Kupferstiche des Paraklet-Klosters aus dem 18. Jahrhundert
Die Quellen zu den Baulichkeiten des Paraklet sind spärlich: Einige Schriften Abaelards, einige Papstbullen, einige weitere mittelalterliche und neuzeitliche Dokumente - mehr nicht. Bildvorlagen aus früherer Zeit existieren kaum. Seit Entdeckung des Tiefdruckverfahrens wurden zwar unzählige Abbildungen und Stiche zum Thema Heloïsa und Abaelard angefertigt - dies sind jedoch meistens mehr oder weniger fantasievolle, häufig auch kitschige Werke. Ein Bildnachweis zum Kloster findet sich jeweils in Charlotte Charrier: Heloïse - dans l'Histoire et dans la légende, Paris, 1933 und in René Louis: Pierre Abélard et l'Architecture monastique - L'Abbaye du Paraclet au diocèse de Troyes, Mainz 1951.
Bei Albert Willocx, Abélard, Heloïse et le Paraclet, 1996 findet sich auf Seite 170 auch eine Abbildung des Paraklet aus der Zeit vor der Zerstörung. Der Stich gehört heute zum Fundus des Archive départementale de l'Aube (2 Fi 898).
Laut Willocx stammt der Stich vom Kupferstecher Picquenot. Er wird im folgenden kurz Stich 1 genannt. Bei Charrier finden sich dazu unter Iconographie/Gravures folgende ikonographischen Angaben: Vue de l'abbaye du Paraclet, gravée par Michel Picquenot, d'aprés Bruandet, 1747, Manuel de l'amateur d'estampes, par Ch. Le.Blanc, t. III, p.203. Die hier genannte Datierung 1747 kann jedoch nicht stimmen; denn der französische Landschaftsmaler Lazare Bruandet lebte von 1755 bis 1804, kann also das dem Kupferstich zugrunde liegende Bild aus chronologischen Gründen kaum vor 1775 gemalt haben. Der Stich Picquenots enthält als Unterschrift die Widmung:
Vue de l'abbaye du Paraclet, proche de Nogent-sur-Seine dont Abélard fut fondateur et Heloïse première abbesse. Dédiée à Madame de Roucy, abbesse de ce monastère. Par son très humble et très obéissant serviteur Picquenot.
Ansicht der Abtei des Paraklet nahe Nogent-sur-Seine. Abaelard war sein Gründer, Heloïsa seine erste Äbtissin. Gewidmet Madame de Roucy, Äbtissin dieses Klosters. Durch den demütigen und sehr gehorsamen Diener Picquenot.
In einem Antiquariat in Eurasburg wurde kürzlich ein Kupferstich aufgefunden, der die Unterschrift trägt: Le Paraclet. Laut verkaufendem Antiquariat stammt er aus dem Jahre 1795. Diese Angabe ist jedoch ebenfalls nicht korrekt, denn der Kupferstich wurde bereits 1793 in einer französischen Buchreihe veröffentlicht: La Vallée et Brion, Voyage dans les départements de la France - Département de l'Aube, Paris 1793, Seite 20. Er ist 14,5x 9 cm groß, ist in sogenannter Aquatinta-Technik ausgeführt und trägt keine Signatur oder sonstige Angabe des Kupferstechers. Dass es sich bei der Darstellung um das ehemalige Paraklet-Kloster handelt, steht außer Zweifel: Zu eindeutig ist die Übereinstimmung mit der Darstellung des Gebäudeensembles durch Picquenot und der heutigen Situation. Es ist eine handwerklich und motivisch gefällige Arbeit. Der Stich wurde in sogenannter Aquatinta-Technik ausgeführt - eine Halbtöne erzeugende Flächenätzung, die erst zwischen 1765 und 1768 in Frankreich von Jean Baptiste Leprince erfunden wurde. Deshalb kann der Stich nicht vor 1768 entstanden sein. Äußerst fraglich ist jedoch, ob das Bildmotiv wirklich aus der Zeit kurz vor 1793 stammt. Auf den vermuteten Entstehungszeitraum der Bildvorlage wird weiter unten noch eingegangen.
Welche Rückschlüsse kann man aus einer vergleichenden Betrachtung der Bilder ziehen?
Übereinstimmungen
Der Graveur Picquenot hat bei Stich 1 die dominierenden Bildanteile - Bildmitte und -vordergrund - detailliert ausgeführt, wobei der Hintergrund, der Landschaftshorizont, nicht der Realität entspricht. In der zentralen Bildgestaltung zeigen beide Stiche erstaunliche Gemeinsamkeiten; deshalb kommt wohl diesen Bildanteilen ein hoher Grad an Authentizität zu:
- class="duenn">Beide Stiche zeigen einen identischen Blickwinkel und Standpunkt des Künstlers: Er steht am linken Ufer des Ardusson, mit Blick flussaufwärts, nach Osten, in Richtung Abtei.
- Auf beiden Stichen befindet sich links im Vordergrund, am linken Ufer des Ardusson, der in einem sanften Bogen Richtung Seine am linken Bildrand verschwindet, ein niedergeschossiges, wohl Ried gedecktes Gebäude mit Zwerggiebel, das am ehesten einem Fischerhaus entspricht. Die Gebäudeform ist auf beiden Stichen identisch. Richtung Abtei schließt sich eine am linken Ufer stehende Baumgruppe an, vermutlich Salweiden, wie man bei Stich 2 aufgrund der Kronenform und des schiefen Stammwuchses erschließen kann. Der Baumbestand nimmt Richtung Abtei zunehmend ab.
- Beide Stiche zeigen, dass das Flüsschen Ardusson unmittelbar nördlich am Zentralgebäude der Abtei vorbeifloss, ehe es in begradigtem Lauf durch einen gebogenen Mauerdurchlass das Klosterareal verließ und der Seine zustrebte.
- Weitgehend gleich in Form und Größe ist das Abteitor mit dem links stehenden Torhäuschen abgebildet. Das Tor ist nicht sehr groß; es wird kaum ein Einspänner hindurch gepasst haben. Als Detail zeigen beide Bilder einen Kamin am Torhaus, d.h. dieses war heizbar! Entsprechende Übereinstimmung gilt für die nach Norden verlaufende Umfassungsmauer.
- Nördlich des Ardusson standen im umfriedeten Bezirk keine größeren Nebengebäude mehr.
- Die Abteikirche liegt an identischer Stelle; Haupt- und Querschiff überragen die Gebäude im Vordergrund. Die Proportionen sind ähnlich, der Dachfirst gleich hoch. Im Zentrum der Vierung befindet sich ein Turm mit niedrigem Glockenstuhl, aber anmutig geschwungener, spitzer Turmhaube und einem gut sichtbaren Wetterhahn auf der Spitze.
- Der größte Baukörper der Abtei stellt das aus zwei Gebäudeanteilen bestehende Konventgebäude dar. Auch hier finden sich viele Übereinstimmungen: Das flussaufwärts an den Ardusson angrenzende, linke Längsgebäude scheint Rechteckform zu besitzen, die Giebelfront ist auf beiden Stichen höher als beim Quergebäude. Die Anordnung der Kamine ist annähernd identisch. Das Quergebäude steht eventuell nicht in rechtem Winkel zum Längsgebäude; beide Flügel stehen etwas zueinander versetzt.
- Das gesamte Gebäudeensemble des Klosters steht bei beiden Stichen relativ dicht gedrängt.
- Beide Stiche zeigen im Bildvordergrund Landbevölkerung bei der Arbeit oder beim Spaziergang. Dies dient ausschließlich der lebendigen Gestaltung. Besondere Rückschlüsse können hieraus nicht gezogen werden; es handelt sich um fiktive Personen. Klosterinsassen resp. Nonnen sind naturgemäß nicht zu erkennen; sie durften das Kloster im Regelfall nicht verlassen.
Unterschiede
- Stich 2 zeigt eine hohe Detailgenauigkeit. Im Gegensatz zu Stich 1 entspricht die Ausführung des Landschaftshorizontes der Realität und kann auch heute noch unverändert vor Ort nachvollzogen werden. Die Landschaft des Bildvordergrundes ist bei Stich 2 mit den sanften Schwingungen und minimalen Erhebungen wesentlich harmonischer herausgearbeitet als bei Stich 1.
- Auf der rechten Bildhälfte des Stichs 2 ist deutlich einer der Rundtürme zu erkennen, die auch heute noch stehen. Er scheint aus perspektivischen Gründen eher die nordwestliche als die südwestliche Ecke des angrenzenden Gutshofes zu markieren. Vor dem Rundturm verläuft in Richtung Abteitor eine Mauer.
- Hinter dem markanten Eckturm ist ein lockeres Ensemble aus Gebäuden zu erkennen, die sich - wenn die Perspektive stimmt - auch außerhalb der heutigen Umfriedungsmauer befinden und Wirtschaftsgebäuden oder anderen Gebäudetypen entsprechen könnten. Sogar in der Ferne, auf der Anhöhe, sind noch Gebäude zu erkennen. Stich 1 bringt diese Details wegen der Bäume im Vordergrund nicht zur Darstellung.
- Auf Stich 2 fehlt die zum Klostertor führende geradlinige Baumallee, die Stich 1 detailliert wiedergibt und die in ähnlicher Form auch heute noch besteht. Die Allee-Bäume auf Stich 1 entsprechen aufgrund der Kronenform und der Stammdicke etwa 15-20jährigen Kastanien. Die Allee verlegt den Verlauf der Straße von Troyes nach Nogent um ca. 100 m von der Abtei weg. Ganz anders bei Stich 2: Hier ist der frühere, der natürlichen Geländeformation entsprechende Wegesverlauf zu erkennen - entlang am Ardusson und geschwungen ums Kloster herum. Also muss zwischen der Anfertigung beider Skizzen Landschaftsbau stattgefunden haben.
- Auch am Klostergebäude selbst sind bauliche Unterschiede zu erkennen: Stich 1 zeigt zwischen Eingangstor und innerem Klosterbezirk ein zweigeschossiges Gebäude mit Satteldach, das an das Quergebäude unmittelbar angrenzt und in rechtem Winkel zu diesem steht. Auf Stich 2 existiert dieses Gebäude nicht; ein anderes an etwa derselben Stelle ist schmaler und etwas zurückgesetzt.
- Auf Stich 2 sind hinter dem linken Längstrakt des Konventhauses noch 6 weitere Gebäude zu erkennen - zum Teil Wirtschaftsgebäude. Das größte davon grenzt an das Längsgebäude, ist jedoch etwas abgesetzt, und ist breiter als lang. Man erkennt gerade noch das Dach des Kapitelsaals, der sich - hinter dem Querbau liegend - Richtung Norden an das linke Querschiff anschloss. Im Anschluss an den Längsbau ist noch ein weiteres Gebäude mit Schornstein zu erkennen. Auf Stich 1 fehlt dieses Gebäude. Dagegen zeigt sich das Längsgebäude um einen weiteren Trakt verlängert, welcher einen hohen Schornstein besitzt und den Giebel des Längsgebäudes noch überragt. Dahinter erkennt man noch zwei weitere, frei stehende und kleinere Gebäude. Es bestehen Zweifel, inwieweit die Gebäude auf Stich 1 realistisch abgebildet sind. Im Gegensatz zu Stich 2 wirkt das Ensemble der Zusatzgebäude wenig harmonisch.
- Deutliche Unterschiede finden sich bei der Fassadengliederung des Konventsgebäudes: Quer- und Längsgebäude zeigen auf Stich 2 jeweils 2 Stockwerke mit je 6 Fenstern. Stich 1 zeigt am Quergebäude in enger und unharmonischer Anordnung insgesamt 3 Stockwerke mit je 9 Fenstern, das Längsgebäude 3 Stockwerke - die beiden oberen mit nur 4 Fenstern, das Unter- oder Kellergeschoss mit nur einem. Diese Zahl und Anordnung der Geschosse und Stockwerke wirkt wegen der anzunehmenden Länge der Gebäude ebenfalls wenig harmonisch. Falls jedoch die Fassadendarstellung der Stiche der Realität entspricht, sind größere Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen zwischen der jeweiligen Skizzierung oder Anfertigung der Stiche erfolgt.
- Stich 1 weist viele handwerkliche Schwächen auf, z. B. Verletzung der Perspektive, fehlende Fern-Nah-Wirkung, ungleiche Gewichtung der Hell-Dunkel-Flächen, unharmonische Landschaftsgestaltung. Sein künstlerischer Wert ist deshalb bescheiden. Ganz anders verhält es sich bei Stich 2: Diese Arbeit übersteigt die Qualität von Stich 1 erheblich. Der Kupferstich scheint nach einer genauen und realitätsgetreuen Skizze angefertigt worden zu sein: Die abgebildeten Klostergebäude sind detailreich und vor allen Dingen perspektivisch korrekt ausgeführt. Erkennbar ist dies auch an der Landschaftsgestaltung im Hintergrund und an der feingegliederten Darstellung der Nebengebäude. Somit kommt diesem Stich wahrscheinlich ein großes Maß an Authentizität zu. Auch der künstlerische Wert muss relativ hoch angesetzt werden. Die ganze Atmosphäre des Bildes wirkt nicht so streng wie bei Stich 1, sondern locker und gelöst. Es ist eine von sicherer künstlerischer Hand gefertigte Arbeit, die eine heiter-nostalgische Note ausstrahlt.
Datierung
- Beide Stiche wurden aus Gründen der Herstellungstechnik (sog. Aquatinta) sicher nach 1768 angefertigt; eine frühere herstellung ist ausgeschlossen.
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Der Kupferstecher des Stiches 1, Michel Picquenot, kann das Paraklet-Kloster kaum aus eigener Anschauung gekannt haben: Zu stark wich er bei der Ausführung des Landschaftshintergrundes von der Realität ab. Die Landschaft im Hintergrund mit den Bergen ist seitenverwechselt und fehlproportioniert. Leider fehlt eine Angabe des Herstellungsjahres. Das Werk ist Madame de Roucy gewidmet: Abbesse de ce monastère, d.h. Äbtissin dieses Klosters. Marie Charlotte de Roucy, eine Verwandte der Familie La Rochefoucauld, war die 29. und letzte Äbtissin des Paraklet, von 1778 bis zur Auflösung des Konventes im Jahre 1792. Sollte Picquenot seinen Stich für die Äbtissin noch während deren Amtszeit, also vor 1792, angefertigt haben, so wäre dieser wegen der Abweichungen von der Realität relativ wertlos gewesen. Deshalb ist es ziemlich sicher, dass er diesen Stich, wahrscheinlich im Auftrag der Äbtissin, lange nach der Abdankung von Madame de Roucy angefertigt hat. Nur dann hat der Stich - zu einer Zeit, als das Paraklet-Kloster längst zerstört war, und die Erinnerung an den Paraklet durch den Kupferstich auch trotz der ersichtlichen Fehler wachgehalten werden sollte - seinen Zweck erfüllt. Für diese Datierung spricht auch eine sentimentale Widmung, die Picquenot an der Basis des Stiches hinterlassen hat:
Dans ce Temple Divin, où règnent les vertus, Heloïse, Abeilard ont confondu leurs cendres; Dieu seul fut le soutien de ces âmes si tendres. Cet asile aujourd'hui... que dire? Rien de plus!
In diesem Tempel Gottes, wo die Tugenden regierten, haben Heloïsa und Abaelard ihre Asche vereint. Gott allein unterstützte diese so zarten Seelen. Und dieses Asyl heute... Was soll ich sagen? Nichts mehr übrig!
Stich 1 wurde somit sicher nach 1792, eventuell sogar noch später, angefertigt - vermutlich in gehörigem zeitlichen Abstand zur Zerstörung der Abtei, die zwischen 1792 und 1794 stattfand. Der Graveur arbeitete nach einer Bildvorlage von Bruandet, 1755-1804, die frühestens 1778 und spätestens 1792 entstanden ist. Der Stich gibt somit die von der letzten Äbtissin Marie Charlotte de Roucy errichteten Gebäude wider. Die Errichtung dieser Gebäude liegt um 1780.
Marie Charlotte de Roucy, die 29. und letzte Äbtissin, regierte in den Jahren 1778 bis 1792. In dieser Zeit erfuhr der Paraclet eine bislang nicht gekannte Beliebtheit. Ein Besucher folgte auf dem anderen, angespornt durch die sentimental geprägte Literatur. Die Äbtissin markierte ihre Herrschaft mit bedeutenden Arbeiten, errichtete einen neuen und weitläufigen Gebäudekomplex, restaurierte den Kapitelsaal, erneuerte das Pflaster der Kirche, verschloss den Chor mit einem schönen Ziergitter und reorganisierte die Bibliothek.
Albert Willocx, Abélard, Heloïse et le Paraclet, 1996
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Das vom Verkäufer des Stiches 2 genannte Herstellungsjahr 1795 ist falsch. Der Stich ist sicher vor 1793 entstanden (siehe oben). Wenn der Stich nach einer aktuellen Bildvorlage gestochen wurde, ist er - wegen der landschaftlichen und baulichen Unterschiede zu Stich 1, vor allem der fehlenden Alleebäume - mindestens 20 Jahre vor der Zerstörung der Abtei, also vermutlich um 1770, spätestens um 1778, entstanden. Er zeigt dann den baulichen Zustand der Abtei, der seit 1686 nach der Renovierung durch Catherine III de la Rochefoucauld bestand.
Man verdankt Äbtissin Catherine III de la Rochefoucauld, 1675-1706, gleichermaßen die Errichtung des...
Maison Abbatiale aus dem Jahre 1686. Eine Schieferplatte hoch über der Freitreppe des heutigen Äbtissinnenhauses trägt dieses Datum. Es hängt dort das Wappenschild der
La Rochefoucauld, umgeben von der Kordel der Benediktiner, gekrönt von der Herzogskrone und von einem spiralig gewundenen Teil des Äbtissinnenstabes.
Catherine III schied im Jahre 1706 aus dem Amt und starb im Jahre 1710.
Albert Willocx, Abélard, Heloïse et le Paraclet, 1996
Es gibt jedoch noch eine weitere, wahrscheinlichere Herstellungsvariante. Nach einem alten Katasterplan von 1708 existierte bereits um 1708 eine Baumallee zum Paraklet und ein Gästehaus oder eine Pferdestation vor dem Gutshof (Näheres siehe Spurensuche Paraklet). Beides ist auf dem Stich nicht zu erkennen. Somit könnte es sich bei der Darstellung auch um eine bereits zum Herstellungszeitpunkt historische Arbeit nach einer alten Bildvorlage handeln, die dann am ehesten in eine Zeit zwischen 1650 und 1686 zurückreicht. Am 10. August 1650 hatte ein Wirbelsturm die Gebäude der Abtei verwüstet. Gabrielle-Marie de La Rochefoucauld hatte während ihrer Amtszeit zwischen 1639 und 1675 die Restauration unternommen.
Wenngleich also nach diesem Datierungsversuch noch Fragen offen bleiben, so ist dennoch dadurch ersichtlich, welchen hohen historischen und künstlerischen Stellenwert die Stiche - vor allem Stich 2 - für die Beurteilung des Paraklet-Klosters besitzen, ehe dieses in der Revolutionszeit zerstört wurde:
Am 14. November 1792 machten sich die Autoritäten des Distrikts an den Verkauf der Abtei, des Bauernhofes und der dazugehörenden Wiesen und Felder. Thévenot, der Hausverwalter des Pfarrers von Nogent-sur-Seine verschaffte sich das Ensemble für die Summe von 78000 Francs. Der neue Eigentümer beschäftigte sich wenig mit seinem Eigentum und überließ es dem Notar Hayaux. Dieser ging den Abbruch der Gebäude an, wobei er mit der Kirche begann. Sein Nachfolger, der Pariser Trödler Joseph Simon, setzte das Zerstörungswerk fort.
Albert Willocx, Abélard, Heloïse et le Paraclet, 1996
Ein weiterer Kupferstich, im folgenden Stich 3 genannt, gibt die Phase der Zerstörung wieder. Eine Datierung bereitet wegen des Bildmotivs keine Schwierigkeiten: Nach einem Entwurf von Delaval fertigte der Kupferstecher Beaugean um 1795 diesen Stich an. Der Kupferstich ist in folgenden Werken angebildet: Charlotte Charrier, Héloïse dans l'histoire et dans la légende, Paris, 1933 und René Louis, Pierre Abélard et l'Architecture monastique - L'Abbaye du Paraclet au diocèse de Troyes, Mainz 1951.
Leider liegt auch Stich 3 nur in Reproduktionen bescheidener Qualität vor. Sein heutiger Standort ist nicht bekannt. Der Stich gibt interessante Details der Abbruchphase des Klosters wieder, und dies obendrein aus rückwärtiger Perspektive. Bei genauerer Betrachtung wirft der Stich allerdings viele Fragen auf:
- Zunächst zum Blickwinkel: Die eindeutig erkennbare Fassade der Klosterkirche spricht für eine Betrachtung aus ostsüdöstlicher Richtung - etwa dem Standort des heutigen Basse Court. Dafür spricht auch die Absenkung des Geländes im Bildvordergrund. Der einzig denkbare, alternative Blickwinkel aus Richtung Nordosten ist zwar prinzipiell möglich, aufgrund zahlreicher Inkongruenzen in den Details jedoch wenig plausibel. So geht man am besten doch von einer Blickrichtung gegen Westen aus.
- Die Kirche war eine einfache Hallenkirche, Seitenschiffe sind nicht anzunehmen. Die Westfassade der Abteikirche zeigt ein frühgotisches Fenster im Giebelfeld. Das Tor wirkt im Verhältnis zur Breite der Kirche etwas unharmonisch groß. Aufgrund der Darstellung ist eine flache Decke in der Kirche ebenso denkbar wie ein Kreuzgrat- oder Kreuzrippengewölbe. Die Kirche verfügte über dicke Außenmauern.
- Wenn man die Dimensionen der abgebrochenen Abteikirche extrapoliert, dann standen die rechts zu erkennenden Gebäude noch hinter dem Chorschluss. Andererseits suggeriert das linke dieser Gebäude eine ursprüngliche Verbindung zu einem weiteren Gebäude - wegen des glatten, fensterlosen Abschlusses. Welcher Art und Funktion diese Gebäude in ihrer ungewöhnlichen Anordnung einst waren, ist völlig unklar. Alle bisher bekannten Quellen geben darüber keinen Aufschluss. Vielleicht handelte es sich um die Gebäude der Bäckerei, der Apotheke, der Krankenstation. All diese wären aufgrund ihrer Funktion ja nicht bei den inneren Konventgebäuden zu suchen.
- Der rechte Bildrand zeigt ein freistehendes Gebäude mit einer anschließenden Mauer und einem Vorgarten, erkennbar an einem Baum. Unwillkürlich denkt man an das Oratorium Petit Moustier, mit dem kleinen Kreuzgang, Le Petit Cloîstre. Dieses soll jedoch nach anderen Quellen näher am Ardusson
gestanden haben.
- In der Bildmitte hinter der Dame erkennt man - rechts an das vormalige Kirchenschiff anschließend - eine Mauer mit Arkaden und einem großen Tor. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um die westliche Umfriedungsmauer des Kreuzganges.
- Kopfzerbrechen bereitet das große Gebäude dahinter. Letztlich ist nicht exakt zu unterscheiden, ob es sich - vom Betrachterstandpunkt aus - vor oder hinter der Abteikirche befand. Vor der Abteikirche lässt es aufgrund der bekannten Anordnung der Konventgebäude keine plausible Deutung seiner Funktion zu. Hier ist stand ja der Kapitelsaal, der in seinen architektonischen Erfordernissen dem besagten Gebäude in keiner Weise entspricht. Geht man jedoch davon aus, dass das Gebäude rechts hinter der Klosterkirche, also Richtung Westen stand, dann muss es ein ungewöhnlich großes Gebäude gewesen sein. Demnach konnte es sich bei der Fassade rechts nur um die Fassade des Äbtissinnenhauses handeln. Doch wie erklärt sich dann die Mauerfront mit dem großen Tor in der Mitte, die für die Höhe des Gebäudes viel zu schmale linke Abschlussmauer, deren Giebelfeld fehlt und deren obere Begrenzung über dem Niveau der Begrenzung des rechten Giebelfeldes liegt? Wo wäre dann am mittleren Mauerstück der auf obigem Stich von Picquenot zu sehende Giebel geblieben, und wie erklärt sich die stark gegliederte Fensterfront der linken Mauer, im Gegensatz zu der mit nur einem gotischen Fenster versehenen Giebelfront der rechten Mauer? Fragen über Fragen!
- Erklärungsbedürftig bleibt auch folgendes Detail: Das Tor der Klosterkirche ist im unteren Anteil verdeckt. Handelte es sich um ein Mauerstück? Unwahrscheinlich! Eher um einen Bretterverschlag, um etwa die Passanten vor herabstürzenden Steinen zu schützen.
- Noch ein paar weitere, interessante Details sind zu erkennen: An einem der rechten Gebäude erkennt man, dass es verputzt war. Ein Sichtmauerwerk ist für die Konventgebäude vor der Revolution also unwahrscheinlich - im Gegensatz zum Gutshof, dessen Außenmauern wahrscheinlich nicht verputzt waren. Weiterhin fällt auf, dass an allen teilabgebrochenen Gebäuden jeweils die Westfassaden noch stehen. Offensichtlich wurde das Abteigelände nicht Richtung Saint-Aubin, sondern Richtung Quincey abgeräumt, was ja auch der ausgefahrene Weg im Bildvordergrund vermuten lässt. Hierfür gibt es eine plausible Erklärung. Im Gegensatz zum Gutshof und der Mühle gehörten die Gebäude des Klosters selbst zur Gemeinde Quincey. Die Gemeindegrenze lag unmittelbar vor dem Konvent. Es ist zu vermuten, dass die Gemeinde Saint-Aubin den Abtransport des Baumaterials über ihren Gemeindegrund untersagt hatte.
Zusammenfassend gibt Stich 3 nach einem Motiv von Delaval interessante Details wieder, wirft aber letztlich mehr Fragen auf, als er löst.
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