schreibt wenigstens Abaelard an ihn, von Heloïse und den Ihren schon lang "ersehnt" worden. Sie scheint keine Bedenken hinsichtlich der jedenfalls in Zisterzienseraugen sehr milden Usancen in ihrem Konvent gehabt zu haben, in dem eine natürliche und sogar frauenspezifische Sorge für den Körper asketische Praktiken ersetzte. Wahrscheinlich zeigten die Schwestern dies während Bernhards Anwesenheit nicht, denn er war offenbar mit ihnen zufrieden. Doch als er an den Gottesdiensten teilnahm, wo er "engelsgleich" predigte - Abaelard war nicht mehr anwesend, sondern schon wieder in seinem etwa 500 Kilometer im Westen gelegenen bretonischen Kloster -, hörte er mit Entrüstung, dass die Nonnen das Vater Unser nicht in der liturgisch allgemein gebräuchlichen Form nach Lukas 11, 3, sondern in der nach Matthäus 6, 11 beteten. Sie baten Gott also nicht um das "tägliche Brot", ("panem quotidianum"), sondern um das "über jede Substanz erhabene", ("panem supersubstantialem"). Beides sind Vulgata-Übersetzungen desselben griechischen Wortes! Warum störte sich Bernhard an dieser Abweichung, die doch einige bedeutende Kirchenväter vertreten hatten? Es verwendeten allerdings auch die Katharer die Matthäus-Version. Ob Bernhard dies aber damals schon wusste? Er scheint erst später mit der Sekte konfrontiert worden zu sein. Wahrscheinlich war es nur die wirkliche oder vermeintliche Sucht Heloises und ihres Gatten, etwas Besonderes, vom Brauch der Gesamtkirche Abweichendes zu haben, das den Abt irritierte, wie denn auch sein Tadel gemäßigt geblieben zu sein scheint. Interessant ist nun die Begründung, die Abaelard in seinem Brief an den Zisterzienser vorbringt, um diese Form des heiligen Gebetes, die er eingeführt hatte, als älter und vollkommener zu verteidigen. Der Gelehrte argumentiert nämlich u.a. historisch: Nur Matthäus konnte das Pater Noster in der authentischen, d.h. von Christus gelehrten Form kennen, denn Lukas war ja kein Augen- und Ohrenzeuge gewesen, sondern hatte das Gebet wohl nur von Paulus gelernt, für den dasselbe galt, war er doch erst nach dem Tod des Religionsstifters Christ geworden. Abaelard argumentiert hier also genauso quellenkritisch, wie es ein heutiger Historiker auch tun würde (der so freilich nur vorgehen könnte, wenn es sich bei dem lateinischen um einen Originaltext handeln würde, nicht um eine Übersetzung). Mit ähnlicher historischer Kritik hatte sich Abaelard früher (1121) auch schon bei den Mönchen des Klosters Saint-Denis unmöglich gemacht, indem er nachwies, dass ihr Schutzheiliger nicht der Areopagit, der Schüler des hl. Paulus, gewesen sein könne, der dann Bischof von Korinth und Missionar in Gallien geworden sei, sondern es sich um einen anderen Dionysius handeln müsse. Das wurde als eine solche Minderung der Heiligkeit des Patrons empfunden, dass der Abt den Gelehrten einsperren ließ, um ihn vor das königliche Gericht zu bringen: nur die Flucht rettete ihn damals. Abaelards Denkweise ist ein Exponent des im 12. Jahrhundert um sich greifenden Bewusstwerdens von der Historizität auch des Heilsgeschehens, die u.a. auch die Bedeutung Palästinas als des Landes, in dem der historische Jesus gewandelt war, so steigerte, dass man es nun um jeden Preis und mit Waffengewalt für die Christenheit erobern wollte - es gibt keinen Kreuzzug vor dem Ende des 11. Jahrhunderts. Gleichzeitig betonte Abaelard auch, dass der Vernunft weder der Usus noch der Wahrheit die Gewohnheit vorgezogen werden dürfe. Nun war Bernhard keineswegs ein Verächter der Vernunft, aber sicher auch kein Befürworter einer so scharfen Anwendung, wie gerade der Bretone es in seiner Abhandlung Sic et Non vorexerziert hatte, wo er die verehrten Autoritäten der Kirchenväter bloßstellte, indem er widersprüchliche Aussagen in ihren Werken konfrontierte. Schließlich musste sich Bernhard von Abaelard noch sagen lassen, dass ja auch sein Orden Neuerungen nicht scheue, etwa andere Hymnen eingeführt habe als sonst bei den französischen Benediktinern üblich und Marien- und Heiligenfeste nicht feiere. Tatsächlich sangen die Zisterzienser z. B. nur eine Hymne für das nächtliche Offizium, und das unabhängig von der Zeit und dem Tag im Kirchenjahr. Wir wissen nicht, wie Bernhard auf diese Analyse und die anderen, eher traditionell symbolischen Gründe reagierte, mit denen Abaelard seine Kritik verwarf. Dass er ihm künftig sicher mit noch höherer und reizbarerer Skepsis gegenüberstand als bislang (zumal wenn sein Tauftraktat sich schon gegen Abaelard gerichtet haben sollte), dürfte billig vermutet werden. Dass Abaelard mit seinem Rückgriff auf die authentischere Bibelübersetzung im Prinzip genau dasselbe Ziel verfolgte wie in anderen Zusammenhängen die Zisterzienser, wenn sie den ursprünglichen Sinn der Benediktusregel befolgen wollten oder nach dem unverfälschten ambrosianischen Kirchengesang forschten, scheint Bernhard gar nicht bemerkt zu haben, genauso wenig wie Abaelard. Vielleicht wusste dieser gar nichts über die bibelphilologische Arbeit Abt Stephan Hardings. Tatsächlich sieht man aber aus der Distanz der Jahrhunderte, dass beide Männer das nämliche Ideal der hochmittelalterlichen Reformbewegung erfüllen wollten, nämlich die Rückkehr zu den Ursprüngen, seien es die apostolischen, seien es die der ersten abendländischen Mönche.

Die "Causa" Abaelard (1140/41)

Natürlich lief auch in diesen Jahren das Wirken des Abtes für sein Kloster Schritt für Schritt weiter; so wurde Clairvaux 1141 die erste Zollbefreiung seiner Geschichte gewährt, und zwar von Seiten des Grafen von Flandern, was auf die zunehmende Einbindung auch in die großräumigere Wirtschaftswelt verweist. Bernhard griff auch, in Briefen Stellung nehmend und vermittelnd, immer wieder in verschiedene lokale Konflikte ein, die in ihren Details hierzu verfolgen zu weit führen würde. Ein solcher war z. B. in Trier der zwischen dem herrschsüchtigen Erzbischof Albero und den Mönchen von St. Maximin. Mehrfach griffen auch der Graf von Namur, der Papst und der König ein. Bernhard stellte sich hier in krasser Schwarzweiß-Malerei an die Seite des Bischofs: einer jener Fälle, bei denen man versteht, warum die Kurie Bernhards laufende Interventionen verärgerten, der u. a. von sich sagt, "wenn ich meine Bitten auch zehn Mal wiederholt habe, werden sie nicht aufhören! Wir geben nicht auf ..." Besonders dass Bernhard die Rücknahme bereits erfolgter Entscheidungen des Heiligen Stuhles wünschte, konnte bei einem Mann wie Innozenz nicht auf viel Verständnis stoßen. Doch was waren solche kleinen Streitigkeiten im Vergleich mit dem Zwist, der bevorstand?

Es mag um 1140 gewesen sein, dass Bernhard in einer seiner kontinuierlich fortgesetzten Predigten zum Hohenlied eine (an die Parabeln erinnernde) Skizze der Heils- und Kirchengeschichte entwarf: Am Beginn des Christentums stand der "Schrecken der Nacht" (ps 90, 5), die Zeit der Verfolgung. dann kam die Seuche der Spaltungen, dann die Krankheit der heuchelnden Häresie. Bernhard erkennt wohl, wie es um die Kirche und ihre "Diener" steht: "Tiefinnerlich und unheilbar ist die Wunde der Kirche", die von ihren eigenen Söhnen befleckt wird, "von ihrem schändlichen Leben, ihrem schändlichen Erwerb, ihrem schändlichen Handel ..." Der Mittagsdämon, jene unheimliche Gestalt des 90. Psalms der Vulgata, die die Exegeten nur schwer einzuordnen vermochten, "ist der Antichrist selbst... Und er wird sich erheben über das, was Gott genannt wird, was als Gott verehrt wird .. ." Diese Stimmung, diese Zeitanalyse, diese Geschichtstheologie sollte man im Gedächtnis behalten, um Bernhards Reaktionen in der "Causa" Abaelard besser zu begreifen.

In der Fastenzeit des Jahres 1140 erhielt der Abt den Brief eines alten Freundes, der ihn über einige ihm außerordentlich bedenkliche Neuerungen auf dem Gebiet der Theologie informierte. Bernhard konnte noch nicht ahnen, dass die Entrüstung, mit der er das Berichtete zur Kenntnis nahm, die Grundlage für ein neuerliches und folgenschweres Eingreifen seinerseits in die Geschicke der Kirche sein würde, ein Eingreifen, das sein Bild bei manchen späteren Generationen mehr prägen sollte, als irgendeine seiner sonstigen Aktivitäten. Wenn irgendwo in der Beurteilung Bernhards, dann scheiden sich hier die Geister: für die einen, die konfessionelle Geschichtsschreibung betreiben, ist Bernhard der "Wachhund der Braut [der Kirche] - wie könnte man ihm Unrecht geben?", für die anderen, zu denen immerhin u. a. ein Le Goff zählt, ist er "ein verfrühter Groß-Inquisitor".

Der angesprochene Brief kam aus der Zisterze Signy. Dort lebte mittlerweile Wilhelm, einst Abt des Klosters Saint-Thierry, der 1135 die Italienreise Bernhards ausgenützt hatte, um im Sommer des Jahres endlich seinem lange gehegten, von seinem Freund jedoch abgelehnten Wunsch nach einem "transitus" vom Benediktiner- zum Zisterzienserorden nachzukommen. Wilhelm, nun nur mehr einfacher Mönch, muss ein Bernhard seinem Wesen nach sehr verwandter Mensch gewesen sein, ebenso liebesfähig, ebenso zu mystischer Kontemplation geneigt, aber ebenso vorschnell urteilend wie sein Freund.

In großer Aufregung schreibt der nunmehrige Ordensbruder Bernhards:

Der Glaube, für den zu sterben er bereit sei, sei in Gefahr, es gehe um die Heilige Dreifaltigkeit, die Person des Heilands, den Heiligen Geist, die Gnade Gottes, das Sakrament der Erlösung. "Peter Abaelard nämlich lehrt schon wieder Neues, schreibt Neues, und seine Bücher überqueren die Meere, überspringen die Alpen, und seine neuen Glaubenslehren, seine neuen Dogmen verbreiten sich über die Provinzen und Reiche, werden oft vorgetragen und frei verteidigt, so sehr, dass sie angeblich sogar in der Kurie Autorität besitzen!" Hierzu darf nicht weiter schweigen, wer allein von Abaelard gefürchtet wird! Eine interessante Bemerkung, die vielleicht darauf hinweist, dass der Professor bei der Auseinandersetzung um die richtige Form des liturgischen Vater Unsers einen beunruhigenden Eindruck von Bernhards Stärke mitgenommen hatte.

Es handelte sich um eine Autoren-Bearbeitung der Theologia scholarium des berühmten Gelehrten, die Wilhelm so erregte ("graviter turbarer"), dass er eine Abschrift von ihr zusammen mit diesem Brief und einer Widerlegung (Disputatio) zugleich an Bernhard und den Bischof Gottfried von Chartres sandte. Warum auch an diesen, der doch vor 19 Jahren, als Abaelard auf der Synode von Soissons angeklagt wurde, sein Verteidiger gewesen war? Wohl weil er das Amt eines päpstlichen Legaten bekleidete und damit eine offizielle Verbindung zum Lateran darstellte und weil er während des Papstschismas so oft mit Bernhard zusammengearbeitet hatte, dass Wilhelm jetzt sicherlich auf eine andere Einstellung dem Philosophen gegenüber hoffte. Außerdem war er, anscheinend ohne selbst Gelehrter zu sein, qua seines Amtes Haupt der Kathedralschule von Chartres, die eines der wichtigsten Zentren voruniversitärer Bildung in Frankreich darstellte. Gleichzeitig vertrat man dort in der philosophischen Hauptfrage der Zeit, dem Universalienproblem, eine realistische, also Abaelard entgegengesetzte Position.

Die unablässige Verwendung von "novus" oder davon abgeleiteten Bildungen in seinem Brief zeigt, was Wilhelm so bestürzte: hier wandte jemand die Erfindungen der eben auf den Schulen in Mode gekommenen Kunst der Dialektik auf die Heilige Schrift an! Wie hätte er voraussehen können, dass die Theologia eines der ersten Werke jener Methode war, die die Lehre der Catholica in Kürze vollkommen und rechtsverbindlich bestimmen sollte, der Scholastik? Wie hätte er ahnen können, dass die allegorisch-assoziative Methode, die seit Gregor dem Großen die übliche bei der Auslegung der Bibel geworden war und die auch er mit Könnerschaft beherrschte, in einigen Generationen von der neuen Richtung gänzlich verdrängt werden sollte?

Wilhelm gab dreizehn Kapitel an, die er für höchst bedenklich erachtete. Die Liste beginnt mit dem Vorwurf, Abaelard "definiert den Glauben als Meinung von unsichtbaren Dingen"; dann, um nur einiges zu nennen, "er habe gelehrt, Gott Vater sei unbegrenzte Macht, der Sohn eine gewisse Macht und der Heilige Geist keine Macht; der Heilige Geist sei die Seele der Welt; dass Christus nicht Fleisch geworden und gelitten habe, um uns aus dem Recht des Teufels zu befreien; dass Sünde nur mit innerer Zustimmung und aus Verachtung Gottes geschehen könne und dass Begierde (concupiscentia) und Lust (delectatio) keine Sünde seien." Diese Vorwürfe, die natürlich nur vor dem Hintergrund der damaligen theologischen Lehren zu verstehen sind, werden wir in dem offiziellen Anklageschreiben Bernhards gegen Abaelard wieder finden. Es sollte künftig immer üblicher werden, Abweichler mit solchen mehr oder weniger korrekten Auszügen aus ihren Werken zu konfrontieren, um sie des Irrglaubens zu bezichtigen.

Außerdem verwies der Zisterziensermönch auf weitere, ihm noch unbekannte Schriften des Philosophen, von deren "monströsem Titel" er fürchtete, auf eine monströse Lehre schließen zu müssen. Es handelt sich um die Hauptwerke Abaelards, die Grundlegung der Dialektik in der Gottesgelehrsamkeit "Sic et Non" und seine Ethik "Scito Te Ipsum". Man kann die treffende Bemerkung Coultons, was Bernhard am meisten beleidigte, war, dass es überhaupt eine Philosophie der Religion geben sollte, gewiss mit gleichem Recht auf Wilhelm beziehen. Entsprach das nicht der traditionellen benediktinischen Geistigkeit, die überhaupt kein Erfordernis für die neuen Wissenschaften sah, weswegen der Orden auch so gut wie keine Lehrer an die entstehenden Universitäten abgab, obwohl manche Klosterschulen durchaus hoch gebildete Gelehrte hervorbrachten (man denke an Anselm von Canterbury, Guibert von Nogent oder Rupert von Deutz)?

Nochmals fordert Wilhelm Bernhard und Gottfried auf, sich mit ihm zu erregen. Eine kleine persönliche Notiz erinnert an das frühere Verhältnis zwischen Denunziantem und Angeklagtem: "Auch ich habe ihn geliebt", schreibt sein Gegner bezüglich Abaelard, "und würde ihn lieben wollen, Gott ist mein Zeuge - aber in dieser Sache wird niemand mir je nahe stehen oder mit mir befreundet sein." Wahrscheinlich hatte Wilhelm einst in Laon zu den Schülern Abaelards gehört oder er war ihm in Paris begegnet, hatte dann aber mit der Dialektik gebrochen und eine "conversio" zur "Mönchstheologie" vollzogen. Doch finden sich in seinen Werken noch Reminiszenzen bzw. Anspielungen an seine "wissenschaftliche" Ausbildung. Anscheinend hatte es schon zur Zeit des Konzils von Soissons einen Konflikt mit Abaelard gegeben.

In seiner Antwort beurteilt Bernhard die Erregung seines "liebsten Wilhelm" als "gerecht und notwendig." Da ihm das meiste aber neu ist und er hier seinem eigenen Urteil nicht genügend traut - wie wenig, wird seine weitgehende Abhängigkeit von Wilhelms Streitschrift in seinem Bericht an den Papst zeigen -, schlägt er ein persönliches Treffen vor. Über dieses ist nichts bekannt; dass es stattfand, ist anzunehmen. Denn Bernhard agierte fortan so, als ob er die in seinem Brief angesprochenen Bedenken über seine eigenen Kenntnisse in so diffizilen theologischen Fragen nicht mehr besitze. Von den weiteren Ereignissen hat sich der Mönch von Signy jedoch anscheinend völlig zurückgezogen: "Er beschränkte sich darauf, dem Krieger die Waffen in die Hand gegeben zu haben"; erst als ihm andere bedenkliche Schriften anderer Gelehrter in die Hände fielen, sollte er wiederum eine Denunziation an Bernhard schicken.

Wilhelm hatte das Wort Häretiker noch nicht ausgesprochen, erst Bernhard sollte dies tun. Es ist ganz klar, dass er Abaelard für solch einen gefährlichen Menschen hielt. Das Aufspüren von Abweichlern hat eine lange Tradition in der christlichen Religion. "Einen häretischen Menschen meide im Bewusstsein dessen, dass er verkehrt ist und sündigt ..." So befahl es der hl. Paulus im Brief an Titus (3, 10). Hier an den Wurzeln des Christentums bereits taucht er auf, der "hairetikos anthropos" ("haereticus homo" in der Vulgata) und mit ihm das ewige Problem aller Religionen und Ideologien, die nur eine authentische Auslegung der Konzeption ihres Stifters zulassen wollen, "haireseis apolefai", um mit Petrus zu sprechen (II 2, l), das Verderbnis der Häresien, hatte auch die neue Religion unablässig begleitet:

Ende des 2. Jahrhunderts ortete Irenaios 20 "Konfessionen", wenig später Hippolytos 32 und im ausgehenden 4. Jahrhundert Epiphanios 60, Filastrius von Brescia 156 ... Schon unter Theodosios und Justinianos wurden Abweichler vereinzelt vermittels der Todesstrafe liquidiert.

Für die westliche Kirche der Völkerwanderungszeit und des Frühmittelalters waren abweichende Meinungen dagegen aus verschiedenen (mentalen und organisatorischen) Gründen so gut wie kein Problem: "die mehr räumlich begrenzten Auseinandersetzungen wie der eucharistische Streit um Paschasius Radbert wurden unter Fachtheologen ausgetragen." Nur wenige einzelne waren es, deren Leben zerstört wurde, weil sie anders dachten, als die Konzilien oder die Päpste bestimmten: Gottschalk der Sachse ist ein bekanntes Beispiel im 9. Jahrhundert. Doch gab die Kirche solche Fälle noch nicht an den weltlichen Arm weiter, wurden keine Todesstrafen verhängt, begnügte sie sich mit Auspeitschung und Klosterhaft.

Erst zu Bernhards Zeiten änderte sich dies langsam: hatte man bei den Prozessen gegen Gerhoh von Reichersberg (1130) und Abaelard (1121,1141) noch auf jede Mitwirkung der weltlichen Gewalt verzichtet und sich auf Kirchenbußen beschränkt, wurde Arnold von Brescia, einer der Ketzer, gegen die Bernhard predigte, auf Betreiben Hadrians IV. 1155 vom römischen Stadtpräfekten erhängt, sein Leichnam verbrannt. Doch noch hatte das Papsttum nicht mit der Ausbildung einer eigenen Institution zum Aufspüren und Austilgen der Ketzerei auf die wachsende dualistische Häresie des 12. Jahrhunderts, die Sekte der Katharer, reagiert. Noch hatten auch die weltlichen Herrscher nicht die Todesstrafe für Häretiker eingeführt, die Papst Gregor IX. mit seiner Bulle Excommunicamus (1231) auch lehramtlich und der hl. Thomas dann endgültig theologisch rechtfertigen sollte. Noch wurden deviante Theologen zwar von Synoden verurteilt und in Klosterkerkern eingesperrt, im allgemeinen aber weder gefoltert noch hingerichtet, wie im späteren Mittelalter üblich.

Wir können hier die Geschichte des genialen, arroganten, unglücklichen Bretonen nicht nachzeichnen: seine in der Katastrophe endende Liebesgeschichte mit Heloïse ist noch heute weithin bekannt, seine Pionierrolle in der Applikation der Philosophie auf die Theologie wohl desgleichen. In seinem Leben kann man leicht Parallelen zu dem Bernhards finden: "Beide waren Ritterskinder und versuchten sich in Liebeslyrik und weltlichem Wissen, ehe sie Mönche wurden; erst ihre geistlichen Gedanken haben Zeit und Nachwelt geprägt, obwohl sie beide zeitlebens krank und hinfällig waren, der eine wohl von einer Blutkrankheit, der andere von einem Magenleiden früh gezeichnet; mit dreiundsechzig Jahren starben sie beide .. ." Hinzuzufügen wäre, dass Abaelard Missstände im Mönchtum nicht minder scharf kritisierte als Bernhard, weswegen er sich in Saint-Denis, wo er einige Zeit lebte, verhasst machte. Zutreffend hat man Bernhard und Abaelard "Feindbrüder" genannt. In den Charakteristiken, die Bernhard von sich und von seinem Gegner gibt, erscheinen in der Tat verblüffende Analogien: so schreibt er selbstkritisch angesichts seiner Verstrickungen in die Welt über sich: "schon lange habe ich die Verhaltensweise des Mönches ausgezogen, wenn auch nicht die Kutte" und kritisch spottet er über den weltlichen Abaelard: "er hat nichts vom Mönch außer den Namen und die Kutte." Dabei übersah er freilich, dass Abaelard Mönche und Philosophen geradezu gleichsetzte, die sich ja beide der Wahrheitssuche verschrieben hätten, die nur zu Christus führen könne. In einem späteren Werk wird Bernhard die Apostasie, das Verlassen des Klosters, dessen sich Abaelard sowohl in Saint-Denis als auch in Saint-Gildas-de-Rhuys schuldig gemacht hatte, so beurteilen: Es ist ein "Sprung aus der Höhe in die Hölle, vom Weg in den Dreck, vom Thron in die Kloake, vom Himmel in den Staub, vom Kloster in die Welt, vom Paradies in die Unterwelt". Bernhard hat Abaelard oft und meist böswillig beschrieben, aber eine seiner Charakteristiken scheint ungemein treffend, wenn man sie nicht negativ versteht: "Ein Mann, der über sein Maß hinausging", nämlich jenes Maß, dass ihm von den Denktraditionen der Zeit gesetzt schien.

Schon 1121 einmal von einer Provinzialsynode zu Soissons unter dem päpstlichen Legaten Kuno von Palestrina dazu verurteilt, sein Werk "De Unitate et Trinitate Divina" eigenhändig ins Feuer zu werfen und sich in Klosterhaft zu begeben, stand Abaelard 1141 in Sens abermals vor einem Konzil, das über seine Lehre urteilen wollte. Diese Kirchenversammlung hatte zwar er selbst zur Arena seiner Disputationskunst ausgewählt, hatte aber nicht damit gerechnet, dass die Prälaten schon unter dem maßgeblichen Einfluss Bernhards stehend zusammenkommen würden.

Es ist unmöglich, hier die zugrunde liegenden komplizierten Kontroverspunkte u.a. aus dem Bereich der Dreifaltigkeits- und Erlösungsdogmatik im Detail zu erörtern. Heute gilt als communis opinio, dass Wilhelm und Bernhard die Texte Abaelards großteils missverstanden, da dieser sie primär sprachlogisch gemeint hatte, jene sie aber ganz auf die Inhalte bezogen. Schon Otto von Freising war dies klar gewesen. Es ging dem Magister nicht um ontologische Aussagen betreffs der "res", sondern gemäß seiner im Universalienproblem nicht realistischen Sichtweise um ihre logischen Repräsentationen, die "nomina" und ihre Beziehungen zueinander. Eine Reihe der Abaelard vorgeworfenen "Capitula" betreffen allerdings derartig spitzfindige Theologoumena, dass sie über die Verständniswilligkeit sowohl mancher Gelehrter des 12. Jahrhunderts als auch der Neuzeit hinausgehen.

Nach Meinung Wilhelms von Saint-Thierry war Bernhard zu jeder Feindschaft unfähig. Die Ereignisse von 1140/41 und speziell einige in diesen Jahren geschriebene Briefe sprechen eine ganz andere Sprache. Zunächst jedoch scheint der Abt vorsichtig vorgegangen zu sein. Nach der Vita Bernhards, die diesen freilich überall ins beste Licht zu stellen versucht, habe er es nur darauf angelegt, "dass der Irrtum korrigiert werde, nicht, dass der Mensch vernichtet werde" - warum war es noch im nachhinein wichtig, letzteres zu betonen, hätte man Bernhard nicht eben dies zugetraut? Bernhard habe ein freundliches und friedliches Gespräch unter vier Augen mit Abaelard gehabt, dieser hätte seine Irrtümer eingesehen. Ersteres bestätigt Abaelard selbst indirekt, letzteres galt höchstens kurzzeitig. Jedenfalls gab es noch ein zweites Treffen, bei dem nun auch andere Personen anwesend waren. "Wie auch immer die zweite Begegnung verlief, Abaelard war gewarnt. Ihm war klar, dass Bernhard den ersten Schritt zu einem Häresieverfahren eingeleitet hatte: die brüderliche Zurechtweisung." Jesus hatte sie angeordnet (Mt 18, 15 ff.), im Mittelalter war daraus "ein kirchenrechtliches Lehrzuchtverfahren entwickelt worden, das folgende Verfahrensschritte vorschrieb: brüderliche Zurechtweisung (correctio fraternalis), Feststellung der brüderlichen Zurechtweisung vor Zeugen, die Anzeige vor der Gemeinde (denuntiatio Evangelica), die Verurteilung durch die Gemeinde - ein Konzil oder den Papst - und der Ausschluss aus der Gemeinde - aus der Kirche -, die Exkommunikation. Abaelard wusste, was ihm bevorstand." Ganz offensichtlich hat sein Verhalten Bernhard nicht von einer Änderung seiner Ansichten überzeugt, oder er ist tatsächlich nach einer kurzen Sinnesänderung zu seinen früheren, schließlich wohlüberlegten Auffassungen zurückgekehrt.

Sogleich alarmierte der Abt von Clairvaux nun durch Briefe und Boten Äbte und Bischöfe, Kardinäle und den Papst. Häufiger als an den Pontifex Maximus wandte sich Bernhard allerdings mit Briefen an die Kardinäle, wohl da unter ihnen viele zwar ihn, aber auch Abaelard schätzten. Seine Schreiben sind ausgesprochen agitatorisch und krass, es wimmelt nur so von dem Gelehrten angelasteten Glaubensverletzungen und Beleidigungen Christi, von Lästerungen und Verachtung gegen Kirchenväter und Tradition: sogar ein fünftes Evangelium verkünden zu wollen, wird Petrus Abaelardus unterstellt.

Der ausführlichste aller Briefe unterrichtete den Heiligen Vater von der die Kirche bedrohenden Gefahr, eher schon ein Traktat, dessen analoge Formulierungen zeigen, dass sich Bernhard direkt an der Disputatio Wilhelms orientierte. Bernhard hat sich offensichtlich ganz auf das verlassen, was dieser ihm über die Lehren Abaelards mitteilte, ohne dessen Schriften selbst mehr als flüchtig zu überfliegen - wo er sie zitiert, zitiert er sie nämlich nach dem Auszug Wilhelms!

Bernhard betont zunächst, seinem Zweck entsprechend, dass es Aufgabe des Nachfolgers Petri sei, die Verderber des katholischen Glaubens zu liquidieren ("conterere", wörtlich: zu Staub zu zerreiben), womit, en passant bemerkt, wieder ein kleiner Schritt in der ideologischen Stärkung der päpstlichen Monarchie getan war. Wie ein Wahnsinniger, so fährt Bernhard fort, wütet Abaelard in der Heiligen Schrift, wütet gegen Vernunft und Glauben. Die "profanen Neuerungen" seiner Dreifaltigkeitslehre lassen schaudern (schon 1121 hatte man ihn des Tritheismus beschuldigt). Der Professor disputiert hier nicht einmal, er spinnt nur: "isto non disputante, sed dementante". Bernhard beschäftigt sich ausführlich mit der komplizierten theologischen Materie, wobei er polemisch Gedanken Abaelards überspitzt, Schlüsse zieht, die dieser gar nicht gezogen hatte, jeden rhetorischen Trick anwendet. So schreibt er seinem Gegner etwa zu, er halte nur den Vater für allmächtig, der Sohn habe nur eine gewisse Macht, und der Geist keine. Natürlich fällt Bernhard dazu sofort ein Bibel-Zitat ein, das das Gegenteil beweist: also muss, wer sich mit solch vermessenen Gedanken abgibt, stürzen wie Luzifer vom Himmel. Nicht er, Bernhard, klagt Abaelard an, sondern das tut sein Buch selbst; er rät ihm, fast schon zynisch, Gott selbst zu fragen, warum er so oder so gehandelt habe.

Den Glaubenssatz, die Inkarnation sei erfolgt, um den Menschen aus der Herrschaft des Teufels zu erlösen, der er ob seiner Schuld gerechterweise verfallen ist, leugnet dieser Kluge, so Bernhard ironisch, gegen die Lehre aller Kirchenväter (wobei er wie immer die altchristlichen Schriftsteller meint, und nicht auf denjenigen Theologen eingeht, der sich damit in seiner Epoche am entscheidendsten und ebenfalls divergent, wenn auch mit einer anderen Konstruktion, auseinandergesetzt hatte, nämlich Anselm von Canterbury). Das nimmt der Zisterzienser zum Anlass, die traditionelle Redemptionstheologie umständlich auszubreiten, wonach nur der freiwillige Opfertod Christi diesen Rechtszustand ändern konnte. "Hier verficht Bernhard die archaische biblische Bildwelt der Redemptionstheorie". Bei Abaelard ist es dagegen die Liebe des Gottessohnes, die den Anstoß zur Menschwerdung gegeben hat - ein Argument, das Bernhard in anderem Zusammenhang durchaus auch nennt, es aber für ketzerisch hält, dieses allein gelten zu lassen. Vielmehr argumentiert er dagegen ganz ritualistisch: neben seiner Gegenliebe ist dem Menschen auch heilsnotwendig, das Osterlamm (die Hostie) zu essen. Bernhard denkt hier so wie fast alle Religiösen der Epoche, die einen ganz starken Zug zum Formalen hatte. Nicht erwähnt er die Konsequenzen, die ein Ersatz der heiligen Zeremonien durch eine reine Gefühlsreligion mit sich brächte: das Ende der Priesterkaste, die einen Exklusivanspruch auf diese Zeremonien besitzt. Bemerkenswerterweise hat aber gerade Bernhard in anderer Hinsicht und unabsichtlich durch seine Mystik solche Tendenzen gefördert, die dann im Spätmittelalter sowohl in der orthodoxen als auch vor allem der häretischen Mystik immer wieder manifest werden sollten.

Die höchst berechtigte Frage Abaelards, ob Gott am Tode seines unschuldigen Sohnes denn so viel Gefallen gehabt habe, dass er keine andere Erlösungsmöglichkeit fand und sich erst darob mit uns aussöhnte, kontert Bernhard (als ob dieser Sophismus die Frage beantworten würde): "Nicht der Tod, sondern der Wille des freiwillig Sterbenden" gefiel dem Vater so sehr. Wo Abaelard grundlegende Probleme der christlichen Lehre erkennt, sieht Bernhard von ihm nur "Schmähungen und Anwürfe ausgespieen". Eine derartige Vermengung von theologischer Sachdiskussion mit heftigen Beschimpfungen kennzeichnet Bernhards ganze Briefkampagne gegen Abaelard. So zieht sich der Kampf monastischer Bibelfestigkeit gegen aristotelische Begriffsanalyse Seite um Seite hin; der Zisterzienser argumentiert vielfach schlichtweg an Abaelard vorbei. Obwohl Bernhard ausdrücklich nur auf einen Teil der "Absurditäten" des Philosophen eingeht, wird wirklich ein kleines Büchlein aus seiner Widerlegung.

Wenn der Glaube, was Bernhard unvermeidlich besonders berührte, nur eine "Meinung" wäre, dann wäre die Gesamtkirche seit den Märtyrern dumm, unsere Hoffnung nichtig. Die Folge wäre ein völliger Verlust jener ontologischen Sicherheit, die Bernhard gerade durch das "Eingeschlossensein" in "feste Grenzen" empfand - wie wohl die meisten Gläubigen seiner Epoche. Er hat ganz gut gesehen, dass auf Abaelards Weg weiterzugehen ein "Entgrenzen" der Vernunft bedeuten würde, aber auch ein "Geworfensein" in jene heillose Existenz, der sich der Agnostiker stellen muss.

Bemerken wir aber in Parenthese, dass auch Mönche, die keinesfalls ähnliche Theorien vertraten wie Abaelard, ungeachtet ihrer sonst manifestierten Glaubensfestigkeit Stunden prinzipiellen Zweifels haben konnten. Petrus, der Abt von Cluny, von dem dies wohl niemand vermutet hätte, erlebte in Rom im Traum die Erscheinung eines ihm vertrauten Toten, der bereits in die himmlischen Regionen eingegangen war. Er stellte an ihn die existentielle Frage: "Ist denn gewiss, was wir von Gott glauben, ist der Glaube, den wir haben, zweifelsfrei der wahre?" Von Bernhard sind ähnliche Zweifel nicht überliefert.

Was aus der Auseinandersetzung zwischen Mystiker und Gelehrtem auch deutlich wird, ist, dass sich die beiden Kontrahenten in einer Zeit befanden, in der die Dogmatik in vieler Hinsicht noch nicht die erstarrte Form gewonnen hatte, die man spätestens seit der Verpflichtung der Catholica auf den Thomismus kennt (und vielleicht auch irrtümlich noch weiter zurückprojizieren mag). Aber noch hatte Petrus Lombardus seinen Sentenzenkommentar nicht geschrieben, noch war das Dekret Gratians, das eben in diesen Jahren entstand, nicht zur Bibel der Kirchenrechtler geworden. Gerade das Werk des Lombarden, übrigens eines Protegés Bernhards, zeigt, wie sehr auch zentrale Fragen der Religion noch im Flusse waren. Insofern ist das Beziehen einer klar auf einige wenige Kirchenväter wie Augustinus oder Gregor d. Gr. gegründeten Position, wie es Bernhard hier vorexerziert, ein Schritt hin auf die Verfestigung der Dogmatik in jenem Sinne, in dem wir sie heute kennen.

Die Rede an die Pariser Kleriker (1140)

Nun reagierte aber vorerst keiner der von Bernhard angesprochenen Bischöfe und Kardinäle, und auch der Papst unternahm nichts. Am 1. November 1140 und dann wieder am 6. und 7. Januar 1141 befand Bernhard sich in Paris, gewiss im Zuge der Auseinandersetzung mit Abaelard. Die große Stadt, die königliche Residenz, stellte für die Liebhaber des "eremos", der Einsamkeit, eine unheimliche Bedrohung für die Seelen dar, wogegen die Intelligenzija von den Professoren bis zu den Vaganten begeistert von den vielfältigen Anregungen der urbanen Welt war.

Ein Ziel Bernhards war es jedenfalls, Abaelard möglichst viele Anhänger abspenstig zu machen. Er predigte wohl nicht nur in Notre Dame, sondern hielt zunächst auch in verschiedenen Schulen vor jungen Klerikern mehrere Reden, deren erste allerdings so erfolglos blieb, dass Bernhard im Hause eines befreundeten Erzdiakons heftig in Tränen ausbrach und meinte, diese Enttäuschung als Ausdruck eines auf ihm liegenden Gotteszornes deuten zu müssen. Diese kleine Szene, die auf der Nachricht eines Augenzeugen beruht, lässt schlagartig etwas von Bernhards Emotionalität aufleuchten, aber auch von seinem Kampfgeist, denn am nächsten Tag versuchte er es noch intensiver und hatte dann bald den gewünschten Erfolg.

"Er hat auch viele Scholaren ermahnt, die Bücher voll des Giftes zu verabscheuen und wegzuwerfen", sollten die Bischöfe über Bernhard nach der Verurteilung Abaelards in Sens der Kurie berichten. Etwa zwanzig der Studierenden waren es, die sich von seinen Argumenten, von der "wahren Philosophie", so überzeugen ließen, dass sie ihre Lebensplanung von Grund auf änderten und in Clairvaux Mönche wurden. Einer der Bekehrten war der etwa zwanzigjährige Gottfried von Auxerre, der von Abaelard zu Bernhard umschwenkte und sehr bald einer seiner engsten Mitarbeiter wurde. Ihm, der Bernhard von 1145 bis zu seinem Tode als Sekretär diente und 1162 auch selbst Abt von Clairvaux werden sollte, verdanken wir nicht nur eine Ausgabe von dreihundertzehn Briefen Bernhards, sondern auch wichtige biographische Nachrichten über diesen. Die Distanzierung von seinem vorherigen Lehrer Abaelard brachte Gottfried später in einer Predigt deutlich zum Ausdruck, in der er Gott dankte, einen "besseren Lehrer bekommen zu haben, durch den er den Vorwitz des ersten widerlegte".

Eine der Pariser Ansprachen Bernhards ist unter der Überschrift Zum Allerheiligenfest überliefert, es handelt sich um eine Mitschrift des vorgetragenen Textes. Bernhard erweiterte diese Rede anscheinend bald danach zu einem längeren Traktat mit dem Titel Sermo ad clericos de conversione (Rede an die Kleriker über die Bekehrung). Diese Predigt handelt überraschenderweise nicht, wie der Terminus "conversio" vermuten lassen könnte, von der Bekehrung vom Priesterstand zu dem des Mönches: sein Thema lautet vielmehr: Wie kannst du der ideale Geistliche werden? Welche üblen Vorbilder sind zu meiden? Nur ganz am Rande werden die Zuhörer darauf hingewiesen, dass das Kloster die sicherste Stätte für die Seele verkörpert. Wenn Bernhard sagt, dass Trauern die wichtigste Methode sei, den Sünder für die göttliche Gnade zu öffnen, dann wussten alle, dies war nach Hieronymus der Beruf des Mönches par excellence. Und wenn er dazu auffordert, aus der Mitte Babylons zu den "Städten der Zuflucht" zu eilen, wo harte Buße Schuld- und Strafvergebung verspricht, dann wussten ebenfalls alle, dass damit nur die Klöster und vornehmlich die des Zisterzienserordens gemeint sein konnten, zumal Bernhard bemerkte, dorthin würden die Sünder von überallher zusammenlaufen, ohne die Bitterkeit der Buße zu scheuen. Dagegen finden sich in diesem Text keine direkten und kaum versteckte Angriffe gegen Abaelard, so dass schwerlich gesagt werden kann, Bernhard übertrage die theologische Offensive gegen Abaelard auf eine asketisch-moralische Ebene. Vielmehr ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass in der Tradition irrtümlich eine andere Predigt des Abtes vor einem klerikalen Publikum mit der von Paris identifiziert wurde, was erklären würde, warum der Text so unberührt von der aktuellen Situation erscheint.

Nach dem Zitat einiger Bibel-Stegen zum Bekehrungsthema beginnt Bernhard mit der typisch zisterziensischen Konzentration auf das Ich als Beginn des Aufstiegsweges: Es gibt eine innere Stimme, durch die Gott zu uns redet, wenn man ihr Gehör schenkt - "revocamur ad nos ipsos", wir werden zu uns selbst zurückgerufen. Das "Buch des Gewissens" wird aufgeschlagen und gibt alles darin Vorhandene preis - doch das ist nichts als Böses. Allenthalben ekelhafter Schmutz: "Was soll ich nicht traurig sein über den Bauch des Gedächtnisses, wo derartig viel Fäulnis zusammengeflossen ist!" In der kürzeren Fassung verwendet Bernhard hier das alte biblische Gleichnis von der Sünde als Lepra, die die Seele befallen hat.

Aber auch der Leib ist gefährdet, da er nach dem Endgericht im Höllenfeuer brennen wird, weswegen die Unbußfertigkeit schlimmer einzuschätzen ist als irgendein Wahnsinn. Hilfreich sind hiergegen die Gewissensbisse, aber ehe die Reinigung beginnen kann, muss man die Fenster der Seele schließen, um den Nachschub an Schmutz zu unterbinden - eine Augustinus-Reminiszenz. Konkret heißt dies Fasten, Einsamkeit, Entäußerung, Arbeit.

Am gefährlichsten aber ist der Eigenwille, den Bernhard mit einer Dramatik personifiziert, die einem Alanus von Lilie, dem Spezialisten solcher Darstellungen im 12. Jahrhundert, gut angestanden wäre: "Surgit igitur vetula fracto sinu, nudo pectore, pruriente scabie, sanie defluente, procedit frendens dentibus, spirans minarum et dirum toto pectore virus exhalans": "Da steht die Alte auf, zerbrochenen Schosses, nackter Brust - es juckt sie der Aussatz und der Geifer tropft herab -, sie stürzt vor mit gefletschten Zähnen, Drohungen keuchend und aus der ganzen Brust ekles Gift schnaubend." Die Gestalt beschreibt, wie sie den Körper vom Scheitel über den Gaumen und die Schamteile bis zu den Füßen zu eitlen Genüssen lenkt. Die Vernunft ist dagegen ohnmächtig, das Gedächtnis verstunken ("foetidissima"), der Wille vereitert. Und was den Leib betrifft, so sind die einzelnen Glieder Fenster, durch die der Tod in die Seele dringt.

Nach dieser schauerlichen Bestandsaufnahme folgt das "Aufatmen der Tröstung", das Heilsangebot, das Bernhard vorführt, strukturiert nach den Seligpreisungen des 5. Kapitels des Matthäus-Evangeliums. Doch die Heilsverkündigung wird zunächst fast verdrängt von den mitunter satirischen Skizzen der Laster wie Fressgier oder Besitzsucht, die Bernhard in diesem Abschnitt präsentiert. Auch das Thema des Memento mori ist in einigen Sätzen präsent, das noch nicht zu Bernhards Zeit, aber in Bälde gerade von Autoren seines Ordens verbreitet werden sollte (Helinands von Froidmont Vers de la mort). Bernhard droht mit dem "Großen Bruder" Gott, der auch die verborgensten Sünden schaut, mit der Höllenqual - Argumente, die der Verstand gegen den Willen gebraucht, der jedoch hartnäckig widerstrebt. Hier bringt das Trauern und Weinen Hilfe, es reinigt das Auge, bis es endlich das Licht von oben sehen kann. Dann erblickt es das irdische Paradies, den Garten der Tugenden. Dieser soll das Ziel des Willens werden. Bernhard trägt eine klassische, an der Genesis und dem Hohenlied orientierte Beschreibung dieses spirituellen Locus amoenus vor. Er ist der Ort der mystischen Begegnung mit dem Bräutigam: "Dort werden mit größter Begierde vorab unvergleichliche Liebeswonnen verkostet, und der von der Salbung des Erbarmens durchdrungene Geist ruht glücklich in seinem guten Gewissen, da die Dornen und Stacheln, von denen er zuvor gestochen wurde [die Gewissensbisse], weg geschnitten sind." Nicht Bildung oder Wissenschaft, sondern nur das gute Gewissen lehrt dies. So an die Paradiesespforte gelangt, hört die Seele das Flüstern Gottes nicht mehr nur mit dem Verstand, sondern gleichermaßen mit dem Willen. Aber auch, wer nach Gerechtigkeit dürstet, muss noch das Schwierigste leisten: das Gedächtnis vom Unrat zu reinigen. Dies geschieht durch die Vergebung der Sünden, die zwar nicht die Erinnerung an sie tilgt, aber sie "entfärbt (decoloret)". Daher ist das Ideal Bernhards in der Tat ein "weißgewaschenes" Gedächtnis.

Selig sind die Barmherzigen, also habe Erbarmen mit dir selbst und trauere, verzeihe dem Nächsten, gib Almosen! Selig die reinen Herzens, was nur durch häufige Säuberung erreichbar wird. Selig die Frieden stiften - aber nicht, ohne sich vorher selbst gereinigt zu haben. Diese Überlegung bringt Bernhard zu einer souveränen Kritik am Klerus: ungeheuer ist sein Streben nach Bevorzugung ("praelatio"), sein Ehrgeiz ("ambitio"), seine Arroganz ("praesumptio"). Übermäßig vergrößert hat sich der Stand der Kleriker eine der dominierenden Entwicklungen innerhalb der Kirche nach dem Investiturstreit - , aber wie viele Herrsch- und Habgierige, wie viele Unkeusche! Es sind besonders die homosexuellen Geistlichen, die Sodomiter in der Terminologie der Zeit, die Bernhard lange, wenn auch nur in Metaphern, anprangert. In der Tat weist alles darauf hin, dass im Hochmittelalter die gleichgeschlechtliche Liebe an weltlichen wie an geistlichen Höfen weit verbreitet war, und in Bernhards Heimat gaben so hohe Kirchenfürsten wie der Erzbischof von Dol, Baudri von Bourgueil (1046-1130), oder der Bischof von Rennes, Marbod (1123), ihren Neigungen in keineswegs geheim gehaltenen Gedichten Ausdruck. Wie sehr dieses "Laster" verbreitet war, deutet folgender zeitgenössische Zweizeiler an, der vielleicht den ihm nicht verfallenen Abaelard verteidigen sollte, jedenfalls die normale Sexualität als geringe Sünde im Vergleich zur gleichgeschlechtlichen qualifiziert:

Scortator monachus iustus reputatur apud nos.
Quod sodomitarum copia multa facit.

Ein verhurter Mönch gilt bei uns als gerecht;
das macht die große Zahl der Sodomiter!

Mit einem Appell, wahre Hirten zu sein und mit den Werken nicht den Idealen zu widersprechen, endet Bernhard seinen oft leidenschaftlich formulierten Sermo.

Das alles wird mit etwas weniger Allegorien und Bildern vorgetragen, als man es sonst aus den meisten Werken dieses Autors gewohnt ist, wohl in Rücksicht auf sein eher in den Bahnen der scholastischen Theologie reflektierendes Publikum. Andererseits bedient sich Bernhard hier aber noch weniger der philosophischen Methode als etwa in seinen an Mönche gerichteten Traktaten über die Gnade oder den Regelgehorsam. Immerhin werden die meisten der Zuhörer bzw. der späteren Leser bemerkt haben, dass Bernhard durch Zitate zeigte, auch Boethius, Cicero und Horaz zu kennen. Das Werk ist wichtig für Bernhards Anthropologie: immer wieder taucht in krassen Formulierungen der Vergleich der Erinnerung der im Körper gefangenen Seele mit einer Abfallgrube ("sentina") auf. Was für Augustinus, von dem die Seelenlehre Bernhards wie die der meisten seiner Zeitgenossen abhängt, ein Schatzhaus gewesen war, ist bei dem Zisterzienser eine Kloake. Der Schmutz fällt durch die Sinnesorgane in die Seele - daher ist das Kloster der ideale Ort zur Reinigung, denn dort sind diese Eingangspforten der Versuchungen in nur minimaler Verwendung: man versteht, warum Bernhard keine Kunstwerke in den Kirchen und keine Bilder in den Büchern haben wollte, warum dem Gaumen im Refektorium nur fast Ungenießbares geboten wurde, warum kein Wort außer der Liturgie und der Predigt ans Ohr dringen sollte.

Nachdrücklich verweist der Abt mehrfach auf die eigene Erfahrung ("proprio experimento") als Quelle zur Erkenntnis der eigenen Laster - ein Lieblingsthema Bernhards. Eher ungewöhnlich ist dagegen die wiederkehrende Argumentation mit der biblischen Drohbotschaft: während Bernhard sonst mehr dazu neigt, Menschen durch das Faszinosum des Göttlichen als Höhepunkt der Liebe zu gewinnen, predigt er hier vom unauslöschlichen Höllenfeuer und der ewigen Vergeltung, wozu er sogar einen Merkvers vorträgt: "qui pavet, cavet: qui negligit, incidit": "wer erzittert, hütet sich, wer es missachtet, fällt hinein!"

Auch dieses Werk beweist: "Bernhard ist ein leidenschaftlicher Erzieher. Päpste und Könige will er erziehen, seinen Orden und die Mönche seines Jahrhunderts, auch den neu gegründeten Templerorden, dem seine besondere Huld gilt, und den jungen Adel Europas, den er am liebsten ganz einsammeln möchte in seine Klöster." Seine Predigten vor den Pariser Studenten waren in Bernhards Augen Versuche, die intellektuelle Jugend aus den Gefahren der Schule in die Sicherheit der Klöster zu retten. "Bernhard merkt erschrocken, wie von Paris bis Rom, bis hinauf zum Papst die junge Intelligenzija Europas sich den Spielen des Intellekts, der "Neugierde" des Verstandes zuwendet. Eine ernste Sorge, die nicht unberechtigt war, denn mit dem Sieg der Universitätstheologie, der Scholastik, bricht zwischen christlicher Existenz, Seelsorge und dem Streben nach Heiligkeit einerseits und dem Studium der Theologie andererseits eine Kluft auf. Theologe und Seelsorger sind dann für viele Jahrhunderte getrennt: Der Theologe denkt über Gott und über tausend andere Dinge nach und denkt dabei Geist und Leben, Gott und Mensch immer weiter auseinander. Bernhard von Clairvaux sieht in Abaelard den Sieger der Zukunft: den großen Schuldigen für die Intellektualisierung und Entchristianisierung der Theologen und aller Wissenschaft, die an die Stelle der Weisheit und Frömmigkeit tritt."

Das Konzil von Sens 1141

Das Jahr 1141 begann traurig für Bernhard: ein weiterer seiner Gefährten des Anfangs starb am 21. Januar, Gottfried von Aignay, der Novizenmeister des Klosters und Architekt vieler Zisterzen. Am 28. Mai segnete auch der päpstliche Kanzler Haimerich das Zeitliche. Er war wie schon in der Ära Honorius II. auch unter Innozenz II. die Graue Eminenz hinter dem Heiligen Vater geblieben, wie es überdeutlich etwa ein in seiner Gegenwart gemachter Ausspruch des Abtes Hariulf von Oudenburg belegt: "Euer Bemühen regelt alles, ordnet das Geringere, lenkt das Bedeutendere". Damit gab es an der Kurie einen Mann weniger, auf den Bernhard im Streit gegen Abaelard hätte wohl bauen dürfen.

Er hat dies allerdings erst nach dem Konzil von Sens erfahren können, dessen Beginn nun wohl endgültig auf den 25. Mai 1141 datiert werden muss. Diese Provinzialsynode hat von den Vertretern der Geistesgeschichte außerordentliche Aufmerksamkeit erhalten; die Zahl der Arbeiten dazu ist eindrucksvoll. Immer wieder hat man den hier seinen Höhepunkt erreichenden Konflikt Bernhard - Abaelard gern auf die Spannung von "Mönchstheologie", repräsentiert durch Bernhard, und "Scholastik", verkörpert von Abaelard, zugespitzt, die als Personifikationen des Gegensatzes zwischen "le cloitre et l‘ecole" (Kloster und Schule) oder noch dramatischer zwischen "la cátedra y el púlpito frente a frente" (Lehrkanzel und Schreibpult Stirn gegen Stirn) anzusehen seien. Darin liegt viel Richtiges. Abaelard ist zweifelsohne der Exponent einer progressiven Denkweise, die sich im Frankreich des 12. Jahrhunderts allerdings auch in ganz anderen Bereichen als der Philosophie manifestierte, namentlich in der der Gotik zugrundeliegenden Struktur. Bernhard dagegen lebt und denkt viel stärker in und aus einem ganzheitlichen Symbolismus, wie ihn hunderte Jahre zuvor Origenes, Augustinus und Gregor vorgedacht hatten. Man könnte wohl noch weitergehen und von einem Konflikt zwischen Beruf und Berufung sprechen - war Abaelard nicht einer der ersten Professoren, die ihren Lebensunterhalt mit der Vermittlung von Theologie als Wissenschaft bestritten, losgelöst von Frömmigkeit und Katechese?

Doch es ist bisher weniger berücksichtigt worden, dürfte m. E. aber unabweisbar sein, dass die Feindschaft Bernhards gegen Abaelard nicht nur aus der Konfrontation konträrer Denkmuster und divergenter Umgangsformen mit dem Göttlichen erwuchs, sondern noch eine ganz andere, privatere und lange vor 1141 liegende Basis hatte. Sie erst gab dem Konflikt die persönliche Erbitterung, mit der die divergenten theologischen Zugangsweisen als Waffen gegeneinander verwendet wurden: Abaelard war ein Protege des Bernhard verhassten königlichen Ratgebers Stephan von Garlande, und Abaelard hatte vor allem absichtlich und respektlos seinen alten Lehrer Wilhelm von Champeaux provoziert, also jenen Bischof und Freund Bernhards, dem der Abt wohl sein Leben verdankte, da er ihm seine extremen Fastenpraktiken untersagt hatte und ihn gezwungen hatte, sich zu kurieren. Ihm verdankte er zudem den Beginn seiner Reputation, indem Wilhelm der erste Prälat gewesen war, der den noch jungen Abt durch seine Lobeshymnen in kirchlichen Kreisen zu einer Berühmtheit machte. Im Hintergrund der Auseinandersetzungen stand die Konkurrenz zwischen den Schulen von Notre-Dame und Saint-Victor einerseits, die der Bischof unterstützte , und der Schule auf dem Gebiet der Abtei von Sainte-Genevieve andererseits, auf deren Seite Stephan von Garlande und Abaelard standen und aus der die Pariser Universität entstehen sollte. Dazu kam noch, dass Bernhard mit einer Reihe von Gegnern Abaelards - und dieser hatte sich viele geschaffen - "befreundet oder wenigstens gut bekannt war", besonders Bischof Joscelin von Soissons und Alberich, Erzbischof von Bourges und vormals Leiter der Domschule von Reims.

Es ist die Frage, ob es nicht zwischen Bernhard und Abaelard auch abgesehen von der Interpretation der Vater-Unser-Übersetzung (und vielleicht der Tauf-Theologie) schon früher Konflikte gegeben hat, über die nichts bekannt ist. In seiner Autobiographie von etwa 1133/35, der Historia calamitatum (Leidensgeschichte), schreibt letzterer nämlich, seine Gegner hätten gegen ihn "zwei neue Apostel" aufgehetzt, "deren einer sich rühmte, das Leben der Regularkanoniker, der andere, das der Mönche auferweckt zu haben"; er litt so sehr unter diesen Verfolgungen, dass er behauptet, mit dem Gedanken gespielt zu haben, zu den toleranteren Heiden (Muslimen) zu flüchten. In diesen beiden Religiösen - "Pseudoapostel" nennt Heloïse sie sogar - können schwerlich andere gesehen werden als Norbert von Xanten, der schon auf dem Konzil von Soissons (1121) gegen den Bretonen aufgetreten war, und Bernhard von Clairvaux.

Dieses ganze Geflecht von Gegensätzen, die von sehr persönlicher Animosität bis zu konträren ontologischen Grundsätzen reichte (denn es ging beiden Männern um die Heilsfrage, und Bernhard spezifisch um das religiöse Leben), führte dahin, dass sich Bernhard nicht, wie er es bei ähnlichen Gelegenheiten bisweilen tat, entzog, sondern dass er Feuer und Flamme war, als ihn sein Freund, der ehemalige Abt von Saint-Thierry, auf die angesprochenen Abweichungen in der Theologie Abaelards aufmerksam machte. Bernhard prüfte sie nicht lange. Otto von Freising, wohlgemerkt ein Ordensbruder Bernhards, freilich wahrscheinlich einst auch einmal Schüler Abaelards, gibt zu: Bernhard "war sowohl aus Eifer für die christliche Religion ein Fanatiker (zelotypus) wie auch aus habitueller Gefälligkeit gewissermaßen leichtgläubig, so dass er sowohl Lehrer verabscheute, die, auf weltliche Weisheit vertrauend, menschlichem Raisonnement zu sehr verhaftet waren, als er auch leicht sein Ohr lieh, wenn man ihm über solche etwas sagte, was mit dem christlichen Glauben nicht übereinstimmte." Da die Benediktusregel ausdrücklich sagt. ein Abt dürfe nicht "zelotypus" sein, war Ottos Kritik jedem monastischen Leser deutlich.

Wie emotionsgeladen Bernhard diese Auseinandersetzung führte, verrät eine seiner Formulierungen im umfangreichen Widerlegungsschreiben gegen Abaelards Lehren: eigentlich, schreibt er selbst, möchte er ihm lieber die Zähne mit Knüppeln einschlagen lassen, als ihn mit rationalen Argumenten zu widerlegen: "Annon iustius os loquens talia fustibus tunderetur quam rationibus refelleretur?"

Um andere Theologen, die Kurie und namentlich den entscheidenden Mann, Papst Innozenz II., zu überzeugen, musste der Abt allerdings wenigstens einen Teil der Darlegungen Abaelards diskursiv entkräften, was er auch höchst gekonnt und logisch aufgrund von Bibelstellen und Kirchenväterschriften tat - Bernhard hätte ohne weiteres einen exzellenten Scholastiker abgegeben, wenn nicht der Primat der Erfahrungstheologie ihm alles andere in den dritten und vierten Rang abgedrängt hätte. Bemerkenswert ist dabei sein Modus procedendi: Gegen die Methode Abaelards wendet Bernhard mit verschiedenen Bibelstellen ein: Geoffenbart sei: "Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht verstehen" (1S 7, 9). Nicht zu glauben, hieße Maria tadeln, die dem Engel sofort glaubte, hieße den guten Schacher tadeln, der Christus glaubte, dass er ins Paradies kommen werde usw. Einen gegenteiligen Bibelspruch, nämlich Ecli 19, 4: "Wer schnell glaubt, ist leichtfertigen Herzens", kennt und zitiert Bernhard wohl auch, aber seine Verwendung hier sei Missbrauch. Er gibt nach allgemeiner mittelalterlicher Theologenart keinen Grund dafür an, warum dies so sein sollte oder warum diejenigen Zitate, die einen unhinterfragten Glauben fordern, die höherwertigen seien.

Jedenfalls steht fest, dass Abaelard durchaus nicht so deviant dachte, dass er nicht eine bedeutende Gruppe keineswegs nur Freigeister um sich geschart hätte und Anhänger sogar an der Kurie fand. Hätte es der Zufall gewollt, dass der damalige Papst einer seiner Schüler gewesen wäre, wie es dann tatsächlich der künftige war, der 1143/44 regierende Cölestin II. (desgleichen später Cölestin III.), so hätte Bernhard sich vielleicht ganz anders verhalten. Gewiss wäre die Sache für Abaelard anders ausgegangen, denn Cölestin, damals noch Kardinal Guido von Cittá di Castello. gehörte zu denjenigen, die seine Werke ungeachtet des päpstlichen Befehls nicht verbrannten, sondern aufbewahrten!

Was den Kern der Auseinandersetzung angeht, die so oft als globale Konfrontation von Vernunft und Glaube dargestellt wird, so ist zu unterstreichen, dass Bernhard dem Professor nicht widersprochen hätte, was die prinzipielle Zulassung der Vernunft in der Theologie betrifft. Im Gegensatz zu einer oft zu hörenden Meinung lehnte Bernhard nachweislich die Ratio bei der Erforschung von Glaubensgeheimnissen keineswegs ab, was bereits mehrfach belegt wurde. Nur stufte er ihre Funktion anders ein als bei Abaelard. "Von Sehnsucht werde ich hingerissen, nicht von Vernunft (desiderio feror, non ratione"), so Bernhard (in der "persona" der Braut des Hohenliedes), und damit ist eine Werthierarchie impliziert. "Im Gebet wird Gott wohl würdiger gesucht und leichter gefunden als in der Disputation", sollte er später formulieren. Der Glaube nämlich ist unfehlbar ("fides nescia falli") und überschreitet somit die Grenzen menschlicher Vernunft. Der Pariser Philosoph aber lässt ausschließlich gelten, was sein Verstand durchdringen kann, alles Sonstige weigert er sich zu glauben. "Er aber hält Gott für verdächtig [d.h. zweifelt an dem von ihm Geoffenbarten], will nicht glauben, außer was er zuerst mit seiner Vernunft diskutiert hat", "non licet perscrutari divinae sacramentum voluntatis" lautet dagegen Bernhards Maxime, frei übersetzt: es ist nicht erlaubt, das heilige Geheimnis des göttlichen Willens analytisch zu zergliedern. "Weil Bernhard aus dem Glauben keine Wissenschaft (theologia) machen wollte, deren Sätze sich deduktiv, aus der Argumentation, aus dem Diskurs ergeben, brauchte die christliche Lehre weniger Logik als mystisches Erleben, mystische Versenkung." Bernhard konstruierte geradezu einen Gegensatz zwischen zwei Seinsformen: der der gefährlichen Suche nach Wissen in der Nachfolge der antiken Philosophen - sie hat schon die ersten Menschen die Unsterblichkeit gekostet - und der der sicheren Lebensführung nach der Lehre der Apostel: der bekannte Gegensatz von "aristotelice versus piscatorie".

Doch immer wieder argumentiert Bernhard auch auf Abaelards eigener Ebene gegen diesen, indem er ihn bezichtigt, unlogisch zu denken, um dann selbst logische Argumente vorzubringen, er betrachtet es geradezu als unvernünftig, "contra rationem", "mittels der Vernunft die Vernunft übersteigen zu wollen", denn: "Was ist denn mehr gegen die Vernunft, als mit der Vernunft die Vernunft überschreiten zu wollen?" Bernhard verfügte schon über ein bestimmtes Artes-Wissen und war nicht unfähig, es auch anzuwenden.

Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Mönchen ist jedoch auch eine Frage der Demut: Denn wenn man wie Abaelard alles zergliedert, dann "omnia usurpat sibi humanum ingenium, fidei nil reservans", "beansprucht das menschliche Genie alles für sich. und dem Glauben behält es nichts vor." Und Abaelard beanspruchte für sich ausdrücklich "ingenium", was keineswegs mit der "humilitas" - zu der er als Mönch ja verpflichtet gewesen wäre - zusammenpasste. Aber auch in der Kutte war er immer der Magister geblieben, war als Abt seines bretonischen Klosters gescheitert. Und Bernhard sah ihn immer zuerst als "Philosophen", dem er eo ipso Stolz zuordnete, im Kontrast zur Demut des Mönches.

Interessant ist der Modus procedendi, mit dem Bernhard diesen "Fall löste", ohne die Möglichkeit, sein Gegner könne vielleicht überlegenswerte Argumente vorzubringen haben, überhaupt zu prüfen. Er verurteilt seine Ansichten vielmehr pauschal als Gift und neues Evangelium. "Alles wird uns pervertiert, abseits vom Gewohnten und abseits von dem, wie wir es übernommen haben, dargeboten". "transgredi terminos antiquos, quos posuere Patres nostri", lautete einer der Vorwürfe Bernhards an Abaelards Adresse, er überschreite die alten Grenzen, die unsere Väter gesetzt.

Bernhards konkrete Strategie, dieses Gift unschädlich zu machen, beruhte auf folgendem Punkt: Abaelard durfte keine Gelegenheit bekommen, sich zu verteidigen. Deshalb weigerte Bernhard sich anfänglich überhaupt, mit ihm zu disputieren, wie er es gewünscht hatte und der Erzbischof von Sens es ermöglichen wollte. "Ich sagte schon, seine Schriften reichen aus, ihn zu verurteilen, und dass das nicht meine Sache ist, sondern die der Bischöfe .. ." Als Bernhards Teilnahme am Konzil von Sens schließlich unumgänglich wurde, änderte er sein Vorgehen: Abaelard musste dann wenigstens mit einer erdrückenden Gruppe von hohen Angehörigen der Hierarchie konfrontiert werden, die - anders als Bernhard, der schlichte Abt - eine Rechtsposition innerhalb der Catholica besaßen. Um diese Prälaten zu mobilisieren, musste der Gegner mit den Mächten assoziiert werden, deren Bewertung keine Nuance zuließ, die eindeutig und absolut schwarz und böse und verdammt waren: Nicht nur verurteilte Häretiker aus der Zeit der Alten Kirche, wie Arius und Pelagius und Nestorius leben, so der Zisterzienser, in dem Gelehrten wieder auf. Er ist vielmehr sogar ein Vorläufer des Antichristus. Er und sein angeblicher "Waffenträger" Arnold von Brescia "täuschen viele um so mehr, als sie sich in Engel des Lichtes verwandeln, wiewohl sie Satan angehören." Mit dieser Charakteristik wurde auch jedem weniger Gebildeten klar, wie Abaelard einzuordnen war. Die Sache des Gegners, so dachte Bernhard stets in Übereinstimmung mit dem dualistischen Weltbild der Epoche, musste die des Teufels sein, denn dass er selbst die Gottes vertrat, meinte er nie bezweifeln zu müssen.

Bernhard akzeptierte einfach nicht, dass dieser Mann von einem ehrlichen Suchen nach Gott, wenn auch auf anderen Wegen als die bisherigen christlichen Gelehrten, bewegt werden könnte. Er nennt die Theologia des Benediktiners "Stultilogia" (andere der Gegner Abaelards erfanden nicht weniger schmeichelhaft "diabologia" und "frivologia", also blöde, teuflische oder frivole Lehre, was darauf verweist, dass "Theologie" in dem von Abaelard gemeinten Sinn noch kein eingeführter Terminus war). Dies hat den Angegriffenen besonders gekränkt; er konnte nicht wissen, dass der Begriff bald so positiv besetzt sein sollte, dass Bernhard von seinem Schüler Gottfried von Auxerre mit dem Ehrentitel (!) "magnus ille theologus" bedacht werden sollte. Weiters qualifiziert Bernhard seine seriösen Reflexionen ausgesprochen emotionell als "Schmähungen und Angriffe, die er gegen Gott so ruchlos wie dumm ausspeit". Auch der ganz persönliche Anwurf fehlt nicht: Bernhard tituliert Abaelard als Herodes, "Erfinder von Lügen, Züchter perverser Lehren", "Sohn des Drachens, gegen den Glauben des Simon Petrus ankämpfend", Natter und Hydra: ein Feind der Kirche und Verfolger des Glaubens... Er sei ein "Mönch ohne Regel, Prälat ohne Fürsorge, Abt ohne Disziplin, der Petrus Abaelardus, der mit Knaben disputiert und mit Weibsbildern konversiert" (Abaelard sagte man nach, er habe vor seiner Entmannung fast sein ganzes Professorengehalt für Prostituierte ausgegeben).

Schon gar nicht sind Bernhard die heidnischen Philosophen Autoritäten, denen Abaelard experimentell immerhin eine den Vätern ähnliche Autorität zuerkennt. Die Möglichkeit, sie in die Diskussion als potentielle Argumentationsträger einzubauen, streicht Bernhard a priori - wenn sein Gegner sich auf sie beruft, dann tut er dies bloß "zur Verhöhnung der Kirchenlehrer". Es ist präzise die Verweigerung der Möglichkeit, auch eine andere theologische Reflexion könne zugelassen werden als die offizielle der Catholica, um die es Bernhard geht: "Der Glaube der Frommen glaubt, aber diskutiert nicht!" Abaelard definiere den Glauben als "aestimatio" (tatsächlich "existimatio", d.h. Fürwahrhalten von nicht sinnlich Erfahrbarem), "als ob es jedem diesbezüglich nach Belieben zu urteilen und zu reden erlaubt sei!" "Es ist dir nicht erlaubt, bezüglich des Glaubens zu meinen oder nach Belieben zu disputieren ... du bist in bestimmte Grenzen eingeschlossen, durch bestimmte Schranken eingezwängt", schreibt Bernhard, ohne zu wissen, dass "aestimatio" in der philosophischen Fachsprache nicht mit "opino" (unverbindliche Meinung) identisch war. Eben dieses "Überschreiten" hat jedoch auch er in manchen Bereichen, namentlich der Hohelied-Interpretation, zweifelsohne getan. Für sich nahm er ja explizit das Recht in Anspruch, als neuer Interpret nach den Vätern, "novus expositor" "post Patres", das Evangelium auszulegen, solange er nicht "contra Patres" argumentiere.

So lauteten in summa die Anklagen Bernhards gegen Abaelard. An den großen Angriffsbrief, der von Clairvaux aus nach Rom ging, hängte er noch eine (nicht unbedingt von ihm selbst verfasste) Liste von neunzehn Kapiteln an, die als aus der Theologia, einem (Abaelard fälschlich zugeschriebenen) Sentenzenkommentar und dem "Scito Te Ipsum" exzerpiert bezeichnet werden. Nur vier der darin enthaltenen Ketzereien hatte Bernhard nach seinem Dafürhalten widerlegt - warum ließ er die restlichen unbeantwortet? Großteils, weil sie so simplizistisch formuliert waren, dass die "vulgata fides", der allgemein verbreitete Glaube, sie ohnehin schon beantworte, wie er schrieb, aber doch wohl auch, weil es sich andererseits teilweise um Fragen handelte, mit denen er sich nicht beschäftigt hatte. So die 3. These, der Heilige Geist sei die Weltseele, eine auf den Timaios des Plato zurückgehende Gottes-Vorstellung. Sowohl die Liste der neunzehn Kapitel als auch überhaupt seine Argumente gegen Abaelards Thesen entstanden teilweise in Abhängigkeit von der Kritik Wilhelms von Saint-Thierry, die insofern noch milder gewesen war, als sie Abaelard nur des Arianismus und Sabellianismus beschuldigte hatte, während ihn Bernhard so ziemlich aller namhaften frühchristlichen Häresien bezichtigte.

Abaelard, der viele Freunde unter den Intellektuellen besaß, war eine Abschrift des Anklagebriefes Bernhards zugespielt worden. Er reagierte mit einem Schreiben an seine "geliebtesten Gefährten", das belegt, dass sich Bernhard wenigstens nach außen hin freundlich gegen jenen Mann gezeigt hatte, den er als Erfinder einer "neuen Ketzerei" anzeigte: "Jener", klagt Abaelard über den Abt von Clairvaux, "insgeheim freilich schon längst mein Feind, der bisher vorgab, er sei mein Freund, ja mein besonderer Freund sogar, ist nun in solchem Neid entbrannt, dass er den Titel meiner Werke nicht ertragen konnte, durch die, wie er meinte, sein Ruhm desto mehr gedemütigt würde, je mehr ich mich erhöhe, wie er dachte. Längst hatte ich aber schon gehört, dass er heftig aufgestöhnt hatte, weil ich jenes Werk von mir über die heilige Dreifaltigkeit, das ich verfasste, wie der Herr es gab, mit der Überschrift "Theologia" betitelte. Da er dies schließlich überhaupt nicht mehr ertrug, behauptete er, es müsse eher "Stultilogia" als "Theologia" genannt werden." Doch der Gelehrte zeigt sich informiert über die giftigen Anwürfe, die Bernhard gegen ihn sowohl vordem Erzbischof von Sens als auch in Paris "ausspie" ("vomuerit", "eructaverit"), und erreichte bei Bischof Heinrich dem Eber nicht ohne Mühe die Veranstaltung einer öffentlichen Disputation mit Bernhard. Dazu bat er seine Freunde um zahlreiches Erscheinen. Ferner schrieb er (vor oder nach Sens?) einige apologetische Traktate und bearbeitete die beanstandete Theologia neu.

Aus zwei Gründen war Abaelard so interessiert daran, den Erzbischof von Sens dazu zu bewegen, in seiner Metropole Bernhard zu einer Disputation einzuladen: Vor allem versprach der Gelehrte sich eine glänzende Rechtfertigung und öffentliche Niederlage Bernhards, wenn er seine Argumentationskunst vor einer Versammlung von kompetenten Geistlichen brillieren lassen könnte. Gleichzeitig wollte er damit offensichtlich auch einem bischöflichen Offizialverfahren oder einem Akkusationsverfahren durch den Abt von Clairvaux gegen sich zuvorkommen.

Dass Bernhard recht ungern die erzbischöfliche Einladung angenommen hat, schreibt er glaubwürdig selbst: der sonst anscheinend so selbstsichere Thaumaturg hat zuerst seine Teilnahme überhaupt abgelehnt und sich dann nur "unter Tränen" entschlossen, nach Sens aufzubrechen. Vielleicht sollte man generell eine Bemerkung Gottfrieds von Auxerre, der Bernhard sehr gut kannte, nicht als hagiographischen Demuts-Topos abtun: sein ganzes Leben über sei Bernhard im Grunde schüchtern geblieben und habe nie ohne eine gewisse Beklemmung (die er aber schnell überwand) das Wort ergriffen, nicht einmal im kleinsten Kreis.

Auch war der Zisterzienser der ebenso juristisch korrekten wie für ihn entlastenden Meinung, die von ihm angezielte Maßreglung eines Benediktinerabtes sei ausschließlich Aufgabe der zuständigen Bischöfe und nicht die seine. Allein, die Aufforderung des Erzbischofs war nicht zu umgehen. Da Bernhard diesmal nicht auf die Faszination seiner charismatischen Rede vertraute, sondern zu einem Vorgehen Zuflucht nahm, das schon viele Zeitgenossen als unfair beurteilten, muss er sich einer öffentlichen Auseinandersetzung zunächst in der Tat wenig gewachsen gefühlt haben. Zur Vorbereitung versuchte er wie gewohnt noch von Clairvaux aus vorab die Bischöfe brieflich für seine Sache - nein, die der Kirche - günstig zu stimmen. Aber sein Plan ging weiter. "Unvorbereitet und ungerüstet" mochte er im Vergleich zu dem gefeierten Lehrer vielleicht tatsächlich in der dialektischen Theologie gewesen sein, aber nicht in der Strategie seines Vorgehens.

Der Ablauf der Kirchenversammlung ist schon von den Beteiligten teilweise unterschiedlich dargestellt worden, und dies hat sich in der wissenschaftlichen Literatur fortgesetzt. Die Hauptzüge lassen sich jedoch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. Anwesend waren neben zehn Bischöfen sowie zahlreichen nordfranzösischen Äbten der König mit einigen weltlichen Großen und von der Kurie der Kardinaldiakon Hyazinthus Bobo, ein einflussreicher Freund Abaelards. Wenigstens drei der versammelten Ordinarien waren diesem wohl gesonnen. Unter den anwesenden Freunden Abaelards waren die bekanntesten der Reformprediger Arnold von Brescia und der Philosoph Gilbert de la Porree, der noch im selben Jahr den Bischofsstuhl von Poitiers besteigen sollte.

Die wesentliche Weichenstellung erfolgte jedoch nicht erst durch eine Entscheidung der Väter während der Verhandlungen des Konzils, sondern - und darin bestand Bernhards Manipulation des Verfahrens - am Vortage. Bernhard machte zunächst Stimmung, indem er vor dem Volk predigte, es sollte für Abaelard beten, was alle genugsam erkennen ließ, dass sich dessen Seele ob seiner Irrtümer in Gefahr befinden musste. Überhaupt schien diese Auseinandersetzung auch in breiteren Kreisen beunruhigend viel Aufmerksamkeit zu finden, kam es auch unter Laien zu Diskussionen, was nach Bernhards Überzeugung nur zur Korruption des Glaubens der "Einfachen" führen konnte.

Gegen den Widerstand des Hyazinthus versammelte er dann am Abend die Bischöfe und brachte sie dazu, schon vorab über die Lehren Abaelards abzustimmen! Sie verwarfen sämtliche - meist unkorrekt aus Abaelards Schriften exzerpierte - Sätze, die ihnen der Abt vorlas. Auch wenn man es als eine Übertreibung der abaelardfreundlichen Partei ansieht, dass die Prälaten zu diesem Zeitpunkt schon so betrunken waren, dass sie kaum mehr das "damnamus" (wir verurteilen) richtig auszusprechen vermochten, sondern es auf "namus" (wir schwimmen) verkürzten, so bleibt doch, dass sie auf Drängen Bernhards nicht das taten, wozu sie eigentlich zusammengekommen waren, nämlich zu einer Anhörung der kontroversen Standpunkte. Sie begnügten sich im Gegenteil mit einer Beurteilung oder richtiger Vorverurteilung des entsprechend anstößig formulierten schriftlichen Materials. Die Bischöfe, so Berengar von Poitiers in seiner Satire über die Versammlung, "richteten Maulwurfsaugen auf den Philosophen und sagten: "Wollen wir dieses Ungeheuer leben lassen?" ... So beurteilen Blinde Worte des Lichts, so verdammen Betrunkene einen Nüchternen .. ."

Damit war die Disputation, die Bernhard so gefürchtet hatte, nicht mehr nötig. "Bernhard hatte die Entscheidung des Gerichts, das am folgenden Tag stattfinden sollte, präjudiziert. Durch seinen Schachzug hatte er es vermeiden können, Abaelard ein öffentliches Forum zu verschaffen." War diese Verurteilung vielleicht auch nicht illegal, so doch unfair. Bernhard muss sich wirklich ausgesprochen unsicher gefühlt haben, da er nicht auf sein Charisma vertraute, sondern zu einem Vorgehen Zuflucht nahm, das er selbst kaum ernstlich als untadelig empfinden konnte, sonst hätte er es in seiner späteren Darstellung der Ereignisse nicht verschwiegen.

Am folgenden Tag standen die beiden Kontrahenten einander unmittelbar gegenüber. Bernhard las nun vor der Versammlung der geistlichen und weltlichen Großen die Anklage-Kapitel vor, und der Magister wurde gefragt, ob er leugne, dies verfasst zu haben, oder, wo nicht, er es beweisen oder verbessern könne. Zur Überraschung aller gab Abaelard keine Antwort. Vielmehr appellierte er nur an die höhere Instanz, den Papst, und verließ mit den Seinen abrupt die Versammlung. Dies war eine Möglichkeit, mit der keiner seiner Gegner gerechnet hatte und deren Legalität, wenigstens in den Augen der Richter von Sens, umstritten war, die aber nach Beratung zugelassen wurde. Schließlich wusste man, dass Innozenz auf missachtete Berufungen scharf zu reagieren pflegte. Bernhard selbst hatte diese Möglichkeit zwei Jahre zuvor bei der Bischofswahl von Langres ausgeschöpft und sollte sie später ausdrücklich akzeptieren. War Petrus von Hyazinth vorgewarnt worden? Oder hatte er tatsächlich, wie die Vita Bernhards und ein moderner Mediziner meinen, ein momentanes Blackout, Vorbote seiner tödlichen Erkrankung?

Im Rahmen der mittelalterlichen Kirchengeschichte betrachtet, zeigt der ganze Ablauf, wie durch die Anrufung des Heiligen Stuhles als Kontrollinstanz die Dogmatik in einen Sanktionszusammenhang eingebunden wird, der weder dem einzelnen Theologen noch den Bischöfen als ursprünglich für ihre Diözese in Glaubensfragen Zuständigen eine Chance auf Eigenständigkeit gewährt. Bernhard hat diese romzentrierte Entwicklung nach Kräften gefördert, indem er sich immer wieder dorthin wandte, um seine Interessen durchzusetzen. Aber ein Gleiches tat Abaelard, indem er nach Rom berief, und taten in Verkennung ihrer eigenen Interessen die in Sens versammelten Bischöfe, die die Berufung zuließen, obgleich der Magister selbst sie als seine Richter gesucht hatte.

Angesichts der Abaelard freundlich gesinnten Kreise am päpstlichen Hof musste Bernhard versuchen, die Sache durch seinen Einfluss zu entscheiden, noch ehe Abaelard seine Verteidigungsschrift vollendet und persönlich bei Innozenz vorgelegt hatte. Er musste auch Hyazinthus, der wieder nach Rom aufgebrochen war, vorab unglaubwürdig machen, weswegen er ihn bei seinem Herrn und bei Haimerich (den er noch am Leben glaubte) verleumdete. An den Papst schreibt Bernhard mit einer Anspielung auf seine Verdienste bei der Beilegung des Schismas, wo er die "Wut des Pierleone" bekämpft hatte: "Töricht habe ich mir seit einer Weile Ruhe versprochen, wenn sich die Löwenwut gelegt hätte und der Kirche Friede zurückgegeben würde." Doch "erneuert wurde der Schmerz, nicht ausgelöscht; Tränen haben mich überströmt, da das Böse weiter an Macht gewonnen hat. Und über die, die den Reif erlebt haben, brach der Schnee herein...Dem Löwen sind wir entkommen, doch treffen wir einen Drachen". Es ist natürlich Abaelard, der unter der Gestalt dieses Untiers angegriffen wird, dessen Schriften als Gift und Finsternis verleumdet werden, der ein "neues Evangelium, einen neuen Glauben" verkündet. Abaelard und sein Waffenträger Arnold von Brescia werden sogar "Engel Satans" genannt. Nach dieser "Einstimmung" teilt der Abt mit, dass die Versammlung die vorgelesenen Lehrmeinungen geprüft und verworfen habe, wobei er mit keinem Wort die Verurteilung des Vorabends erwähnt - ein Zeichen dafür, dass er sich über die Korrektheit seines Vorgehens doch nicht so sicher war. Der Papst müsse nun, nachdem er das Schisma (ergänze: mit Bernhards Hilfe) glücklich überstanden, auch mit der Häresie fertig werden und die "Füchse" aus den Weinbergen des Herrn fangen - das traditionelle Tiersymbol für Ketzer (nach Cant 2, 15). Dass es neben diesem metaphernreichen Brief durch den Mund des Überbringers eine gewiss noch deutlichere Nachricht für Innozenz gegeben hat, ist durch den Schluss des Schreibens evident.

Etwa gleichzeitig gingen zwei Briefe der Bischöfe an Innozenz. Wenigstens einer, unterzeichnet von den Ordinarien von Reims, Soissons, Châlons-sur-Marne und Arras, war aber ebenfalls von Bernhard verfasst, wie die Terminologie und die Überlieferung in seinem Briefcorpus zeigen. Es fügt den bekannten Anklagen gegen Abaelard den Hinweis hinzu, von diesem sei schon einmal ein Werk als ketzerisch verbrannt worden, das nun gleichsam auferstanden und bis in die Kurie gekommen sei. Auch in diesem Schreiben wird der Papst aufgefordert, der Irrlehre ein Ende zu setzen.

Das zweite Schreiben kam von den Bischöfen von Sens, Chartres, Orleans, Auxerre, Troyes und Meaux, es ist ebenfalls im Corpus der Bernhard-Briefe tradiert, weicht aber von seinem Stil ab. Auch hier werden die Geschehnisse ähnlich erzählt; es wird der Papst besonders auf die Gefahr hingewiesen, diese Irrlehren könnten sich weit verbreiten, bis ins Volk hinein. Deshalb soll Abaelard Schweigen auferlegt werden und ihm "sowohl die Möglichkeit, Vorlesungen zu halten, wie die, etwas zu schreiben, ganz genommen werden".

Begleitend gingen wenigstens sieben Schreiben an die Kurie bzw. einzelne Kardinale, darunter Haimerich, von dessen Ableben man in Clairvaux noch nichts wissen konnte. Hier sind weitere und vielleicht noch schärfer formulierte Angriffe gegen Abaelard zu Pergament gebracht, die wohl von Bernhards Sekretären unter Verwendung der vorgehenden ausführlicheren Schreiben zusammengestellt wurden. In ihnen weint und seufzt die Braut Christi, die Kirche, unaufhörlich ob der Schandtaten des Magisters, Ordnung und Moral wanken, die Sakramente werden zerstückelt... Abaelard wird zum Verfolger des katholischen Glaubens, zum Feind des Kreuzes, zum falschen Mönch, zur Hydra, zum Vorläufer des Antichristus usw. War nicht seine Theologia schon 1121 verurteilt worden und ihr Verfasser daher ein rückfälliger Ketzer? Manchen dieser den tatsächlichen "Verfehlungen" Abaelards völlig inadäquaten Invektiven voll persönlicher Beleidigungen ließ Bernhard Abschriften von dessen Werken oder Auszüge daraus beilegen.

Vergebens plante der Verurteilte, nach Italien zu ziehen, um an den Papst direkt zu appellieren, und verfasste dazu in Cluny einige Apologien, in denen er darauf hinwies, zum Widerruf von Irrigem sei er bereit und deswegen kein Ketzer. Auf einzelne Anklagepunkte eingehend, betonte er, dass man schlichtweg falsche oder aus dem Zusammenhang gerissene Sätze zitiert habe. Was den Vorwurf betrifft, er hab dem Vater die gesamte, dem Sohn eine gewisse und dem Geist keine Macht zugeschrieben, "so verabscheue ich diese Worte nicht als menschliche, sondern als teuflische, wie es gerecht ist. Ich leugne sie und verurteile sie zusammen mit ihrem Verfasser. Sollte sie jemand in meinen Schriften finden, bekenne ich mich nicht nur als Häretiker, sondern sogar als Oberhäretiker." "Höchste Bosheit oder Ignoranz" steckt dahinter, wenn jemand behauptet, er habe verbreitet, der Heilige Geist sei nicht von der Substanz des Vaters - genau dies waren Punkt 1 und 2 der 19 Kapitel Bernhards. In anderen Punkten, die er tatsächlich vertreten hatte, widerruft Abaelard freilich ohne weiteres, so hinsichtlich der Schuldlosigkeit der Kreuziger Christi (Punkt 9).

In einer Verteidigungsschrift, die von den Abaelard-Spezialisten unterschiedlich vor oder nach Sens datiert wird, wendet der Dialektiker sich direkt an Bernhard: "Auch wenn Gott schweigt, erweisen sie [die angegriffenen Kapitel] den Lügner!... Deine Anfeindungen, mit denen Du mich zerfleischst, habe ich, wiewohl sie unerträglich sind, lange ertragen in der Erwartung, dass Du vielleicht aus Angst vor der Sünde oder Ehrfurcht vor der Ehrlichkeit aufhören mögest, meine Unschuld zu verfolgen oder wenigstens die begonnene Verfolgung zu mildern. Nun aber, da es feststeht, dass es Dein Vorsatz ist , darin, was Du schamlos begonnen, noch schamloser zu endigen, sind wir gezwungen, Deine Geschosse auf Dich zurückprallen zu lassen, damit Du, weil Du mit Pfeilen auf Deinen Nächsten zielst, diese als auf Dich selbst losgelassen empfängst..." "Sogar der Teufel verwendet die Worte der Heiligen Schrift, wenn er sie auch schlecht interpretiert ... Du aber kümmerst Dich weder um meine Worte noch den Sinn und bemühst Dich, mehr aus Deinen Erfindungen als aus meinen Sätzen zu argumentieren ..."

Bernhard aber kümmerte sich überhaupt nicht um die im folgenden sachlich und logisch vorgebrachten Gegenbeweise und wartete auch nicht, bis diese den Lateran erreichten. Er war rascher und unfairer, als Abaelard vermutete: mit dem zitierten Brief, in dem er den Papst daran erinnerte, wie sehr er ihm die Besiegung seines Gegners zu verdanken hatte und Abaelard als Verbündeten des ihn in Italien bedrängenden Arnold von Brescia hinstellt, bewog er Innozenz, die Verurteilung zu bestätigen, ohne Abaelard überhaupt nur die Möglichkeit einer Verteidigung einzuräumen. Diese Entscheidung des Heiligen Vaters erreichte den Philosophen noch vor seinem Aufbruch nach Italien im burgundischen Kloster und setzte der ganzen Affäre ein autoritäres Ende.

Während sich der Papst um wenig früher bei ihm angelangte Anklagen gegen den Philosophen (wie die des Regularkanonikers Hugo Metellus) nicht gekümmert hatte, erfüllte die nunmehrige Antwort Innozenz‘ vom 16. (oder 21.) Juli alle Wünsche der Petenten. Nach der üblichen theoretischen Einleitung, in der u. a. die wichtigsten verurteilten Ketzer aus der Zeit der alten Kirche aufgezählt werden, dankt der Heilige Vater den Hirten, die sich gegen die neuen Ränke engagiert haben. "Und sämtliche perversen Lehren desselben Petrus haben wir gemäß der Autorität der heiligen Kanones mit ihrem Urheber verurteilt und ihm als einem Häretiker ewiges Schweigen auferlegt." Alle Anhänger und Verteidiger des Petrus sind exkommuniziert. Petrus Abaelardus und Arnold von Brescia werden in dem entsprechenden päpstlichen Dokument als "Urheber einer perversen Lehre und Angreifer gegen den katholischen Glauben" bezeichnet. Bernhard selbst durfte entscheiden, wo der Benediktiner wieder in Klosterhaft gefangen gehalten werden sollte: Den Bischof Samson von Reims, den Erzbischof Heinrich von Sens und den Abt Bernhard von Clairvaux weist der Heilige Vater an, Abaelard und Arnold in verschiedenen Klöstern zu inhaftieren und ihre Schriften, wo immer sie nur gefunden werden können, dem Scheiterhaufen zu übergeben. Auch in der Peterskirche ließ der Papst die Bücher Abaelards demonstrativ verbrennen.

Offenbar hatten auch die Freunde des "Neuerers" an der Kurie nichts vermocht, etwa der gelehrte Kardinalpresbyter Guido von Cittá di Castello, den Bernhard mit einem eigenen Brief dazu zubringen versucht hatte, seine Forderung nach einem Redeverbot für Abaelard zu unterstützen. Abermals wiederholte sich damit die Situation von vor zwanzig Jahren: dem Philosophen wurde die "respondendi facultas" verweigert, d.h., er durfte sich nicht vor dem Papst verteidigen, sondern hatte sich abermals dem Verdikt seiner Gegner zu unterwerfen.

Abaelards Ende (1141-1142)

Der Protest seiner Schüler und Verehrer verklang ohne Erfolg. Auch die eigenständige Analyse, der der gelehrte und durchaus auf Orthodoxie bedachte Robert von Melun (+ 1167) dasTrinitätsprob]em unterwarf und die günstig für Abaelards Ansichten ausfiel, ging erst im 13. Jahrhundert in die offizielle Lehre ein. Robert hatte Abaelards Konzept mit Hinweis auf Parallelen bei Augustinus verteidigt und über die Kritiker des Meisters geschrieben: "Sie hatten die obstinate Gewohnheit, alles, was sie nicht zu wissen vermochten, ohne jede Diskussion und ohne jede Analyse der Vernunftgründe zu verdammen, so dass nur das katholisch und im Einklang mit dem christlichen Glauben erschien, von dem sie angaben, etwas zu verstehen." Auch er sah in Neid und Missverständnis den Grund für den Angriff auf Abaelard.

Am eindringlichsten ruft ein Planctus (Klagelied) eines Unbekannten, der in Text und Metrik auf die religiöse Lyrik aus Abaelards Feder anspielt, ganz Frankreich zur Entrüstung und zum Mitgefühl auf. Dabei wird nicht mit bösen Worten über Bernhard und seinen Orden gespart, während Abaelard nicht nur als Intellektueller, sondern auch als Tugendvorbild in den Himmel gehoben erscheint.

 

Petre, virtus scolastica,
scripture clavis unica,
te dampnat plebs erratica,
turba pseudomonastica.
Petre, doctor doctissime,
philosophorum maxime,
in te sevit acerrime
grex gentis perditissime ...
Famosa lux per secula.
quid te plangam per singula?
tu discipline regula.
iuris ac morum formula.
Ve, vc tibi, perfida
gens bonorum invida,
que sic arte callida
fallis et improvida!
Ve prophetis talibus
falsa prophetantibus,
cucullatis vatibus
deum irridentibus!
Gens confisa nimium
vestimentis ovium,
ut dampnaret omnium
preceptorem artium!
Fuscata progenies,
dealbate paries,
sanctitatis caries,
usque quo desevies?
Heu, quo consilio
quove preiudicio
fallax conspiratio
relegat exilio
virum, qui non meruit
nec mereri debuit
eam quam sustinuit
persecutionem,
qui nec os aperuit,
sed ut mutus tacuit
nec in ore habuit
redargutionem !

"Peter [Abaelard], Kraftzentrum der hohen Schule, einzigartiger Schlüssel zur Heiligen Schrift, dich verurteilt eine irrende Plebs, die Schar der Lügenmönche. Peter [Abaelard], gelehrtester Lehrer, größter der Philosophen, gegen dich wütet bitterst die Herde des verruchtesten Stammes [die Zisterzienser] ... Durch Generationen berühmte Leuchte, was soll ich dich in jeder Einzelheit beklagen? Du Richtschnur der Disziplin, Formel des Rechtes und der Sitten? Weh, weh über dich, perfides Volk, das du so mit schlauem, schnellem Kniff betrügst, neidisch auf die Guten! Weh solchen Propheten, die Falsches prophezeihen, [weh den] Sehern in ihren Kutten, die Gott verspotten! Das Volk vertraute zu sehr der Kleidung der Schafe [die einfachen Gewänder der Zisterzienser], dass es den Lehrer aller Artes [die Sieben Freien Künste] verurteilte! Finstere Nachkommenschaft, übertünchte Wände [so schimpfte Paulus den Hohenpriester Hananias.AG 23,3], Fäulnis der Heiligkeit, wie lange wirst du wüten? Weh, nach welchem Spruch oder eher welchem Vorurteil schickt die trügerische Verschwörung den Mann ins Exil, der die Verfolgung, die er ertrug, nicht verdiente, noch hätte verdienen sollen, hat er doch nicht einmal den Mund geöffnet, sondern wie ein Stummer geschwiegen, hatte er doch kein Widerwort im Munde!"

Abaelard musste es dem Abt von Cluny Petrus danken, dass dieser durch seine demütige Intervention in Rom erreichte, ihn als Gast und nicht als Gefangenen bei sich behalten zu dürfen. Er hat dort weiter geforscht und geschrieben, aber sich auch im Gebet auf den Tod vorbereitet; im Frühling des nächsten Jahres ist er gestorben. Immerhin blieb er sich so treu, dass er in einem religionsphilosophisch-apologetischen Dialog über Christentum, Heidentum und Islam, den er wohl auf Anregung des mit solchen Fragen befassten Kluniazenserabtes konzipierte, ein Lob seiner Theologia niederschrieb. Vorher, so berichtet Petrus von Cluny, gelang es ihm und Abt Rainald von Cîteaux noch, Bernhard und Abaelard in Clairvaux zu versöhnen. War das bloß eine äußerliche Formalität, um die materiellen Konsequenzen der päpstlichen Verurteilung abzuwenden, oder eine echte Verdemütigung des Älteren? Jedenfalls erklärte Bernhard noch Jahre später triumphierend: "Also darf niemand glauben, nichts geleistet zu haben, wenn er einen Häretiker besiegt und widerlegt hat, Ketzereien zum Schweigen gebracht hat, Wahrscheinliches von Wahrem klar und deutlich geschieden hat, verkehrte Lehren mit klarer und unwiderleglicher Vernunft als verkehrt erwiesen hat, und ein verkehrtes Denken, das sich gegen die Gottesgelehrtheit erhebt, der Gefangenschaft überlieferte." Er nennt keine Namen, aber es ist fast unmöglich, nicht an Petrus Abaelard zu denken.

Nochmals sei auf die Frage zurückgekommen: Warum hat Bernhard Abaelard mit derartiger Leidenschaft bekämpft? Die oben genannten Gründe sind sicher stichhaltig, greifen aber wohl zu kurz. Das Richtige dürfte Friedrich Heer getroffen haben: Bernhard bekämpft in Abaelard seine intimsten eigenen Versuchungen. "Ist es ein Zufall, dass sein mächtiger Zorn immer dann am dunkelsten glüht, wenn er glaubt, in einem anders denkenden, anders glaubenden Mann diesen "Eigensinn" wahrnehmen zu können, zu müssen?" Gerade der Bernhard, der im Bereich des Emotionalen - der Liebe - Neuland betreten hat, der "als erster Westeuropäer vorbildlich jenen Innenraum mit geschaffen [hat], der seither Europa so eigentümlich von den anderen Kontinenten abhebt", verbietet sich auf der Ebene der Reflexion, die er genauso beherrschen könnte wie sein Kontrahent, jede Entfernung von den Autoritäten. Seine Scheu, das Numinose der rationalen Zergliederung zu unterwerfen, entspringt vielleicht der Furcht, es zu verlieren. War Bernhard das Sacrificium intellectus et propriae voluntatis, das Abaelard nicht zu erbringen vermochte, so leicht nicht gefallen, wie es den Anschein hat? Vielleicht hat sein "Feindbruder" gerade manches von dem verwirklicht, das Bernhard für sich mit einem absoluten Tabu belegt hatte...


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