Guillaume de Lorris und Jean de Meung: Le roman de la Rose

Initiale RosenromanDer Rosenroman, den Guillaume de Lorris um 1230 - also ca. 100 Jahre nach Heloïsa und Abaelard - verfasst und unvollendet hinterlassen hat, und den 40 Jahre später Jean Chopinel de Meung fortsetzte und vollendete, ist das bedeutendste Werk der französischen Dichtung des 13. Jahrhunderts und eines der großen Werke der Weltliteratur überhaupt. Die außerordentliche Verbreitung dieser ersten volkssprachlich-französischen Dichtung im späten Mittelalter belegt die hohe Zahl der erhaltenen Handschriften und Drucke: Bis zum 16. Jahrhundert finden sich circa 300 Manuskripte, seit der ersten Drucklegung des Werkes um 1480 in Lyon erschienen bis zum Jahre 1538 38 verschiedene Nachdrucke und Editionen. Jean de Meung, verstorben 1305, gilt auch als einer der ersten Übersetzer der Briefe von Heloïsa und Abaelard. Guillaume de Lorris verfasste die 4150 ersten Verse des Roman de la Rose. Einige Jahre später vollendete Jean de Meung mit weiteren 18 000 Versen das Werk. Der Rosenroman enthält mehrere Ebenen: Der erste Teil von Guillaume de Lorris ist eine poetische Erzählung - voller literarischer Schönheit und mit zahlreichen Allegorien. Der zweite Teil von Jean de Meung bildet eine Art Schlüsselroman, der schwerpunktmäßig antikes Gedankengut, welches bislang nur in latinisierter Form vorgelegen hatte, widerspiegelt und in dem man fein gezeichnet die Persönlichkeiten der Epoche wieder findet; die politischen Ratschläge, die diesen erteilt werden, sind erstaunlich modern. Dieses Meisterwerk der mittelalterlichen Dichtung mit seinen 23000 Versen hat sicherlich zahlreiche philosophische Strömungen späterer Zeit in Richtung Moderne und Freiheit beeinflusst. Die Verse 8760 bis 8832 geben anlässlich einer Betrachtung der Institution Ehe sehr authentisch, wenn auch in aller Kürze, die Geschichte von Heloïsa und  Abaelard wider - ein weiterer Beleg für die Echtheit des Briefwechsels:

 

Pierres Abailarz reconfesse
Que seur Helois, abaesse
Dou Paraclit, qui fu s'amie,
Acorder ne se voulait mie
Pour riens qu'il la préist a fame;
Ainz li faisait la jenne dame,
Bien entendanz e bien letree,
E bien amanz e bien amee,
Argumenz a lui chastier
Qu'il se gardast de marier;
E li prouvait par escritures
E par raisons que trop sont dures
Condicions de mariage,
Combien que la fame seit sage;
Car les livres avait veuz
E estudiez e seuz,
E les meurs femenins savait,
Car trestouz en sei les avait.
E requérait que il l'amast,
Mais que nul dreit n'i reclamast
Fors que de grace e de franchise,
Senz seignourie e senz maistrise,
Si qu'il peust estudier,
Touz siens, touz frans, senz sei lier;
E qu'el rentendist a l'estuide,
Qui de science n'iert pas vuide.
E li redisait toutes voies
Que plus plaisanz ierent leur joies
E li soulaz plus en creissaient
Quant plus a tart s'entrevoaient;
Mais il, si corne escrit nous a,
Qui tant l'amait, puis l'espousa
Contre son amonestement,
Si l'en meschai malement;
Car puis qu'el fu, si com mei semble,
Par l'acort d'ambedeus ensemble,
D'Argenteuil none revestue,
Fu la coille a Pierre tolue,
A Paris, en son lit, de nuiz,
Don mout ot travauz e enuiz.
E fu puis cete mescheance
Moines de Saint Denis en France,
Puis abes d'une autre abaie,
Puis fonda, ce dit en sa Vie,
Une abaie renomee
Qu'il a dou Paraclit nomee,
Don Heloïs fu abaesse,
Qui devant iert none professe.
Ele meïsmes le raconte,
E escrit, e n'en a pas honte,
A son ami, que tant amait
Que pere e seigneur le clamait,
Une merveilleuse parole,
Que mout de genz tendront a foie,
Qu'il est escrit en ses epistres,
Qui bien cercherait les chapitres,
Qu'el li manda par letre espresse,
Puis qu'el fu neis abaesse:
«Se li empereres de Rome,
Souz qui doivent estre tuit ome,
Me deignait vouloir prendre a fame
E faire mei dou monde dame,
Si voudraie je meauz», fait ele,
"E Deu a tesmoing en apele,
Estre ta putain apelee
Que empereriz couronee."
Mais je ne crei mie, par m'ame,
Qu'onques puis fust nule tel fame;
Si crei je que sa letreure
La mist a ce que la nature
Que des meurs femenins avait
Vaincre e donter meauz en savait.
Cete, se Pierres la creüst,
Onc espousee ne l'eüst...
Peter Abälard gesteht seinerseits,
dass Schwester Heloïse, Äbtissin
Von Paraklet, seine Freundin,
niemals darin einwilligen wollte,
dass er sie zur Frau nähme;
statt dessen nannte ihm die junge Dame,
die sehr verständig und sehr gebildet war
und sehr liebte und sehr geliebt wurde,
Vernunftgründe, die ihn lehren sollten,
dass er sich vor der Ehe zu hüten habe;
und sie bewies ihm durch schriftliche Zeugnisse
und durch Vernunftgründe, dass die Bedingungen
des Ehestands sehr hart sind,
wie vernünftig die Frau auch sei;
denn sie hatte die Bücher eingesehen,
sie studiert und kannte sie,
und sie kannte auch die weiblichen Sitten,
denn sie hatte sie ja alle in sich selbst.
Und sie verlangte, er solle sie lieben,
ohne jedoch dabei irgendein Recht zu beanspruchen,
außer dem der Gunst und Freiheit
ohne jede Herrschaft und Bevormundung,
derart dass er studieren könne
als sein eigener Herr, völlig frei, ohne sich zu binden;
und dass sie sich ihrerseits, da sie keineswegs
unwissend war, sich dem Studium hingeben könnte.
Indessen sagte sie ihm auch abermals,
ihre Freuden würden vergnüglicher sein
und die Lust würde um so mehr dadurch wachsen,
je später sie sich wieder sähen;
aber, wie er es uns beschrieben hat, heiratete er sie,
der sie so sehr liebte, dann
entgegen ihrer Warnung,
und geriet dadurch in großes Unglück;
denn nachdem sie, wie es mir scheint,
mit beiderseitiger Zustimmung
in Argenteuil als Nonne eingekleidet worden war,
wurden Peter eines Nachts in Paris
die Hoden in seinem Bett abgeschnitten,
wodurch er viele Qualen und Kümmernisse hatte.
Und nach diesem Unglück wurde er
Mönch im Kloster Saint-Denis in Frankreich,
dann Abt einer anderen Abtei,
dann gründete er, das sagt er in seiner Vita
eine berühmte Abtei,
die er Paraklet nannte,
deren Äbtissin Heloïse wurde,
die zuvor als Nonne Profess getan hatte.
Sie selbst berichtet das
und schreibt, und schämt sich dessen nicht,
ihrem Freund, den sie so sehr liebte,
dass sie ihn Vater und Herrn nannte,
ein ganz erstaunliches Wort,
das viele Leute für töricht halten werden,
denn es heißt in ihren Briefen,
- falls jemand die Kapitel nachschlagen will -,
die sie ihm als deutliche Nachricht sandte,
sobald sie Äbtissin geworden war:
"Wenn der Kaiser von Rom,
dem alle Menschen Untertan sein müssen,
geruhte, mich als Frau nehmen zu wollen
und zur Herrin der Welt zu machen,
wollte ich doch", so sagt sie,
"und ich nehme Gott dafür zum Zeugen,
lieber Deine Hure genannt werden
als gekrönte Kaiserin".
Aber ich glaube bei meiner Seele nicht,
dass es seitdem noch eine solche Frau gegeben hätte;
und ich glaube auch, dass ihre Bildung
sie dazu brachte, dass sie die Veranlagung,
die sie zu weiblichen Sitten hatte,
dadurch besser zu besiegen und beherrschen verstand.
Hätte Peter auf sie gehört,
so hätte er sie niemals geheiratet...
Likewise did Heloïse entreat
- the abbess of the Paraclete -
Her lover Peter Abélard,
That he would utterly discard
All thought of marriage from his mind.
This lady, noble and refined,
Of genius bright and learning great,
Loving, and loved with passionate
Strong love, implored him not to wed,
And many a well-wrought reason sped
To him in letters, where she showed
That hard and troublous is the code
Of marriage, howsoever true
Are those who bind themselves thereto;
For not alone had she in books
Studied, but all the closest nooks
Of woman's heart explored, and she
Love's throes had suffered bitterly.
Therefore she begged they might atwain,
Though dying each for each, remain,
Bound by no bonds but those of love,
Whose gentle ties are strong above
All marriage laws, yet frank and free
Leave lovers -- in sweet amity --
To follow learning, and she said,
Moreover, that long absence bred
'Twixt lovers unexpressed delight,
Most poignant when they're lost to sight.
But Peter, as himself hath writ
In burning letters, so was smit
With passion, that nought else would serve
Till Heloïse he drew to swerve
From her sage counsel, and thence fell
On him mischance most dire to tell;
For little more their course was run
Ere she at Argenteuil as nun
Was close immured, while he was reft
Of manhood by his foes, who deft
As cruel were in his despite,
Seizing him as he lay one night
At Paris. After this mischance
Saint Denis, patron saint of France,
Gave shelter to him as a monk;
And when this bitter cup he'd drunk,
Down to the dregs an abbey meet
He founded, hight the Paraclete,
For Heloïse, and there with good
Success she ruled the sisterhood.
Her love-lorn story hath she told
In letters which she penned with bold
Unshamed assurance; therein she
Declares monk Abélard to be
Her lord and master; and some say
These far-famed letters but betray
Delirious love. When first the dress
She donned of abbess, her distress
Broke forth in these wild words: If he
Who rules Rome's Empire courteously
Deigned to demand that I, as wife,
To him would dedicate my life,
In proud estate, I should reply
Much rather would I live and die
Thy mistress, wrapped in shame profound,
Than empress of the world be crowned.
But never since that day till now
Hath such a woman lived, I trow...


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