Klamer Eberhard Karl Schmidt

© Werner Robl, Neustadt, Mai 2001

In einem kleinen, 183 Seiten umfassenden Gedichtband, der im Jahre 1794 in Leipzig erschienen war, fand sich eingangs ein Kupferstich von Daniel Berger aus Berlin aus dem Jahre 1782. Er war einem 1778 erstellten Gemälde der Schweizer Malerin Angelika Kauffmann, 1741 bis 1807, nachempfunden - Abélard et Héloïse surpris par Fulbert - und stellte die Entdeckung Heloïsas und Abaelards durch Domherr Fulbert dar. Auf den Seiten 95 bis 98 desselben Bändchens ist ein Gedicht K.E.K. Schmidts wiedergegeben, welches demselben Thema gewidmet ist. Dabei nimmt der Verfasser allerdings Bezug auf einen anderen Kupferstich desselben Motivs, vom einem Künstler namens Gabriel Skorodomoff stammend, dessen Name etwas entstellt wiedergegeben wird. Ein Exemplar dieses Stiches befindet sich heute im Besitz des Musée du Vignoble in Abaelards Geburtsort Le Pallet.

Wer war Klamer Eberhard Karl Schmidt, der Verfasser des Gedichtes?

Klamer Eberhard Karl Schmidt wurde im Jahre 1764 in Halberstadt geboren. Er wurde nach dem Studium Domänenrat und verstarb im Jahre 1824 in demselben Ort, den er Zeit seines Lebens nie längerfristig verlassen hatte.

Er gehörte zum berühmten Halberstädter Freundschafts- und Dichterkreis, der vom Domsekretär Johann Wilhelm Ludwig Gleim, 1719-1803, gegründet worden war. Nach der Kindheit im Ostharz und Studium in Halle war Gleim zunächst 1743 in Berlin Hauslehrer geworden, anschließend Stabssekretär des Prinzen Wilhelm von Brandenburg-Schwedt. Im Jahre 1747 wurde er zum Sekretär des Domkapitels in Halberstadt ernannt, 1756 erhielt er ein Kanonikat des Stifts Walbeck bei Helmstedt. Der dadurch erreichte Wohlstand ermöglichte es dem Junggesellen, in Halberstadt seinen Traum einer anakreontischen Dichterschule zu verwirklichen.

Literaturgeschichtlich repräsentiert die Anakreontik - benannt nach dem klassischen griechischen Dichter Anakreon aus Teos, 563 bis 478 v. Chr - eine Variante der europäische Rokoko-Lyrik, quasi ein Sonderweg innerhalb der Aufklärung. Sie beschäftigte sich gemäß dem Motto des Dichters Anakreon mit dem sinnlichen Lebensgenuss, "mit dem Lobgesang auf die Liebe und den Wein" und stand damit in gewissem Gegensatz zum kritischen Sturm und Drang. Trotz der praktisch fehlenden Gesellschaftskritik war die Anakreontik nicht ohne Einfluss; selbst Goethe, Schiller und Lessing konnten sich ihrem Einfluss nicht entziehen.

Da im 18. Jahrhundert mit der Dichtkunst kaum Geld zu verdienen war, bemühte sich Johann Wilhelm Ludwig Gleim, das Einkommen junger Dichter zu verbessern, indem er sie tatkräftig auf verschiedene Weise unterstützte. Alle waren sie in seinem Haus in Halberstadt willkommen. Den Wohnräumen, in denen die Porträts seiner Freunde hingen, verlieh er den Namen Freundschaftstempel. Die Eingangstür zierte das Motto: "Ein armer Grenadier hat diesen kleinen Tempel, ihr Musen, euch geweiht..." Über ein weit verzweigtes Netz an Kontakten nahm Gleim aktiv am literarischen Leben seiner Zeit teil: Gellert, Rabener, Schlegel, Klopstock, Bürger, Lessing, Herder, Ewald, Kleist, Voß und Wieland zählten zu seinen Freunden. Bis ins hohe Alter hinein förderte er den oben genannten Bund junger Literaten, was ihm ein hohes Ansehen verschaffte. Aus eigener Feder stammten zahlreiche Werke, Fabeln, Romanzen, Widmungsgedichte, Episteln, Lieder. Öffentliche Auftritte mit politischer Wirkung scheute er dagegen. Aus der illustren Halberstädter Runde seien hier nur einige Namen genannt:

 

An Philint und Phidilis

 
Kupferstich Signatur: Angelika Kauffmann pinx: Daniel Berger, Sculp Berolini 1782

 

Halberstadt, den 28sten August 1780

Über Abälard und Heloise, einen Kupferstich
von Scorodomaff, nach Angelika Kaufmann

Welch ein Geschenk! Uns hättet ihr die Wahl,
In eurem Tempel der Unsterblichkeit, (*)
Mir selbst gelassen, Schöneres hätt' ich
Nicht wählen können! dies hätt' ich gewählt!
Welch süßes Abbild! O der lieblichen,
Vertrauten Schule, so die Liebe hält!
Die Liebe, die, in Augenblickes Frist,
Der Weisheit mehr in schöne Seelen bringt,
Als alle Professoren= Rektor= und
Magister=Gestus, in Jahrtausenden!
Die Liebe, die, mit Einem lichten Blick,
Auslichtet mehr die dunkelste Vernunft,
Als alle Professoren, Rekter und
Magister, mit gelahrtem Bücher=Wust,
Vom Chronik= bis zum Almanach=Format.

Ha! Wen, wie euch, der Liebe hoher Geist
Beschattet hat, Philint und Phidilis,
Der gehe kühn und wissensfroh, mit mir
Ins Heiligthum der hohen Kaufmann ein,
Und seh die Liebe Schule halten! Gott!
Was für Erscheinung! Sperrt' ich Glücklicher
Der Fliege viele tausend Augen auf,
Doch würd' ich nicht ermüden, alle sie
Zu überfüllen mit dem leckeren Reiz,
Den eine zwote Himmelstruchsinn mir
Angelika,die hehre Jungfrau, rein
Und lauter, aus dem großen Mutterfaß
Einfältiger Natur zu kosten gibt!

In diesem holden, hingesenkten Blick
Der Lernerinn die leise Glorie
Der Unschuld, und durchscheinend doch dabey
Wohllebiger, liebvoller Vorsatz, weit!
Weit lieber Buhle dieses Manns zu seyn,
Als eines Königs ehliches Gemahl!
Die kleine Hand, die läßig nur das Buch
Geöfnet hält, erzliebeläßig nur!
Denn in den Spitzen aller Finger weht
Das Leben frischer Liebe, nicht der Trieb,
Zu halten einen Band voll todtiger
Buchstaben, deren Millionen, nett
In Eins geschrieben, keine schöne Nacht
Erschaffen können! Lange hätte schon
Die kleine Hand das ungeliebte Buch
Hinfallen lassen, ruht' es, rücklings, nicht
Auf sicherer Tafel! ach! es ruht
Geborgener da, als der entglühte Blick
Des jungen Lehrers auf dem schämigen
Gesenkten Auge seiner Schülerinn!
Die abgeschiednen kleinen Geister der
Geheimen Stunden, die der Jüngling oft
Dem Mädchen gab, sind angesessen tief
In seinem Blick, gehn um in jeglicher
Geschwellter Muskel dieser Hände, die
Die Hand des schönen Mädchens halten! Ach!
Zwo glückliche Minuten länger; und
Die Schäferglocke schlüge, nach wie vor,
Von Neuem ihren lang gewohnten Schlag!
Doch das Verhängnis, unbeschwörbar scharf
Für Liebende, verbeut es dieses Mal!
Tief aus der Hölle führt's den alten Ohm
Zur Lausche her! Mein Herr Kanonikus
Versammlet seine Falten allzumal
In seinem Herzen und auf seiner Stirn,
Versammlet sie, wie Vater Belzebub
Die Höllenteufel alle gros und klein,
In seinem großen Pandämonium,
Und führt sie aus, die hohe Meuchelthat,
Die schändliches, verwünschtes Leben ihm
Auf der Geschichte weiten Bühne giebt!...

Der junge Lehrer muß, mit einem Mal,
Die Schule schließen, und die Schülerinn,
Unüberhört, gleichwie der Tag vergehn,
In abgezogner Kloster=Einsamkeit!

Bedaurt! bedaurt, ihr beiden Glücklichen,
Das Schicksal eines weltberühmten Paars!
Und leuchtet euch der Sohn Uraniens,
Mit seiner schönen Fackel einst, o dann,
O dann erseufze, zärtlich, du Philint:
"Ach! Heloisa!" dann erseufze du,
O Phidilis: "ach! armer Abälard!"
Und einer schaure, freudenschauriger,
Sich an den andern, Freund Philint: daß er
Der alten Oehme keinen fürchten darf,
Und Phidilis: daß keine Priorinn
Sie, aus der Schule wegzubleiben, zwingt,
Die Amor hält, der hochgelahrte Mann!

(*) Philint hat eine Sammlung der besten Kupferstiche von
italiänischen, englischen und holländischen Meistern.


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