Conciergerie in Paris: Heloïsa und Abaelard nach Viollet-le-Duc

Basrelief am hinteren Zentralpfeiler des Waffenträgersaales

© Dr. Werner Robl, Mai 2003

Obwohl die Conciergerie ursprünglich im 14. Jahrhundert unter König Philipp, dem Schönen, als Unterkunft für den Schlossvogt (Concierge) und die Palastwachen erbaut wurde, ging sie in einer ganz anderen Funktion in die Geschichte ein: Als im späten 14. Jahrhundert König Karl V. und sein Hof den Stadtkern von Paris verlassen hatten, um auswärts zu residieren, etablierte sich bereits die Conciergerie als Zentralbau der französischen Polizei- und Staatsgewalt. Schon damals wurden die Untergeschosse in Gefängnisse umgebaut.

Während der Französischen Revolution diente sie dann als berüchtigtes Staatsgefängnis: Nach dem Sturz der Monarchie verurteilte das Revolutionstribunal zwischen dem 2. April 1793 und dem 31. Mai 1795 in der Conciergerie seine Opfer zum Tod durch das Fallbeil. Innerhalb zweier Jahre wurden dort mehr als 2700 Menschen dem Scharfrichter überantwortet, darunter Königin Marie-Antoinette und Madame Elisabeth, die Schwester König Ludwigs XVI., Charlotte Corday, die Mörderin Marats, Madame Dubarry, die langjährige Favoritin Ludwigs XV., der Dichter André Chenier, Philipp von Orléans, sowie die 22 Girondisten, die wegen Umsturzes und Konspiration gegen Robespierre angeklagt waren. Im Jahr 1794 wurden die Anführer der Revolution selbst, Danton und Robespierre, Opfer ihres eigenen Vernichtungskurses. Zwischen dem Januar 1793 und dem Juli 1794 gingen Tausende von Gefangenen den Weg von der Conciergerie zur Guillotine. Diese stand nacheinander auf der Place du Carrousel, der Place de la Concorde, der Place de la Bastille, der Place de la Nation - wo allein in 40 Tagen 1306 Köpfe fielen - und zuletzt wieder auf der Place de la Concorde. Auch im 19. Jahrhundert fristeten namhafte Gefangene in der Conciergerie ein trauriges Dasein, z. B. Marschall Ney, der Prinz Napoléon und die Anarchisten Orsini et Ravachol.

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Heute bietet sich vom gegenüberliegenden Quai de la Mégisserie der beste Blick auf den weitläufigen Gebäudekomplex mit seiner neugotisch restaurierten Nordfassade und den vier Türmen, welche bis zum 16. Jahrhundert direkt am Wasser standen. Der Bonbec-Turm zur Rechten mit seinem markanten Zinnenkranz ist der älteste Bauteil: Er diente über Jahrhunderte hinweg als Folterstätte für die Gefangenen. Die beiden Zwillingstürme daneben bewachten den Eingang zum Königspalast: Im rechten der beiden, der Tour d'Argent, wurde der Kronschatz aufbewahrt. Am viereckigen Uhrturm zur Linken, der Tour de l'Horloge, ließ König Karl V. im Jahr 1371 die erste öffentliche Uhr von Paris anbringen. Ihr Glockenklang verstummte erst im Jahr 1793, als die Revolutionäre die wertvolle Silberglocke einschmolzen.

Im 19. Jahrhundert wurde die gesamte Conciergerie unter der Bauleitung von Eugéne Emmanuel Viollet-le-Duc, 1814-1879, im neugotischen Stil umgestaltet, wobei jedoch glücklicherweise einige alte Bauteile erhalten blieben. Erst 1914 beseitigte man den Justizcharakter der Conciergerie und öffnete das Gebäude als historisches Monument der Öffentlichkeit.

  • Zu besichtigen sind heute im Untergeschoss der düstere Salle des Gardes, welcher gegen 1310 unter Philipp, dem Schönen, errichtet worden war. Mit seinen drei Zentralpfeilern und acht Spitzbogengewölben stellt er eine imposante Vorhalle des großen Saales im Obergeschoss dar, in dem der König sein Lit de justice hatte, und zuletzt - nach Beseitigung der Monarchie -  das Revolutionstribunal tagte.

  • Östlich davon befindet sich eine mittelalterliche Großküche zur Verköstigung des reichlichen Personals. In ihren vier riesigen Kaminen konnten mehrere Schafe gleichzeitig gegrillt werden.

  • Das Museum im Obergeschoss thematisiert heute die Geschichte des Gefängnisses und seiner berühmten Insassen. Hauptattraktion ist die Nachbildung der Zelle, in der Marie-Antoinette vom 2. August bis zum 16. Oktober 1793 inhaftiert war. Die Zelle der Königin, in der lediglich ein Bett, ein Stuhl und ein Tisch standen, war von den Wärtern, die sie Tag und Nacht bewachten, nur durch einen Wandschirm getrennt. In einer Nachbarszelle sollen erst Danton und später Robespierre - er verbrachte hier nur die Nacht vor seiner Hinrichtung - eingesessen haben.

  • Die Zelle der Königin steht heute nicht am originalen Ort, denn dort hat man zwischenzeitlich den Altar der Chapelle des Girondistes aufgestellt. Die Kapelle heißt deshalb so, weil hier die 22 Girondisten - das waren linksgerichtete Mitglieder der gesetzgebenden Verfassung von 1791 - in der Nacht vor ihrer Hinrichtung ein Fest feierten.

  • Der angrenzende Hof der Frauen, der Cour des Femmes, beherbergte einst die weiblichen Gefangenen, von denen nur die begüterten die "gesünderen" Zellen im 1. Stock belegen durften. Tagsüber war ihnen gestattet, im Hof spazieren zu gehen. Täglich hielten sich hier auch die 12 Gefangenen auf, die die nächste "Fuhre" zur Guillotine bildeten.

  • Der Gebäudeteil, der innerhalb dieser Abaelard-Seiten am meisten interessiert und auch von allen Innenräumen der Conciergerie das schönste mittelalterliche Gepränge bietet, ist der Saal der Waffenträger oder fr. Salle des gens d'armes. Er wurde zwischen 1302 und 1313 von Enguerrand de Marigny unter König Philipp, dem Schönen, im gotischen Stil errichtet und gilt nicht nur als der schönste mittelalterliche Profanbau von Paris, sondern auch als der älteste mittelalterliche Saal Europas. Mit einem Ausmaß von 64 m x 27,5 m und einer Gewölbehöhe von 8,50 m spiegelt er am ehesten die Großartigkeit der Palastanlage unter den Kapetingern wider. Die vierschiffige, mit vielen Säulen bewehrte Halle diente ursprünglich den ca. 2000 Bediensteten des französischen Königs als gemeinschaftliches Refektorium, d. h. als Speiseraum und Aufenthaltsort. Vier große Kamine stellten die Beheizung sicher, eine Fensterfront im Süden sorgte für Licht. Schon im 15. Jahrhundert wurde die architektonische Substanz schwer in Mitleidenschaft gezogen, als man zwischen den Pilastern Scheidewände einzog und zahlreiche Läden und Werkstätten in den Saal integrierte. Im Jahr 1596 zählte man so in den Untergeschossen der Conciergerie insgesamt 224 Geschäfte: Friseure, Buchhändler, Goldschmiede und Weinhändler hatten sich dort niedergelassen. Das letzte Joch im Saal der Waffenträger, welches durch ein Gitter vom übrigen Raum getrennt war, nannte man zur Revolutionszeit die Rue de Paris. Dort erwartete der Scharfrichter die Verurteilten, dort lagen auf Stroh die mittellosen Gefangenen, während ihre reichen Leidensgenossen in Zellen untergebracht waren. Erst im 19. Jahrhundert wurde die wertvolle architektonische Substanz des Saales von Viollet-le-Duc wieder freigelegt. Durch die angrenzenden Gebäude, die schon im 18. Jh. im Cour du Mai errichtet worden waren, blieb der nunmehr wieder 1800 qm bemessende Raum leider stark verdunkelt. Zur statischen Sicherung des Ensembles fügte der Pariser Stararchitekt wuchtige Zentralpfeiler ein und ließ sie mit schönen Kapitellen verzieren.

    Am vorletzten Mittelpfeiler findet der heutige Besucher eine Darstellung von Heloïsa und Abaelard mit Szenen aus ihrem Leben. Den Blickfang bildet jene Darstellung, die hier wiedergegeben wird: Während Peter Abaelard in seiner Rechten eine Schriftrolle trägt und sich dadurch als Gelehrter und Wissenschaftler ausweist, hält die als Nonne verschleierte Heloïsa in ihrer Linken unverblümt ein männliches Geschlechtsteil - eine anschauliche Reminiszenz an die traurige Liebesgeschichte der beiden, die mit der Kastration des Philosophen ihr vorläufiges Ende fand. Der Name des Bildhauers, der unter der Aufsicht Viollets-le-Duc dieses Basrelief gestaltete, ist uns unbekannt.


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