Nikolaus Lenau (1802-1850)

Nikolaus Lenau, eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, ab 1820 Edler von Strehlenau, geboren 1802, verstorben 1850, wird mit recht als der bedeutendste Lyriker Österreichs im 19. Jahrhundert bezeichnet. Geboren in die Zeit des Biedermeiers, spiegelt er durch Leben und Werk wie kein anderer den inneren Zwiespalt seines Zeitalters wider.

Nikolaus Lenau wurde am 13. August 1802 in Csatád in Ungarn geboren. Er verbrachte eine vaterlose, ansonsten aber relativ sorglose Jugend, lebte mit seiner wiederverheirateten Mutter zunächst in Pest, dann in Tokaj und Pressburg. Bereits sein Hauslehrer in Tokaj sagte ihm eine große Zukunft voraus. Als sich nach dem Tod des Stiefvaters die Lebensverhältnisse der Familie wieder verschlechtert hatten, begann eine schwierige Zeit. Zum Teil lebte Lenau in Notunterkünften, wie zum Beispiel in einer Friedhofskapelle. Im Jahre 1820 begann er, in Wien zu studieren, ohne festes Ziel. Er wurde Vater eines unehelichen Kindes. Im Jahre 1821, in dem auch seine Mutter verstarb, gab er einen ersten Gedichtsband heraus, bereits unter seinem Pseudonym. Zwischen 1822 und 1832 studierte er Jura, Philosophie, Landwirtschaft und Medizin in Wien. Nachdem er 1831 seine begüterte Großmutter beerbt hatte, besserte sich die Lebenslage Lenaus schlagartig. Er brach sein offensichtlich ungeliebtes Medizinstudium ab und ging, um der Zensur zu entgehen, nach Stuttgart, zum Professor und Dichter Gustav Schwab, wo er seine literarische Tätigkeit fortsetzte. Lenaus Lyrikband Gedichte erschien erstmals in Stuttgart bei Cotta. Der Lyriker schloss dort auch Bekanntschaft mit schwäbischen Dichtern wie Kerner oder Uhland. Nach einem gescheiterten Auswanderungsversuch nach Amerika kehrte er schon im Mai 1833 nach Stuttgart zurück. Schwaben war ihm, dem Deutsch-Ungarn, zur zweiten Heimat geworden.

Doch in dieser Zeit zeichnete sich bereits seine seelische und geistige Zerrüttung ab. In seinen Werken kontrastierten Zartheit und Gefühl immer mehr mit Affektsausbrüchen und Schwermut. Eine Beziehung zu Lotte Gmelin, Gustav Schwabs Nichte, scheiterte nach ersten Ansätzen. Lenau begann - bereits von Schwermut gezeichnet - ein unstetes Leben. Über Heidelberg kam er zurück nach Wien, wo er sich in Sofie, die Frau Max Löwenthals, verliebte. Da diese Liebe nicht erwidert wurde, neigte er immer mehr zu depressiver Verstimmung, finsteren Gedanken. Trotzdem schrieb Lenau in dieser Zeit seine epischen Hauptwerke, z.B. Don Juan oder Die Albigenser. Der nochmalige Versuch, im Jahre 1844 eine neue Beziehung aufzubauen, scheiterte. Lenau soll einen Schlaganfall erlitten haben, dem zunehmend geistige Verwirrung und Paranoia folgten. Nach einem Tobsuchtsanfall musste er schließlich 1844 in der Zwangsjacke in die Irrenanstalt nach Winnental eingeliefert werden. Am 22. August 1850 starb schließlich Lenau, nachdem er fast 6 Jahre im Irrenhaus - zuletzt in Oberdöbling in Wien - zugebracht hatte.

Lenaus wichtigste Werke: Der Unbeständige (1822), Polenlieder (1835), Faust (1836), Savonarola (1837), In der Neujahrsnacht (1840), Die Albigenser (1842), Waldlieder (1843), Blick in den Strom (1844), Eitel nichts (1844 ), Don Juan (Fragment, 1844).

Literaturgeschichtlich ist Nikolaus Lenau zwischen Romantik und Realismus einzuordnen. Die naturphilosophischen Ideen der Romantik waren noch in ihm wirksam; er selbst verstand seine Dichtung als einen Beitrag zur Beseelung und Vermenschlichung der Natur. Seine Werke sind voller Sehnsucht nach innerer Ruhe und Harmonie. Dennoch malte er - schwermütig-sentimental oder in jäh aufbrechender Leidenschaft - in düsteren Farben, z.B. die Landschaft seiner ungarischen Heimat. Der Übergang zum Realismus ist in seinen Werken unübersehbar - wenn er zum Beispiel den Zauber einer Maiennacht durch plötzliche Konfrontation mit dem Tode zerstört. So kennzeichnen Pessimismus und Melancholie sein Werk, spiegeln in dumpfer Vorahnung sein eigenes Lebensende wider. Große dichterische Pläne wie die Neubearbeitung des Fauststoffes konnte Lenau wegen seiner psychischen Alteration nur ansatzweise umsetzen.

Unter seinen lyrischen Werken findet sich auch ein melancholisches Gedicht über das Schicksal Heloïsas im Paraklet:

Heloise

Im Klostergarten steht ein steinern Bild,
Ein Crucifix so ernst, versöhnungsmild.
Oft in der Nacht, der ungestörten, späten,
Geht Schwester Heloise hin, zu beten.
Auch heute kniet sie dort am Marmorstamme
Und fleht um Kühlung ihrer Herzensflamme:
"O Gott! Nachdem du hast für uns gelitten,
Geklagt, geweint, empfangen Todeswunden,
Wird unglückliche Liebe noch gefunden?
Hat sie nicht ausgeweint und ausgestritten?
Hilf! Rette mich aus diesen Finsternissen
Der Zweifel, die mein blutend Herz umnachten!
Nach Ihm, nach Ihm nur muss ich ewig schmachten;
O Gott! Hier liegt mein Herz vor dir zerrissen!
Umsonst, dass ich empfing den frommen Schleier,
Dass ich zum strengen Orden mich bekannte,
Noch immer seh' ich meinen süßen Freier,
Wie er beim letzten Lebewohl sich wandte.
Du selbst hast ihn zum Gatten mir erkoren;
Oft wenn ich Wort' und Küsse mit ihm tauschte,
War mir, ob Himmelsbeifall uns umrauschte,
Kannst du mich trösten, dass ich ihn verloren?
Du kannst es nicht, muss zitternd ich bekennen,
Ich sterbe hin in meiner Leidenschaft,
Es muss mein Herz mit seiner letzten Kraft,
Dir abgewandt, in dieser Glut verbrennen.
Und wenn ich das Verlorne und Versäumte,
Als hätt' ich es, in süßen Nächten träumte,
Verzeih, mein Gott! Dass ich in meinem Schrecken,
Wenn kalt die Schwestern mich zur Hora wecken,
Nach Truggestalten strecke meine Hände,
Vergötternd mich zu meinen Träumen wende.
Verzeih, wenn ich oft kniend am Altare
Zu knieen mein' an meiner Freudenbahre,
Und dass in mir verlornes Mutterglück
Aufschreit: Gib mir den Bräutigam zurück!
Im Mondlicht seh' ich hier dein Bildnis schimmern,
Die Winde seufzen durch den Blütenstrauch;
Ich kam zu beten, doch im Windeshauch
Hör' ich mein unempfangnes Kindlein wimmern.
Ich bin so arm, verlassen und beraubt,
Nichts kann ich mehr zum Opfer und Geschenke
Dir bringen, Gott! Als dass mein müdes Haupt
Ich hier zu deinem heil'gen Kreuze senke,
Dass ich die Wange kühl' an deinem Steine,
Wenn ich die Nacht um Abälard verweine.


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